Clarkesworld 119

Neil Clarke (Hrsg.)

Nach einer Reihe von "Clarkesworld" Ausgaben, die sich eher schwach sekundärliterarisch präsentiert haben, ist die 119. Nummer in dieser Hinsicht sehr zufriedenstellend. Das Vorwort von Neil Clarke mit nur sieben Prozent zahlenden Kunden - der Rest liest die Ausgaben kostenlos im Internet - als eine zufriedenstellende Nummer läßt Abonennten nachdenklich werden. Ein wenig ratlos fragt der Herausgeber, wie er die Leserzahl nicht senken und die Einnahmen doch erhöhen kann. Jason Ridlers "Frankenstein`s Soldier-  David Morrell and the Creation of Rambo" wirkt in einem phantastischen Magazin befremdlich. Aber in klaren Worten zeigt er nicht nur die sozialen Veränderungen der sechziger Jahre mit dem Vietnamkrieg auf, welche den Kanadier David Morrell beeinflußt haben, so arbeitet auch heraus, dass der bekannte Science Fiction Satiriker William Tenn Morrell bei der Entstehung des Buches und nicht mehr der Heroisierung dieser Figur geholfen hat. Sehr gut recherchiert und kompakt geschrieben öffnet das Essy den Blick auf ein nicht ohne Grund umstrittetes Werk, dessen literarischer Ursprung von den Verfilmungen zu Unrecht überdeckt worden ist. Cat Rambo - der Name ist echt und kein Pseudonym - schreibt über die Unfähigkeit, sich richtig auszudrücken und zeigt auf, wie das menschliche Miteinander optimiert werden könnte. Auch dieser Artikel steht in einem engen Zusammenhang mit der Science Fiction, da die Sachbücher, auf welche sich Cat Rambo bezieht, von einer heute fast unbekannten SF Autorin verfasst worden sind.

Chris Uries Interview mit N.K. Jemisin befasst sich nicht nur mit ihrer gegenwärtig veröffentlichten Fantasy Trilogie, sondern streift viele Bereich des alltäglichen Lebens beginnend beim guten Essen und endend mit der Faszination New Yorks. Deutlich nuancierter und vor allem besser auf die Antworten der Autorin eingehend wirkt dieses Gespräch überzeugender und informativer als die letzten Interviews, die "Clarkesworld" von Chris Urie abdruckte.  

Die beiden Nachdrucke dieser Ausgabe sind Kurzgeschichten und nicht wie in den letzten Nummern Novellen. Tobias S. Buckells "The Fish Merchant" greift das alte First Contact Thema in einem neuen Gewand auf. Li Hao- Chang ist ein armer Fischerhändler in Macau. Durch einen Zufall spielt ihm der Gangster Pepper eine Disk zu, auf der anscheinend gestohlene Daten der chinesischen Regierung sind. Pepper bietet den einfachen Mann um Hilfe. Dieser ahnt nicht, dass der Preis so hoch ist, während er sich ein Leben zusammen mit seiner Frau in den USA erträumt. Das phantastische Element erscheint nebensächlich. In einfachen, effektiven und atmosphärisch stimmigen Sätzen entführt Buckell den Leser in die Slums der Millionenstadt Macau, in denen einfache ehrliche Menschen um das alltägliche wirtschaftliche Überleben kämpfen. Ganz bewusst geht der Autor auf die abschließende "Entdeckung" gar nicht mehr richtig ein, sondern bleibt in der subjektven Perspektive Li Hao- Changs "hängen", um die melancholisch traurige Stimmung nicht umschlagen zu lassen.  Ebenfalls in Asien spielt der zweite Geschichte "A clock stopped" aus der Feder von Madeline Ashby.  Zwei ältere Lebensmittelhändler müssen mit den Folgen einer massiven Cyberattacke leben, die nach und nach die überlebenswichtigen Funktionen dieser sich zu sehr von der Technik abhängigen Stadt ausschalten und die Menschen isolieren. Stoisch, pragmatisch hoffen die beiden Menschen auf einen Neustart entweder nach dem Abklingen der Attacke oder vielmehr in dem Augenblick, in dem sich die Menschen wieder auf die eigenen Hände besinnen und die Abhängigkeit vom Internet nachläßt. Sie wissen aber auch, das es dann für viele Menschen zu spät sein wird. Sehr gut gezeichnete Charaktere bilden den emotional überzeugenden Mittelpunkt dieser lesenswerten Geschichte.

