Sherlock Holmes und die Legende von Greystoke

Philip Jose Farmer

Der Atlantis- Verlag veröffentlicht die schon in den siebziger Jahre in den USA erschienene Novelle "The Peerless Peer" in der ursprünglichen Fassung. Aus Copyrightgründen musste Farmer die Geschichte einmal umschreiben und die Figur des Tarzan durch Kiplings Mowgli ersetzen. Diese Geschichte ist in der Sammlung "Weltraumallüren" des Bastei- Verlages auf deutsch erschienen. Für viele Farmerfans gilt die Novelle in im Grunde beiden Versionen als Ausgangspunkt seines Newton- Universums, in dem der Amerikaner viele bekannte Pulphelden miteinander verbunden und sogar einen Stammbaum beginnend im 19. Jahrhundert mit den Protagonisten eines Sir Henry Rider Haggard bis in die Gegenwart mit James erschaffen hat. Christian Enders führt den Leser in die Grundzüge dieses markanten Universums ein. Das Farmer über die eigentliche Geschichte hinaus mit seinen Lesern gespielt hat, erkannt man deutlich an dessen Vorwort, in dem er sich auf das Niveau des Herausgebers der Schriften Dr. Watsons reduziert, die im Nachlass eines Dukes gefunden worden sind. In der amerikanischen Originalausgabe wird deutlich, dass es sich bei dem Duke sehr wahrscheinlich um Dorothy Sayers Lord Peter Wimsey handelt, eine ebenfalls fiktive Figur.
Farmers Plot beginnt im Jahre 1916 auf dem Höhepunkt des Ersten Weltkriegs. Es ist auch weniger eine klassische Deduktionsgeschichte, sondern ein wildes Abenteuergarn, das seinen Höhepunkt im tiefsten Afrika findet. Während die deutschen Zeppeline London bombadieren, werden Watson und Holmes von Mycroft Holmes gebeten, nach Ägypten zu fliegen, um Holmes letzten Erzfeind – den deutschen Spion Von Bork, bekannt aus "His last bow" - an der Flucht mit einer Wunderwaffe zu hindern. Auch wenn Farmer dazu neigt, seinen Text ins Absurde zu steigern, ist die zugrundeliegende Idee ausgesprochen modern und dank der Exzesse gegenwärtiger genetischer Forschung wahrscheinlicher als es den Menschen lieb und in den siebziger Jahren vorhersehbar gewesen ist. Ein bulgarischer Forscher hat einen Virus entwickelt, der freigelassen die Sauerkrautvorräte der Deutschen vernichten und sie so zur Aufgabe zwingen kann. Von Bork gelang es, das Virus zu vernichten und die entsprechenden Unterlagen zu stehlen. Damit wären je nach Laune der Protagonisten sowohl die Rindfleischvorräte oder gar die Bierlager der englischen Truppen bedroht, sowie im schlimmsten Fall gäbe es in Schottland kein Malz zur Whiskeyproduktion mehr. Holmes und Watson werden umgehend nach Afrika in Marsch gesetzt. An Bord zweier Flugzeuge begegnen sie neben verschiedenen obligatorischen Gefahren wie deutschen Jagdfliegern oder der berüchtigten Luftkrankheit einer Handvoll extrem exzentrischer bis gefährlicher Piloten. Hinter den Masken verbergen sich nicht zum letzten Mal in dieser Novelle berühmt- berüchtigte Pulphelden anderer Autoren. Während ein Pilot sich letzt- endlich als deutscher Spion herausstellt, ist der den Russen geliehene Kentov in der Lage, die Helden in die Nähe des Zeppelins zu bringen, mit dem Von Bork wahrscheinlich aus Kairo geflohen ist. Warum die Engländer das Zeppelin angesichts der Umlagerung der Stadt nicht abgeschossen haben, wird von Farmer nicht weiter erläutert. Am Ende dieser mehr als ein Drittel der Novelle einnehmenden Odyssee landen sowohl die beiden Protagonisten - trotz ihrer mehr als jeweils sechzig Jahre auf dem Buckel entpuppen sie sich in vielen entscheidenden Szenen als ausgesprochen beweglich - wie auch die Antagonisten unter der Leitung Von Borks im Dschungel, der von einem eher an ein wildes Tier erinnernden Greystoke dominiert wird. Aufgrund der Ermordung seiner Frau und seines Sohnes durch die deutschen Truppen beginnt Tarzan aus Rache mit Von Borks Männern ein perfides Katze- und Mausspiel, während Holmes und Watson von Einheimischen - mehr als eine Anspielung auf Haggards Afrika Abenteuer - gefangen genommen werden.
Wie schon angedeutet ist "The Peerless Peer" keine klassische Holmesgeschichte. Farmer integriert seine beiden Figuren in ein Abenteuergarn, das exotisch, absurd bis teilweise absichtlich klischeehaft überzogen und spannend zu gleich ist. Die grundlegende Handlung ist ausgesprochen stringent angelegt und bis zum finalen Showdown können Holmes und Watson auf die Ereignisse nur reagieren. Dabei reicht der Bogen von dem unterbrochenen Flug gen Afrika - der eine Pilot hat Visionen, von gigantischen Tieren, welche das Flugzeug angreifen und an Burroughs Abenteuer in einem Land vor unserer Zeit erinnern - über den Absturz im Dschungel- hier klärt Watson den angewiderten Holmes über seine Lektüre der ersten "Tarzan" Abenteuer und damit indirekt über die Identität des möglichen Greystoke Nachkommen beschämt auf - , der Stadt imn Dschungel bis zur finalen Auseinandersetzung, die eher Züge eines "Doc Savage" Abenteuers trägt. Farmer nimmt seinen Text nicht ernst und der Leser sollte auf jeden Fall auch nicht tun. Während die verschiedenen Actionszenen durchaus