Im Banne des Mächtigen

Alexander Röder

Am Ende von „Im Bann des Mächtigen“ – dem ersten von vier Romanen Alexander Röders- versucht Hadschi Halef Omar seinen Kara Ben Nemsi nicht wie bei Karl May vom wahren Glauben, dem Islam, zu überzeugen, sondern von der Möglichkeit, dass es tatsächlich in dieser Welt Magie geben kann. Kara Ben Nemsi antwortet trotz der zahlreichen übernatürlichen Erlebnisse eher wie das bekannte Orakel, das noch auf eine natürliche Erklärung hofft. Wer aber nach der Lektüre dieses ersten Buches denkt, entweder eine billige Imitation von Karl Mays sechsbändigen ersten Orientzyklus mit der Jagd auf den Schut in Händen zu halten oder ein reines Fantasy Abenteuer, der irrt in beiden Punkten. Sehr geschickt und fast unauffällig mehr und mehr dominierend hat Alexander Röder die so typischen und doch ein wenig anderen Reiseabenteuer Kara Ben Nemsis und seiner treuen Freunde mit Elementen der griechischen Mythologie oder Ereignissen aus „1001 Nacht“ sehr respektvoll, aber auch spannend miteinander verbunden.

Auch wenn die Geschichte nicht mit der Entdeckung eines Toten in der Salzwüste beginnt, sondern mit der Verfolgung eines Diebes durch den übervollen Basar in Basra seinen Anfang nimmt, folgt Alexander Röder seinem Vorbild Karl May. Die Handlung spielt zwar einige Zeit später im Jahre 1874 und am Ende der Jagd nach einem Schurken namens Al-Kadir stellt sich heraus, dass der zwei Jahre vorher in einen Abgrund gestürzte Erzschurke - Der Schut - wahrscheinlich noch lebt und zusammen mit Al- Kadir (ihre Verbindung wird erst in der Fortsetzung „Der Fluch des Skipetarnen“ intensiver beleuchtet) wieder an seinen Plänen arbeitet, Herrscher über zumindest einen großen Teil des zerfallenden osmanischen Reiches zu werden. Bis zu der finalen Auseinandersetzung zumindest mit Al- Kadir nutzt Alexander Röder den ihm zur Verfügung stehenden Erzählraum, um ein breites, farbenprächtiges, aber auch spannendes Abenteuergarn nieder zu schreiben, das sich stilistisch deutlich von Karl May unterscheidet.

Der größte Unterschied zum Original sind die fehlenden Dialoge, mit denen Karl May manchmal die Handlung nicht vorangetrieben, sondern seine Leser nur glänzend unterhalten hat. Röder trennt sich als Erzähler ein wenig mehr von seinem Ich- Erzähler Kara Ben Nemsi, um mittels längerer Beschreibungen; aufklärenden bis manchmal auch ein wenig aus heutiger Sicht belehrenden Exkursen und schließlich auch inneren Gedankenspielen die Handlung voranzutreiben. Die einzigartig wie fiktive Verbindung zwischen dem Autoren Karl May und seinem Alter Ego Kara Ben Nemsi oder Old Shatterhand kann und will Alexander Röder in dieser Form nicht kopieren. Er wäre schriftstellerisch wahrscheinlich auch zum Scheitern verurteilt. Statt dessen traut sich der in Marbung lebende Autor, einen Schritt zurück zu treten und Kara Ben Nemsi manchmal an den Dingen zweifeln zu lassen, denen er auf dieser Reise in Form von Wundern, aber auch Antagonisten begegnet. So wird der Leser vorsichtiger in diesen nicht selten aus anderen Quellen vertrauten Kosmos eingeführt.

Ohne Frage etabliert der Autor seinen "Sachsen" als einen einzigartigen Reiseschriftsteller, der nur selbst Erlebtes seinem inzwischen in Bamberg und nicht mehr in Dresden beheimateten Verlag zur Veröffentlichung darreicht. Und die Texte sind nicht nur selbst erlebt, sondern selbst niedergeschrieben. Diese Unterschiede gegenüber den originalen Reiseabenteuern betont Kara Ben Nemsi zu Beginn des zweiten Romans überdeutlich, wenn er sich von Dime- Autoren wie Buffalo Bill und ihren Ghostwritern abzugrenzen sucht. Auch wenn diese vordergründige Distanz zwischen Erzähler und „Erlebender“ auf den ersten Blick irritiert, löst Alexander Röder das Problem sehr intelligent mit einem dynamischen Auftakt – der erste magische Augenblick könnte noch als Fehleinschätzung durchgehen – und anschließend einem sehr gut strukturierten Handlungsgarn, in welchem der Autor nicht nur auf die erwähnten Kara Ben Nemsi und Hadschi Half Omar, sondern auch den britischen Adligen Sir David Lindsay eingeht, dem natürlich auf dem Basar in Basra seine Geldbörse gestohlen worden ist. Alexander Röder hat diese altbekannten Figuren sehr gut im Griff und hält sich sehr eng an die literarischen Vorlagen. Diesen Effekt erreicht er in mehrfacher Hinsicht. Viele der Episoden kommen dem Leser auf der einen Seite bekannt vor, auf der anderen Seite sind sie sorgfältig modernisiert und deutlich flotter erzählt worden. Um diese drei markanten Figuren der Originalromane hat Alexander Röder aber neue Charaktere platziert, die das Geschehen beleben. Während der treue türkische von den Banditen befreite Diener und Koch Abdi eher dem Klischee des Comic Relief mit tapfer, aber auch ein wenig vorlaut dumm entspricht, ist es der Dieb/ die Diebin Djamila, die mit ihrer tapferen, tollkühnen natürlich auch frechen Art das Geschehen sehr gut belebt. Im Gegensatz zum manchmal ein wenig stoischen Pragmatiker Kara Ben Nemsi und den bis auf seine Sprüche nicht immer wirklich effektiv nach einem guten Auftakt eingesetzten Hadschi Halef Omar ist sie nicht nur ein sehr belebendes, vor allem auch jugendliche Leser auf eine nicht herablassende Art ansprechendes Element, sondern ein guter Resonanzboden für einige sowohl Karl Mays als auch Alexander Röders Erzähltypus auszeichnende Exkurse. In ihrer Person schlägt der Autor sogar den Bogen zu Hadschi Hales Omars Frau und ihrer Tochter. Vielleicht beugt der Autor in diesen Situationen den Zufall ein wenig zu sehr, aber auf der anderen Seite baut er auch wieder wichtige Szenen aus den Originalromanen unauffällig wie effektiv in die laufende Handlung ein.

