Frankensteins Fabrik

Edward D. Hoch

Im Laufe seiner langen Karriere hat Edward D. Hoch mehr als eintausend Kurzgeschichten und Romane geschrieben. Bei den meisten seiner Texte handelt es sich eher um klassische Kriminal oder Thrillergeschichten. Er mehrere Detektivfiguren entwickelt, von denen einer sogar zweitausend Jahre alt ist. Dazu kommen aber auch sehr viele Mysterystories und vor allem mehr als eine Handvoll von Science Fiction Romanen, immer dicht an das Krimigenre angelegt. Hinzu kommen einige sehr gute Sherlock Holmes Geschichten. Nur wenige seiner längeren Arbeiten erschienen vor allem in den siebziger Jahren in unterschiedlichen Reihe in Deutschland. In den USA hat die Mystery Press begonnen, zumindest Teile von Edward D. Hochs umfangreichen Werk in extra zusammengestellten Bänden wieder der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen.

 „Frankensteins Fabrik“ ist 1975 in den USA veröffentlicht worden. Der Diogenes Verlag hat den Roman erst zwölf Jahre später veröffentlicht, was einige der politischen Thesen inklusiv der Hinweise auf einen möglicherweise eingefrorenen Ex Präsidenten antiquiert erscheinen lässt. Edward D. Hoch lässt aber die Identität des “Toten“ offen. Da die Menschen aber noch lebendig eingefroren werden müssen, wird positiv auf weitere Verschwörungstheorien hinsichtlich John F. Kennedys verzichtet. Interessant ist, das keiner der Protagonisten an ihn auch nur einen Gedanken verschwendet.  Auch wenn die Geschichte zu Beginn des 21. Jahrhunderts allerdings auf einer abgeschieden gelegenen Insel spielt, ist der einzige technische Fortschritt die Erfindung von gut in der Hand liegenden Lasern. Aus heutiger Sicht wäre selbst die medizinische Entwicklung keine Utopie mehr. Edward D. Hoch ist sich bei diesem Roman seiner Vorlagen ganz bewusst und erwähnt sie auch. Agatha Christies „Zehn kleine Negerlein“ bildet die Grundlage. Das Szenario ist nicht unbedingt negativ gesprochen so bekannt, dass Edward D. Hoch dessen Muster nicht sonderlich extrapolieren muss. Und gerade deswegen ist ein so spannender Roman heraus gekommen, der dem Leser eine Vertrautheit mit dem Plot suggeriert, um ihm dann immer wieder den Boden unter den Füßen weg zu ziehen.

 Der Medizinfotograf Earl Jazine wird in letzter Minute von Dr. Hobbes auf eine vor der Küste Kaliforniens liegende Insel bestellt. Er soll dessen spektakuläre Operation fototechnisch festhalten. Jazine hat aber einen zweiten Auftrag. In Wirklichkeit arbeitet er für die amerikanische Regierung und soll auf diese Art und Weise hinter die Kulissen von Dr. Hobbes geheimer Organisation schauen. Der Titel suggeriert, dass es sich um eine Frankenstein Hommage handelt. Das ist auch im eingeschränkten Maße richtig, denn Hobbes schafft nicht aus totem Fleisch neues Leben, sondern hat auf der Insel eine beschränkte Zahl von Menschen vor vielen Jahren eingefroren, die auf diese Art und Weise relative Unsterblichkeit erlangen wollen. Jetzt will er einen jungen Mann „auftauen“. Er ist an einem Gehirntumor gestorben. Neben einem neuen Gehirn müssen von anderen Eingefrorenen weitere Organe verpflanzt werden. Beginnend mit der exotischen Insel wirkt dieser Roman aber auch wie eine Hommage an H.G. Wells „Die Insel des Dr. Moreau“ mit den unheilvollen Experimenten, deren Idee nicht die Verlängerung, sondern im die Grunde die Pervertierung des Lebens ist. Angeblich haben die gigantischen Kühlanlagen das Klima auf der Insel verändert und so den exotischen Pflanzenwuchs bewirkt. Hobbes hat ein exzellentes Team von Spezialisten zusammengestellt. Hinzu kommt eine angeblich reiche Gönnerin, deren Ziel wirklich die Unsterblichkeit ist. Die kleine Gruppe wird von einer taubstummen Haushälterin sprich Dienerin abgerundet. Die Operation gelingt, Frankenstein Kreatur zeigt stabile Lebenszeichen.

Bevor die Ärzte feiern können, wird das einzige Boot zerstört und beginnend mit der reichen Gönnerin scheint jemand das Team auf brutale Art und Weise reduzieren zu wollen. Ein Kampf ums Überleben beginnt, wobei die ersten Verdachtsmomente natürlich auf die Kreatur fallen, der das Gehirn eines Mörders aus Mitleid und späteren versuchten Selbstmörders eingepflanzt worden ist. In dieser Hinsicht folgt Edward D. Hoch absichtlich den Klischees und wiegt den Leser in potentieller Sicherheit.

