The Venom Business

The Venom Business, Titelbild, Rezension
Michael Crichton (alias John Lange)

 Im ersten von insgesamt fünf Richard Hannah Romanen ist John Buchans Protagonist durch einen Zufall – ein Nachbar sucht ihn auf und wird in dessen Wohnung ermordet – in einen Spionageplot verwickelt worden, der vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs die Verteidigung des britischen Imperiums deutlich geschwächt hätte. John Buchan hat den Roman während des Ersten Weltkriegs geschrieben und so ist es auch folgerichtig, dass sein Protagonist in den Dienst des Vaterlandes zieht.

 Der zweite Roman „Greenmantle“ ist ebenfalls während des Kriegs geschrieben worden und spielt auch in dieser Zeit. Politisch ist es nicht nur einer der meisten ambitionierten Romane der ganzen Serie, seine Auswirkungen hinsichtlich einer Destabilisierung des Nahen Ostens in diesem Fall durch deutsche Truppen, in der Gegenwart durch religiöse Fanatiker und Terrorgruppen sowie die Geheimdienste diverser Mächte erscheinen zeitlos.

 Zu Beginn des Romans erholen sich Hannah und sein Freund Sandy – eine interessante Figur, die trotz nur weniger Auftritte deutlich dreidimensionaler, vielschichtiger und vor allem verletzlicher erscheint als der zu stringent agierende Richard Hannah – von Verletzungen, die sie während der Schlacht von Loos erlitten haben. Sir Walter Bullivant als ein Sektionsleiter des britischen Geheimdienst bietet Hannah zu sich. Er berichtet Hannah davon, dass die Deutschen und die Türken einen Aufstand initiieren wollen, welcher die britischen Kräfte schwächt und vor allem die wichtigste Verbindungsroute nach Indien, den Suezkanal, zu blockieren droht. Bullivants Sohn hat – wieder ein Hinweis auf die Struktur in „Die 39 Stufen“ – eine kryptische Nachricht hinterlassen, bevor er auf einer Mission in diese Region ermordet worden ist. Da Hannah durch seine Jahre in Südafrika auch als Holländer durchgehen kann, soll er zusammen mit dem Amerikaner John Blenkiron und Sandy erst nach Deutschland reisen, um sich bei den entsprechenden Behörden als „Überläufer“ zu etablieren, bevor er weiter in den Nahen Osten reist, um unter anderem auch dem Hinweis zu folgen, dass ein neuer Prophet etabliert worden ist, dem die arabischen Stämme in einen neuen Heiligen Krieg folgen sollen.

 John Buchan lässt sich sehr viel Zeit, das Szenario zu etablieren. Dabei geht er nicht unspannend vor. In Deutschland besucht Hannah unter anderem ein Offiziersgefangenenlager, wo er auf einen ehemaligen Kameraden trifft, der ihn zu entlarven droht. Sein deutscher Kontaktoffizier von Stumm ist eine fast klischeehaft eindimensionale Karikatur des Gardeoffiziers. Obwohl er von den neuen „Helfern“ angetan ist, vertraut von Stumm ihnen nicht. Als Sandy sich während eines Abends in Berlin als jemand zu erkennen gibt, der provoziert von den deutschen Offizieren sehr viel mehr deutsch kann als impliziert, schöpft von Stumm Verdacht. Er will Hannah auf einem Schiff nach Ägypten schicken. Eine lange Reise, die für ihn bedeutet, zu spät im Nahen Osten anzukommen.

 Hannah flieht ohne ausreichende Kleidung und kämpft sich durch einen der härtesten Winter. Auch in diesem Punkt folgt John Buchan einigen Mustern, die er in „Die 39 Stufen“ so exzellent etabliert hat. Während Hannah im ersten Roman als Schotte immer wieder trotz der offiziellen Suche nach ihm als Mörder geholfen worden ist, muss er als „Feind“ in Deutschland auf die Hilfe der einfachen Bevölkerung zurückgreifen. Immer von Stumm und seine Soldaten im Nacken nimmt den schwer erkrankten Hannah eine Frau mit drei Kindern, in armseligen Verhältnissen lebend auf. An der Donau kann er mittels eines Zufalls und vor allem seiner Ingenieurkenntnisse auf einem Binnenkahn anheuern, der ihn weit in Richtung Schwarzes Meer führt.

