Himmelhorn

Volker Klüpfel und Michael Kobr

“Himmelhorn” ist nicht nur der Name des inzwischen neunten “Kluftinger” Romans, sondern eines 2111 Meter hohen Berges in den Allgäuer Alpen.  Geschickt verknüpfen die Autoren historische Fakten – die heimliche Erstbesteigung durch einen Lehrer – mit ihrer fiktiven Familiengeschichte.

Ausgangspunkt ist Kluftingers erste Fahrt mit einem E- Bike. Ein Geschenk seiner Familie. Zusammen mit seinem Freund / Nachbarn Langhammer rast er durch die Gegend und findet am Fuße einer steileren Flanke des Berges drei Leichen. Es Handelt sich um einen örtlich bekannten Bergfilmer und zwei Brüder einer alten Bauernfamilie, die anscheinend während einer Probebesteigung des Berges für einen weiteren Werbefilm abgestürzt und ums Leben gekommen sind. Die Eröffnungssequenz ist die einzige Mischung aus Slapstick und dem zugrundeliegenden Kriminalfall.  Zusammen mit seinem Team muss er nicht die Ursache des Absturzes herausfinden, sondern wie es sich für einen Krimi gehört auch ein Motiv. Mit der Firma, welche als Hauptsponsor vorgestellt wird, schlagen die beiden Autoren den Bogen zurück zu „Milchgeld“. Auch in Kluftingers Debüt spielt ein alter Familienbetrieb eine gewichtige Rolle, der schließlich vom arroganten wie extrovertierten Sohn übernommen und nicht immer wirklich optimal geführt wird. Hinzu kommt eine sehr alte Familienfehde. Vor über achtzig Jahren sind schon einmal an dieser Stelle Bergsteiger abgestürzt. Zwei Söhne der einen Familie sind ums Leben gekommen, während der erfahrene Bergführer und Spross der anderen Familie es überlebt hat. Seitdem halten sich die Gerüchte, dass er aufgrund der Fehde zwischen den beiden auf nebeneinanderliegenden Almen lebenden Familie absichtlich das Halteseil durchschnitten und die Brüder in den Tod gestürzt hat.  Kluftinger bleibt trotz seiner bedingten Technikaffinität vor allem auf sein Gespür angewiesen. Wie in allen Kluftinger Romanen folgt er vor allem den Spuren, in dem er mehr sieht als seine Kollegen. Beginnend mit einem Rohschnitt der unfertigen Produktion und schließlich endend durch einen spektakulären Bluff. Auch nicht das erste Mal, dass der im Allgäu ermittelnde Kommissar diesen Weg gegangen ist. Die Kriminalhandlung wird aber durch eine weitere persönliche Ebene sehr gut erweitert. Kluftinger ist auf die Hilfe eines sehr alten Freundes angewiesen, den er vor 15 Jahren nach dem Tod einer gemeinsamen Freundin im Grunde vergessen hat. Auf seine letzte Nachricht hat er nicht mehr reagiert. Es ist die Wiederbegegnung dieser beiden so unterschiedlichen, von ihren Schicksalen gänzlich konträr gezeichneten sturen Allgäuern, welche die Krimiebene so zugänglich machen. Hinzu kommt, dass Kluftinger bei seinen Besuchen auf den Bergen auf die alten Allgäuer trifft, die in ihren verschlossenen wie menschenfeindlichen Art und Weise ihn für einen Alleinunterhalter auf dem Kemptener Markt erscheinen lassen.  Die meisten Kluftinger Romane spielen im und um das Allgäu, aber nur selten haben die Autoren die Umgebung so effektiv in die laufende Handlung eingebaut,  auch wenn der Plot  als Ganzes betrachtet nicht unbedingt überraschend oder auch nur originell ist. Zu viele falsche rote Spuren gelegt, so dass der Leser relativ schnell diese Verdächtigen aussieben kann. Das Ende wirkt ein wenig zu rührselig und Kluftinger löst nicht nur den Fall, sondern schließt auch Wunden, die über Generation immer wieder aufgebrochen sind. Es ist ein pragmatisches Ende einer zumindest kurzweilig zu lesenden Kriminalhandlung.  

