Ultima

Stephen Baxter

“Ultima” ist wie sich inzwischen herausstellt eher der Mittelband einer neuen Science Fiction Trilogie als der zweite abschließende Teil eines Duoromans, die der Brite Stephen Baxter in den letzten Jahren bevorzugt hat. Der Auftakt „Proxima“ ist vor einiger Zeit schon im Heyne Verlag veröffentlicht worden. Wie „Proxima“ verfügt auch „Ultima“ über ein eher offenes Ende. Im Gegensatz zum Auftaktband versucht Stephen Baxter aber die verschiedenen Handlungsfäden deutlich besser zum Ende hin zusammenzuführen und nicht weitere Fragen aufzuwerfen, die er dann in einem weiteren Buch zu beantworten sucht. Dank dieser Vorgehensweise wirkt „Ultima“ stringenter und auch die Handlungsführung ist greifbarer. Da Stephen Baxter aber nach dem sehr offenen Ende des ersten Bandes ohne weitere Informationen den Plot fortführt, ist es unabdingbar, „Proxima“ möglichst nahe vor der Lektüre von „Ultima“ goutiert zu haben. Ansonsten könnten einige der Feinheiten verloren gehen. Ausgangspunkt des Szenarios ist die Entdeckung außerirdischer Artefakte auf dem Planeten Par, die es ermöglichen, Lichtjahre im All zurückzulegen als wenn man nur in einen anderen Raum tritt. Dieses Szenario ist eine interessante Variation der „Long Earth“ Serie, die Baxter zusammen mit Pratchett verfasst. In dieser ermöglicht quasi ein Schritt das Betreten einer Parallelerde. Auch in der hier vorliegenden Science Fiction Serie bedeutet die Nutzung der fremden Technologie nicht nur einen räumlichen Schritt in die Tiefen des Alls, sondern anscheinend auch das Versetzen in Paralleluniversen. So erreichen die beiden Protagonisten Yuri Eden und Steph Kalinski ein Universum, in dem das römische Reich nicht untergegangen ist. Sie begegnen dem römischen Zenturio Quintus Fabius an Bord des Raumschiffs „Malleus Jesu“. Diese Begegnung könnte aber in der Tradition Jasper Ffordes und seiner Romanserie auch noch anders interpretiert werden. Wie viele Science Fiction Leser seines Alters ist Stephen Baxter anscheinend ein Fan von Don Lawrences „Trigan“ Serie gewesen und die Anspielungen deuten darauf hin, dass Eden und Kalinski möglicherweise in ein Universum eingetreten sind, in dem Baxter Lawrences populäre Comicserie ebenfalls in eine deutlich fernere Zukunft extrapoliert hat. Also in eine fiktive Parallelwelt.

Viel direkter wird aus dem ersten Buch die Idee übernommen, dass der Planet Merkur in einem weiteren Paralleluniversum zerstört worden ist. Auf der Erde herrscht Krieg zwischen den dominierenden und aggressiv expandierenden Chinesen und den anderen Nationen. Eine Gruppe von Menschen hat die Erde verlassen und sich auf dem Mars angesiedelt. Eine künstliche Intelligenz scheint diese Gruppe im Hintergrund zu steuern. Baxter nimmt diesen roten Faden im vorliegenden Roman endlich auf und zeigt dem Leser, dass die Pläne dieser künstlichen Intelligenz sehr viel umfangreicher sind als anfänglich gedacht.  Diese wirken aber auch mechanischer als zum Beispiel die Begegnung mit dem Raumfahrenden Römern. Die künstliche Intelligenz will mit den Erschaffern der Artefakte Kontakt aufnehmen, um sie erstens auf sich aufmerksam zu machen und anschließend zu stoppen.  Der Versuch, die Intelligenz von einer anderen Handlung zu überzeugen endet schließlich in der Tatsache, dass die Tochter und Enkelin Yuri Edens in einem Universum landen, in welchem die Inkas ebenfalls die Raumfahrt entwickelt haben. Dadurch wirkt dieser Spannungsbogen zu wenig nachhaltig abgeschlossen und selbst für eine geistig überlegene Maschinenintelligenz sind ihre Pläne unnötig kompliziert.

Ganz bewusst legt Stephen Baxter die Fortsetzung „Ultima“ sehr viel breiter und vor allem auch zeitlich sehr viel mehr in Richtung einer Generationen umfassenden kosmischen Aufgabe an. Einige der Nachkommen wie Edens Tochter Mardina hat der Leser schon im ersten Buch kennengelernt. Natürlich sind ihre Reisen weiter und ihre Erfahrungen in diesem kontinuierlich expandieren Universum intensiver als es ihre Eltern im ersten Buch erlebt haben. In dieser epischen Breite liegt aber auch ein Problem des vorliegenden Romans. Der Rahmen muss passen. Dazu greift Baxter auf eine weitere künstliche Intelligenz zurück, die direkt oder indirekt immer wieder auf Ereignisse hinweist und die einzelnen, auf den ersten Blick chaotischen Szenen inklusiv des entsprechenden Informationsflusses vor den normalen Menschen sprich den Lesern ordnet. Diese Vorgehensweise ist angesichts der sehr vielen guten Ideen und vor allem so unterschiedlichen Schauplätze sinnvoll,  hemmt aber den Lesefluss und lässt das Geschehen an einigen wichtigen Stellen distanzierter und weniger spannend erscheinen als es wahrscheinlich Stephen Baxter beabsichtigt hat.   

