Die Rache des Schut

Georgy Hymer

Von Georgy Hymer geschrieben beginnt und endet der zweite Band des Sechsteiler um die neuen Abenteuer "Kara Ben Nemsis" mit einem Cliffhanger. Wieder sind die Gefährten in Gefahr. Vielleicht nicht in der Todesgefahr wie am Ende des ersten Bandes, aber der Schut mit seinen Mannen ist ihnen dicht auf den Fersen, nachdem sie den ersten kleinen Sieg gegen ihren Erzfeind und teilweise auch dessen Schattenkrieger errungen haben. In seinem Nachwort - es empfiehlt sich durchaus, dieses zuerst zu lesen - geht Georgy Hymer auf seine zahllosen Inspirationen ein und die Idee, Kara Ben Nemsi - Karl May folgend, ihn aber nicht imitierend - wieder zum Leben zu erwecken. Es finden sich in Hymers Text nicht so viele Fußnoten wie im ersten Roman. Im Vergleich zu G.G. Grandt bemüht er sich, den Hintergrund noch authentischer zu beschreiben und historische Fakten effektiver in die grundlegend phantastische Handlung einzubauen. Auf der anderen Seite könnte Hymer vorgeworfen werden, dass er nicht mehr die Meilen "frisst", welche Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar im ersten Roman "Die Rückkehr des Schut" als Teil der herausfordernden Schnitzeljagd zurücklegen mussten. Er erläutert einige der Fallen, die von einer attraktiven wie sadistischen Frau ausgelegt worden sind und führt den Spannungsbogen inhaltlich in deutlich mehr konzentrierter, dadurch vielleicht ein wenig zu fokussiert erscheinender Form weiter.

Ungewöhnlich für einen Karl May, aber Angesichts des Plotentwicklung auch wichtig, verzichtet der Autor in einzelnen Kapiteln auf die intime Ich- Erzählerperspektive.  Er führt nicht nur weitere wichtige Personen ein, Georgy Hymer ist sich auch nicht zu schade, ihnen weh zu tun. So wird ein Retter Kara Ben Nemsis später von den Schurken schwer misshandelt, nachdem seine Freunde sogar bei einem leichtsinnigen Einbruch von den Schergen des Schuts erschossen worden sind. Nicht selten agieren diese Figuren in einem unbestimmten Graubereich. Auf der einen Seite Held, der Gutes tut, auf der anderen Seite ein Dieb, der wie alle Schurken vom letzten großen Coup träumt und dadurch ums Leben kommt.  Die charakterlichen Kontraste arbeitet der Autor in den Passagen, die ohne Kara Ben Nemsi und seinen treuen Gefährten auskommen, sehr gut heraus. In dieser Form folgen die Handlungsabschnitte nicht Karl May sklavisch, sondern suchen sich in einem orientalischen Abenteuer ihren eigenen Weg. Wenn Hymer sich als übergeordneter Erzähler abgewöhnen würde, düstere Vorhersagen über den weiteren Handlungsverlauf auszustreuen und dadurch auf eine eher primitive Art Spannung aufzubauen suchend, dann wären diese Zwischenkapitel perfekt.

Wie bereits erwähnt wechselt der Autor die Perspektive. Die Dritte-Person-Handlungsebene beinhaltet erzähltechnisch für den Autoren mehr Möglichkeiten, während Kara Ben Nemsis Ich- Erzähler den Leser deutlich näher an das Geschehen heranbringt.

Auf dieser Ebene sind die Stärken des Romans nicht so leicht zu erkennen. Wie Grandt hat Hymer eine Schwierigkeit. Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar können nicht sterben. So muss er die dramatische Szene aus dem letzten Buch zufriedenstellend auflösen. Er geht diesen Weg, in dem er den Deutschen schwer verletzt nur „retten“ lässt. Die ganze Sequenz mit den Schusswechseln und der erneuten Entführung des Jungen Halefs, der dramatischen Flucht mit dem Boot und schließlich dem Eingreifen von Krüger Beis Soldaten – auch Krüger Bei tritt in Alexander Röders Vierteiler des magischen Orients auf – ist gut geschrieben und wirkt auch aus sich heraus spannend. Aber keine Sekunde glaubt der Leser, dass Karl Mays Helden ums Leben kommen können, so dass es sich auch um eine Quadratur des Kreises handelt.  Anschließend beruhigt der Autor die Handlung erst einmal. Er nimmt sich Zeit, die Stimmung und Stimmungen zu beschreiben und konzentriert sich auf die Atmosphäre.

