Richard Hannay Band 1: Die 39 Stufen

Die 39 Stufen, Titelbild, Rezension
John Buchan

Alfred Hitchock hat Richard Hannay zwanzig Jahre nach seiner literarischen Erschaffung weltberühmt gemacht. Mit der Adaption des ersten von fünf Romanen John Buchans um einen der ersten britischen Geheimagenten  lieferte der Brite ein Meisterwerk der Spannung ab, das auch heute noch vor allem in der exzellenten Criterion DVD oder Blue Ray Präsentation sehenswert ist. Dabei ist Hitchcocks Variation eher eine Interpretation der Vorlage.  Das 1978er Remake nähert sich mehr dem literarischen Werk an, während im Jahre 2008 eine weitere Fassung für das britische Fernsehen hergestellt worden ist. Dazwischen steht noch eine Verfilmung aus dem Jahr 1958, die sich eher an Alfred Hitchcocks Vorlage denn dem Buch orientierte.

John Buchan verfasste zwischen 1915 und 19036 die fünf Romane. Zusätzlich trat der spätere Major General Sir Richard Hannay auch als Nebenfigur in Buchans Werken „The Courts of the Morning“  (1929) und „Sick Heart River“ (1940) auf.  Buchan selbst hat seine Figur an Edmund Ironside aus Edinburgh angelehnt, der im zweiten Burenkrieg für die Briten spioniert hat. Richard Hannah ist aber im direkten Vergleich zum späteren James Bond kein ausgebildeter Agent. In den ersten Kapiteln beschreibt ihn John Buchan als ein Mann mit militärischer Vergangenheit, der in Afrika vermögend, aber nicht reich geworden ist. In London fühlt er sich im Gegensatz zu seiner schottischen Heimat unwohl und das Großstadtleben langweilt ihn. Der rutscht auch nur durch einen Zufall in die Affäre um „Die 39 Stufen“ hinein. Interessant ist, dass einen Teil der Grundhandlung mit der Flucht der Verdächtigen Ken Follett in seinem im Zweiten Weltkrieg spielenden Roman „Die Nadel“ wieder belebt hat.    

John Buchan hat seinen Roman als seinen ersten Thriller bezeichnet. Eine Abenteuergeschichte mit politischen Anklängen. Interessant ist, dass sein Richard Hannay ein sehr belesener Mann ist, der pointiert auch mitten in einem schwierigen Abschnitt seiner Flucht klarstellt, dass er kein Sherlock Holmes wie von Arthur Conan Doyle erschaffen ist und deswegen sich nicht unbedingt als Detektiv eignet. Aber während des Showdowns greift Buchan auf die einzigartige Beobachtungsgabe des berühmten britischen Detektivs zurück und lässt durch eine fast unmerkliche Handbewegung des Kontrahenten ihre perfekten Pläne platzen.

Bis dahin sind die 39 Stufen ein stringenter Abenteuerroman. Richard Hanny nimmt einen Nachbarn bei sich auf. Dieser fürchtet als Agent um sein Leben. Er hat eine Verschwörung aufgedeckt, mit welcher in dem vor dem Ersten Weltkrieg fragilen Klima durch einen Anschlag ein Krieg zwischen Deutschland und vor allem Frankreich/ Großbritannien ausgelöst werden könnte.  Eine deutsche Geheimdienstorganisation versucht dessen Pläne zu stehlen. 

Wenige Tage später findet Hannay diesen Mann ermordet in seiner Wohnung vor.   Hannay fürchtet, dass die Mörder ihn als Mitwisser ebenfalls umbringen wollen. Zur Polizei kann er nicht gehen, weil er automatisch als Verdächtiger gelten könnte. Außerdem sind es noch fast drei Wochen bis zum Datum des geplanten Anschlags auf einen wichtigen griechischen Diplomaten, der auf einer Geheimmission durch Europa reist. Hannay beschließt, sich in seiner schottischen Heimat zu verstecken.

Wie in „Der unsichtbare Dritte“ – einem später Hitchock Streifen – beginnt die Jagd jetzt auf einen unschuldigen Mann. Die Spannung bezieht  der Roman nicht nur aus einer Reihe klassischer Szenen. Neben der beobachtenden Verfolgungsjagd mit einem Flugzeug oder dem Versteck bei den falschen Leuten beschreibt Buchan ausführlich, wie Ketten von Männern den flüchtenden Hannay durch die Berge vor sich hertreiben. 

