Kritik zu Rage 2: Wut, Zorn und Belanglosigkeit

Rage 2 Header

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Wer kennt das nicht? Ein gigantischer Meteorit prallt auf die Erde auf und verwandelt die Oberfläche des Planeten in eine dystopische Wüste mit zerklüfteten Ruinen. Ein Großteil der Bevölkerung wurde dabei ausgelöscht, und die Zivilisation ist nur noch ein Schatten ihres früheren Selbst. Die letzten Überlebenden sind entweder kannibalische Mutanten oder anarchistische Banditen, die plündern, morden und in ihren martialischen Fahrzeugen brutale Rennen fahren. Ja, das Videospiel Rage hat eine uninspirierte Prämisse, die Mad Max imitiert und sich nicht wirklich weiterentwickelt. Umso verwunderlicher ist es deswegen, dass der wenig beachtete Titel von 2010 jetzt einen Nachfolger bekommen hat. Rage 2 wurde von Avalanche Studios entwickelt, die bereits eine Mad-Max-Adaption veröffentlicht haben. Das alte Studio id Software wirkt nur unterstützend, wenn es darum geht, Gegnern mit der Schrotflinte Blutfontänen zu entlocken.

Das Alleinstellungsmerkmal von Rage 2 sollte spaßiges Chaos in einer herausstechenden pinken Farbgebung sein, so hat es jedenfalls Publisher Bethesda beworben. Diese Versprechungen finden sich nach der Veröffentlichung nun so gar nicht im zurückhaltenden Endprodukt wieder. Der Shooter ist beinahe zahm, bietet keine eigenen Ideen im Genre und wäre vor zehn Jahren vielleicht unverbraucht gewesen. Heute erwarten Spieler eine offene Welt mit dutzenden Aktivitäten, abwechslungsreiche Kämpfe und eine Geschichte, die als roter Faden durch diese Inhalte dient. Nichts davon überrascht mehr oder ist ein schlagkräftiges Verkaufsargument. In Rage 2 passt zwar alles verhältnismäßig gut zusammen, doch irgendwo in den hundert Jahren nach dem Meteoriteneinschlag hat das Spiel seine Identität verloren. Was hebt genau diese Postapokalypse von einer beliebigen anderen ab? Selbst die pinken Farbtöne waren dieses Jahr schon in Far Cry New Dawn zu sehen - und haben dort wesentlich organischer ins Gesamtbild gepasst.

Verbrauchte Stereotype treffen verblutende Shotgun-Typen

Eine unklare Richtungsangabe gibt es schon am Anfang der Geschichte, die irgendwie das Ende des ersten Teils unterbringt und gleichzeitig klar macht: Den kann man beruhigt nicht gespielt haben. Hier dennoch ein kleiner Rückblick: Rage drehte sich um Nicolas Raine, ein Überlebender aus dem 21. Jahrhundert, der in einer Arche hundert Jahre nach der Apokalypse aus seiner Kryostase aufwacht. In der zerklüfteten Welt besiegt der Protagonist also die tyrannische Autorität. Während des Abspanns aktiviert der Protagonist alle verbleibenden Archen um den Globus und lässt einige Raumstationen vom Himmel stürzen, die die Oberfläche per Terraforming wieder in ein blühendes Paradies verwandeln sollen. In den ersten Minuten des zweiten Teils ist all das sofort wieder egal: 30 Jahre später wachsen zwar wieder Pflanzen, doch die Archenbewohner haben sich entschieden, nicht beim Wiederaufbau zu helfen. Anarchie regiert also weiterhin, weil niemand aufgeräumt hat.

