Schuss aus dem Mikrophon

Edward D. Hoch

Der Ullstein Verlag hat Edward D. Hochs Krimi „The Shattered Raven“ aus dem Jahr 1969 zehn Jahre später für die deutsche Erstausgabe sehr unglücklich aufbereitet. Der deutsche Titel suggeriert die Todesmethode, die Edward D. Hoch erst nach einem guten Drittel der Handlung offenbart. Der Untertitel „Ein Krimi für Fans“ impliziert, dass der Plot nicht unbedingt ernst genommen werden muss, das Gegenteil ist der Fall. Hinzu kommt auf dem Klappentext der richtige Hinweis, das ein Mord während des Dinners der wichtigsten und realen Krimischriftstellervereinigung durchgeführt wird. Falsch ist aber der Wettlauf zwischen der New Yorker Polizei und den geistigen Vätern weltbekannter Detektive wie Ellery Queen oder Nero Wolfe. Es gibt Hinweise daraus, dass Rex Stout an diesem abendlichen Dinner teilgenommen hat. Auch wird zumindest eine Hälfte des unter dem Pseudonym schreibenden Autorenduos Ellery Queen erwähnt, aber in erster Linie muss der Präsident der Vereinigung Barney Hamet – auf seinen Nachnamen wird  Bezug genommen – den Fall lösen.

Edward D. Hoch plaudert auch ein wenig aus dem Nähkästchen. In den sechziger Jahren hat er lange Zeit die „Best of“ Anthologien aus dem Genre Mystery und Krimis/ Thriller herausgegeben. Er ist Mitglied dieser Organisation gewesen. Und viele Elemente des Romans kleben so weit wie möglich an der Wahrscheinlichkeit. Aber vor allem stellt er viele Gesetze des Genres absichtlich auf den Kopf und präsentiert doch einen sehr literarischen, klassisch aufgebauten Krimi in der Tradition Agatha Christies. Dessen ist er sich bewusst und nutzt die Erwartungshaltung der Leser förmlich aus. Gleich im Auftaktkapital wird das Motiv präsentiert. Erpressung. Ein berühmter, aber lokal agierender Talkshow Mann wird von einer Frau mit einer wilden Woche in seiner Jugend erpresst. Seine Verbrechen sind inzwischen verjährt. Er will nicht auf die Erpressung eingehen. Aber er hatte einen Komplizen, dessen Taten nicht verjährt sind. Das erste Opfer Ross Craigthorn möchte sein Gewissen ausgerechnet auf dem Dinnerabend der Mystery Autoren erleichtern, auf dem er zum Leser des Jahres gekürt wird. Und wie der Titel deutlich macht, wird er mit einem Schuss aus einem Mikrophon förmlich vor seinem Publikum hingerichtet, als er über den Sommer 1947 berichten möchte. Obwohl die Polizei in dem Fall recherchiert, nimmt es der ehemalige Privatdetektiv und eher Gelegenheitsautor, aber Präsident der Vereinigung Hamet sehr persönlich und beginnt mit der attraktiven, wie ein wenig frigiden Journalistin Susan Veldt auf eigene Faust zu ermitteln, was der Mörder unbedingt verhindern möchte.

 Edward D. Hochs Krimi sollte zweigeteilt betrachtet werden. Da wäre zum einen der Hintergrund. Viele Passagen wirken wie eine Einführung in die Welt der Krimiautoren und ihrer Vereinigung. Neben den verschiedenen Publikationsmöglichkeiten widerspricht Hoch einigen Klischees von den durchgehend reichen und verwöhnten Autoren. Zwar schildert er den Verdrängungswettbewerb und das gegenseitige Misstrauen nicht so drastisch, wie es vielleicht einige andere Autoren sehen und grundsätzlich ist der Amerikaner auch sehr nett zu seinen Kollegen, aber beginnend mit der Geschichte der „Edgars“ und der „Raven“ Preise konzentriert sich Hoch nebenbei auf eine Historie der Kriminalromans beginnend eben bei Edgar Allen Poe. Dazu wird ein wandelndes Lexikon des frühen Kriminalgenres immer nebenbei bemüht, das vordergründig bei den Ermittlungen helfen soll. Während einer Nightshow im Radio gehen die beteiligten Autoren, Herausgeber, Verleger und Agenten noch einmal auf den Stand des Genres ein. Mit der Reporterin Susan Veld,  die für das „Manhattan“ Magazin über alle wichtigen Preisverleihungen der Stadt berichten soll, verfügt der Roman auf der informativen Ebene über einen zweiten Mittler zum Leser. Vielleicht wirkt die Liebesgeschichte ein wenig zu bemüht, auch wenn sich Edward D. Hoch bemüht, gegen alle Klischees zu schreiben. Susan Veld ist zwar eine sehr attraktive wie intelligente Frau, deren emotionale Beziehungen – zwei – bislang eher in Katastrophen geendet haben, so dass sich den Avancen von Hamet mit einer Mischung aus Anziehung und Angst gegenüber steht. Hamet selbst ist eine interessante Mischung aus allgegenwärtigen Präsident der Gesellschaft, gescheiterter Autor und schließlich auch ehemaliger Privatdetektiv, dem es allerdings in diesem Fall nicht einmal sonderlich schwer gemacht wird, die vielen losen roten Enden miteinander zu verknüpfen. Die Polizei spielt immer zwei Schritte hinter dem ehemals professionellen Hobbyermittler keine große Rolle.

