Kara Ben Nemsi- Neue Abenteuer: Der Krieg des Schut

G.G. Grandt & Georgy Hymer

Der Abschlussband des Sechsteilers wird von Georgy Hymer und dem Exposeautoren G.G. Grandt zusammen verfasst.  Im Gegensatz zu den mittleren Romanen zwei bis vier liegt der Fokus wieder wie bei Karl May auf der Ich- Erzählerebene.  Wichtige Informationen werden auch auf den distanzierten, in der dritten Person strukturierten Nebenhandlungsebenen vermittelt. Dabei konzentrieren sich diese Handlungsarme vor allem auf den Ablauf des Urabi Aufstandes in Alexandria, der zusammen mit den Unruhen zwischen den Sanussia Stämmen zu einer politischen Destabilisierung der Region, sowie einer kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Frankreich und Großbritannien führen sollte.

Bis dahin muss Kara Ben Nemsi aber zusammen mit seinen Getreuen erst einmal nach Alexandria reisen. Sie unternehmen diese Tour an Bord der VENEZIA. Ebenfalls an Bord befindet sich ein Mitglied des französischen Geheimdienstes, der dafür sorgen soll, dass das Schiff nicht rechtzeitig ankommt und es mit einer gewagten Piraterie zu einer kurzfristigen Kursänderung zwingt.  Kara Ben Nemsi kann diese Entführung verhindern und erhält auch wichtige Informationen. In Alexandria selbst ist er mitten in den Ausländer feindlichen Unruhen. Die Urabi beginnen nicht nur Schlüsselpositionen zu besetzen,  Sie verfügen auch dank einer Reihe von Forts über eine schwere Waffen, mit denen sie vor allem den britischen Kriegsschiffen vor der Küste gefährlich werden können. Die beiden Autoren ziehen den Plot mit hohem Tempo durch. Kara Ben Nemsi kann im Grunde immer wieder nur reagieren und versucht vor allem einige Deutsche zu retten. Dabei gerät er mit seinen Getreuen in die Gefangenschaft der Urabi, was sich in einer stark konstruierten Wendung des Plots sogar als eine Art Segen herausstellen wird. Spektakulär kann er nicht nur fliehen, sondern fast durch Zufall einen wichtigen Teil der Verschwörung und des auf einen Krieg zwischen Großbritannien und Frankreich abzielenden Plans verhindern. 

Nicht selten erinnern die einzelnen Szenen eher an einen modernen Actionfilm denn Karl May. Da wird ein Verdächtiger durch die engen Gassen Alexandrias verfolgt. Kara Ben Nemsi schwingt das Lasso, der Gefangene entkommt auf eine erstaunlich simple, wie effektive Art und Weise. Während dieser durch die Straßen eilt, verfolgt ihn der Deutsche über die Dächer. Auch wenn die beiden Autoren sich sehr viel Mühe geben, diese Szenen packend und intensiv zu beschreiben, beschleicht den Leser das leider immer stärker werdende Gefühl, so etwas schon gelesen zu haben.

Auch die „Täuschung“ der Franzosen, auf ein Codesignal wartend und auf ihren schwer bewaffneten und einsatzbereiten Schiffen ausharrend, die auf simple Art und Weise genarrt werden, gehört zu den ganzen aneinandergereiten, aber deutlich erkennbaren Versatzstücken des klassischen Hollywoods. Am Ende wird zwar der Ausbruch eines Kriegs zwischen Frankreich und Großbritannien verhindert, aber in einer der ruhigen Szenen des Buches stellt Kara Ben Nemsi im Chaos reflektierend klar, dass es in diesem Konflikt zwischen dem arroganten und aggressiven Europa als globale „Kolonialmächte“ und Afrika bzw. Asien nur wenige Unterschiede gibt. Den Menschen in Ägypten ist es im Grunde egal, ob Franzosen oder Engländer oder Deutsche sie ausbeuten. Sie wollen ihre Freiheit haben. Auch wenn die Urabi vom französischen Geheimdienst im Allgemeinen und dem Schut im Besonderen immer wieder manipuliert und schließlich auch im Stich gelassen worden sind, kann der Leser unabhängig von ihren Gräueltaten ihre Motivation am ehesten verstehen. Als Ganzes bleiben sie aber erstaunlich gesichtslos und dienen im vorliegenden Band eher als Hintergrundmusik, während Kara Ben Nemsi im letzten Drittel des Buches ausschließlich agierend den Taktstock wieder schwingt.

