Diaspora – Kritik zu The Expanse 5.01

SPOILER

Die Nachricht, dass die Science-Fiction-Serie The Expanse mit der 6. Staffel wohl ihr Ende findet, überraschte wahrscheinlich alle, die daran glaubten, dass die Crew der Rocinante bei Amazon einen sicheren Hafen gefunden hatte, um alle neun Bücher bis zum Ende zu adaptieren. Ein Teil des Autorenduos mit dem Pseudonym James SA Corey namens Ty Franck ließ laut Polygon bereits verlauten, dass er dies mehr für eine Pause halte. Was genau dahinter steckt, sei jetzt erst einmal Spekulationen in diversen Fan-Foren überlassen.

Eine Pause wäre nach der 6. Staffel aus vielen Gründen vielleicht gar nicht so verkehrt – persönliche Anmerkung: Ich habe kürzlich Buch 7 beendet und möchte für die Fans der Serie, welche die Bücher nicht lesen, nichts spoilern; es wäre also sehr rücksichtsvoll in den Kommentaren ebenfalls darauf zu achten. So oder so tun alle Zuschauer gut daran, jeden Moment zu genießen. Schon die erste Episode mit dem Titel "Diaspora" (englischer Titel: "Exodus") bietet einige kleine Leckerbissen, auch wenn Naren Shankan, Showrunner der Serie und Autor dieser Episode, im Grunde lediglich die einzelnen Schachfiguren in Stellung bringt.

Brutaler Einstieg ohne zu viele Worte

The Expanse hat nie mit Brutalität, Tod und Gnadenlosigkeit im kalten und lebensfeindlichen Weltall gespart. Im Gegensatz zu vielen anderen Genre-Serien verkommt diese Gewalt nie zum Selbstzweck. Die Serie stellt glaubhaft Menschen dar, die sich in unmittelbarer Lebensgefahr befinden, fühlt mit ihnen mit und lässt die Zuschauer deren Angst spüren. Diese Art von Empathie und Menschlichkeit zieht sich schon seit der ersten Staffel und der ersten Episode durch die gesamte Serie.

Das wird direkt in den ersten paar Minuten der neuen Staffel bei einem Überfall einer Gürtler-Bande auf ein Forschungsschiff, das Asteroiden-Phänomene in der Nähe des Planet Venus erforscht, noch einmal deutlich. Wir lernen die Besatzung nur kurz kennen und innerhalb weniger Sekunden bricht die Hölle los – Todesangst mischt sich mit verzweifelten und letztendlich erfolglosen Versuchen, um das eigene Leben zu verhandeln. Kleine Rollen, in denen die entsprechenden Darsteller (insbesondere Patrice Goodman als leitende Forscherin) erfolgreich viel Überzeugungsarbeit leisten.

Auch über die Gürtler-Terroristen lernen wir viel, falls die Ereignisse aus der letzten Staffel nicht mehr ganz so frisch in der Erinnerung sind. Die Gang rund um Felip (Jasai Chase Owens) – Naomi Nagatas (Dominique Tipper) verlorener Sohn – verfolgt skrupellos die eigenen Ziele, erschießt Menschen ohne mit der Wimper zu zucken. Außerdem lässt er flehende und ängstliche Mit-Gürtler zurück, die mit dem Fuß unter der Außenhülle des bald in die Luft fliegenden Forschungsraumschiffes stecken bleiben.

Innerhalb dieser wenigen Momente erhält das Publikum bereits tiefe Einblicke in die Psychologie, die Selbstgerechtigkeit und Rechtfertigungs-Strategien dieser Gruppierung, ohne dass dem Zuschauer ausufernde Monologe oder Dialoge um die Ohren gehauen werden: Der Kamerad ist im Dienste eines höheren Ziels gestorben. Wir haben es hier also mit Fanatikern zu tun, die sich wahrscheinlich nur schwerlich eines Besseren belehren lassen. Es ist jedoch immer wieder beeindruckend, wie ökonomisch The Expanse bei dieser Art von Exposition vorgeht und größtenteils zeigt und andeutet, anstatt ausführlich zu erklären.

Zähes Wiedersehen mit alten Freunden

Die Szenen auf der Tycho-Station bieten dagegen einen ruhigen, wenn auch etwas zähen Gegenpol. Für die Serie neue, für den einen oder anderen Zuschauer vielleicht bekannte Gesichter kommen hinzu. Bahaia Watson, die zuletzt unter anderem in ein paar Episoden von Der Report der Magd auftrat, spielt Mechanikerin Sakai, die sich um die Belange der Rocinante kümmert.

