Kritik zu Star Trek: Discovery 1.12 - Vaulting Ambition

SPOILER

Eine Episode wie ein defekter Durchlauferhitzer. Es wird nie richtig warm und bevor man sich komplett eingeseift hat, ist das Wasser alle. Mit Exposition und Frustpotential auf der einen Seite, großer Inszenierung und gut eingearbeiteten Twists auf der anderen liefert die Serie zwar nicht das Niveau der Vorwochen, hält aber mühelos bei der Stange.

Was passiert?

Michael trifft eine Entscheidung, die ihr Leben retten, die Mission aber auch grundlegend verändern könnte. Saru bemüht sich um Hilfe von L'Rell für Tyler-Voq und Stamets erkundet das Innere des Sporennetzwerkes und trifft dabei auf bekannte und sehr bekannte Gesichter ...

Michael packt aus

Burnham muss auf der I.S.S. Charon, dem Palastschiff der Imperatorin, schnell erkennen, dass ihr ursprünglicher Plan ein paar Modifikationen benötigt. Schneller als befürchtet gerät sie in Lebensgefahr und beschließt, Georgiou die Wahrheit zu sagen. Wie gut, dass sie das ehemalige Abzeichen ihrer Mentorin mit sich trägt und mit der messbaren Quantensignatur ihre Aussagen belegen kann.

Die Imperatorin ist jedoch ohnehin nicht überrascht, kennt sie diese Vereinte Föderation der Planeten doch schon dank der USS Defiant, die in der Classic-Episode "The Tholian Web" die Universen gewechselt und ebenfalls in der Star-Trek-Enterprise-Episode "In a Mirror, Darkly" eine große Rolle gespielt hatte.

Das gezeigte Mutter-Tochter-Verhältnis ist in den Szenen der beiden Frauen nicht ohne Reiz, wird jedoch auch nicht groß ausgeführt. Man wird durch Michaels Enthüllung vielmehr recht schnell zu Geschäftspartnern: Freiheit gegen Sporentechnik. Ob dieser Deal eine gute Idee ist, lassen wir dabei mal offen. Burnham hat ohnehin akut andere Probleme.

So wissen am Ende der Episode beide Frauen immerhin über die wahre Identität eines gemeinsamen Bekannten Bescheid – doch dazu später mehr.

Festzuhalten bleibt noch: Imperatorin Georgiou hat nicht nur einen sehr besonderen Geschmack, was die Wahl ihrer Speisen angeht, sie befehligt auch das krasseste Schiff der Trek-Geschichte und besitzt offenbar mehr Titel und Namen als Daenerys Targaryen.

Der Exorzismus der Klingonin L'Rell

Irgendwo in die Kategorie fragwürdig bis unausgegoren muss man für den Moment die weitere Ausarbeitung des Tyler/Voq-Dramas abheften. Saru zeigt angesichts des Leids der zweigeteilten Persönlichkeit, die da in seiner Krankenstation liegt, allerdings eindeutige Kommandobefähigung, als er L'Rell aufsucht und sie letztlich auch geschickt und mit Psychodruck für seine Agenda an Bord holt.

Dass die Klingonin sich zunächst desinteressiert und gleichgültig gibt, verwundert ein wenig. Eigentlich hatte man ihr doch zumindest ein paar Gefühle für den armen Voq unterstellt. Dass sie dann schließlich einlenkt, als Saru ihre Kreation in die Zelle beamt, kommt dann hingegen fast auch etwas zu einfach daher. Weder wird in dem ganzen Kontext ihr eigentlicher Plan jemals genauer benannt, noch kann man auch nur im Ansatz ihre aktuelle Motivation ergründen. Festzuhalten bleibt aber: Egal, was L'Rell vorhatte, der Plan ist gründlich schiefgegangen und sie wird vermutlich den Rest des Klingonen-Konflikts (so wir Zuschauer davon denn überhaupt noch viel sehen bekommen) in ihrer Zelle erleben.