Dabei muss sich der Leser vor Augen halten, dass das Szenario wirklich umfangreich ist und zeitlich weniger Generationen als Äonen umfasst. Baxter hat in den letzten Jahrzehnten immer wieder Romane wie „Evolution“ geschrieben, in denen er den normalen Ablauf absichtlich gestreckt hat. Gleichzeitig hat er dem Leser aber einen intensiven Geschichtskurs präsentiert, wie er es seit Olaf Stapledons und vielleicht auch H. G. Wells Werken nicht mehr erleben konnte.  Auch wenn das fiktive römische Reich nicht von seinen ersten Schritten an durch den Autoren beobachtet und entwickelt wird, ist es enorm, welche fiktiv historischen Informationen dem Leser präsentiert werden und wie sehr sich vor allem die kleinen Details in dieses große Bild einpassen. Es ist aber nicht ein Reich, das Baxter hier entwirft. Es sind im Grunde zwei oder in einem engen Zusammenhang mit dem Ausgangsszenario des ersten Buches drei Geschichten, die der Brite über viele Jahrzehnte im ersten Band bis zu den hier präsentierten Jahrtausenden verfolgt. Die gigantische Station des Inkas erreicht Dimensionen, die vorher vor allem Frederik Pohl oder Greg Bear in ihren Romanen beschrieben und lebendig gemacht haben. Vielleicht noch Arthur C. Clarke mit seiner “Rama” Reihe. Wobei Baxter Respekt seinem früheren Co- Autoren zollt und weniger mystische Elemente anspricht, sondern eine archaisch erscheinende Inkakultur in einem futuristischen „Gebilde“ entwickelt, die beide gegen jede Logik sehr gut miteinander harmonieren.  Weniger als Hommage denn vielleicht als Parodie spielen die leicht zu erkennenden Briktani auch eine wichtige Rolle. Sie sind natürlich den ursprünglichen britischen Völkern nach empfunden, auch wenn sich Baxter sehr viel Mühe gibt, die Ecken und Kanten seiner Landsleute dem Leser mit einem sichtlichen Vergnügen in einem Buch unter die Nase zu reiben, das buchstäblich für diese Exkurse keine Zeit haben sollte, da der Plot fast bis ans Ende der Zeit und die Grenzen des Universums führen müsste. Wie eingangs erwähnt gibt Stephen Baxter seiner Geschichte auch ein zufriedenstellendes, deutlich effektiveres, aber weiterin fast alle Richtungen auch offenes Ende als er es in „Proxima“ versucht hat. 

Lange Zeit schien es in Stephen Baxters inzwischen sehr umfangreichen Werk so, als suche er vor allem Größe und vernachlässige seine Protagonisten. In der Duologie „Flut“ ist er absichtlich einen anderen Weg gegangen und hat glaubwürdige Charaktere vor dem Hintergrund einer globalen, auf Rettung in letzter Sekunde verzichtenden Katastrophe entwickelt. Auch in „Proxima“/ „Ultima“ wirken die einzelnen Protagonisten nicht nur gut charakterisiert, sie passen sich dem herausfordernden und die Aufmerksamkeit des Leser beanspruchenden Szenario so gut an, dass es wirklich Menschen der Zukunft in ihren Parallelwelten lebend sein könnten. Die Extrapolation in sozialer Richtung  wirkt auf den ersten Blick zurückhaltend, aber ohne den Leser zu entfremden harmonieren sie auch in dieser Zukunftsvision erstaunlich plastisch. Zusätzlich gibt es sowohl menschliche als auch künstliche Mittler zum Leser, welche die Vielzahl der Ideen – es sind fast zu viele und hätten für zwei/ drei detaillierter ausgearbeitete Romane ausgereicht – für den Leser verständlicher koordinieren.  Zusammengefasst ist „Ultima“ sogar eine mehr zufriedenstellende Fortsetzung „Proximas“, da das vielschichtige Universum nicht nur konsequent wie erstaunlich umfangreich weiterentwickelt wird, sondern einzelne Aspekte des ersten Buches dem in „Proxima“ wissenstechnisch förmlich erdrückten Leser erst jetzt nachstehend mit sanfter Überzeugung vermittelt werden. Stephen Baxter steht weiterhin nicht nur für ungewöhnliche Szenarien, nicht selten basierend auf Alternativweltkulturen, sondern vor allem für einen Schriftsteller, der die Weiten von Zeit und Raum zwischen den Buchdeckeln seiner zahlreichen Romane verständlich „bändigen“ und dann seine Leser einfangen kann.   

 

ISBN 978-3-453-31639-3
Verlag: Heyne
Erscheinungstermin: 
08.09.2015
Anz. Seiten: 736 Seiten