Fluch der Unsterblichkeit

Fluch der Unsterblichkeit, Titelbild, Rezension
Roger Zelazny

Der Heyne Verlag legt als Ebook Roger Zelaznys ersten Roman wieder auf. Das Buch ist unter anderem auch im Goldmann Verlag im Rahmen der kurzlebigen Science Fiction Classics veröffentlicht worden. 1966 erhielt Zelazny zusammen mit Frank Herberts „Der Wüstenplanet“ den HUGO für den besten Roman. Insbesondere in einem direkten Vergleich mit Frank Herberts komplexen „Dune“ wirkt diese Preisvergabe eher wie eine Art Vorschusslorbeeren auf die Karriere, die Zelazny nach seinen erfolgreichen und prämierten Kurzgeschichten als Romancier noch vor sich haben sollte. Klar erkennbar ist die untrennbare Mischung von Science Fiction Sujets – die Erde nach einem verherrenden, nur drei Tage andauernden Krieg unter anderem mit Kobaltwaffen – und literarischen Anspielungen, wie die Modernisierung einer Reihe von griechischen Sagen. Selbst die Idee des unsterblichen fliegenden Holländers, der allerdings nicht über die Weltmeere reist, sondern reiche Weganer von einer historischen Stätte zur nächsten führen darf/ muss, ist aus einem Klassiker übernommen worden. Der Roman erschien ursprünglich in einzelnen Kapiteln unter dem deutlich passenderen Titel „...And Call me Conrad“ im „The Magazine of Fantasy and Science Fiction“, wobei der damalige Herausgeber den Text gekürzt und mit einer eigenen Überleitung versehen hat. Die Buchausgabe ist deutlich umfangreicher gewesen, aber erst seit 1980 liegt der Roman in seiner geplanten Form mit einer Synthese aus wieder integrierten Passagen der Langfassung und einigen Teilen aus der Magazine Version, die Zelazny ursprünglich nicht in seinem Roman so sehen wollte, wieder vor.

 Die Ausgangslage ist für einen Zelazny Roman wieder als Sprungbrett seiner philosophischen Ideen in knapp drei oder vier Sätzen zusammenzufassen. Die Erde ist zwar durch einen Atomkrieg entvölkert worden – es leben nur noch vier Millionen Menschen auf ihr – und das Leben ist mutiert, aber sie ist nicht gänzlich unbewohnbar. Viele Menschen sind ins All geflohen, haben sich unter anderem auf der Wega mit seinen blauhäutigen Bewohnern angesiedelt, die im Gegenzug mit ihrer erdrückenden Wirtschaftsmacht mehr und mehr die Erde übernommen haben. Sie sehen sie als Touristenattraktion an.

Conrad Nomikos ist der Leiter einer von Zelazny ambivalent beschriebenen Behörde. Sie soll sich um das kulturelle Erbe der Menschen kümmern, wobei es Nomikos wichtiger ist, dass die Menschen überleben anstatt den alten Göttern huldigen. Bizarrer Höhepunkt seiner Vorgehensweise ist das Abtragen einer Pyramide in Ägypten nach dem Vorbild der alten Ägypter inklusiv Sklavenaufseher und Peitschen. Er filmt die ganze Aktion und möchte es rückwärts laufend als historisches Epos verkaufen, in dem die Weganer den Bau der Pyramiden nachvollziehen können. Conrad Nomikos übernimmt widerwillig die Aufgabe, einen reichen und einflussreichen Weganer zu den einzelnen Stätten der Erde zu führen. Dieser möchte einen Roman über die Erde verfassen. Im Verlaufe ihrer Reise stellen die beiden so unterschiedlichen Männer fest, das sie selbst hinter Masken leben und die von ihnen vorgegebenen Aufgaben im Grunde aus falschen Prämissen bestehen. Zelazny geht dabei ungewöhnlich geschickt für einen Romandebütanten vor.