Die Actionszenen sind kurzweilig und intensiv zu gleich beschrieben worden.  Buchan bedient einige Sujets, die später zu einem Klischee des Genres werden. Die ersten Verfolger werden quasi von einem Boten wieder angelockt und gehen so der Polizei in die Falle, während Hannay in Ruhe deren Wagen stellen kann. Hannay erlebt sowohl die schottische Freundschaft auf der einen Seite wie auch den Zufall, dass er sich in der Hütte eines älteren Mannes zu verstecken sucht, der zu den Feinden gehört. Es ist vielleicht die einzige rückblickend bemühte Passage des ganzen Buches. Hannay kann sich effektiv, wenn auch leicht verletzt befreien. Auf der anderen Seite hat die Geheimdienstorganisation am Ende des Buches ein anderes Ziel und sucht wichtige Informationen – durch einen fast unglaublichen Trick erhalten – außer Landes zu bringen. 

Dieser Brückenschlag wirkt ebenwenig überzeugend wie die abschließende Wendung der Ereignisse. Hier hilft Hannay der Zufall. Während er bei einem Offizier des Auslandsgeheimdienstes sitzt, erhält er wichtige Informationen. Bis dahin hätte Hannay zusammen mit dem Leser auch an der Identität des anfänglich ermordeten Mannes und dem Wahrheitsgehalt seiner Aufzeichnungen zweifeln können. Auch wenn Hannay keine Sekunde  ihre Echtheit in Frage stellt, gibt es zu viele Fragezeichen. Mit den abschließenden Informationen kann Hannay inzwischen ein Geheimagent Ehrenhalber in die Offensive gehen und das Geheimnis der „39 Stufen“ lösen. Wie eingangs erwähnt greif Buchan in dieser Passage durchaus auf die deduzierenden und extra erwähnten Fähigkeiten eines Sherlock Holmes zurück. Hannay selbst begibt sich in die Höhle der Löwen und kann die Gegner zumindest kurzzeitig schockieren.

Das Finale ist effektiv und enthält einen dieser für zahllose frühe britische Krimis signifikanten Wendepunkte. Der Leser ist zusammen mit den Schurken der Ansicht, dass die Pläne geklappt haben, während die Wirklichkeit natürlich etwas anderes zeigt.  

Im Gegensatz zu den anderen vier folgenden Hannay Büchern ist „Die 39 Stufen“ nur halb so lang. Auch wenn der Leser im Grunde den Protagonisten noch nicht kennt, nimmt sich Buchan erstaunlich viel Zeit, die inneren komplexen Gedanken seines anfänglich gelangweilten, kurze Zeit später von der Verfolgungsjagd und den Gefahren für sein Leben begeisterten Hannays immer wieder zwischen den Actionszenen zusammenzufassen. Hannay ist dabei kein eindimensionaler Protagonist. Seine Gedankenfolge ist durchaus nachzuvollziehen. Die Presse macht aus ihm den einzigen in Frage kommenden Verdächtigen. Selbst in den entferntesten Gegenden Schottlands hat sich seine Tat herum gesprochen. Zur Polizei kann er nicht, Beweise für eine Verschwörung und das mögliche Attentat hat er nur in Form der Aufzeichnungen des Ermordeten, die er selbst mühsam entschlüsseln muss. Einige Menschen, die er um Hilfe bietet, ignorieren die Presse und unterstützen ihn. Bei anderen muss er unterschiedliche Tricks anwenden, wobei seine Wandlungsfähigkeit erstaunlich ist.

Auch die Idee, dass der deutsche Geheimdienst weite Teile des britischen Landes und vor allem auch der inneren Politik teilweise mit simplen Tricks durchsetzt hat, erscheint für einen während des Ersten Weltkriegs veröffentlichten, aber wenige Jahre vorher spielenden Thriller relativ neuartig. John Buchan kritisiert impliziert die treudoofe Gutmütigkeit des vor allem von adligen Geführten Oberhauses und der wichtigsten Entscheidungsgremien, während die Deutschen mit ihrer unpolitischen Rücksichtslosigkeit einfach schneller und direkter agieren können.

Aus heutiger Sicht werden die teilweise antisemitischen Passagen zu Beginn des Buches nicht von deutscher, sondern in Person Hannays britischer/ schottischer Seite unangenehm auffallen.  Im Verlaufe des Plots lässt Buchan diese Flanke fallen und konzentriert sich auf einen spannenden, durchaus heute noch modern erscheinenden Spionage/ Verfolgungsjagdthriller, der aus London in die weiten unwirtlich schottischen Hochländer und wieder zurück in die britische Hauptstadt führt.           

 

  • Taschenbuch: 240 Seiten
  • Verlag: Diogenes Verlag; Auflage: 12 (22. Dezember 2009)
  • Übersetzung: Marta Hackel
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3257202105
  • ISBN-13: 978-3257202106
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