 Da die beiden Nachdrucke umfangtechnisch deutlich kürzer sind als bei den letzten "Clarkesworld" Ausgaben, reicht der Platz sogar für insgesamt sechs statt vier oder fünf neue Geschichten, von denen eine "Teenagers from Outer Space" umfangtechnisch als Novelle zu bezeichnen ist.  "First Light at Mistaken Point" aus der Feder Kali Wallace nutzt eine Science Fiction Idee - eine Expedition vom Mars befindet sich auf dem Rückflug, die Kommunikation scheint gestört zu sein und zwei kaum verständliche Nachrichten von Bord erreichen die Erde -, um ein zutiefst menschliches Problem anzupacken. Die fehlende Kommunikation zwischen Menschen, die sich eigentlich sehr nahe stehen müssten. Ausgangspunkt ist hier die Beerdigung der Mutter, die zwei charakterlich sehr unterschiedliche Menschen zusammenbringen soll. Es ist schwierig, den ersten Schritt zu machen. Ausgesprochen geradlinig ohne nach Lösungen suchend, sondern nur potentielle im Grunde oberflächliche Probleme ansprechend stimmt der zugrundeliegende anfänglich melancholisch, aber im Verlaufe der Handlung immer optimistischer werdende Ton nachdenklich.  Auf der anderen Seite des manipulativen emotionalen Spektrums befindet sich die ebenfalls tief in die menschliche Kultur eingebettete Kurzgeschichte "Now is the Hour" von Emily Devenport. Die Protagonistin gewinnt Geld, mit dem sie ihre Familie von dem herunter gekommenen Planeten weg bringen und hoffentlich eine bessere Zukunft finden kann. Das Raumschiff ist ein Wrack. So bringt sich der Junge zusammen mit seiner Katze in der Luftschleuse um, weil er nicht will, das sie alleine im All ausgesetzt wird. Die anderen Familienmitglieder sind krank und leiden an einem Virus. Am Ende ohne die süßsaure Pointe zu offenbaren wird der Protagonistin eine zweite Chance geschenkt, die sie aber mit den bitteren Erinnerungen leben läßt. Ihre Passivität ist vielleicht frustrierend, aber der Katalysator stellte ihr Geldgewinn dar, der Grundlage für eine bessere Zukunft sein sollte und sich als das Gegenteil herausgestellt hat. Die Figuren sind tragisch real gezeichnet und wir "First Light at Mistaken Point" könnte die Geschichte bis auf ein einziges Element auch vor einem realen Hintergrund spielen.

 „The Engines Imperial“ aus der Feder Sean Bensingers ist genau wie „Reclamation“ von Ryan Row einer der schwächsten originalen Beiträge dieser Nummer. Sean Bensinger kann den kaum vorhandenen Plot um ein intelligentes Raumschiff, das zehntausend Jahre nach dem Tod seines Schwesterschiffes in das gleiche Sonnensystem zurückkehrt, kaum mit Leben füllen. Hinzu kommt, dass selbst für eine Science Fantasy Story die zugrunde liegenden Wissenschaften unterdurchschnittlich entwickelt und vor allem immer wieder theatralische falsch genutzt wird. Auch die künstlichen Charaktere sind nicht überzeugend genug entwickelt worden. „Reclamation“ versucht sich an einer „Gravity“ Variante mit der Protagonisten in den Tiefen des Alls im Grunde ohne Rettung ausgesetzt langsam dem Wahnsinn verfallend. Der Autor versucht den Adrenalinschub der Mienenarbeiterin in den Tiefen des Alls herauszuarbeiten, verzweigt sich in oberflächlichen Rückblicken und versucht dem Text ein pathetisches, offenes Ende zu geben. Wie bei Sean Bensinger ist Ryan Row nicht in der Lage, mit den astronomischen Begriffen richtig umzugehen. In dieser Hinsicht muss sich Neil Clarke auch den Vorwurf gefallen lassen, dass einige der Texte dieser Sammlung einer gründlichen Überarbeitung sowohl in grammatikalischer als auch stilistischer wissenschaftlicher Hinsicht bedürft hätten.