Ihre Ausführungen zum angewendeten Verfahren bezüglich der Umwandlung von Voq in Tyler bestätigen indes vieles, was wir schon wussten oder uns zusammengereimt hatten, bergen jedoch auch ein hohes Maß an Hokuspokus-Fantasy-Science, die kaum mehr pseudoglaubhaft wirkt. Wie man wessen DNA, Geist, Psyche, Gedächtnis in wen, was, wie oder wo eingeführt, übergestülpt oder untergemengt hat, sollte man vermutlich lieber nicht im Detail zu ergründen versuchen.

Es scheint jedoch klar zu sein, dass es einen echten menschlichen Ash Tyler gegeben hat, der bei der Schlacht am Doppelstern gefangen genommen wurde. Seine Sternenflottenakte wird kaum eine Fälschung sein. Ob er inzwischen tot ist oder noch lebt, bleibt aber offen.

Man verschenkt mit L'Rells Eingreifen allerdings auch noch die Möglichkeit eines angemessenen Abschieds zwischen ihr und Voq. Die beiden erhalten zumindest keine gemeinsame Dialogszene mehr, bevor sie zur Tat schreitet. In einer Episode mit nur knapp über 37 Minuten Spielzeit wäre dafür aber sicherlich Platz gewesen.

Fast noch schlimmer: L'Rell treibt am Ende wie es scheint Voq aus Tyler aus – zumindest sollte man ihr klingonisches Totengeheule so interpretieren dürfen. Bleibt nun also Tyler übrig? Der Tyler, der eigentlich ja nur irgendwie auf Voq draufgestülpt wurde? Ein Indiz: Er spricht zumindest am Ende kein Klingonisch mehr. Was ist hier also geschehen? Leben jetzt Tylers DNA-Reste und sein kopiertes Gedächtnis in einem menschlich umgebauten Klingonenköper und machen es sich im klingonischen Ex-Hirn des verschwundenen Voq gemütlich? Wer sich hier am Kopf kratzt, muss keine Angst vor Läusen haben. Eventuell haben die Klingonen hier eine wunderbare Möglichkeit gefunden, das Leben zu verlängern.

Warten wir jedoch einfach auch hier mal lieber die weitere Entwicklung ab. Sollten wir am Ende auf diese Deus-Ex-Machina-Vorgehensweise aber den liebgewonnenen Ash Tyler zurückerhalten, damit er zukünftig seine Beziehung mit Burnham fortsetzen und seinen Posten an Bord weiterführen kann, wäre das ein Kniff, der mehr ärgern als freuen dürfte.

Lorca, zwirbel deinen Schnurrbart für mich!

Keine Trek-Serie hat bisher in so kurzer Zeit so viele Katzen aus Säcken hervorgezaubert, wie Star Trek: Discovery. Nachdem vergangene Woche der Sicherheitschef als Klingone geoutet wurde, wissen wir nun also: Der Captain Lorca, der uns allen seit der dritten Episode der Serie so merkwürdig vorgekommen war, der so wenig von einem Starfleet-Captain an sich hatte, den Cornwall als nicht den Mann, den sie einst kannte, bezeichnete – dieser Lorca war die ganze Zeit aus dem Spiegeluniversum und hat schlicht und ergreifend versucht, seinen teuflischen Plan durchzuziehen. Wie dieser genau aussieht, bleibt natürlich noch im Dunkeln.

Keine Frage: Für Star Trek ist diese Enthüllung eine wirklich fiese Nummer. Noch nie hat man sich getraut, uns einen derartigen WTF-Moment zuzumuten. Zwar wurde auch in Star Trek: Deep Space Nine auch Dr. Bashir schon mal kurzzeitig ausgetauscht, aber eine neue Serie mit einem Fake-Captain anzufangen und diese Scharade über Monate durchzuziehen, ist schon ein ganz anderes Kaliber. Die Autoren haben hier tolle Arbeit geleistet - Respekt. Von den ersten Hinweisen durch sein nicht alltägliches Verhalten, über sein Spiegelbild im Fenster, Admiral Cornwalls Äußerungen, den Phaser unter dem Kopfkissen bis hin zu seinem Lorca-Override vor dem letzten Sprung - man konnte auf gewisse Ideen kommen, musste es aber nicht.

Für viele, die nicht regelmäßig Spoiler lesen und Diskussionen verfolgen, wird das Ende der Episode vermutlich ein genau so großer Schock gewesen sein, wie für Michael Burnham, die erst durch eine Anmerkung der Imperatorin plötzlich eins und eins zusammenzählt und die Wahrheit erkennt.