Routiniert und effektiv laufen die einzelnen Handlungsebenen zusammen. Ein wenig belehrend und teilweise aufgesetzt ist allerdings der Erzählstil. Der Handlungsbogen wird unterbrochen und die Autoren setzen zu einem philosophischen Monolog an, um nicht nur relevante Informationen zu vermitteln und damit die zahlreichen Fußnoten zu umgehen, sondern um gedanklich unnötig in die Breite zu gehen. Vorausschauend, rückblickend, aber aus der neutralen Position des übergeordneten Erzählers auch manipulierend, während Kara Ben Nemsis subjektive Ansichten Karl May folgend in den Ich- Erzähler Kapiteln deutlich besser dargestellt worden sind. Insbesondere im ersten Drittel des Romans wirkt durch diese unnötige Vorgehensweise der Erzählfluss gehemmt. Am besten gelungen ist der Mittelteil des Romans, in dem sich sehr unterschiedliche Ereignisse gegenseitig die Hand reichen. Das Tempo ist hoch, die Spannung steigt und vor allem die Figuren sind erstaunlich gut beginnend mit den bekannten/ markanten Helden gezeichnet. In diesen Situationen ähnelt Kara Ben Nemsi am meisten dem sächsischen Original.

Lange Zeit werden die Leser aber die finale Auseinandersetzung zwischen Kara Ben Nemsi und seinem Nemesis dem Schut sowie Kalila vermissen. Der Roman heißt „Der Krieg des Schut“, aber es wird nicht klar herausgearbeitet, ob es wirklich sein Krieg ist oder ob er nur die roten Fäden aufnimmt, um als Steigbügelhalter mit der Aussicht auf viel Geld den Buckel vor den Franzosen krumm macht. Der Plan ist so umfangreich, umfasst so viele unterschiedliche Komponenten und vor allem auch Stämme, dass es unglaubwürdig erscheint, das alleine Kalila zusammen mit dem Schut und einem Agenten des französischen Geheimdiensts dieses alles in Gang gesetzt haben.  Hier wird die Glaubwürdigkeit zu sehr strapaziert. Es kommt aber noch ein anderer Aspekt hinzu. Kara Ben Nemsi ist dem Schut sowohl im Sechsteiler Karl Mays – es finden sich weitere wunderbare Anspielungen auf diese Geschichte, sowie Begegnungen mit aus den Büchern vertrauten Figuren –als auch in den neuen Abenteuern so oft entkommen, dass es unwahrscheinlich erscheint, dass er seinen Wegen nicht mehr gefolgt ist. Die Überraschung, dass Kara Ben Nemsi seinen Plan zu Nichte gemacht hat, wirkt aufgesetzt. Im Grunde hat der Schut zusammen mit Kalila zu viele Flanken offen gelassen und wichtige Aspekte wie die Übersendung des Signals an die französische Flotte unnötig zu weit nach unten delegiert. Der Leser kann nicht verstehen, welche Aufgaben die beiden Schurken/ Schurkinnen unmittelbar vor dem Aufstand erledigt haben, zumal Kara Ben Nemsi ja durch seine Flucht und die Information des deutschen Offiziers von Krischlow  ein Puzzlestück in Hinblick auf einen Aufstand/ Krieg im Sudan sowohl hinsichtlich des Plan As als auch des Plan Bs zu Nichte gemacht hat. Hier wird dem hohen Tempo und den zahllosen Ansätzen Tribut gezollt und die Autoren bemühen sich, den ohne Frage sehr ambitionierten und wohltuend sich von der langen Rache im „Orient“ Zyklus unterscheidenden Plot einzufangen und entlang den historischen Fakten  zu einem ohne Frage gelungenen zufriedenstellenden Abschluss zu bringen.