Der wichtigste neuste Aspekt ist natürlich die Magie, sowie eine kritische Auseinandersetzung mit den eher rücksichtslosen Briten, die Banditen umgehend hinrichten lassen und sich als arrogante Platzhalter aufspielen. Während die Briten ein wenig wie Fremdkörper erscheinen und in ihrer Art selbst dem gutmütig naiven Sir Davids Linsday suspekt sind, dringt die Magie nach und nach in den Roman ein. Die erste Begegnung ist das magische Zelt, das aus einer Tasche kommend mit einem anderen Zeitablauf gesegnet, den Helden in Bedrängnis Schutz schenkt. Dann kommt eine leuchtende Kugel hinzu, die Halef mehrmals nutzen muss und schließlich im Schlund des Baals ein weiterer Hinweis nicht nur auf den Pagsos, das legendäre fliegende Pferd, sondern auf die Machtbasis des gefürchteten Al- Kadirs. Es ist eine Burg mitten in der Wüste. Die finale Auseinandersetzung erreicht die intensive Originalität der besten positiv gesprochen Indiana Jones Geschichten, auch wenn die Grundidee mit dem Schachspiel nicht gänzlich originell ist.In diesem Punkt sei auf Robert Krafts "Atalanta" verwiesen. In dem Kolportageromane muss die Protagonistin Atalanta gegen die Nachkommen der degenerierten Lemurer um ihr Leben spielen. Sollte es eine Hommage an diesen Klassiker des frühen phantastischen Abenteuers sein, dann wird sie vor allem die Sammler und Robert Kraft Fans ansprechen.  Und Karl May würde angesichts der Rivalität zwischen den beiden Autoren zu ihren Lebzeiten im Grab routinieren. 

Alexander Röder sucht immer wieder einen direkten Ausweg aus einer literarischen Enge, in die er sich angesichts der zahlenmäßigen Überlegenheit der Männer Al- Kadirs und dem auch von Karl May manchmal zu oft genutzten Aspekt der Entführung hineingeschrieben hat. Zumindest bleibt der Marburger sehr konsequent bei der Entwicklung der magischen Elemente und zeigt deutlich auf, das diese Magie in dieser direkten Form auch für den leicht gläubigen Hadschi Halef Omar ein neues Element ist, während Kara Ben Nemsi die einzelnen „Fakten“ vielleicht ein wenig zu neutral aufnimmt, ihnen aber in der bekannten wie markanten Art zu begegnen sucht. Das „offene“ Ende mit einem neuen Reiseziel und einem weiteren Schurken bildet eine zufriedenstellende Überleitung zum nächsten Abenteuer und folgt auch wieder der Tradition Karl Mays, der wie kaum ein anderer Reiseschriftsteller dieser Epoche seine Leser an sich zu fesseln suchte.

 Aber Alexander Röder ist nicht nur Karl May verpflichtet. Thomas Le Blanc deutet es in seinem kurzen, aber prägnanten Nachwort an. Es werden mehr und mehr literarische Querverweise in die Romane einfließen und Karl Mays Universum erweitern. Auffällig ist die Würdigung des Jules Verne Anhängers und lebenslangen Sammlers von phantastischer Literatur Wolfgang Thadewald, natürlich ansässig an der Universität Hannovers, der Kara Ben Nemsi den literarischen Schlüssel zum Sieg im finalen Duell in die Hand drückt. 

Auch Jules Verne als populärer Autor phantastischer „Reiseromane“ wird kurz wie prägnant in die laufende Handlung als gern gelesener Gast eingebaut. In der Fortsetzung würdigt Kara Ben Nemsi dann den Baron Münchhausen, dessen „Lügengeschichten“ er mit sehr viel Vergnügen gelesen hat. Es ist ein schmaler, aber erfolgreicher Grat, auf dem sich Alexander Röder bewegt. Die Hintergrundinformationen werden komprimiert, lebensnah und vor allem meistens unauffällig lehrreich präsentiert. Dazu kommen die ausgesprochen, effektiv niemals den Grundtenor eines Abenteuerreiseromans durchbrechenden magischen Elemente in die Handlung eingebaut. Atmosphärisch erweckt Alexander Röder wie Jörg Kastner in seinem „Hadschi Halef Omar“ Karl Mays im Grunde schon märchenhaft verklärten, unrealistischen Orient zu einem erstaunlich dreidimensionalen Leben. Im Gegensatz zu Jörg Kastner, der an einigen Stellen ein wenig zu modern ausgebrochen ist, bleibt Alexander Röder mit seiner Geschichte sehr konsequent positiv an den Wurzeln der Originale und erweitert gleichzeitig den Kanon um eine respektvolle Facette.

 

 

 

  • Taschenbuch: 464 Seiten
  • Verlag: Karl-May-Verlag; Auflage: 1 (4. Oktober 2016)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3780225018
  • ISBN-13: 978-3780225016
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