Hoffen wir einfach mal, dass Lorca nun in der Folgezeit nicht einfach zum (schnurrbartlosen) Evil Guy wird, der dreckig lachend und brandschatzend durch die Gegend poltert. Jason Isaacs hatte in der bisherigen Staffel eine wirklich spannende und vielschichtige Figur am Start, der man auch den Sektion-31-Agenten und einen von PTBS geplagten Hardliner und Kriegstreiber auf Irrwegen abgenommen hätte. Ihn zukünftig nur noch als reinen Bösewicht zu verbrennen, wäre mehr als schade. Seine letzte Szene birgt jedoch eine Menge Splatter-Charme und macht an dieser Front wenig Hoffnung. Wächst ihm da etwa schon ein leichter Flaum über der Oberlippe?

In diesem Zusammenhang glaube ich übrigens, dass die ehemalige Sicherheitschefin Landry ebenfalls aus dem Spiegeluniversum stammte. Wie Lorca hatte sie nichts an sich, was an Sternenflotte erinnerte. Der Trailer für nächste Woche zeigt uns, dass wir dann ihr Gegenstück zu sehen bekommen – demnach dann die Landry aus unserem Universum? Ob sich dort, wo sie sich befindet, vielleicht auch der echte Lorca versteckt? Der mit Goldrandbrille, guten Manieren und einem Faible für Marcel Proust?

Wie in der Causa Tyler bleibt auch hier nur eines: Abwarten.

Die Oper von Paul, der Liebe, dem Zähneputzen und faulen Pilzen

Ein wenig isoliert geht die Stamets-Geschichte derweil weiter. Sein Gegenstück aus dem Spiegeluniversum entpuppt sich als ebenso ambitionierter Wissenschaftler, der eine ähnliche Forschung auf dem Palastschiff der Imperatorin betrieben hatte und seit geraumer Zeit im Sporennetzwerk festsitzt. Unser Stamets soll ihm helfen, zu entfliehen. Doch vertreibt dieser sich lieber die Zeit mit einem Abbild des verstorbenen Dr. Culber. Wie das alles vonstatten geht, wer Culber überhaupt die Worte in den Mund legt und was es damit auf sich hat, bleibt völlig offen. Das Sporennetzwerk, das Culber als "roten Faden durchs Universum" bezeichnet, wird hier zu einem mehr als magischen Ort und gleicht dabei ein wenig dem Nexus aus Star Trek: Generations. Culber ist wie Guinan eine Art Echo – mit dem Zweck die Handlung voranzutreiben und den Protagonisten auf Kurs zu bringen.

Ignoriert man diesen Einwand jedoch – was ich nur zu gerne tue – erhält man herzerwärmende Szenen mit dem tragischen Paar, die ihre vergangene Beziehung gar besser beleuchten, als alle bisherigen Episoden im richtigen Universum. Ob es sich um den letzten Auftritt von Wilson Cruz handeln wird, sei noch dahingestellt. Die Verabschiedung wirkt einerseits wie ein Abschluss, auf der anderen Seite deuten einige Sätze darauf hin, dass hier noch etwas passieren kann. Stamets möchte, dass "es so ist wie früher" und laut Culber "gibt es keinen Abschied" und "nichts ist je wirklich verloren". Da denken wir doch alle mal eine Runde drüber nach.

Einige Beobachtungen

Mit unter 38 Minuten unterbietet die Episode sogar noch „Battle at the Binary Stars" und wird zur kürzesten Trek-Episode aller Zeiten.

Erneut wird ein Crewmitglied gegessen – nachdem L'Rell und Voq zu Beginn der Serie die Überreste von Georgiou verspeist hatten, muss Burnham nun mit der Imperatorin den armen Parallel-Saru als Imbiss nehmen. Jemand noch eine Ganglie? Wo ist die Yamok-Sauce?

Lorcas Probleme mit den Augen werden hier sehr sinnig aufgelöst und wie vergangene Woche bereits vermutet mit seiner Herkunft aus dem Spiegeluniversum erklärt. Diese Information gab es zwar bisher noch in keiner anderen Episode, sie stellt aber auch keinen Widerspruch dar.

