Nur der Himmel ist die Grenze - Warum Star Trek: The Next Generation etwas ganz Besonderes ist

30 Jahre TNG

Manchmal denkt man an einen Punkt des eigenen Lebens zurück und ist verwundert, wie lebendig die Erinnerung daran noch ist, obwohl dieser Moment schon unglaublich weit zurückliegt.

Es ist heute auf den Tag genau dreißig Jahre her, dass die Serie Star Trek: The Next Generation das erste Mal im US-Fernsehen lief. Mit dem Pilotfilm "Encounter at Farpoint" nahm eine neue Besatzung auf einem neuen Schiff ihren Dienst auf und versuchte einerseits, ein neues Publikum zu finden und andererseits auch, die eingefleischten Fans der Classic-Serie mit ins Boot zu holen. Eine Herkulesaufgabe, wie sich schnell zeigen sollte.

Das Interesse war zunächst groß, brach in den Folgewochen aber etwas ein. Lag es an den hölzernen und angestaubten Geschichten, die in den Achtzigern nicht mehr ganz so angesagt und zeitgemäß waren, wie zwanzig Jahre zuvor? Oder störte man sich gar an den neuen Gesichtern auf der Brücke dieses Luxusliners im Weltall?

Es dauerte bis zur dritten Staffel, dass die Serie wirklich Eigenständigkeit und unverwechselbare Identität erreichte und somit endgültig die Herzen der Zuschauer erobern konnte. Der Rest ist Geschichte - 178 Episoden in sieben Staffeln, viele denkwürdige Momente, vier Kinofilme und ein ganzer Rattenschwanz an Nachfolgeserien und Kinofilmen sind in der Summe das Vermächtnis dieser zweiten Serie aus dem Trek-Universum. Doch warum ist das so? Was hat die Serie richtig gemacht und was macht sie zu etwas so Besonderem im Trek-Universum?

Eine persönliche Bilanz zu drei elementaren Errungenschaften.

Willkommen, Vielfalt

Als Mitte der 80er-Jahre eine neue Star Trek-Serie mit neuer Enterprise und neuer Crew angekündigt wurde, lagen sich die Fans weltweit mit Freudentränen in den Armen und feierte eine Party, die kein Ende zu nehmen schien.

Nun, ganz so war es natürlich nicht.

Die Crew um Captain Jean-Luc Picard hatte es im Gegenteil mehr als schwer, die Liebe des Fandoms zu ergattern. Zu sehr waren die Anhänger der Originalserie verwurzelt mit ihren Helden, die parallel ja auch noch in beliebten Kinofilmen zu sehen waren. Was wollte man da überhaupt mit einer neuen Crew? Man mag sich wundern, aber Offenheit war erstaunlicherweise noch nie eine der großen Stärken einiger Hardcore-Fangruppen.

Doch durchbrachen Picard, Riker, Data, Worf, Troi, LaForge und Dr. Crusher diesen Panzer aus Ignoranz, Angst und Bedenken und überzeugten nach und nach die alten wie neuen Fans.

Mit ihrem Erfolg ebnete die Serie den Weg für vier Kinofilme zwischen 1995 und 2001 sowie die Serien Star Trek: Deep Space Nine (1993-1999), Star Trek: Voyager (1994-2001) und Star Trek: Enterprise (2001-2005). Und obwohl die Strahlkraft von Star Trek bereits mit der letzten Episode von Star Trek: The Next Generation und dem Hype um Star Trek: Generations (1994) sukzessive abnahm, konnten sich die anderen Spin-Offs noch über zehn Jahre lang im Glanz des Vorgängers sonnen - und überleben.

Mit dem Ende dieser Serien und der Filmreihe um Picard und Co endete dann jedoch das erste Kapitel im Leben von Star Trek. Die Reboot-Filme (2009 bis heute) und Star Trek: Discovery sind ein völlig neues Kapitel und haben das, was Ende der 1990er und Anfang der 2000er aus verschiedenen Gründen in den Sand gesetzt wurde, wieder in besseres Fahrwasser geführt. Doch ist die angesprochene Abwärtsspirale selbstverständlich nicht die Schuld von Star Trek: The Next Generation und auch für sich ein vollkommen anderes Thema. Für die Geschichtsbücher ist letztlich nur wichtig, wie nachhaltig die Abenteuer der Enterprise D die Geschichte von Star Trek geprägt haben - und wie gut die Serie auch in der Rückschau noch bis heute ist.