Als literarische Spielerei verbindet er seinen Ich- Erzähler Nomikos mit den griechischen Legenden. Ist er eventuell. ein zu Fleisch gewordener Gott, der eine unmögliche Mission zu übernehmen hat? Es ist kein Wunder, dass die Geschichte ihren fiktiven Höhepunkt in einem archaisch erscheinenden Griechenland hat. Zelazny weigert sich, weit in die Vergangenheit seiner Figuren zu schauen. Die Anspielungen wirken wie literarische Allegorien, die ihre Bestimmung im Verlauf der geradlinigen, aber niemals simpel gestrickten Handlung selbst finden müssen. Für den Leser ist es unmöglich zu bestimmen, was in dieser Zukunft „real“ und was Legende ist. Hinzu kommt hinsichtlich seiner Hauptfigur Nomikos noch eine andere Idee. Er scheint wenn nicht unsterblich, so zumindest langlebig zu sein. Anscheinend ist er über einhundert Jahre alt, obwohl es keine Erklärungen gibt. Diese anders verlaufenden Lebenszyklen werden in einigen von Zelaznys Romanen immer wieder aufgegriffen. In „Straße nach Überallhin“ lebt sein Protagonist biologisch rückwärts, wobei der Amerikaner auf die Extreme wie Kindheit oder hohes Alter verzichtet. Der Leser muss sich aber in diesen ganzen Szenen auf die Aussagen seines unzuverlässigen Ich- Erzählers vertrauen, da es weder weiterreichende Erklärungen noch Beweise von dritter Seite gibt. Nomikos provoziert seine Freunde und auch seine ehemalige Geliebte, die in seiner Vorgehensweise einen Ausverkauf der Menschen den Weganern gegenüber sehen.

 Nomikos Vorgehen wirkt aber rückblickend unglaubwürdig. Zelazny versucht überambitioniert eine Vorgehensweise einem Fremden darzustellen, die angesichts der immer noch erkennbaren Folgen des Drei- Tage- Kriegs naiv erscheint. Sollte die Grundidee in dieser Ausrichtung konsequent durchdacht werden, dann sehen die Menschen ihr natürliches Recht in einer Selbstbestimmung bis zur Selbstvernichtung. Sie beugen nicht ihr Knie vor Fremden und wollen sich auch nicht „kaufen“ lassen, sondern aber jederzeit bereit, ihr kulturelles Erbe und sich selbst zu vernichten. Solange sie es selbst machen und nicht durch Dritte vorgeführt werden. Wahrscheinlich hätte diese Idee ohne den Hintergrund der atomaren Auseinandersetzung besser funktioniert. Zelazny arbeitet auch den Kontrast zwischen einer menschenleeren und im Grunde sterbenden Erde und der potentiell kapitalistischen Zukunft unter dem Einfluss der Weganer zu wenig nachhaltig genug heraus. Im letzten Drittel des Romans werden die Motive der einzelnen Figuren enthüllt. Nomikos Vorgehen erscheint wie erwähnt nicht logisch und konsequent genug. Auf der anderen Seite ist sein Reisebegleiter kein reiner Schriftsteller, der an seinem Epos arbeitet. Seine Mission ist ebenfalls politisch gesteuert und wirkt wie Nominkos Vorgehen zu ambitioniert. Zelazny macht den kleinen Denkfehler, das er suggeriert, die Menschen auf der Wega haben inzwischen durch ihre schneller wachsende Population und vor allem ihren Geschäftsinn die eher phlegmatischen, vielleicht auch aufgrund des Alters ihrer Rasse degenerierenden Weganer in die Ecke gedrängt. Sie scheinen in kommerzieller Hinsicht mehr und mehr die Kontrolle auf der fremden Welt übernehmen zu wollen, ohne das es zu militärischen Konflikten kommt. Warum sich also die Mühe machen, sich in kapitalistischer Sicht noch einmal mit der Erde auseinanderzusetzen? In Zelaznys Zukunftsversion scheint sie eine Kuriosum zu sein, dass an ihrer Geschichte sklavisch festhält, aber aufgrund des Drei-Tage- Krieges keine abschließende Zukunft hat.

 Zelazny gibt seinem „Roadmovie“ Roman einen mystischen Überbau. Während der Reise begegnet Nomikos nicht nur Rebellen, welche die Erde für sich alleine wieder haben wollen, sondern einem alten Mann, der sein Sohn sein kann. Zelazny spricht die Idee eines potentiell Unsterblichen mit der Unfähigkeit, lange Bindungen einzugehen, genauso an wie das wilde Vorgehender Rebellen, das ungeplant erscheint. Nomikos Frau taucht zweimal im Roman auf. Einmal um als Opfer zu demonstrieren, wie gefährlich die mutierte Natur der Erde inzwischen geworden ist und dann während der finalen, vor allem verbalen Auseinandersetzung, in welcher sie quasi die rettende Idee in den antiken „Kampfring“ wirft. 

