Gaugamela – Kritik zu The Expanse 5.04

SPOILER

Das Gute an den Veränderungen bei Buchadaptionen: Sie können sogar Buchleser noch überraschen und bestenfalls Spannung genug aufbauen, dass sich jeder Zuschauer die Fingernägel abkaut.

Während der dramatische Einschlag des Asteroiden-Angriffs durch die vorangegangenen ausführlichen Ermittlungen sicherlich etwas geschmälert wurde – und ja, diese Ermittlungen waren notwendig, damit die vielen Figuren in den ersten paar Episoden der 5. Staffel etwas zu tun haben – überschlagen sich die Ereignisse in der 4. Episode. Action, Dramatik, Schock und Verlust bestimmen "Gaugamela". Und zwar nicht zu knapp. Allerdings ließ sich schon in der letzten Episode absehen, dass der Container-Plan nur schief gehen konnte.

Herzzerreißende Ratten-Geschichten

Aber eins nach dem anderen. Aufgrund ihres gemeinsamen Hintergrundes im Mars-Militär verbindet Bobbie (Frankie Adams) und Alex (Cas Anvar) eine tiefgehende Freundschaft. Im Gegensatz zu Bobbie hält Alex allerdings noch am naiven Glauben fest, dass nicht alle unter Verdacht stehenden Marsianer an den illegalen Waffengeschäften beteiligt sind. Während Alex weiterhin nicht an eine Mars-Verschwörung glauben möchte, hat Bobbie längst alle Illusionen bezüglich ihres Heimatplaneten in den Wind geschossen. Letztendlich handelt es sich um eine Wiederholung derselben Dynamik, welche die beiden schon in den letzten Episoden durchgespielt haben. Das, was vorher implizit war, macht Dan Nowak, Autor der Episode, nur noch einmal explizit.

Nowak schenkt allerdings Frankie Adams einen netten Monolog und eine kleine herzzerreißende Geschichte aus ihrer Kindheit, die von einer Ratte handelt, die sie einst als Haustier hielt. Es geschieht nicht oft, dass sich Bobbie in dieser Form öffnen darf. Umso mehr lassen sich solche recht emotionalen Geständnisse wertschätzen. Sie erzählt von ihrem höchstpersönlichen Trauerprozess, der sie zu einer recht unsentimentalen Kämpferin hat werden lassen. Frankie Adams erzählt diese Geschichte überzeugend und ist stets glaubhaft in Szenen dieser Art.

Ungewöhnliche Freundschaften im Untergrund-Gefängnis

Nach dem ersten Asteroiden-Einschlag kehren wir zu Amos (Wes Catham) zurück, der offensichtlich so etwas wie Zuneigung gegenüber Clarissa Mao (Nadine Nicole) entwickelt. Hierbei handelt es sich nicht um romantische Gefühle, falls Amos überhaupt dazu in der Lage ist, was diese Beziehung jedoch umso interessanter macht.

Zunächst einmal erfolgt aber die notwendige Exposition, schließlich muss nicht nur Amos, sondern auch das Publikum aufgeklärt werden, wo sie sich eigentlich befinden und was es mit dem Untergrund-Gefängnis auf sich hat. Mühseliges Erklären von Hintergrundinformationen wirkt aber immer dynamischer während sogenannter Walk-and-Talks, wie es hier geschieht. Schließlich kann das Publikum nebenbei noch das schicke, sterile Gefängnis-Produktionsdesign bewundern. Außerdem scheint es klar, dass der gelangweilte Gefängniswärter (Stephen Chambers), der monoton seinen Monolog herunter spult, die Wärterin (Natalie Brown), die Amos herumführt, und der muskulöse Insasse Konecheck (Boomer Phillips) in den späteren Episoden noch eine wichtige Rolle spielen werden.