"Ein Name muss in allen Geschichtsbüchern stehen. Der Name: Enterprise!" (Picard, "Die alte Enterprise")

Willkommen, Ernsthaftigkeit

Blickte man in den Achtzigern auf die Originalserie zurück, fielen besonders die sparsamen Kulissen und der lockere Umgangston auf. Star Trek war eindeutig ein Kind seiner Zeit gewesen und hatte zwar in der Kinoform den Transit über die folgenden zwei Jahrzehnte geschafft, die Serie jedoch bedeckte bereits zu diesem Zeitpunkt eine dezente Patina der Vergänglichkeit.

Mit Star Trek: The Next Generation wählte man gleich in verschiedener Hinsicht einen anderen Ansatz. Das Schiff war größer, luxuriöser - man reiste nun mit Familien und Stil. Es gab Erholungseinrichtungen wie Holodecks sowie Teppiche, Bilder und Holzvertäfelungen, die eine andere Vision vom Reisen durchs Weltall vermittelten. Star Trek war visuell erwachsen geworden. Dass zunächst die Drehbücher mit dieser Idee nicht Schritt halten konnten und vieles in der ersten Staffel an die Classic-Serie erinnerte, ist vielen Scharmützeln hinter den Kulissen geschuldet.

Als jedoch mit der dritten Staffel Michael Piller und Rick Berman das Ruder übernahmen, wurde die Serie ihrem eigenen Anspruch und dem brachliegenden Potential auch inhaltlich gerecht. Star Trek: The Next Generation wurde in den folgenden Jahren ein Straßenfeger und Synonym für anspruchsvolle Science Fiction, für Geschichten über gesellschaftliche Missstände, soziale Probleme und menschliche Dramen. Jede Woche löste die Crew Hand in Hand die Probleme anderer und zeigte die Menschheit dabei von einer Seite, die erstrebenswert schien.

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Patrick Stewart 2004

Dass die Show zu einer derart souveränen Angelegenheit wurde, ist jedoch in besonderem Maße mit einer Personalentscheidung hinter den Kulissen verbunden: Sir Patrick Stewart. Dass man sich traute, einen britischen Shakespear-Mimen mit Halbglatze auf den Stuhl des Captains zu setzen - was Gene Roddenberry zuerst nicht gutheißen wollte - stellte sich als Jackpot heraus. Stewart machte sich den Charakter des Captain Jean-Luc Picard von der ersten Sekunde an zu eigen. Und das, obwohl er nach eigenem Bekunden eigentlich davon ausging, nach einer Staffel von dieser Qual erlöst zu werden. Er stellte seine Klasse in den Dienst der Sache und bügelte miese Drehbücher, trashige Kulissen und die Talentfreiheit einiger Kollegen aus. Sieben Jahre und vier Kinofilme blieb Picard der Fixstern für die Serie. Seine unaufgeregte, diplomatische, weise, väterlich strenge und unantastbar faire Art mit Menschen und Problemen umzugehen, wurde dabei zum Markenzeichen der Serie.

"Wissen Sie, als ich ein Schuljunge war, habe ich einige Worte gehört: 'Mit dem ersten Glied ist die Kette geschmiedet. Wenn die erste Rede zensiert, der erste Gedanke verboten, die erste Freiheit verweigert wird, sind wir alle unwiderruflich gefesselt'." (Picard, "Das Standgericht")

Willkommen, Mainstreamfähigkeit

Doch noch etwas anderes gelang der Serie fast spielerisch. Star Trek war auf einmal nicht mehr nur eine Angelegenheit für Nerds oder reine Science-Fiction-Fans, die gediegene und seriöse Machart öffnete dem Mainstream Tür und Tor, was sich auch in den Einschaltquoten und der Art und Weise niederschlug, wie die Presse das Thema behandelte. Die Charaktere und das ikonische Schiff zierten die Titelblätter großer Hochglanzmagazine, der Merchandise-Sektor erlebte einen ungeahnten Boom und die Stars wurden von Show zu Show gereicht.

