Explosion des Schweigens

Originaltitel: 
Blast of Silence
Land: 
USA
Laufzeit: 
77 min
Regie: 
Allen Baron
Drehbuch: 
Allen Baron, Waldo Salt
Darsteller: 
Molly McCarthy, Allen Baron, Larry Tucker
Kinostart: 
24.08.62

Inhalt & Filmkritik
von Thomas Harbach (für SF-Radio.net)

Der Film Noir beherrschte die amerikanischen Kinos in den vierziger und fünfziger Jahren. Der Zweite Weltkrieg, das schwierige Erwachen in einer plötzlich vom Kommunismus bedrohten Welt und schließlich das erste kriegerische Abenteuer in Korea spiegelten sich in den nihilistischen dunklen und billig gedrehten Filmen wieder. Die Faszination, einer kleinen Gruppen von Individuen zuzusehen, denen es unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Lage in erster Linie emotional schlechter ging als dem Publikum verflog allerdings zu Beginn der sechziger Jahre und macht entweder Monsterstreifen oder fröhlichen Musikfilmen mit Stars wie Elvis Presley Platz. Erst in den siebziger Jahren mit Roman Polanskis „Chinatown“ oder den Gangsterstreifen von Alain Delon/ Hermann Melville ist es zu einer kurzen Renaissannce gekommen. Und zwischen diesen beiden Extremen versuchte sich eine Low Budget Produktion aus New York und hinterließ natürlich keinen bleibenden Eindruck. Lange hielt sich die Legende, dass Allan Baron´s „Blast of Silence“ aus dem Nichts gekommen ist und der Drehbuchautor/Regisseur und Hauptdarsteller wieder im Nichts verschwunden ist. Die Wahrheit liegt wo anders. Universal kaufte die freie Produktion von Dan Enright, einem New Yorker, der kurze Zeit woher in einen Skandal um getürkte Quizsendungen verwickelt worden war. Der Film spielte nur in wenigen New Yorker Kinos und wurde dann immer wieder in erster Linie durch Mundpropaganda immer wieder gefordert in Szenekinos aufgeführt. Es war aber nicht Allan Barons erster Ausflug in die Welt der Massenunterhaltung. Der 26 jährige Baron hatte woher einige Folgen der inzwischen in Vergessenheit geratenen Fernsehserie „Hawaiian Eye“ inszeniert und war Regieassistent bei „Cuban Rebel Girls“ im Jahre 1959. Für viele der Tiefpunkt der großartigen Karriere Errol Flynns. Man sieht ihm in diesem schauerlichen Stück seinen Alkoholkonsum deutlich an. Der Film spielte selbst nur in wenigen Autokinos in Alabama und Kentucky. Entgegen seiner bisherigen Erfahrungen im Film drehte Baron einen rasanten, sehr effektiv in Szene gesetzten, gewalttätigen, aber nicht übermäßig brutalen Thriller, dessen No Budget durch die intelligente Nutzung der New Yorker Szenerie ausgeglichen worden ist. Da er selbst die Hauptrolle übernommen hat, konnten die Kosten noch weiter gesenkt werden. Der 1935 in New York geborene Baron kehrte knappe drei Jahre später mit dem Thriller „Terror in the City“ auf die große Leinwand zurück. Wieder führte er Regie und schrieb ein ebenso deprimierendes Drehbuch. Im Gegensatz zu „Blast of Silence“ ist dieser Film kaum mehr erhältlich und eine Neuauflage wert. Zu Beginn der siebziger Jahre arbeitete er zusammen mit dem Schauspieler G. D. Spradlin am Melodram „Outside In“, zehn Jahre später folgte mit der Romanze „Foxfire Light“ seine vierte und letzte Regiearbeit fürs Kino. Das Erstaunliche an seiner scheinbar unauffälligen Karriere sind die vielen Fernseharbeiten. Seinen Namen findet man bei Serien wie „The Night Stalker“, „The Love Boat“ und er ist der fleißigste Regisseur bei „Drei Engel für Charlie“ gewesen. 1986 im Alter von sechzig Jahren zog er sich gänzlich aus dem Geschäft zurück und lebt inzwischen wieder in seiner Heimatstadt. Trotz aller Unbilden – einen unterinteressierten Verleih, ein offensichtliche Low Budget Produktion, selbst der DVD Anbieter konnte oder wollte kein besseres Master als die Fernsehausstrahlung in den dritten Programmen in den frühen neunziger Jahren auftreiben, keine Stars – hat sich „Blast of Silence“ inzwischen einen Kultstatus erkämpft und gilt als Bindeglied zwischen den nicht immer klassischen Film Noir Filmen der späten fünfziger Jahre und den Hermann Melville Thrillern der siebziger Jahre. Insbesondere die distanzierte, unterkühlte Darstellung Allen Barons wird ein interessierter Zuschauer in Delons berühmteren, aber nicht unbedingt besseren Film „Der Samurai“ viele Parallelen finden.