 Es ist weniger der stringent verlaufende Plot mit einem aus einem Kompromiss bestehenden Ende, der „Fluch der Unsterblichkeit“ aus der Masse vergleichbarer Romane heraushebt und einige Elemente an Robert A. Heinleins „Fremder in einer fremden Welt“ mit mystischen irdischen Wurzeln erinnert lässt, sondern die erkennbaren literarisch- klassischen Ambitionen, die Zelaznys Werk durchziehen sollte. Immer wieder impliziert er, dass sein Nomikos – an Heiligen Abend geboren, mit körperlichen Gebrechen ausgestattet und dem Fluch/ Segen der Langlebigkeit „gestraft“ – ein Kallikantzaros sein kann. Eine mystisch überzogene Figur der griechischen Sage. An einer anderen Stelle deutet Zelazny an, dass Nomikos aber auch eine Inkarnation des Janus Kopfes sein kann, dessen eine Gesichtshälfte wunderschön, die andere entstellt ist. Diese äußerlichen Auffälligkeiten überträgt der Autor allerdings zu wenig auf seine ambitioniert gestaltete, aber zu wenig mit eigenem Leben erfüllte Figur. Wer genau zwischen den Zeilen liest, könnte in Nomikos selbst den griechischen Gott Pan erkennen, wobei diese Ambivalenz auch rückblickend frustrierend wirkt. Der Brückenschlag zu einer möglichen Mutation durch den Drei-Tage- Krieg ist jederzeit möglich, aber den Leser alleine zum Nachdenken zu provozieren, ohne entsprechend abschließende Hinweise im Text zu „verstecken“ erscheint wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen, deren Hintergrund so interessant gestaltet werden muss, das sein frustrierendes Gefühl im Leser als passiven Beobachter aufkommt. So weit sind Zelaznys schriftstellerische Fähigkeiten in seinem ersten Roman  noch nicht ausgebildet.

 In Bezug auf sein ganzes Werk wird der Leser aber in Nomikos als nicht perfekten „Übergott“ Züge erkennen, die Zelazny vor allem in seinen ersten „Amber“ Chroniken Corwin Amber auf den Leib geschrieben hat. In seinem Science Fiction Werk wird der Amerikaner die Idee eines fehlenden Menschen vielleicht im Körper eines nicht perfekten Gottes noch einmal in der Inkarnation Sams alias Mahasamatman in dem ebenfalls mit dem HUGO ausgezeichneten „Herr des Lichts“ aufgreifen. Interessant ist zusätzlich, dass Zelaznys in seinem späteren Werk „Straße nach Überallhin“ impliziert eine jugendliche Version seiner Figuren mit dem Fahrer Red erschaffen hat, die wie die Fensterstürmer verzweifelt nach seinen Wurzeln sucht und dabei die Realitäten „zerstört“. Auch Nomikos zerstört potentiell menschliche Geschichte, um den Menschen von einem außerirdischen Ballast zu befreien. Es sind diese inkonsequente, aber auch irgendwie zielstrebigen Vorgehensweisen, welche Zelaznys Figuren wie Sisyphus auszeichnen. Sie sind immer gegen ihren eigenen Willen in Bewegung. Sie sind verlorenen in Zelaznys verschiedenen Kosmen und irgendwie wünscht der Leser ihnen einen Moment der Ruhe in den tosenden Meeren des Chaos. Diesem Ziel kommt Nomikos vielleicht am Nächsten.

 Für einen Erstling ist „Fluch der Unsterblichkeit“ trotz eines teilweise erdrückend ambitionierten Überbaus im letzten Drittel des Romans; einem Plot, der mehr Wert auf Stimmungen als Dynamik legt und schließlich einem für Zelaznys Werk zu positiven Endes ein auch heute noch provozierender, provokanter Roman, der basierend auf einer klischeehaften Idee des Genres mit den Mythen spielt und dank der dreidimensionalen, teilweise pragmatischen, aber ungewöhnlichen Protagonisten den Leser eher auf eine intellektuelle denn eine tatsächliche Reise über eine ausgebrannte Erde mitnimmt.          

  • Format: Kindle Edition
  • Dateigröße: 637 KB
  • Seitenzahl der Print-Ausgabe: 204 Seiten
  • Übersetzung: Roland Fleissner
  • Verlag: Heyne Verlag (25. August 2014)
  • Verkauf durch: Amazon Media EU S.à r.l.
  • Sprache: Deutsch
  • ASIN: B00MUP9EXC