Aus der deutschen Anthologie „Space Rocks“ stammt Karla Schmidts Geschichte „Alone, in the Wind“. Die Übersetzung hat dem Text nicht besonders gut getan. Sie wirkt schwerfällig. Karla Schmidts Text  ist es eine der in der Minderzahl dieser Ausgabe befindlichen Geschichten, welche die eher distanzierte Erzählebene der dritten Person durch die intimere, aber auch deutlich schwierigere Erste-Person-Perspektive ersetzt. Die Autorin beschreibt die Entwicklungen innerhalb einer dem Leser auf den ersten Blick fremden Kultur. Im Verlaufe des außergewöhnlich ruhig, aber hintergrundtechnisch interessant erzählten Handlungsbogens schleicht sich ein unbestimmtes Gefühl der Vertrautheit mit diesen Wesen ein, das die Autorin positiv für die ganze Geschichte nicht mit wenig überzeugend literarischen Winkelzügen zu bestärken sucht. Sie bleiben fremdartig. Während die erste Hälfte atmosphärisch ausgesprochen dicht ist, verliert sich Karla Schmidt insbesondere in der etwas überambitioniert erscheinenden zweiten Hälfte zu sehr in ihrer Geschichte und kann die interessante, aber trotz der Ich-Erzählerebene zu distanziert erscheinende Handlung zufrieden stellend aber nicht gänzlich überzeugend zu Ende bringen.

 Die zweite Novelle „Teenagers from Outer Space“ aus der Feder Dale Baileys ist mit einem großen Abstand die beste Geschichte dieser Sammlung. Wie einige andere Texte lässt sich der Inhalt ohne größere Schwierigkeiten vor allem in die fünfziger und sechziger Jahre innerhalb der USA übertragen, in dem die außerirdischen Städte auf der Erde namens „Bucktowns“ einfach durch die immer stärker expandierenden farbigen Ghettos ersetzt werden. Die Versuchung der vor allem weißen Teenanger, die von ihren Vätern eher unterdrückt als gefördert werden, in diesen rechtsfreien Kommunen vielleicht auch mit ihren Drogen und ihrer psychedelischen Leichtigkeit dem Druck des Alltags zu entkommen, passt sowohl auf den vorliegenden Text als auch die Vergangenheit. Dale Bailey hat eine Reihe von auf der einen Seite ohne Frage auch klischeehaft gezeichneten Teenagers erfunden, deren Handlungen rückblickend gesehen vorhersehbar sind und sich im Rahmen der „Rebells without a Case“ Möglichkeiten bewegen, während auf der anderen Seite mit einfachen stilistischen Mitteln eine überzeugende Welt erschaffen wird. Nach einem phlegmatischen und durch die Nutzung eines absichtlich unzuverlässigen Erzählers noch distanzierter erscheinenden Auftakts entwickelt der Plot sehr viele zwischenmenschliche Spannungen, wobei Dale Bailey auch den Humor – Außerirdische in kurzen Hosen – nicht zu kurz kommen lässt. Dabei behandelt er den ganzen Plot und die verschiedenen Zusammenhänge zwischen den Figuren mit dem notwendigen Respekt, so dass die Geschichte wie überzeugende Streifen – siehe „Strange Invaders“ oder „Alien Trespass“ – historisch gut entwickelt und doch originell modern zugleich erscheint. Stilistisch sowohl auf der beschreibenden Ebene als auch hinsichtlich der Dialoge die beste Arbeit dieser Ausgabe gleicht „Teenagers from Outer Space“ die drei unterdurchschnittlichen Texte dieser Nummer mehr als gut aus.

Das Titelbild ist ein Augenfänger, auch wenn der Bezug zu den Geschichten dieser Ausgabe fehlt. Zusammenfassend ist „Clarkesworld“ 119 eine interessante Ausgabe ohne asiatische Science Fiction Geschichten, wobei zum Leidwesen zahlreicher talentierter deutscher Kurzgeschichtenautoren mit Karla Schmidts Geschichte eher ein unterdurchschnittlicher und weniger repräsentierender Text ausgesucht worden ist. 

 

 

 

www.clarkesworldmagazin.com

E- Books, ca 110 Seiten