Eigentlich sollte er für Frankie Bono – Allen Baron - nur ein Routineauftrag sein. Mit dem Zug reist er aus Cleveland in das vorweihnachtliche New York, um den kleinen Gangsterboss Troiano – Peter Clume – zu töten. Dieser hat sich durch seine überstürzten Aktionen bei den Männern im Hintergrund unbeliebt gemacht und muss sterben. Auf seiner Wanderung durch das künstlich fröhliche New York saugt sich der in seinem langen Mantel wie ein obdachloser Bettler aussehende Killer voll mit Hass auf seine Umgebung, aber in erster Linie auf sich selbst und sein einsames Leben. Die Kombination dunkler, fast unterbelichteter Bilder eines nicht immer glamourösen New Yorks zusammen mit der sonoren, fast einschläfernden Off- Stimme – gesprochen von Lionel Stander -, die eine notwendige Distanz zwischen dem Zuschauer und dem Anti- Helden aufbaut und konsequent durchhält – wird zu einer melancholischen, fast philosophischen Exkursion. Im Mittelpunkt stehen Einsamkeit, Fatalismus und schließlich Nihilismus. Später werden sich diese Züge außerhalb und innerhalb des Gangsterfilmgenres bei Martin Scorsese und vor allem John Cassavetes wieder finden. Beide Ausnahmefilme werden wahrscheinlich den Film während seiner kurzen Spielzeit in den Off- Kinos in New York gesehen haben. Fast subversiv dringen Erinnerungen an Bonos Oberfläche, durchbrechen die anscheinend abweisenden, kühlen Mantel seines Selbstbewusstseins. Der Killer verliert seine stringente Fokussierung auf die Tat. Fatalerweise befindet sich sein Opfer in den Winterferien. Er ist über die Feiertage nach Long Island gefahren. So beschließt Bono, sich in dieser von ihm gehassten Stadt zu verlieren. Bis sein Opfer zurück ist und er seine Mission erfüllen kann.