Leider gibt es noch eine zweite Ebene in jedem Kluftinger Roman. Dabei verlieren die Autoren anscheinend mehr und mehr die Balance zwischen einer liebevollen Charakterzeichnung oder der Verblödung ihrer Figur.  Auch wenn immer der eigentliche Kriminalfall mit ein wenig Zufallshilfe und geeigneten Informationen am richtigen Platz konstruiert erscheint, ist es ein starker Kontrast, Kluftinger ermitteln zu sehen oder ihm in seinem Umfeld zu folgen. In „Himmelhorn“  klaffen vor allem die Privatszenen qualitativ ausgesprochen auseinander. Da wäre Kluftinger als Spekulant, der naiv sich von seinem durch Erbschaft vermögend gewordenen Kollegen in die Welt der Börse einführen lässt. Auch wenn inzwischen es wieder opportun ist, Aktien oder Zertifikate zu kaufen, so wirken die in der Gegenwart spielenden, an den Goldrausch Ende des zwanzigsten und Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts erinnernden Szenen wie Fremdkörper. Vor allem, wenn die Autoren dann am Ende des Romans eine moralische Keule herausholen und zeigen, wie “dumm“ sich der Ermittler in Banksachen angestellt hat. Das Kluftinger aus einer nicht unbekannten Soap Weisheiten von sich gibt, mit denen er die naive Frauenwelt beginnend bei seiner Gattin Erika und endend bei Frau Langhammer beglückt, hätte mit ein wenig mehr Sorgfalt besser herausgearbeitet belustigend, diese Art von Fernsehen parodierend unterhalten können. Die Kinobesuche inklusiv „Fifty Shades of Grey“ sind zumindest interessanter vorbereitet worden, auch wenn die Kinobesitzern sich ohne Probleme in die Reihe von debilen, vor der angeblichen Staatsmacht auf die Knie fallenden Idioten einreiht, die leider „Himmelhorn“ im Übermaß bevölkern. Das der Langhammer sich trotz eines anscheinend sehr ausgiebigen Sexlebens an allen Orten, von denen der Leser es im Grunde nicht wissen möchte, an eine junge Kollegin ranmacht und sogar mit ihr im Kino sich sehen lässt, wirkt genauso aufgesetzt wie der Gegenschlag der Kluftinger/ Langhammer Fraktion.  Zu sehr auf Kluftinger fokussiert hätten die Autoren auf einen von Kluftingers zahlreichen unwilligen Helfern auf dem Polizeirevier zurückgreifen können, um diesen Plot interessant zu gestalten. So wirkt alles aufgesetzt und das Langhammer auch nur einen Moment glaubt, Kluftinger könne als Mann seiner Frau das Wasser reichen, erscheint absurd.  Aber die privaten Geplänkel gehen noch weiter. Die Kluftingers werden am Ende des Romans Großeltern und bis dahin ist es in dieser Geschichte vor allem dank der unzähligen Klischees für den Leser ein sehr weiter weg. Da wird kein Fettnäpfchen beginnend von der Babywäsche auf dem Boden bis zur Namensgebung auf „Addams Familie“ Niveau ausgelassen.

In diese privaten an Klamauk erinnernden Szenen reihen sich leider noch ein paar Peinlichkeiten. Da verliebt sich einer aus Kluftingers Team natürlich in dessen Vorgesetzte und sucht das kleinste Signal. Kein Wunder, dass eine derartige „Liebe“ während des Teambuildings im Kletterpark eher in einer kleinen Katastrophe enden muss.   Mehr und mehr überspannen die beiden Autoren wahrscheinlich auch selbstzufrieden mit Erfolg ihrer Geschichten den Bogen und lassen alle Figuren wie Parodien auf ihre zumindest in den ersten Büchern noch ernstzunehmenden Originale erscheinen. Es ist schade, dass fast jede noch so kleine Szene nicht ernsthaft angegangen werden kann. Angesichts des Umfangs, den der eigentliche Kriminalfall auf den fast fünfhundert Seiten einnimmt und dem „privaten“ Teil, kann man schon nicht mehr von Kluftingers neunten Fall sprechen, sondern von Allgäuer Slapstick schreiben.  Es ist schade, dass die Selbstdarstellung inzwischen derartig den Rahmen sprengt. Auch müssen sich die Autoren den Vorwurf gefallen lassen, einige Szenen entweder nicht wieder aufzunehmen oder zufriedenstellend zu beenden, so dass „Himmelhorn“ unrund und zu stark am Reißbrett ohne ein schlagendes Herz erscheint. Negativer Höhepunkt ist der absolut unlustige Auftritt der beiden Autoren. Ein gutes wie unauffälliges Cameo sieht ganz anders aus. 

Alleine weil der Kriminalfall in einem bescheidenen, teilweise vorhersehbaren Rahmen ausgeglichen durch die minutiöse Beschreibung des Allgäus solide unterhält, lassen sich die leider nicht mehr lustigen oder parodierenden Klamauk Passagen zumindest relativ schnell und schmerzlos quer lesen. Nach dem ebenfalls in diesem Roman kurz erwähnten qualitativ deutlich besseren „Grimmbart“ stellt „Himmelhorn“ leider wieder eine Niveauverschlechterung der Kluftinger/ Allgäu Krimis dar.      

 

Hardcover, Droemer HC
496 S.

ISBN: 978-3-426-19939-8

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