Nepenthe - Kritik zu Star Trek: Picard 1.07

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Star Trek: Picard lädt diese Woche ein nach “Nepenthe”. Episode 1.07 treibt die Handlung voran, lässt dennoch aber auch zumindest Jean-Luc genug Raum, um bei alten Freunden etwas durchzuatmen. Und mich eine Runde (also eine gute Stunde) heulen. Genre diesmal: Coming-of-Age-Familien-Dramedy.

Hopeful Fool

Selbst wenn Narissa nicht ihren Bruder mit irgendeinem merkwürdigen BDSM-Kink beeindrucken will, ist sie in ihrer Klischee-Bösewichtigkeit nervig. Aber halt auch tödlich. Leider kommt es wie erwartet: Nachdem man uns noch kurz glauben lässt, dass uns Hugh erhalten bleibt, trifft ihn Narissas Wurfdolch. Eine arg anachronistische Waffe um einen Ex-Borg der Föderation weit in der Zukunft auf einem von Romulanern besiedelten Borg-Würfel niederzustrecken.

An dieser Stelle sei noch einmal die schauspielerische Leistung von Jonathan DelArco gewürdigt, der es in nur wenigen Szenen geschafft hat, dem Zuschauer auf der einen Seite den aus TNG bekannten Hugh aber eben auch dessen enorme Weiterentwicklung wirklich nahe zu bringen. Und über Hughs Entsetzen auch das Schicksal der bisher eher bleichen sonstigen XBs greifbar zu machen. “I was that much of a hopeful fool again for a minute. Thanks for that.”.

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Zwar bekommt Elnor hauptsächlich wieder die Action-Szenen zugeschoben, dennoch scheinen die Geschehnisse im Artefakt in ihm etwas auszulösen. Hoffentlich setzt sich das in den verbleibenden Episoden entsprechend fort und er darf noch irgendwas zwischen Naivling und Killermaschine zeigen. Bestenfalls an der Seite von Seven beziehungsweise den Fenris Rangern, die er über Hughs Fenris-Ranger-Notrufknopf kontaktiert. Jetzt, wo Hugh nicht mehr für die Rechte und bessere Behandlung der XB kämpfen kann.

Die Leiden der Agnes Jurati

Zwar ist der verbleibenden Crew der La Sirena bewusst, dass es nicht mit rechten Dingen zugehen kann, dass die Romulaner sie einfach so ziehen lassen - aber dennoch wollen sie erstmal möglichst schnell möglichst viel Abstand zum Artefakt schaffen. Narek schwingt sich in einen schicken Sportwagen und heften sich an ihre Fersen. Was ihm deutlich erleichtert wird, da Jurati einen Ortungschip in sich hat.

Es sind drei Wochen vergangen, seit Commodore Oh sie am Daystrom Institute aufgesucht hat, wie uns die Eingangsszene zeigt. Anscheinend ist Oh trotz anderslautender Aussagen der Showrunner doch tatsächlich Vulkanierin. Nicht nur wegen der spitzen (Segel-)Ohren, die durch die Bügel der Sonnebrille noch einmal extra betont werden, sondern vor allem weil sie Jurati über die klassische vulkanische Gedankenverschmelzung das drohende Synth-Elend vermittelt. Das bekommen wir zwar auch zu sehen, aber wirklich schlau wird man daraus nicht. Es stellt sich vor allem die Frage, woher Oh all das überhaupt weiß beziehungsweise wann sie das erlebt hat. Kommt sie aus der Zukunft oder doch aus dem Spiegeluniversum? Bei den Ohren ist die Sonnenbrille doch sicher keine modische Entscheidung. Und warum glaubt Jurati anscheinend allen immer alles direkt. Selbst mit Gedankenschmelze ist immer noch nicht deutlich gemacht, warum sie Maddox töten und die Crew hintergehen muss.

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Zum Glück scheint Raffi wieder einigermaßen nüchtern zu sein, genug um der aufgewühlten Jurati allerlei Drogen und emotionale Unterstützung bieten zu können. Die Wahl fällt auf Torte und Kakao. Und auch Rios darf neben Flugfähigkeiten zusätzlich seinen Spürsinn benutzen - allerdings hält er es für deutlich wahrscheinlicher, dass Raffi diejenige mit dem Verfolgungschip ist.

Die arme Jurati. Das Ganze belastet verständlicherweise doch arg. Und ihre Versuche sich mitzuteilen bleiben ungehört und unerkannt. Die Folge lässt offen, ob sie wirklich Selbstmord begehen wollte oder aber bewusst sich nur ins Koma bringen, was anscheinend die Wirkung des Chips beendet. So oder so: Harter Tobak - zum Glück springt das Medizinische-Notfall-Hologramm doch noch rechtzeitig wieder an.

Pubertät in 30 Minuten

Picard weiß nicht wohin mit sich. Oder doch, eigentlich weiß er es sehr genau - er lässt sich mit dem Stargate des Artefakts in die vertrauten Arme seiner Freunde und langjährigen Weggefährten katapultieren. Auf Nepenthe werden er und Soji von Kestra Troi-Riker (benannt nach Deannas Schwester) begrüßt, die mit sich selbst Waldläufer-Rollenspiel spielt.