Auch wenn „Blast of Silence“ für den Film Noir an sich zu spät gekommen ist, führt Baron Ideen und vor allem Motive dieses Subgenres zu einem konsequenten Finale. Im Gegensatz zu den sich hinter rauen Schalen versteckenden Romantikern wie Bogart konzentriert sich sein Protagonist auf seinen tief in seinem inneren Wesen brennenden ziellosen Hass. Dieser Hass ist seine Antriebsfeder, einen Job auszuüben, von dem er sich emotional gänzlich distanziert hat. Durch die Vernichtung seiner Opfer erlangt er keine reinigende Katharsis, er fühlt sich nicht besser, er gibt nicht einmal seiner im Grunde sinnlosen Existenz eine Aufgabe, für einen kurzen Augenblick durch dieser Hass auf die Gesellschaft, auf sich selbst die feindselige Oberfläche, entlädt sich auf sein Opfer und verschwindet hinter einer fast glanzlosen menschlichen Fassade wieder. In der Kombination mit seiner jahrelangen Einsamkeit und seiner inneren Unruhe eine beunruhigende Mischung. Nach der Verspieltheit der frühen vierziger Jahre mit seinen oft komplizierten Plots – siehe Chandler oder Hammett – folgte eine experimentelle Phase – siehe Regisseure wie Curd Siodmak oder Robert Wise -, in der man die einzelnen Charaktere auf Plotelemente reduzierte. Baron geht noch einen Schritt weiter, sein Killer wird zu einer Ziffer, zu einer Spielkarte, die bei Bedarf gezogen und auf den Tisch des Lebens geworfen wird. Nachdem das Spiel gewonnen worden ist, steckt der Puppenspieler sie wieder zu den anderen Karten und legt diese in seine Schublade. Das Drehbuch verzichtet auf jede Begegnung mit normalen Menschen. Zwar wandert Baron durch die oft unheimlich leeren Straßen von New York und saugt in sein emotionales Vakuum einen Hauch von Weihnacht ein, er spricht aber nicht mit den Menschen, er sieht sie nicht weiter an und er will auch nichts von ihnen zu tun haben. Inspiriert von Robert Aldrichs „Kiss me Deadly“ – 1955 – ignoriert Baron jegliche Form des menschlichen Zusammenlebens und breitet vor seinen fassungslosen Zuschauern ein schmutziges Portrait eines gewöhnlichen gefühlslosen Menschen. Diese Stimmung aufzuhellen hilft wenig, dass ausgerechnet sein Opfer noch zu den wenigen sympathischeren Charakteren des Films gehört. Der Zuschauer darf das Opfer nur aus der Perspektive des Täters sehen. Er scheint zwar eine Freundin in der Großstadt zu haben, ansonsten lebt er in einem kleinen Haus in der Vorstadt, sehr bürgerlich und lässt seinen Job im brutalen New York zurück. Wäre nicht der Auftrag, würde Bono ihn aufgrund seines gewöhnlichen, seines soliden Lebens hassen. Auf dem Weg von Cleveland zu seinem Opfer begegnet der Killer zwei weiteren Menschen. Seinem Waffenhändler, der versucht, mehr Geld aus seinem Opfer zu pressen und in einem Ausbruch von Gewalt ungewöhnlich brutal – hier hält Baron seine Kamera emotionslos auf das Opfer und nimmt John McNaughtons „Henry“ um einige Jahre vorweg – ermordet wird. Dazu Bonos alte Bekannte, der er in new York begegnet. Sie lädt ihn ein, dass die Festtage mir ihr zu verbringen und wird als Belohnung fast vergewaltigt. Während dieser Begegnungen zeigt Bono keine äußerlichen Reaktionen, das bleiche Gesicht wirkt unbewegt und die scheinbar ziellose Kameraführung verwirrt die Zuschauer weiter. Schnell glaubt er sich in einem Alptraum, dessen deprimierendes Ende er schon im Vorwege im Gegensatz zu Bono zu erkennen glaubt. Diese düstere Prophezeiung bestätigt im Grunde gleich zu Beginn des Films die Stimme aus dem Off. An einigen Stellen hat der Zuschauer das Gefühl, als wäre Bono der einzige Mensch, der diese Stimme hören könnte. Etwas klischeehaft wirkt allerdings sowohl beim Drehbuch als auch der Exposition der Hinweis auf den letzten Job, den letzten Mord. Danach Freiheit, ein neues Leben, eine bessere Zukunft. Diese Idee ist insbesondere im Film Noir mit seinen tragischen Konsequenzen zu oft verwandt worden und selten wirklich originell interpretiert worden. Zur pessimistischen Stimmung hätte gepasst, diesen Weihnachtsjob als normale übliche Aufgabe darzustellen. Der Zuschauer begleitet den Killer bei seinem vielleicht nicht alltäglichen, aber zumindest gewöhnlichen Handwerk. Nichts deutet darauf hin, dass es dieses Mal anders sein könnte.

Wenn man den Film ein zweites Mal betrachtet – am besten mit dem interessanten Audiokommentar des Regisseurs – fällt einem auf, dass Fracie Bono als Charakter von dem imaginären Off- Erzähler schon vor seinem Erscheinen auf der Leinwand charakterisiert wird. Positiv gesprochen ist dessen Verachtung für die Welt sein Markenzeichen und umfasst seine einzigartige Fähigkeit, schwierige Mordaufträge zu übernehmen und emotionslos auszuführen. In der Tradition des Film Noirs werden die Einzelheiten des Plans detailliert vor dem Zuschauer ausgebreitet. Kaum liegen alle Versatzstücke auf dem Tisch, beginnt das Szenario wie der Film zu zerfallen. Als seine beschädigte Persönlichkeit für einen Moment von der Bühne abtritt, der Killer seinen Schuldgefühlen und seinem Selbsthass einen gewissen Raum schenkt, beginnt er Fehler zu machen und sein fragwürdiges Talent zu verschwinden. Als er sich wieder im Griff hat, verzichtet er freiwillig auf die Chance, ein neues Leben anzufangen und setzt seinen Weg unbeirrbar – in die eigene Vernichtung – wie eine Maschine fort. Die Batterie scheint wieder mit negativer Energie aufgeladen worden zu sein.