Die Verfolgung des Schuts wirkt dabei nebensächlich, bis der Autor im letzten Drittel des Romans buchstäblich durch das Schatzversteck und das Ausheben der Schurken wieder das Tempo anzieht und ab diesem Moment kontinuierlich fortführt. Dabei greift der Autor allerdings auch auf einige Versatzstücke zurück. Während die brutale Folter des Retters und Diebes in einer Person durch die sadistischen Schurken und die bizarren Handlangers des Schuts den Aktionen der örtlichen Polizei – sie versuchen Informationen aus einem gedungenen Meuchelmörder herauszuholen, während Kara Ben Nemsi eher einen diplomatischen Mittelweg gehen möchte – in Nichts nachsteht, leider der Roman im Ganzen betrachtet unter einigen Klischees. Schon bei Karl May hat die ständige Entführung des reichen, wie einfältigen Sir David Lindsey eher für Ermüdungserscheinungen gesorgt. Im ersten Band ist er entführt und als eine Art Warnung/ Wegweiser von den Leuten des Schuts sogar gekreuzigt in der Wüste zurückgelassen worden. Auch in diesem Roman wird er wieder entführt. Dazu befindet sich immer noch Hadschi Halefs Sohn in der Gewalt der Gangster. Die Befreiungsaktion ist ohne Frage spektakulär und spannend gestaltet, bürgt aber auch das leider umgesetzte Risiko der Wiederholung in sich.  Es gibt viele Möglichkeiten der Geiselbefreiung. Es ändert aber nichts an der Tatsache, dass diese Geiseln entweder befreit werden müssen oder in seltenen Fällen von alleine fliehen können.

Stilistisch ist Hymer wie Grandt das Gegenteil von Karl May. Es muss auch nicht den Anspruch sein, sich in Karl Mays phantastischem Universum wie der Meister zu bewegen. Jörg Kastner hat es exzellent hinbekommen, die Vorgeschichte Hadschi Halef Omars zu erzählen und trotzdem eigenständig eine stilistische Hommage zu verfassen. Alexander Röder hat eher den leicht belehrenden Stil des Sachsen imitiert und hat die Handlung nicht mittels kurzer, pointierter Dialoge vorangetrieben. Ein Markenzeichen Karl Mays. Grandt folgt Karl May mit einer getragenen, fast verklärten, die Hintergründe eher leleuchtenden als die Figuren belebebden sehr getragenen Erzählstil, während Hymer als großes Manko des vorliegenden Romans das Gefühl fehlt, sich noch nicht wirklich in Karl Mays Universum im Allgemeinen und den Kara Ben Nemsi Geschichten im Besonderen einnisten zu können und sich diese Vorlagen überzeugend zu eigen zu machen. Das ist ohne Frage schwer, aber auch ein Absolutum, wenn man Kara Ben Nemsis neue Abenteuer erzählen möchte. Obwohl dynamisch und von einem zügigen Tempo geprägt wirkt die Geschichte stellenweise erzähltechnisch noch zu sehr bemüht. In einzelnen Abschnitten möchte der Autor überambitioniert wirklich alles meistens in einem Absatz erschlagen und scheitert auf einem relativ hohen Niveau. Bildlich gesprochen hätte Hymer seiner hoffentlich vorhandenen kindlichen Erzählfreude mehr Freiheiten geben müssen, um den Text freier, leichter, aber deswegen nicht weniger sorgfältig komponiert erscheinen zu lassen. In dieser Hinsicht hat Grandt deutlich mehr überzeugt.

„Die Rache des Schut“ – auch beim zweiten Roman wirkt der Titel eher aus der Luft gegriffen, denn der Schut übt noch keine Rache aus, sondern droht weiterhin als geschickter „Schachspieler" – ist eine solide Fortsetzung, die eine allerdings ein wenig überschaubare Handlung im direkten Vergleich mit dem  ersten Band des Sechsteilers, zufriedenstellend, aber irgendwie auch ein wenig ausgebremst erzählt.        

www.blitz-verlag.de

160 Seiten, Paperback

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