Lulu Wilson spielt die Tochter von Will und Troi so auf den Punkt, dass sie einem sofort vertraut scheint und somit gut als Vehikel für Sojis Coming-of-Age-Geschichte beziehungsweise Pubertät-im-Schnelldurchlauf fungiert. Über sie wird die Verbindung ihrer Eltern mit Picard und eben auch Data noch einmal deutlich gemacht, ohne aber alte Trekkies zu langweilen. Im Gegenteil, es ist ein gar charmanter Nostalgie-Trip mit Griff in die Gefühlskiste. Und man überspringt damit auch sich lange hinziehende Vertrauensfragen von Soji gegenüber Picard und Co., es wird alles in einem Aufwasch gleich abgearbeitet.

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Was im übrigen eine unserer Theorien erhärtet: Troi war anscheinend vor allem für Picard an Bord der Enterprise. Der zeigt sich weiterhin sozial extrem unbeleckt und holprig. Und dann auch noch mit einem Quasi-Teenie. Sehr schön zu sehen, wie sowohl Deanna als auch Will Jean-Luc da gehörig auf den Pott setzen. Auch die gezeigte Freude über das Wiedersehen, direkt im selben Atemzug geäußert wie “Du bist hier, weil du Hilfe brauchst, oder?”. Zum Glück kennen sie ihren Pappenheimer Picard - und haben ihr Familienidyll mit ausreichend Sicherheitsvorkehrungen versehen.

“Ein Mittel gegen Kummer und Groll und aller Leiden Gedächtnis”

Es ist kein Zufall, dass sich die Familie auf den Planeten Nepenthe zurückgezogen hat. Was wie das Paradies für ein Leben in der Ruhe der Natur aussieht, war vor allem der verzweifelte Versuch das Leben ihres Sohnes zu retten. Thaddeus Troi-Riker (benannt nach einem Riker-Ur-Ahn) ist an Mendaxic Neurosclerosis gestorben. Eine Krankheit, die sich mit positronischer Unterstützung eigentlich leicht heilen ließe - aber die Behandlung fiel dem Bann gegen alles, was mit Synths zu tun hat, zum Opfer.

Die Familie ließ sich auf Nepenthe nieder, um ihrem Sohn das restliche Leben so angenehm wie möglich zu machen. Der Name Nepenthe stammt aus der griechischen Mythologie und heißt übersetzt in etwa “gegen Kummer”. Es soll der Helena geschenkt worden sein und soll, Wein beigemischt, Angst und Sorge vertreiben.

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Davon könnte ich jetzt einen Schluck vertragen. So schön es ist, Deanna, Will und Picard wieder beisammen zu haben und zu sehen, wie gut die Charaktere nach all den Jahren sofort nahtlos wieder miteinander funktionieren - ihre Trauer zerreißt mir fast das Herz. Wieder einmal muss ich einfach das extrem gute Schauspiel loben. Jonathan Frakes bringt Leichtigkeit und Sicherheit - er funktioniert super als alter Freund, Ratgeber, Vater aber eben auch Sternenflottenoffizier, der weiß, worauf es ankommt - inklusiver rascher Beobachtungsgabe und Hinweis auf Sojis’ Kopfbewegung, die auch Data so eigen gewesen ist.

Dazu strahlt Marina Sirtis eine derartige Wärme und Lebenserfahrung aus - wie sie einfach perfekt die altbekannte Counselor für alle mimt und dann doch auch alleine durch Blicke die tiefe Trauer über den Tod ihres Sohnes rüberbringt. Die Szene mit Jean-Luc in Thaddeus’ scheinbar unberührtem Zimmer gibt innerhalb kürzester Zeit der gesamten Geschichte und jedem anwesenden Charakter zusätzliche Tiefe. Der kurze schmerzerfüllte Blick zwischen Deanna und Will, als Soji das Wort für “Heimat” in der von ihrem Sohn erfundenen Sprache sagt. Ich will sie einfach nur in den Arm nehmen.“I’m not as brave as I used to be.” “That means you’re wiser.”

Fazit

Was für eine grandiose Episode. Der Handlungsstrang im Artefakt, an Bord der La Sirena und rund um Soji und Picard ist vorangekommen, eingebettet in sowohl Wiedersehensfreude als auch Trauer über den Tod von Hugh und das Leid geliebter Charaktere. Deanna und Will sind an dieser Stelle ideal, um sowohl die Figur Picard durchatmen zu lassen und noch einmal neu einzunorden, aber auch um mit ihrer tragischen Geschichte die Welt von The Next Generation und Star Trek: Picard zu verbinden.

Und jetzt brauche ich Counseling. Vermutlich muss erstmal die Podcast-Selbsthilfegruppe genügen.

Star Trek Picard Episode 8 Preview Trailer • "Broken Pieces"

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