Zeichen der Stärke – Kritik zu The Expanse 6.03

SPOILER

Mittlerweile dürfte Buch-Lesern, die bis zum 8. Buch vorgedrungen sind, klar sein, bei wem es sich um die beiden Kinder auf Laconia handelt und welche Bedeutung sie haben (ein Blick auf die imdb-Seite und die Rollennamen der Kinder dürften weiterhelfen). Es ist wahrscheinlich aber auch ohne Vorwissen nicht schwer, das Schicksal des verstorbenen Jungen zu erraten, nachdem der tote Vogel von dem seltsamen vierbeinigen Wesen davongetragen wurde und wieder auferstanden ist. Wie sich das Geschehen in diese Staffel einfügt, oder ob die Autoren Daniel Abraham, Ty Franck und Mark Fergus ein noch größeres Endspiel vorbereiten, ist immer noch nicht abzusehen.

Humanitäre Krise als Waffe

Die Erd- beziehungsweise. U.N.-Streitkräfte sind nun endlich in der Lage, sich an der Jagd auf Marco Inaros (Keon Alexander) zu beteiligen. Und das erste Ziel, das sie sich aussuchen, ist die Ceres-Station, wo sie sein Hauptquartier vermuten. Sie finden allerdings nur Gürtler-Zivilisten und eine widerspenstige Administratorin vor, die ihre Mit-Gürtler beschützen möchte. Die Free-Navy hat ihnen jegliche Nahrung, technische Hilfsmittel und sogar Sauerstoff weggenommen. Marco opfert sie nur zu gerne, um eine humanitäre Krise zu konstruieren, mit der sich Chrisjen Avasarala (Shoreeh Aghdashloo) befassen muss, während der Erdbevölkerung ebenfalls zu wenig Nahrungsmittel zur Verfügung steht. Parallelen zum aktuellen weltpolitischen Tagesgeschehen lassen sich ohne weiteres ziehen. Es mag Einbildung sein, aber die Spezialeffekte scheinen im Laufe der Serie immer besser geworden zu sein: Die Landung eröffnet viele schöne Details vom Inneren der Station und den Raumschiffen.

Spuren der Gewalt

Hier kann die Optik ebenfalls täuschen, aber Holden (Steven Strait) sieht in dieser Episode besonders hager und erschöpft aus, was die spontane Frage aufwirft, ob sich Strait in irgendeiner Form runtergehungert hat. Zwischen ihm und Clarisso Mao (Nadine Nicole) baut sich langsam eine Beziehung gegenseitigen Respekts auf. Die 3. Staffel ist schon ein Weilchen her, und man kann leicht vergessen, dass sich diese beiden Figuren mal als Feinde gegenüberstanden. Die Serie schiebt diesen Konflikt nicht einfach beiseite, sondern führt einen offenen Dialog über Schuld und Vergebung, der wiederum zeigt, dass die vergangenen Ereignisse nicht spurlos an Clarissa vorübergegangen sind. Gewalt und Mord waren zwar stets ein großer Bestandteil der Serie und der Bücher, aber zumindest nicht immer nur Unterhaltungs-Selbstzweck für das Publikum. The Expanse hat  häufig gezeigt, dass Gewalt ebenfalls bleibende Spuren bei den Tätern hinterlässt, selbst wenn eine vermeintlich moralisch gute Motivation dahintersteckt.

Ein Duo, das anscheinend weniger Probleme mit Gewalt hat, ist Bobbie (Frankie Adams) und Amos (Wes Catham), die in dieser Episode eine seltene gemeinsame Dialogszene bestreiten dürfen. Und es macht Spaß diesen beiden super-taffen Akteuren beim kleinen verbalen Sparring zuzusehen. Gemeinsam erinnern sie sich an die Zeit der Canterbury zurück, die in der 1. Staffel zerstört wurde. Bobbie beziehungsweise Frankie Adams war zu diesem Zeitpunkt noch kein Teil der Serie, aber sie hätte die Helden- Besatzung nur zu gern in die Hände bekommen, und ein physischer Schlagabtausch hätte ihr sogar Spaß gemacht. Im Gegenzug schwärmt Amos ohne mit der Wimper zu zucken von den Nudeln, den scheinbar mittlerweile gewerkschaftlich organisierten Bordellen und vom Schnaps auf der Ceres Station – Aussagen, die Bobbie kurz erstaunt innehalten lassen. Selbst wenn der aus der 2. Staffel bekannte Prax (Terry Chan) später in einer Videoaufzeichnung auf dem Bildschirm auftaucht, um seine revolutionäre botanische Entdeckung detailliert zu erklären, behält die Episode eine humorvolle Dynamik zwischen den beiden bei, die eher gelangweilt von den ausschweifenden Erklärungen des Wissenschaftlers sind. Die Entdeckung, die die Nahrungsknappheit sowohl auf der Erde als auch auf der Ceres-Station lösen könnte, wirkt allerdings zu diesem Zeitpunkt fast schon ein wenig zu praktisch.