Von der Inszenierung her lehnt sich Baron mehr an den deutschen Expressionismus an. Ihm standen in New York die vielen Kulissen nicht zur Verfügung, um seine Vision zu drehen. Also nutzte er das ihm vertraute New York als große Bühne und mit seinen starken Kontrasten zwischen Licht und Schatten – im vorliegenden Material nicht mehr sonderlich gut zu erkennen – sowie einigen fast barocken Gebäuden. Baron impliziert in seinem Film eine gänzlich andere Dekade und immer wieder erinnert seine Art der Aufnahmetechnik an die Gangsterfilme der dreißiger Jahre kombiniert mit einem fortschrittskritischen Denken der späten fünfziger Jahre. Erste Züge des aufkommenden Naturalismus – siehe „Shadows“ von Cassavetes – zu erkennen, entspräche einer Überinterpretation. Baron hat das Beste aus einem kaum vorhandenen Budget gemacht. So stellte er seine Kamera mitten auf den Straßen New Yorks ohne Drehgenehmigungen auf, wie ein Guerillakämpfer filmte er in Harlem oder Brooklyn, den Rockefeller Center oder auf Staten Island. Mit Hilfe seines Kameramannes und Produzenten Merrill S. Brody gelang ihm sein ein überraschend desolater Blick auf die Stadt. Leider macht er den Anfängerfehler, seine übergeordnete Erzählerstimme oft zu sehr in den Vordergrund zu stellen. Viele Bilder wirken ohne Hintergrundton deutlich besser und stellenweise wird die fast verzweifelte Stimmung durch den Text nicht unterstrichen, sondern zerstört. Da Baron sich auf einfache Set- Ups, fast simplifizierte Kameraführung und viele Totalen konzentriert, unterliegt er nicht der Versuchung einer gleitenden Kamera und liefert eine handwerklich sehr solide Arbeit ab.

Eine Ergänzung ist sicherlich der solide, im Verlauf des auch ihm vorgespielten Films immer besser und pointierter werdende Audiokommentar von Alan Baron. Er ist nicht editiert worden. So fängt der Regisseur/Drehbuchautor/Darsteller an einer Stelle insgesamt dreimal an, bevor er seinen Faden findet und neben einer Beschreibung der Dreharbeiten auch erläutert, wo Wohnungen von Freunden benutzt worden sind und in welchen sehr seltenen Fällen auf ein gebautes Set zurückgegriffen werden konnte. Er beschreibt die Arbeit an Plätzen des öffentlichen Lebens und die Schwierigkeiten auf den Fähren nach Manhattan zu arbeiten. Eine der schönsten Anekdoten in Kombination mit dem Film gehört der Massenszenen, in denen unabsichtliche Störenfriede – die sich vor die Kamera bei den nicht genehmigten Dreharbeiten stellten – einfach von Helfern abgeblockt und aus dem Bild geschoben werden. Erst nach Barons Hinweis achtet man verstärkt auf solche Situationen.

Er weiß, dass seine Intention vom einsamen Killer während der Weihnachtsnacht melodramatisch ist, aber seine anderen Interpretationsversuche sind sehr effektiv und interessant. Leider gibt es insbesondere während der Dialogszenen eine Reihe von längeren Pausen und nicht selten hat man Gefühl, als wenn sich Baron erst wieder in seine immerhin über vierzig Jahre alte Arbeit hineinfinden muss. Gerade wegen der schwierigen Dreharbeiten für das geringe Budget ein sehr interessanter, ungewöhnlich lebhafter, aber auch ehrlicher und manchmal ein wenig selbstkritischer Audiokommentar.

Leider konnte die vorliegende Fassung von Alamode- Film die Spuren der Zeit nicht überwinden. Das Bild wirkt körnig, das Originalmaterial an einigen Stellen beschädigt und leider nicht gereinigt, der Ton manchmal zu dumpf. Im Vergleich zu einigen Filmpassagen wirkt der Originaltrailer deutlich besser erhalten. „Blast of Silence“ ist ein sehr intensiver, atmosphärisch fast erdrückender durch seine Aufnahmen an Originalschauplätzen fast erdrückender Gangsterfilm. Ein Kleinod, die raue poetische Weihnachtsgeschichte eines Killers, der für einen kurzen Augenblick aus seiner Haut schlüpft, aber ihr nicht entkommen kann, mit sehr wenig Geld, vielen Ideen und dem erkennbaren Willen, die eigene Handschrift auf die Leinwand zu bringen, inszeniert.

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