Dann kommt es zu einer Art "Deus Ex Machina" Rettung am Ende des Romans. Wieder ist es ein Zufall, der Kara Ben Nemsi und seine Getreuen aus einer wirklich ausweglosen Situation rettet. Der Leser wird auch um einen eigentlichen Showdown gebracht und schaut ein wenig staunend auf das Ende der Geschichte. Im Epilog unterstreichen dann die Autoren ein wenig fast zynisch, wer wirklich in diesem komplexen wie komplizierten Plot wichtig gewesen ist. Im Umkehrschluss stellt sich dann aber die Frage,  warum der Leser erst jetzt diesen Eindruck vermittelt bekommen hat.

Rückblickend stellt sich aber die Frage, ob G.G. Grandt sich nicht einen wichtigen Gefallen getan hätte, wenn er einen neuen Schurken anstatt des Schuts zu Kara Ben Nemsis Feind gemacht hätte. Der Schut ist eine charismatische, eine im Hintergrund sehr aktive Figur, deren Entlarvung ja auch eine der Überraschungen Karl Mays in „Der Schut“ gewesen ist. Durch die Nutzung dieser Figur wird die Erwartungshaltung der Leser zu sehr auf eine Wiederaufnahme des inzwischen persönlich gewordenen Konflikts gelenkt, während die anderen großen Ziele des Handlungsbogens – der Aufstand gegen die Briten; im Grunde der Kampf um den Suezkanal sowie das Sichern von gigantischen Bodenschätzen – viel interessanter, viel wichtiger und vor allem auch viel innovativer sind. Der Schut ist zwar auf der einen Seite allgegenwärtig, erinnert aber fast schon eher an einen Mythos, eine Idee denn einen dreidimensionalen auf der Höhe der Zeit agierenden Schurken. Vor allem in einem direkten Vergleich mit der deutlich moderner und komplexer denkenden Kalila erscheint er an einigen relevanten Stellen des Zyklus leider viel zu blass und zu schematisch große Töne spukend gezeichnet.

Spannungstechnisch sehr unglücklich ist, dass die Autoren auf der einen Seite auf die Originalsprachen bei einigen entscheidenden Dialogen zurückgegriffen haben. Wer des Englischen oder Französischen nicht mächtig ist, erhält teilweise in der gleichen Zeile die entsprechende Übersetzung. Da es sich um wichtige und vor allem spannende Passagen handelt, wirkt diese Vorgehensweise lesetechnisch eher ermüdend als den Realismus fördernd.    

Zusammengefasst lassen sich die solide bis teilweise inspiriert geschriebenen sechs Romane sehr gut lesen. Durch die zahlreichen Querverweise und vor allem Nutzung vieler roter Fäden aus Karl Mays Werk sind die von Mark Freier sehr gut titelbildtechnisch ausgestatteten Romane eng an die Originale und doch modern eigenständig angelegt.  Und eine größere Aufgabe als die Verhinderung eines Krieges zwischen den europäischen Nationen auf fremden Boden hat selbst Karl May seinem Alter Ego Kara Ben Nemsi nicht übertragen können.

Jeder Band ist mit einem leider sich wiederholenden Nachwort – bis auf die Teile eins und zwei – ausgestattet. Hinzu kommen in dem Abschlussbuch einige Zitate von Amazon Rezensionen sowie eine kurze Stellungnahme G.G. Grandts, warum er von der Ich- Erzählerperspektive abgewichen ist. Zwei lange Fußnoten runden den Roman ab.  

       

  

www.blitz-verlag.de

Taschenbuch, 208 Seiten

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