Emotionale Weltraumschlacht

Auf dem Raumschiff Pella entdeckt Filip (Jasai Chase Owens) langsam, wie Marco mit seinen Kritikern umgeht. Auch wenn sie vom Gürtler-Propaganda-Kanal auf seinem Space-iPhone als Spione für den Gegner bezeichnet werden, beginnt er langsam, ernste Skepsis an den Motiven und der Vorgehensweise seines Vaters zu hegen. Die Serie lässt inzwischen dagegen kaum noch Zweifel daran, dass es sich bei Marco eher um einen kalkulierenden Möchtegern-Diktator und Narzissten handelt, der zudem noch zu überspielen versucht, dass überhaupt keinen Plan bezüglich der heranziehenden und anscheinend überlegenen Erdstreitkräfte hat. Nicht das letzte Mal, dass sich Inaros in dieser Episode selbst überschätzen soll. Letztendlich wird im Dialog mit Filip noch einmal deutlich, wie wenig Mitgefühl er seinem eigenen Volk entgegenbringt, wenn es nicht mehr zweckdienlich ist. Er kann seine Entscheidungen und diese Bauernopfer leicht vor sich selbst und seinem Sohn rechtfertigen, indem er sie nicht als ebenbürtige Menschen ansieht. Für Marco stellt der Angriff auf die Rocinante nicht nur eine Chance dar, seine Ex und ihren neuen Liebhaber auszulöschen, sondern es handelt sich auch um einen Loyalitätstest für seinen Sohn, dem er die Waffenstation überlässt. Seine Vaterliebe und seine Liebe generell gibt es nämlich niemals bedingungslos. Alle Menschen um ihn herum müssen sich ihm stets beweisen, dass sie diese Liebe, Freundschaft oder seinen Schutz verdienen, und selbst das ist nicht genug.

Schließlich ist er sogar bereit, seinen eigenen Sohn als eine Art emotionalen Schutzschild zu verwenden, als die Rocinante sein Raumschiff außer Gefecht setzt. Es ist von Anfang an relativ klar, dass es sich hierbei nicht um die finale Konfrontation zwischen diesen beiden Parteien handeln wird. Außerdem ist diese Actionsequenz sicherlich nicht so dynamisch inszeniert wie der Angriff in der letzten Episode. Aber es ist immer wieder erstaunlich, wie überzeugend die individuellen Schauspieler die Szenen verkaufen können, in denen sie lediglich in einem Sessel sitzen und sich gegenseitig Befehle zubellen, als würden sie sich in einer echten Weltraumschlacht befinden und nicht nur auf einer Studiobühne. Die Spannung der Sequenz liegt hierin und in dem emotionalen Kern des Kampfes begründet. Hier spielt nämlich Naomi Nagatas (Dominique Tipper) Beziehung zu ihrem Sohn eine wichtige Rolle, den sie trotz allem verständlicherweise nicht sterben sehen möchte, auch wenn sie die Möglichkeit akzeptiert zu haben scheint. Die große Stärke dieser Episode und der Serie generell ist, dass sie diese Art der komplexen und widersprüchlichen Gefühle nonverbal kommuniziert. Weder reibt man sie den Zuschauern mithilfe von ungelenken Dialogen während des Weltraumkampfes unter die Nase noch muss Naomi versuchen, den finalen Todesstoß zu stoppen – alles Dinge, die bei einer schwächeren Serie sicherlich passieren könnten. Stattdessen ist es Holden, der die tödliche Rakete kurz vor Einschlag aus Liebe zu seiner Partnerin entschärft, selbst wenn der Krieg mit Marcos Tod ein Ende gefunden hätte. Letztendlich versucht die Serie immer, eine gewisse Form von Empathie in den Vordergrund zu rücken, selbst wenn Krieg, Kampf und Explosionen ein wesentlicher Bestandteil der Erzählungen sind.

Alte Bekannte

Zusätzlich scheint diese Episode die Aufgabe zu haben, wichtige Nebenfiguren aus diversen vorangegangenen Staffeln wieder auftreten zu lassen und in Erinnerung zu rufen. So gibt Anna Volvodov (Elizabeth Mitchell), die Geistliche, die in der 3. Staffel eine wichtige Rolle spielte, auf der angeschlagenen Erde ein Interview mit einer Botschaft von Frieden und Zusammenhalt. Wie auch Prax zuvor sind das jedoch keine reinen Fan-Service-Auftritte, die Autoren flechten sie halbwegs organisch in die Erzählung ein. Drummers (Cara Gee) Besatzungsmitglieder Michio (Vanessa Smythe) und Josep (Samer Salem), die sich dieses Interview ansehen, repräsentieren hier ein ganzes Volk, das diese Arten von Nachrichten von der Erde wahrscheinlich entweder mit Mitleid oder mit einer „geschieht ihnen recht“-Attitüde begegnet. Ansonsten passiert im Grunde nicht allzu viel im Camina-Drummer-Handlungsbogen, außer dass sich ihr immer mehr Gürtler-Fraktionen anzuschließen scheinen.

Fazit:

Die bisherigen Episoden scheinen einem gleichbleibenden Schema zu folgen, das bisher noch genügend Unterhaltung bietet und die Geschichte effizient vorantreibt. Die dramatischen Momente sind durchaus effektiv, und den meisten Darstellern und Handlungsbögen wird etwa gleich viel Zeit eingeräumt. Hoffentlich können die folgenden drei Episoden mit ein wenig mehr Abwechslung punkten.

The Expanse

Originaltitel: The Expanse (2015)
Erstaustrahlung am 23.11.2015
Darsteller: Thomas Jane (Josephus "Joe" Aloisus Miller), Steven Strait (James „Jim“ Holden), Cas Anvar (Alex Kamal), Dominique Tipper (Naomi Nagata), Wes Chatham (Amos Burton), Shawn Doyle (Sadavir Errinwright), Shohreh Aghdashloo (Chrisjen Avasarala), Frankie Adams (Roberta "Bobbie" W. Draper)
Produzenten: Broderick Johnson, Andrew Kosove, Sharon Hall, Sean Daniel, Jason F. Brown, Mark Fergus, Hawk Ostby, Naren Shankar
Basiert auf der gleichnamigen Romanreihe von Daniel Abraham & Ty Franck
Staffeln: 3+
Anzahl der Episoden: 24+


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