Technisch betrachtet

Während die Episode generell deutlich comichafter daherkommt als die letzten ohnehin schon, beeindruckt besonders das Palastschiff der Imperatorin.

Schauspielerisch bleibt alles beim Alten: Shazad Latif darf Vollgas geben, alle anderen halten ihr aktuell hohes Niveau. Schön ist natürlich auch das Wiedersehen mit Michelle Yeoh, die ihre Parallel-Georgiou völlig anders anlegt, als wir es bisher zu sehen bekommen haben.

Das Drehbuch liefert Jordon Nardino, ein Trek-Newcomer, der bisher zum Beispiel für Gilmore Girls geschrieben hatte. Sein Drehbuch wirkt, als hätte man ihm vier Handlungsstränge in die Hand gedrückt mit der klaren Vorgabe, diese bis zu Punkt X weiterzuschreiben. Die Episode ist kein Gesamtkonstrukt, sondern nur Teil eines größeren Ganzen, wie es zum Beispiel auch viele Episoden des abschließenden Zehnteilers bei Star Trek: Deep Space Nine waren.

Regie führt Hanelle Culpepper, ebenfalls Neuling in Sachen Trek. Die amerikanische Filmemacherin hatte man bisher durch ihre Arbeiten an Grimm, Revenge oder Criminal Minds wahrgenommen. Sie erschafft eine Comic-Inszenierung, die stark an die Doppelfolge aus Star Trek: Enterprise erinnert und macht die Serie dazu – auch aufgrund des Drehbuchs – noch düsterer als ohnehin schon.

Die Frau des Rezensenten

Ihr Satz des Tages war eine Bemerkung zum fliegenden Palast: Das ist ja wie Las Vegas im Weltraum. Sie empfand die Episode auch insgesamt abgehobener und flacher als die beiden zuvor. Einige Bemerkungen und Argumente ordnete sie zudem als äußerst dünn ein. Für sie ein mittleres Vergnügen und eine ganze Ecke unter dem Niveau, das die Serie zuletzt gezeigt hatte, obwohl sie vom Lorca-Twist überrascht war.

Gib dem Kind einen Namen

Vaulting Ambition: Entliehen aus "MacBeth" dürfte der Titel für verschiedene Handlungselemente stehen: L'Rell und ihren (weitestgehend unbekannten) Plan, Lorca und seine geheime Agenda, Burnhams alter und neuer Plan und auch Stamets und seinen Wunsch, alles wieder gut zu machen.

Fazit

„Vaulting Ambition" birst vor Exposition und Setup und fühlt sich dadurch nur wenig eigenständig an, unterhält jedoch über die gesamte – kurze – Spielzeit mit einem wendungsreichen Drehbuch und präsentiert zwei Enthüllungen, die in Zukunft einerseits spannend, andererseits aber auch frustrierend werden könnten. Eine Episode, wie ein undefinierbares Puzzleteil mit hohem WTF-Faktor.

Bewertung: 3.5 von 5 Sterne

* Die Bewertung wurde nach Ansicht der weiteren Entwicklung um Lorca gesenkt.

zusätzlicher Bildnachweis: 
CBS
Star Trek: Discovery

Originaltitel: Star Trek: Discovery
Erstaustrahlung 24. September 2017 bei CBS All Access / 25. September 2017 bei Netflix
Darsteller: Sonequa Martin-Green (Michael Burnham), Jason Isaacs (Captain Gabriel Lorca), Michelle Yeoh (Captain Georgiou), Doug Jones (Lt. Saru), Anthony Rapp (Lt. Stamets), Shazad Latif (Lt. Tyler), Maulik Pancholy (Dr. Nambue), Chris Obi (T’Kuvma), Shazad Latif (Kol), Mary Chieffo (L’Rell), Rekha Sharma (Commander Landry), Rainn Wilson (Harry Mudd), James Frain (Sarek)
Produzenten: Gretchen Berg & Aaron Harberts, Alex Kurtzman, Eugene Roddenberry, Trevor Roth, Kirsten Beyer
Entwickelt von: Bryan Fuller & Alex Kurtzman
Staffeln: 4+
Anzahl der Episoden: 42+


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