blutig sein, kann der Leser insbesondere bei der Überzeichnung Tarzans - er präsentiert sich als klassischer Wilder, der eine Schlange roh verspeist - eher schmunzeln. Dabei geht Farmer insbesondere mit Holmes und Watson respektvoll um. Der Amerikaner kennt die Grundregeln einer erfolgreichen Holmesgeschichte und macht sich ein sichtliches Vergnügen daraus, sie kontinuierlich zu brechen. Während Holmes ohne Frage der agilere Part ist, nachdem er wieder festen Boden unter den Füßen hat, dient Watson als eine Art Reflektionsfläche des Lesers, in der sich die unzähligen Anspielungen Farmers zu der vorliegenden stringenten Handlung vereinigen. So treffen die beiden Helden nicht nur auf Kent Allard alias "The Shadow", sondern auf eine heute eher unbekannte Pulpfigur "The Spider". John Drummond ist Tarzans Adoptivsohn Korak. Lord John Roxton hat in Doyles "Die verlorene Welt" mitgespielt, während Alan Quatermain in Haggards Romanen die verlorene Stadt Zu- Vendis gesucht und besucht hat. Das Watson und Holmes gleichzeitig die Widersprüche in Burroughs Originalgeschichte hinsichtlich der Identität Tarzans klären, ist ein Höhepunkt der vorliegenden Novelle. Wie schon angesprochen hat Farmer ein sichtliches Vergnügen daran, möglichst viele Anspielungen in den Text einzubauen und die entsprechend entliehenen Charaktere auch exzentrisch auftreten zu lassen. Wenn "The Shadow" schon seinen markanten Mantel und seinen berühmten Hut im Ersten Weltkrieg trägt, dann wirkt diese Hommage konstruiert und effektiv zu gleich. An einigen Stellen droht sich der Amerikaner in seinem Versatzspiel zu verlieren und die Handlung treibt eher Zufalls bedingt dahin - wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, während eines gigantischen Sturms das Zeppelin zu finden, an Bord dessen sich der gesuchte Von Bork befindet ? -, aber gegen Ende der unterhaltsamen Novelle gibt Farmer seiner Geschichte die Sporen und bietet auf viele Fragen auch zufriedenstellende Antworten.
Farmer ist ein visueller Autor, der von exotischen Beschreibungen genauso lebt wie den pointierten, nicht selten doppeldeutigen Dialogen, die Ben Sonntag sehr gut ins Deutsche übertragen hat.
Win Scott Eckert geht in seinem informativen Nachwort intensiver auf die einzelnen Zusammenhänge zwischen den fiktiven und dank Farmers Talent doch so real erscheinenden Figuren ein. Dabei muss allerdings angemerkt werden, dass "Sherlock Holmes und die Legende von Greystoke" in erster Linie eine würdevolle Parodie ist und Farmer mittels verschiedener Übertreibungen weniger eine ernstzunehmende Abenteuergeschichte, sondern eine exzentrische Hommage an die Zeit der Pulps beginnend im viktorianischen England schreiben wollte. Die Reaktionen auf die verschiedenen Überhelden, denen Watson und Holmes begegnen und die insbesondere auf der Reise nach Afrika mehr Schaden anrichten als das sie England Nutzen bringen, sind einzigartig. Am Rande des Slapsticks entlang gleitend - hier seien die zahllosen Verweise auf Holmes Luftkrankheit genauso erwähnt wie die von Watson in seinem Manuskript "gestrichene" Passage mit den "Toiletten"räumen an Bord der Flugzeuge - trifft Farmer des aus heutiger Sicht überzogen übertriebenen Stil der Pulpgeschichten mit ihrer Technikverherrlichung sehr gut. Während Tarzan alias Greystoke eher der Barbar mit britischen Adelswurzeln ist, der auf blutige Rache an den Deutschen sind, erinnern Holmes und Watson an die Pastiche, die zum Beispiel ein Nicolas Meyer wenige Jahre nach Farmer schreiben sollte. Manche selbst entlarvende Beschreibungen richten sich gegen Holmes und Watson und negieren die Theorie, dass der ehrenwerte Doktor wirklich dieses Abenteuer in dieser Form niedergeschrieben haben könnte. Es wäre allerdings ein wenig zu viel des Bösen gewesen, einen anderen Erzähler - da gibt es in den Pulpgeschichten viele, die in Frage kämen - als einen begabten Fälscher von Watson/ Holmes Geschichten durch Farmer als Herausgeber entlarven zu lassen.
Andere Newtonarbeiten wie "Lord Tyger" oder "Das andere Log des Philias Fogg" sind mit mehr Respekt den Vorlagen gegenüber niedergeschrieben worden. Sie verfügen über stringentere Handlungsfäden und können auch als alleinstehende Abenteuergeschichten denn Absurditäten im positiven Sinne überzeugen. Die vorliegende Novelle wirkt dagegen eher wie eine gelungene Fingerübung, mit der Farmer der Welt beweisen wollte, wie viel "Held" in einen Text passt. Es macht aber trotz der vielleicht ein wenig zu einfach gehaltenen Handlung, die aber impliziert die Mechanismen der Pulpabenteuer drastisch wie dramatisch zusammenfasst, viel Spaß, die zahlreichen, dank der guten Fußnoten ausreichend erklärten Hintergründe zu finden wie Holmes und Watson nach Afrika zu folgen.

Titelbild: Mark Freier
Übersetzung: Ben Sonntag
Originaltitel: The Adventure of the Peerlees Peer
A5 Paperback, ca. 130 Seiten, ISBN 978-3-86402-066-7.
Hinweis: Parallel erschienen eine Hardcover- und eine eBook-Ausgabe.

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