Der aus etlichen Film- und Serienrollen bekannte José Zúñiga spielt Bull, einen Mitarbeiter von Fred Johnson (Chad L. Coleman), der offensichtlich gar nicht so glücklich über die Aufmerksamkeit ist, welche die Rocinante zu äußerst günstigen Preisen erfährt. Wie sich diese kleinen Spannungen entwickeln, wenn überhaupt, bleibt abzuwarten. In Moment wirken sie noch relativ belanglos, wenn auch die beiden Neuzugänge wie passende Ergänzungen zur stetig wachsenden Besetzung der Serie erscheinen.

Beeindruckend bleibt, dass The Expanse kleine Details, die in Staffel 1 eingeführt wurden, nicht vergisst: Hier zum Beispiel Holden (Steven Strait), der seine regelmäßige Dosis Medizin in seinen Arm injizieren muss, um nicht an Krebs zu sterben. Die Dynamik zwischen Holden und Naomi ist zwar vertraut, allerdings nicht mehr ganz so frisch. Sicherlich ergibt sich die ein oder andere dramatische Situation, in der Naomi tränenreich erklärt, dass sie sich allein auf die Suche nach ihrem Sohn begeben muss. Alles bleibt versöhnlich, wird schnell verstanden und beschlossen. Die Beziehung hat sich gut eingespielt, was nicht unbedingt unglaubwürdig ist, die Dramatik hält sich allerdings in Grenzen. Es ist gut, dass die Serie die beiden für eine Weile voneinander trennt, damit sie sich mit anderen Figuren auseinandersetzen können.

Relevanter erscheint hier das Gespräch zwischen Holden und Fred Johnson, das sich um das verschwundene Protomolekül und die Benutzung der Sternen-Tore zu den neuen Kolonien dreht. Der offensichtlich wütende Holden hat nämlich kurz zuvor erfahren, dass Johnson und der seit der 2. Staffel verschwundene Anderson Dawes (Jared Harris) vermutlich mit dem äußerst gefährlichen Protomolekül herum experimentieren. Zudem scheinen noch unbekannte Entitäten, die schon zuvor eine Zivilisation ausgelöscht haben, gar nicht glücklich darüber zu sein, dass sich die Menschheit durch die diversen Sternen-Tore bewegt.

Eine unbekannte und unsichtbare Macht, die möglicherweise die Existenz einer zu leichtfertigen und kurzsichtigen Menschheit bedroht und zudem von wichtigen Entscheidungsträgern angezweifelt wird – zeitgemäße Bezüge lassen sich hier sicherlich zu Genüge finden.

Amos allein im Weltraum

Ungleich ansprechender und amüsanter ist dagegen, wie sich Amos allein durch dieses Universum Richtung Erde bewegt. Darsteller Wes Catham muss nicht unbedingt viele Worte verlieren, in seinem relativ stoischem Gesicht und ausdrucksstarken Augen spiegelt sich viel wieder. Mit einer alten schnarchenden Frau scheint er Mitleid zu haben. Dem Pärchen, das beinahe von einigen Raumschiff-Bediensteten abgezockt wird, hilft er nicht unbedingt aus Herzensgüte, sondern weil er Streit zu suchen scheint. Im Grunde könnte aber beides irgendwie zutreffen, spiegelt aber auch die interessante Ambiguität dieses Protagonisten wider.

Auch inszenatorisch kann Regisseur Breck Eisner aus dieser Storyline offensichtlich mehr herausholen: Die Action-Szene zeigt er mit schnell geschnittenen und kurzen Rückblenden. Außerdem investiert er in die spätere Mondlandung-Sequenz relativ viel Zeit. Auch wenn sie nicht unbedingt eine große Bedeutung im Kontext dieser Episode hat, darf man sich die Gestaltung und vielleicht auch das größere Effekt-Budget zusammen mit der schönen musikalischen Untermalung von Komponist Clinton Shorter auf der Zunge zergehen lassen.

Amos und Chrisjen Avasarala (Shohreh Aghdashloo) treffen nicht oft allein aufeinander – das flirtende-amüsierte Spiel zwischen den beiden, während sie versuchen, sich gegenseitig aus der Reserve zu locken, macht allerdings großen Spaß. Amos versprüht trotz oder gerade wegen seiner soziopathischen Veranlagung viel Humor, der auf wunderbare Weise von Chrisjens Neigung zu verbalen Ausfällen ergänzt wird, sodass geradezu die Funken sprühen. Mehr davon, bitte!