Nadine Nicole als Clarissa Mao und Wes Chatham transportieren in diesem kleinen Austausch viele Emotionen. Die Beziehung der beiden wirkt vertraut, auch wenn sie nicht allzu viel Zeit miteinander verbracht haben. Amos erkennt offensichtlich viel von sich selbst in Clarissa wieder, obwohl sie beide aus vollkommen unterschiedlichen Verhältnissen stammen. Darstellerin Nicole hat hier eine deutlich schwierige Aufgabe: Schließlich muss sie überzeugend eine Person verkörpern, die unter Drogen steht und gleichzeitig über ihr verkorkstes Leben kontemplieren. Beide wirken dabei nicht überdramatisch, sondern eher zurückhaltend, sogar als eine einsame Träne an der Wange der Darstellerin herunter kullert.

Verspätete Warnung

Wie Chrisjen (Shohreh Aghdashloo) verschiedene Leute zusammenfaltet, ist immer äußerst amüsant. Während die Welt und das Universum noch versuchen, herauszufinden, ob es sich bei dem Asteroiden-Einschlag um einen Unfall handelt, ist sie schon längst ein paar Schritte weiter. Leider hört ihr weiterhin niemand zu. Der Versuch, zur Generalsekretärin durchzukommen, verleiht der Szene die notwendig Dynamik und gibt Darstellerin Aghdashloo die Chance, mit Kraftausdrücken um sich zu werfen, bis sich die Balken biegen. Allerdings reicht auch das nicht, um die politische Führung und die Erde vor dem nächsten Angriff zu bewahren.

Wie zu erwarten, soll ihre Familie, die sich auf der Erde befindet, für zusätzliche Dramatik sorgen, was bestenfalls nur bedingt funktioniert. Weiterhin fällt es schwer, sich um Menschen zu sorgen, die wir als Publikum nie wirklich kennengelernt haben. Viel emotionaler gestaltet sich dagegen der Moment zwischen ihr und UN-Admiral Delgado (Michael Irby), der sich Mitschuld an den Ereignissen auf der Erde gibt. Chrisjen beherrscht die Kunst, ihn nicht aus der Verantwortung zu nehmen, aber ihm trotzdem tröstende Worte zuzusprechen.

Die Spannungs- und Actionkurve steigt auf der Tycho-Station

Den Mittelpunkt dieser Episode bilden jedoch die Ereignisse auf der Tycho-Station. Und wie schon gesagt war der Container-Plan von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Wie kolossal dieser Fehlschlag ausfallen sollte, ist jedoch überraschend. Während Fred Johnson (Chad L. Coleman) in den Büchern einem Schlaganfall erliegt, ist sein Tod in der Serie wesentlich dramatischer und - in Ermangelung eines besseren Wortes - cineastischer (auch wenn es sich um eine Fernsehserie handelt). Überraschend, dass Ingenieurin Sakai (Bahia Watson) diejenige ist, die den Abzug gleich mehrere Male betätigt.

Die mechanische Präzision der spinnenartigen Roboter-Rakete, die rigoros und mitleidlos ihr Ziel verfolgt, nämlich das Protomolekül aufzuspüren, ist hier noch einmal besonders furchteinflößend. Nichts kann ihn aufhalten, und keine lästige menschliche Programmierung lässt ihn seine eigene Existenz hinterfragen. The Expanse tut gut daran, sich humanoiden Androiden oder ähnlichen künstlichen Intelligenzen zu verweigern, schließlich versucht sich fast jede andere Science-Fiction-Serie daran.

Darüber hinaus gönnt die Serie Monica Stuart (Anna Hopkins), die bisher meist aus egoistischen Motiven handelte, eine nette kleine Heldentat, als sie Holden (Steven Strait) vor der Kälte des Weltraums und damit vor dem sicheren Tod bewahrt. Bahia Watson hat als Sakai ebenfalls einen interessanten schauspielerischen, fast psychopathischen Moment, als sie lachend und den Tränen nahe trotzig und wahrscheinlich verfrüht den Sieg ihrer Gürtler-Fraktion verkündet.

