Gruselkabinett 175: Kritik zum Hörspiel Der Student von Prag

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Der Student von Prag kam 1913 in die Kinos und konnte mit für seine Zeit beachtlicher Tricktechnik das Publikum beeindrucken. Heute ist der Film in Vergleich zu anderen frühen fantastischen Filmen – wie Nosferatu, Dr. Mabuse, der Spieler oder Das Cabinet des Dr. Caligari – weitestgehend in Vergessenheit geraten. Marc Gruppe hat dies nun geändert und die alte Geschichte des Stummfilms für die Reihe Gruselkabinett als Hörspiel zu neuem Leben erweckt.

Die Geschichte spielt in Prag des frühen 19. Jahrhunderts. Der arme Student Balduin sehnt sich nach gesellschaftlichen Aufstieg in die obere Schicht des Landes. Der junge Mann ist zwar ein begnadeter Fechter, aber es fehlen ihm zur Verwirklichung seines Traums sowohl die adelige Herkunft als auch das nötige Vermögen. Da tritt der geheimnisvolle Scapinelli an Balduin heran. Er macht den Studenten auf Margit, die Tochter des Grafen Schwarzenberg, aufmerksam. Ausweglos verliebt wird sein Unglück von nun an nur noch größer.

Dies nutzt Scapinelli skrupellos aus und verspricht dem Studenten unermesslichen Reichtum, wenn dieser ihm etwas aus seinem Studentenzimmer überlässt. Balduin macht sich keine großen Gedanken, als der unheimliche Mann sein Spiegelbild auswählt und dieses mit Scapinelli aus dem Zimmer verschwindet. Er ist nun reich, und seine Liebesträume von Margit können nun endlich wahr werden – wäre da nicht ihr Verlobter Baron Waldis. Es folgen verbotenen Liebschaften, dämonische Orgien und tödliche Duelle. Zu spät erkennt Balduin die teuflischen Konsequenzen des Vertrags mit Scapinelli – und im Schatten lauert immer noch sein Spiegelbild auf die Gelegenheit, Balduins Leben zu übernehmen.

"Einen schönen großen Spiegel habt Ihr hier."

"Der Student von Prag" bewegt sich irgendwo zwischen Märchen und Gruselgeschichte. Auch wenn die Handlung vage an Klassiker der Romantik wie E. T. A. Hoffmanns Die Elixiere des Teufels und Die Abenteuer der Sylvesternacht oder Adelbert von Chamissos Peter Schlemihls wundersame Geschichte erinnert, ist die Vorlage jüngeren Datums. Das Hörspiel basiert auf dem gleichnamigen Stummfilm aus dem Jahre 1913.

Zum Regisseur des Films gibt es widersprüchliche Angaben. Einige Quellen behaupten, der Däne Stellan Rye hätte zusammen mit dem Hauptdarsteller Paul Wegener (Der Golem) den Stummfilm inszeniert. Andere bezeichnen den Schriftsteller Hanns Heinz Ewers als Regisseur und Rye lediglich als seinen Assistenten. Als sicher gilt, dass das Drehbuch aus der Feder von Ewers stammt, der sich wohl stark von den oben genannten Werken der Romantik inspirieren ließ.

"Ich gehorche dir Meister."

Ewers Werke wurden in der Reihe Gruselkabinett ("Die Spinne", "Alraune", "Die Topharbraut" und "Der letzte Wille des Stanislaw d'Asp") schon mehrfach vertont. Dabei ist der Autor aufgrund seiner Nähe zum Nationalsozialismus nicht unumstritten. In jungen Jahren setzte er sich für die Gleichberechtigung seiner jüdischen Mitbürger ein, was ihn später nicht daran hinderte, in die NSDAP einzutreten. Ewers arbeitete für das NS-Propagandaministerium und schrieb einen Roman über den SA-Mann Horst Wessel.

Die Anbiederung an das NS-Regime nutzte dem Autoren nicht viel. 1934 wurde ein Publikationsverbot gegen ihn verhängt und seine früheren Bücher von den Nationalsozialisten verboten, weil sie den neuen Machthabern zu freizügig und erotisch waren – was sich insbesondere auf Ewers berühmtestes Werk Alraune. Die Geschichte eines lebenden Wesens bezog.

Auf dem Cover des Hörspiels wird als Verfasser zusätzlich noch der Autor Leonard Langheinrich-Anthos genannt, der 1913 einen Roman zum Film nach Ewers Drehbuch verfasste. Die Geschichte wurde von vielen Autoren aufbereitet, bevor Marc Gruppe sie über hundert Jahre später für die Hörspielreihe Gruselkabinett umarbeitete. Der Hörspielregisseur hat die Erzählung behutsam modernisiert und den Sprechern viele alte Begriffe und Redewendungen in den Mund gelegt, welche nicht aus dem Stummfilm, sondern höchsten der Romanadaption entstammen können.