 Damit soll nicht zum Ausdruck gebracht werden, dass Edward D. Hoch vor dem schillernden Hintergrund einen simplen Fall zusammengestellt hat. Mit der Bekanntgabe des Motivs und im Grunde auch des Namens des Täters widerspricht er den Traditionen des Kriminalromans und gibt dem Leser einen sehr deutlichen Wissensvorsprung. Das Motiv wird dabei eher ambivalent behandelt. Es ist mindestens ein Verbrechen in dieser Woche des Jahres 1947 geschehen, das auch zwanzig Jahre später nicht verjährt ist. Der Name des Täters ist dem Leser bekannt, zumal Edward D. Hoch seine Geschichte aus wechselnden Perspektiven immer in der dritten Person erzählt. Aber der Leser kann mit diesem Namen nichts anfangen, da sich sowohl das spätere Mordopfer als auch der Täter umbenannt haben. Die einzige Zeugin hat auch nur einen der beiden damaligen „Täter“ in New York auffinden können. Trotzdem könnten diese Fäden der Vergangenheit schnell zu einer Schlinge werden. Die Ermittlungen führen Hamet und Veldt sogar in deren ländliche Heimat, wo sie im Grunde in eine Sackgasse laufen. Erst rückblickend erkennt der Leser dank Hamets in klassischer Detektivmanier vorgetragenem Schlussplädoyer, dass der „überlebende“ Täter nur die Chance gehabt hat, neben der Erpresserin auch Hamet und Veldt zu töten. Jede seiner anderen Handlungsweisen hätte nicht unbedingt sein Motiv, aber zumindest seine Bekanntschaft zu einem der Guten bewiesen. Edward D. Hoch geht aber noch einen Schritt weiter. Wie Agatha Christie und Arthur Conan Doyle in vielen seiner Kanongeschichten ist es ihm wichtig, einen stringenten Kriminalroman zu präsentieren und den Täter nicht nur auf dessen Handlungsebene vorzustellen, sondern unbemerkt für das Lesepublikum, aber rückblickend vollkommen logisch und nachvollziehbar in die Handlung einzubeziehen. Alle Hinweise sind fair ausgestreut, wobei wie in jedem guten Krimi das Offensichtlich hinter dem Realen zurück tritt. Lange Zeit ist der Hinweis mit dem „The Shattered Raven“ richtig und doch falsch zugleich. Erst mit einem zweiten Hinweis sowie einer ausgesprochen guten literarischen Kenntnis der Frühwerke eines nicht unbedingt zu den direkten Kriminalautoren zählenden Schriftstellers fallen schließlich die Versatzstücke sehr gut zusammen und überführen den Täter.

Beginnend mit der langen Exposition hat Edward D. Hoch sein Buch ausgesprochen gut strukturiert. Der erste tatsächliche Mord findet erst nach einem Drittel der deswegen nicht unspannenden oder gar uninteressanten Handlung statt. Der zweite Mord knappe dreißig Seiten weiter. Dazwischen beschäftigt sich der Amerikaner mehr mit den Krimiautoren und ihrer jährlichen Vereinigung, immer den Fall im Auge behaltend. Vielleicht macht Edward D. Hoch zu wenig aus der Möglichkeit, dass einer der anwesenden Autoren der Täter sein könnte, aber auf der anderen Seite manipuliert er die Leser auch entsprechend, da ein sehr kleiner Täterkreis – sie kommen aufgrund einer während der Radiosendung präsentierten Informationen im Kern nur in Frage – später logisch und für den Leser nachvollziehbar sogar wieder erweitert werden kann. Ohne Hamet über Gebühr in den Mittelpunkt zu stellen, agiert er erst gegen Ende als klassischer Detektiv und fügt nach einem Anschlag auf sein eigenes Leben die wenigen Versatzstücke dank des mehrfach angesprochenen Hinweises des ersten Opfers wieder zusammen. Ob dieser in dem Augenblick, in dem er überraschend von dem Schuss aus dem Mikrophon tödlich getroffen, wirklich noch einen versteckten und doch offensichtlichen Hinweis hinsichtlich der Identität seines Mörders geben könnte, sollte hier nicht weiter diskutiert werden. Der Roman braucht diesen Katalysator, um ermittlungstechnisch funktionieren zu können und diese dichterische Freiheit sollte der Leser einem routinierten wie im vorliegenden Band auch inspiriert agierenden Autoren wie Edward D. Hoch zugestehen, damit seine Mischung aus klassischen Mordfall und dem exotischen , aber nicht bis zum Ende zufrieden stellend genutzten Hintergrund der Kriminalautorenvereinigung auch nachhaltig genug funktionieren kann. Kurzweilige Unterhaltung bietet der gut geschriebene Roman immer mit einem kleinen Augenzwinkern im Hintergrund auf jeden Fall.

 

 

 

 

Originalausgabe 1969

„The Shattered Raven“,

deutsche Ausgabe erstmals 1979

155 Seiten Ullstein

ISBN 3-548-11352-4

Übersetzung ins Deutsche von Mieke Lang.

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