Charismatische Anführer und widerspenstige Muttersöhnchen

Während sich die Menschen auf dem Mond darüber freuen, dass der letzte Asteroid von den Erd-Verteidigungsmechanismen zerstört wurde, jubeln die Angreifer darüber, dass es insgesamt drei Asteroiden überhaupt soweit gebracht haben. Jedenfalls kann Marco Inaros (Keon Alexander) dies als Erfolg verbuchen und es effektiv als solchen verkaufen.

Jasai Chase Owens hat hier die etwas undankbare Rolle des arroganten, siegessicheren und entsprechend unsympathischen Filip, der seinem charismatischen Vater hinterher dackelt und seine Mutter Naomi (Dominique Tipper) bockig seinen Hass entgegenschleudert. Es fällt zu diesem Zeitpunkt schwer, dieser Figur, die unter widrigsten Umständen aufgewachsen ist, Empathie entgegen zu bringen. Die Serie wird hoffentlich in den nächsten Episoden noch mehr tun, um Filip mehr Nuancen und Dreidimensionalität zu verleihen.

Keon Alexander als Marco Inaros ist durchaus charismatisch als arrogante und manipulative Führerfigur, dessen Bullshit allerdings auch leicht durchschaubar erscheint. Auch die zweifelhafte Dynamik zu seinem Sohn wird in dieser Szene noch einmal verdeutlicht. Filip demütigt er vor versammelter Mannschaft, weil dieser scheinbar nicht ohne seine Mutter auskommt. Letztendlich fällt es schwer, zu sagen, ob Marco wirklich an seine eigenen Worte glaubt und seinen „Sieg“ als „Familie“ feiern möchte. Aber er kann immerhin überzeugend große Reden schwingen.

Es bleibt nicht mehr viel über diese action-lastigere Episode zu sagen. Regisseur Nick Gomez inszeniert sie mit einem offensichtlich sicheren und soliden Händchen. Das ist nicht unbedingt verwunderlich, handelt es sich um einen erfahrenen Film- und TV-Veteranen im Regie-Stuhl, der einst sogar als nächster Scorsese gehandelt wurde.

Aber erstens kommen die Dinge anders und zweitens, als man denkt. Dafür inszenierte Gomez zahlreiche TV-Episoden für Prestige- und Genre-Serien von Homocide über Die Sopranos, The Shield: Gesetz der Gewalt, Burn Notice bis hin zu Marvel’s Daredevil und vieles mehr. Und jetzt kann er sich noch eine spannende Episode von The Expanse in den Lebenslauf schreiben. Manchmal ist es interessant, sich die Karriere der Leute hinter den Kulissen anzusehen.

Fazit:

Die Episode "Gaugamela" kann die Balance zwischen spannender Action und reizvollen Charakter-Momenten halten. Auch wenn vieles, was schon vorher implizit angedeutet wurde, noch einmal explizit wiedergegeben wird, geschieht das auf eine interessante Weise, die mehr Hintergrundinformationen über Figuren wie zum Beispiel Bobbie Draper eröffnen. Zudem ist die Episode sehr spannend und solide inszeniert.

The Expanse

Originaltitel: The Expanse (2015)
Erstaustrahlung am 23.11.2015
Darsteller: Thomas Jane (Josephus "Joe" Aloisus Miller), Steven Strait (James „Jim“ Holden), Cas Anvar (Alex Kamal), Dominique Tipper (Naomi Nagata), Wes Chatham (Amos Burton), Shawn Doyle (Sadavir Errinwright), Shohreh Aghdashloo (Chrisjen Avasarala), Frankie Adams (Roberta "Bobbie" W. Draper)
Produzenten: Broderick Johnson, Andrew Kosove, Sharon Hall, Sean Daniel, Jason F. Brown, Mark Fergus, Hawk Ostby, Naren Shankar
Basiert auf der gleichnamigen Romanreihe von Daniel Abraham & Ty Franck
Staffeln: 3+
Anzahl der Episoden: 24+


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