Vergessene und frustrierte Marsianer

Mars trägt immer mehr die Anzeichen einer verlassenen Kolonie. Während die Einkaufspassagen des Planeten in der letzten Staffel noch relativ bunt und gefüllt aussahen, wirkt alles karger und verwaister. Das mag auch daran liegen, dass sich Alex (Cas Anvar) in einer relativ düsteren Gegend aufhält, um die Familie zu besuchen, die er einst zurückgelassen hat. Von allen Storylines in dieser Episode erscheint diese am wenigsten reizvoll. Hier existieren vorhersehbare Spannungen zwischen Exfrau und Exmann, der schon vor langer Zeit die Verantwortung für seine Frau und seinen Sohn von sich geschoben hat. Die Verwirrung, die gerechtfertigte Wut – alles ist absehbar, nur nicht unbedingt ansprechend oder aufschlussreich.

Mit viel faszinierenderen Dämonen hat dagegen Bobbie Draper (Frankie Adams) zu kämpfen, die offensichtlich noch ihrer Detektivarbeit nach geht. Marsianer wenden sich offensichtlich vom Marsprojekt ab. Warum auch die Mühen des Terraforming auf sich nehmen, wenn Tausende bewohnbarer Welten um die Ecke warten? Für Bobbie, die diesem Projekt jedoch ihr Leben und ihr Blut gewidmet hat, gestaltet sich der Trennungsprozess von alten Träumen und Zielen verständlicherweise nicht allzu einfach. Die Standpauke, die sie Alex in der knuffig-albernen marsianischen Westernbar hält, scheint sie im selben Maße an sich selbst zu richten.

Einer der interessantesten Aspekte und Fragen dieser Serie ist schließlich, wie eine Menschheit auf politischer aber auch persönlicher Ebene reagiert, wenn plötzlich scheinbar grenzenloser Lebensraum offen steht. Wer profitiert, auf welche Weise? Wer wird zurückgelassen oder hält an alten Träumen fest?

Fazit: 

Die erste Episode einer neuen Staffel mit einem übergeordneten Story-Bogen erscheint von der Konzeption her nie besonders einfach: Sie hat zum einen die Aufgabe, die Zuschauer daran zu erinnern, was in den letzten Episoden oder sogar in den letzten Staffeln los war. Zur selben Zeit muss sie zumindest einen Einblick bieten, was zwischen der letzten und der aktuellen Staffel geschehen ist. Darüber hinaus muss alles in Stellung gebracht werden, um die neue Handlung in Gang zu bringen. Die Episode "Diaspora" meistert diese Gratwanderung weitestgehend erfolgreich.

Zudem zeigt sie eine Menschheit, die unter Kontrollverlust leidet, auch wenn sie noch so sehr versucht, ihre Umstände zu kontrollieren. Fred Johnson und Offscreen-Richard-Dawes versuchen anscheinend weiterhin, das Protomolekül zu beherrschen und beunruhigende Konsequenzen der Sternentor-Reisen von sich zu wegzuschieben. Die Gürtler-Terroristen kämpfen um Relevanz in einem Universum, das sie zurückzulassen droht. Der Mars-Traum hat sich größtenteils ausgeträumt und Bobbie weiß nicht, wohin mit sich selbst. Mit der ersten Episode ist jedenfalls ein spannendes Fundament für die kommende Staffel gelegt.

The Expanse

Originaltitel: The Expanse (2015)
Erstaustrahlung am 23.11.2015
Darsteller: Thomas Jane (Josephus "Joe" Aloisus Miller), Steven Strait (James „Jim“ Holden), Cas Anvar (Alex Kamal), Dominique Tipper (Naomi Nagata), Wes Chatham (Amos Burton), Shawn Doyle (Sadavir Errinwright), Shohreh Aghdashloo (Chrisjen Avasarala), Frankie Adams (Roberta "Bobbie" W. Draper)
Produzenten: Broderick Johnson, Andrew Kosove, Sharon Hall, Sean Daniel, Jason F. Brown, Mark Fergus, Hawk Ostby, Naren Shankar
Basiert auf der gleichnamigen Romanreihe von Daniel Abraham & Ty Franck
Staffeln: 3+
Anzahl der Episoden: 24+


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