Rage 2 Mutant

Auch die Autorität ist zurück, die Rebellen aus dem ersten Teil haben in den letzten Jahrzehnten irgendwie vergessen, das Problem endgültig zu lösen. Also plättet Oberbösewicht General Cross zu Beginn die hochentwickelte Siedlung von Protagonist Walker, der (oder die - das Geschlecht wählt der Spieler) zurückbleibt und von jedem Charakter im Spiel dazu auserwählt wird, als letzte Rettung die Autorität erneut zu besiegen. Mit dem Ziel wird Walker ein Ranger, quasi ein futuristischer Robocop mit Nanomaschinen im Blut, die Superkräfte verleihen. Das ist der Teil des Spiels, der auf dem Papier spaßig klingt, und auch wenigstens teilweise die größte Stärke von Rage 2. Die Kämpfe und Schusswechsel sind wild und energiegeladen, beinahe wie im Reboot von Doom. Doch dieser Teil des Spiels wird leider von einem anderen Teil kannibalisiert: der offenen Welt.

Wer ist dieser Max und warum ist er immer wütend?

Wahrscheinlich weiß jeder, der in den letzten Jahren ein Videospiel gespielt hat, wie eine offene Welt funktioniert. Das zweckmäßige Auto befördert den Spieler zu einer Aktivität auf der Karte, etwa eine Straßensperre oder einer Banditenfestung. Dort gilt es dann alle Feinde zu besiegen. Wenn keiner mehr steht, gibt es eine Belohnung und einen Hinweis vom Spiel. In Rage 2 macht das vielleicht zwei, drei Stunden Laune, bis eine gewisse Routine einsetzt. Gegner und Strukturen sind nicht abwechslungsreich, weil sie in einer offenen Welt allzeit bereitstehen müssen und gegebenenfalls vom Spieler übersehen werden. Genauso funktionieren bedauernswerterweise auch neue Fähigkeiten und Waffen. Diese sind in verlassenen Archen zu finden, die überall in der Welt verstreut sind. Es gilt: Wer nicht aktiv danach sucht, wird nicht alle finden. Somit bleibt vom Doom-Gameplay wenig über. Ohne strukturiertes Leveldesign und zahlreiche Waffen wirkt es mittelmäßig.

Auch wer sich dann hoffnungsvoll der Geschichte widmet, wird enttäuscht. Zwar sind einige Level auf einem höheren Niveau, doch die Missionen werden von generischem Grinding und den immer gleichen Bossgegnern getrübt. Das größte Problem bleibt aber die trostlose und uninspirierte Postapokalypse. Es ist, als würde man Mad Max jede Gesellschaftskritik in seinen Banditen-Hierarchien entziehen. Walker kämpft nie wirklich für die gewöhnlichen Menschen, die anarchische Gesellschaft mit all ihrem brutalen Chaos soll einfach beibehalten werden. In Städten sieht der Spieler immer wieder Obdachlose und arme Zivilisten, die zwischen Autowracks und Reifenstapeln reine Dekoration für die schmutzigen Gassen bleiben. Die Autorität hat als pures Böse natürlich keinen besseren Gegenvorschlag: Cyborg Cross will durch Menschenversuche und Mutanten die perfekte Spezies erschaffen um die Erde neu zu besiedeln. Ein Motiv als Beispiel für das Spiel selbst: Bekannt, verbraucht und ohne jegliche eigene Note.

Rage 2 Cybermutant

Fazit

Rage 2 hat seine Momente. Das erste Mal mit der Schrotflinte in der Kanalisation gegen Mutanten antreten, das hält, was es verspricht. Aber, wer eine Mission später die Struktur des Spiels durchschaut, sieht plötzlich alle Schwächen auf einmal. Vor jedem Hindernis wird abgewogen: Muss ich diese Aufgabe wirklich erledigen, oder fahre ich einfach weiter? Die Fragestellung wird nach etwa sechs Stunden erweitert: Schalte ich Rage 2 jetzt nochmal an, oder spiele ich lieber Doom für das Gameplay oder Mad Max für die Postapokalypse? Die Argumente für Rage 2 halten sich in diesen Momenten stark in Grenzen.

Rage 2 ist für Playstation, Xbox und den PC erhältlich.

zusätzlicher Bildnachweis: 
© Bethesda

RAGE 2 – Official Launch Trailer

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