Zu den Stärken des Romans gehört ohne Frage, dass trotz der sehr strukturierten Handlung vor allem die Figuren überzeugen. Im Verlaufe ihrer Tage auf der Insel und vor allem der verzweifelten Bemühungen, das Festland auf sich aufmerksam zu machen, erkennen sie, das alle mehr oder minder ein Geheimnis mit sich herumtragen. Auch das sollte keine Überraschung sein. Viel interessanter ist, das Edward D. Hoch sie wie bei Agatha Christie ihre Lebensgeschichte erzählen lässt, es aber im Grunde keine neutrale Prüfinstanz in Form des allwissenden Detektivs gibt, der diese Theorien gegen die Wirklichkeit prüfen kann. Es bleibt dem Leser alleine übrig, auf die Fähigkeit und das Wissens des „Helden“, den Spezialagenten Jazine zu vertrauen. Dieser ist aber noch nicht lange genug im Dienst, um wirklich alles zu durchblicken. Obwohl sich Edward D. Hoch einigen Klischees bedient und vor allem in einigen Szenen – das Duell oder die langen Sequenzen mit einem futuristisch wirkenden, den Science Fiction Charakter dieser Story überbetonenden Spiel – den Bogen des Realismus zur Satire zu überspannen scheint, wirken seine Figuren zumindest zweidimensional, einige sogar dreidimensional. Im Mittelteil werden die Zusammenhänge zwischen ihnen nach und nach in erster Linie widerwillig aufgedeckt. In Hinblick auf das sehr abrupte, einem Horrorfilm entsprechende Ende wirkt diese überlange Exposition übertrieben, aber es vermittelt dem Leser zumindest den Eindruck, es mit Menschen zu tun zu haben.

 

Der Spannungsbogen ist überzeugend aufgebaut. Ohne wie in den Slasherfilmen die Figuren in die Isolation zu treiben, erfolgen die ersten Morde und das Auffinden der Leichen kontinuierlich unter glaubwürdigen Umständen. Natürlich fällt der Verdacht zuerst auf die Frankenstein Kreatur. Wie es sich für derartige Geschichte gehört, ruht der Frank genannte Körper ruhig im Operationsraum und schläft. Mit jeder Entdeckung erweitert sich der Kreis der Verschwörung. Dabei reicht der Bogen von offensichtlich gefälschten Geschäftsbüchern über umfangreichen Betrug bis schließlich zu einer überdramatisierten Eifersuchtsgeschichte, in welcher Hoch den Bogen überspannt. Anstatt ein angedeutetes Dreiecksverhältnis mit einem eifersüchtigen Ex Geliebten auszubauen, führt der Autor dem Machogehalt des Detektivgenres folgend eine weitere Liebesbeziehung ein, die vor allem in Hinblick auf die immer bedrohlicher werdende Atmosphäre und die stetig sinkende Zahl von Überlebenden ein wenig zu aufgesetzt erscheint. Der Sex wird mit einer Mischung aus Voyeurismus und Zurückhaltung beschrieben.

Nachdem im Mittelteil im Grunde alle Fronten bis auf den Täter geklärt worden sind, zieht der Autor das Tempo gegen Ende noch einmal deutlich an und erfreut sich, einige Klischees des Horrorfilms einzubauen und auf die bislang auch den Agatha Christie/ Poirot Geschichten folgende Grundstruktur positiv zu verlassen. Da bis auf den Helden alle Figuren entbehrlich sind und einige mit sehr viel Liebe aufgebaute Protagonisten eher sterben als die manchmal sehr stereotyp gezeichneten anderen Wissenschaftler sowie „Tod“ nicht gleich Tod ist, verfügt Edward D. Hoch über sehr viel mehr Instrumente als der Leser es angesichts der Exposition unabhängig vom Science Fiction Gehalt der Geschichte vermutet hätte. Die Auflösung ist zufrieden stellend, wobei der Autor an einer Stelle auch zu einer kleinen „Deus Ex Machina“ Lösung greift, die in dieser Form vom Leser nicht vorhersehbar gewesen und deswegen akzeptabel ist. Es ist aber die einzige wirkliche Schwachstelle einer sehr stringent verfassten Science Fiction Kriminalgeschichte, in welcher sehr konzentriert und wie eingangs erwähnt auch die unterschiedlichen Vorlagen immer im Auge behaltend die verschiedenen Genres zusammengerührt, gut geschüttelt und dann auf eine überraschend intensive, atmosphärisch überzeugende und vor allem erstaunlich spannende Art und Weise präsentiert werden. „Frankensteins Fabrik“ ist ein Roman der sechziger und siebziger Jahre. Es ist keine moralische Geschichte mit einem überdimensionierten Zeigefinger, der vor moralisch fragwürdigen Fortschritt – die erste Herzoperation fand ja auch im rechtsfreien Raum statt – warnt, sondern ihn als integralen Teil einer klassischen Krimihandlung nutzt, um solide wie spannend zu unterhalten.      

The Frankenstein Factory, 1975

Dt. Erstausgabe

Aus dem Amerikanischen von Monika Elwenspoek

Diogenes Verlag, Zürich 1987,

Cover: Tomi Ungererdetebe 214 S. .