Wie die Originalserie inspirierte der Nachfolger zudem viele Menschen in ihrer Berufswahl oder gab ihnen einfach nur Gelegenheit, ihr Leben sowie die Situation unserer Welt zu reflektieren und mit anderen darüber zu sprechen. Vom Professor zum Straßenreiniger, vom Schuhputzer zum Chefarzt - die Serie sprach auf ganz verschiedene Arten zu den Menschen und bereicherte mit pointierten Geschichten, Witz und Herz ihr Leben.

Star Trek war mit dieser zweiten Serie reif und erwachsen geworden. Ob die Menschheit diesem leuchtenden Vorbild irgendwann wird folgen können?

"Sie haben noch gar nichts begriffen. In den letzten drei Jahrhunderten hat sich unglaublich viel verändert. Es ist für die Menschen nicht länger wichtig, große Reichtümer zu besitzen. Wir haben den Hunger eliminiert, die Not, die Notwendigkeit, reich zu sein. Die Menschheit ist erwachsen geworden." (Picard, "Die neutrale Zone")

Danke, TNG!

Star Trek: The Next Generation hat mich nicht nur endgültig zu Star Trek gebracht, die Serie hat mir über die Jahre unzählige wertvolle Denkanstöße gegeben, meinen Horizont erweitert, mich Zustände auf der Erde der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft hinterfragen und neu bewerten lassen und mir zudem auch noch Freude, Spaß und beste Unterhaltung geschenkt. Seit mehr als zwanzig Jahren schreibe ich nun bereits über die Abenteuer der verschiedenen Trek-Besatzungen - und ich liebe es heute noch genau so sehr wie zu Beginn. Somit hat mir Star Trek, wie vielen anderen Menschen auch, nicht nur ein Hobby geschenkt, sondern eine Berufung. Die Crew um Captain Picard ist in dieser Entwicklung das zentrale Puzzleteil gewesen.

Mit ihr verbinde ich wunderschöne Erinnerungen und erfreue mich noch heute an der herausragenden Qualität vieler Episoden und den liebenswerten Charakteren. Ohne die Crew der Enterprise D und das Team rund ums Team wäre vieles, was wir heute im Bereich der Science Fiction als gegeben hinnehmen, nicht möglich gewesen. Feiern wir also gemeinsam ein Stück Fernsehgeschichte - vielleicht mit einem Rewatch auf Netflix?

"Nur der Himmel ist die Grenze." (Picard, "Alle guten Dinge")

Björn Sülter ist als freier Redakteur unter anderem bei Onlinepublikationen wie Quotenmeter, Serienjunkies und auch Robots & Dragons aktiv. Im Printbereich schreibt er zum Beispiel für das Phantastik-Magazin Geek!. Der Autor und Musiker ist Fachmann in Sachen Star Trek. Seit über 20 Jahren schreibt er über das langlebige Franchise.

Für Robots & Dragons wird er exklusiv die Entstehung der neuen Trek-Serie mit seiner Kolumne Sülters IDIC begleiten und sobald die Serie startet, auch für ausführliche Kritiken zu den Episoden und einen Podcast sorgen. Der Name der Kolumne steht stellvertretend für das, was uns Trekkies auszeichnet: Einen offenen Geist zu behalten und die Vielfalt als etwas Wertvolles zu schätzen. Infinite Diversity in Infinite Combinations. Dazu gibt er in Sülters Warpkerkette regelmäßig Anekdoten über Star Trek zum besten.

Björns Homepage und somit viele seiner Artikel und Trek-Rezensionen erreicht ihr unter www.sülterssendepause.de.
Star Trek: The Next Generation

Originaltitel: Star Trek: The Next Generation (1987-1994)
Erstaustrahlung am 28. September 1987 / 07. September 1990 im ZDF
Darsteller: Patrick Stewart (Jean-Luc Picard), Jonathan Frakes (William T. Riker), Brent Spiner (Data), LeVar Burton (Georgie LaForge), Michael Dorn (Worf), Gates McFadden (Dr. Bevery Crusher), Marina Sirtis (Deanna Troi), Wil Wheaton (Wesley Crusher, Staffel 1-4), Denise Crosby (Tasha Yar, Staffel 1), Diana Muldaur (Katherine Pulaski, Staffel 2)
Produzenten: Gene Roddenberry, Rick Berman
Staffeln: 7
Anzahl der Episoden: 178


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