"Zeig, was du kannst, Alterchen!"

Titania Medien wirbt immer damit, dass innerhalb der Reihe Gruselkabinett bekannte deutsche Synchronstimmen berühmter Hollywood-Stars zu hören sind. Das ist bei "Der Student von Prag" anders. Die meisten Sprecher und Sprecherinnen sind zwar keinesfalls Amateure, synchronisieren aber eher unbekannte Schauspieler, übernehmen Rollen in Anime und sind immer wieder in verschiedenen Hörspielreihen zu hören.

Die Stimme des Balduins dürften viele Netflix-Zuschauer bekannt sein. Tim Schwarzmaier ist die Synchronstimme Lee Jung-jae, welcher in dem koreanischen Serienhit Squid Game Seong Gi-hun alias Nummer 456 spielt. Außerdem lieh Schwarzmaier Daniel Radcliffe in den ersten beiden Harry-Potter-Filmen seine Stimme. Schwarzmaier spielt den verzweifelten und später dekadenten Balduin sehr gekonnt. Nur wenn er sein Spiegelbild spricht klingt, er ein wenig gewollt düster.

Ähnliches lässt sich über Willi Röbke sagen, der den finsteren Scapinelli spricht. Wenn er als teuflischer Bösewicht zu Hochform aufläuft, klingt er völlig überdreht. Dies passt aber zu Vorlage. In Stummfilmen agierten die Schauspieler in Mimik und Gestik immer überdeutlich, um den fehlenden Ton zu kompensieren. Die etwas ungewohnte Darbietung mancher Sprecher klingt zunächst etwas ungewohnt. Allerdings schaffen die Macher so bewusst oder unbewusst einen Stummfilm für die Ohren, in dem die Sprecher etwas überagieren, um die fehlenden Bilder im Kopf zu erschaffen – das funktioniert im Rahmen der Geschichte sehr gut.

"Ich empfehle Euer Gnaden diesen kostbaren Schlafrock hier."

Auch Horst Naumann als Graf Schwarzenberg, Sigrid Burkholder als Komtesse Margit und Nicolas König Baron Waldis Schwarzenberg spielen ihre jeweiligen Rollen mit viel Pathos und Gefühl, was sich aber sehr gut in den Gesamtkontext einfügt. In einer sehr kleinen Nebenrolle ist dann doch noch ein bekannterer Synchronsprecher zu hören. Allerdings fällt Patrick Bachs (Synchronstimme von Sean Astin) Auftritt so klein aus, dass man schon genau hinhören muss, um ihn zu erkennen.

Das Hörspiel besitzt mit Peter Weis einen Erzähler, der ruhig in mal kurzen, mal längeren Passagen durch das gesamte Hörspiel führt. Die beiden Regisseure Stephan Bosenius und Marc Gruppe nutzen dieses Element auch geschickt aus. Peter Weis fungiert als Erzähler selten nur als Stichwortgeber für seine Kollegen, sondern erweckt mit seinen Texten und seiner Stimme das Prag des frühen 19. Jahrhunderts zum Leben. Unterstützt wird diese Atmosphäre durch die Musik. Zu Beginn und zwischendurch sind Auszüge aus Die Moldau von Bedřich Smetana zu hören.

"Bei mir ist nichts mehr zu holen."

"Der Student von Prag" erfindet das Motiv des Doppelgängers nicht neu. Wer Erzählungen oder Märchen über einen teuflischen Pakt kennt, weiß, worauf das Hörspiel am Ende hinausläuft. Aber Hörer, die neue und unerwartete Geschichten entdecken wollen, sind bei der Reihe Gruselkabinett sowieso nicht richtig. Hier werden berühmte und weniger bekannte Klassiker der Schauerliteratur adaptiert.

Moderne Innovationen fehlen hierbei von der Covergestaltung bis zur Musik. Wer Neuinterpretationen sucht, dem sei Oliver Dörings phantastische Geschichten empfohlen. Die Reihe Gruselkabinett setzt hingegen auf Nostalgie und wohligen Grusel – und das bekommen die Hörer auch bei "Der Student von Prag" geboten.

Fazit

Marc Gruppe und Stephan Bosenius ist es gelungen, den alten Stummfilm perfekt als Hörspiel zu adaptieren. Die Geschichte rund um den Studenten Balduin, der sein Spiegelbild verliert, ist zwar nicht neu. "Der Student von Prag" kann aber mit einer Reihe sehr guter Sprecher aufwarten, die alle in ihren Rollen überzeugen können. Wer klassische Gruselgeschichten mit nostalgischen Flair mag, sollte auf jeden Fall reinhören.

zusätzlicher Bildnachweis: 
© Titania Medien

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