 Auch Sandy hat es geschafft, den Deutschen zu entkommen. John Buchan beugt in einer atmosphärisch dichten Passage aber den plottechnischen Zufall, in dem er die beiden Männer einem Ufer sich wieder begegnen lässt. In Konstantinopel angekommen wird das Trio wieder vereint. Hier erfahren nicht nur der Leser, sondern vor allem auch die Protagonisten weitere Zusammenhänge.

 Wie in „Die 39 Stufen“ wird die kryptische Botschaft entschlüsselt. Für einen Roman des frühen 20. Jahrhunderts und im Ersten Weltkrieg spielend beinhaltet diese Entschlüsselung einige sehr große Überraschungen. Es ist eine der ersten Einführungen einer wahren Femme Fatale, deren erotische wie charismatische Ausstrahlung nicht nur von Stumm im Bann hält. Hinter dem „Greenmantle“ steckt der neue Prophet, ein weiteres Werkzeug der Achsekräfte. John Buchan zeigt auf, wie effektiv sich religiöse fanatische Gruppen manipulieren lassen. Im letzten Drittel des Buches muss der Autor noch einen weiteren Bogen schlagen. Sandy wird ein Werkzeug der Intrigantin. Dabei impliziert der Autor sogar eine erotische Abhängigkeit und Ausnutzung des jungen Mannes gegen seinen Willen. John Buchan beschreibt die Schurken ausgesprochen ambivalent.

 Neben dem dominierenden, aber nur in zweiter Reihe stehenden deutschen Offizier ist es vor allem die Femme Fatale, die in einer ausgesprochenen Männerwelt – deutsche Offiziere und islamische Fanatiker -  alle Fäden in der Hand hält. Ihr Ende ist allerdings höchstens pragmatisch und befreit die Helden aus einer im Grunde unmöglichen Situation, in welcher ihre durchaus nachvollziehbare taktische Planung komplett versagt. Es ist ein sehr abrupter Ende, eines bis dahin sehr gut strukturierten, ausführlich komplex entwickelten und grundlegend sehr modern erscheinenden Spionageromans.

 Während Richard Hannah in „Die 39 Stufen“ bis auf das Finale ausschließlich reagieren konnte und vor allem von den britischen Behörden gehetzt worden ist, befindet er sich zwar in „Greenmantle“ auch auf der Flucht vor den deutschen Truppen, die ihm nur fünf Minuten hinterher eilen und in einem Dorf mit dem Ablegen des Binnenkahns auftauchen, aber er hat ein festes Ziel und eine klar umrissene Mission. In beiden Büchern kommt es auch darauf an, einen entsprechenden Zeitplan einzuhalten. Dabei wird Hannah in „Die 39 Stufen“ von einem Teil der Ereignisse überrollt, in „Greenmantle“ ist der zeitliche Druck eher ambivalent zu sehen, da sich wichtige Prämissenteile aus dem Nichts heraus verschieben und neu definiert werden müssen. 

 Bei den in Europa spielenden Teilen finden sich einige antijüdische Bemerkungen vor allem auch von britischer Seite, während die deutschen Adligen die Juden in erster Linie als Geschäftemacher mit einem zweifelhaften Ruf, aber wirtschaftlichen Notwendigkeiten ansehen. In Hinblick auf den Islam und vor allem den Koran geht Buchan ambivalenter um. Während die Mitglieder des obskuren Ordens einen „Austauch“ des Propheten – eine der tragischen Plotwendungen des Buches – ablehnen und dafür ermordet werden, geht der Autor mit den Ansichten des Islams relativ unorthodox um. Er sieht vor allem einige der arabischen Stämme als treibende Kraft gegen die wie Diktatoren waltenden türkischen Regionalregierungen und das Auftauchen der Deutschen im Hintergrund dient einer antideutschen Stimmung während des Ersten Weltkriegs. Dabei wird der Kaiser – Hannah begegnet ihm – erstaunlich positiv beschrieben. Ein alter ehrwürdiger Mann, der den um ihn herum tobenden Krieg und dessen Auslöser im Grunde nicht mehr verstehen kann oder will. Vor allem die deutschen Offiziere als arrogante und aristokratische Kriegseintreiber werden genauso eindimensional und negativ beschrieben wie die Amerikaner ambivalent, aber noch neutral sind. Es sind die einfachen Menschen, die mit ihrer bedingungslosen Hilfsbereitschaft diese klischeehafte Zeichnung der Deutschen durchbrechen. Interessant ist, dass Buchan vor allem die Türken als bestechlich und dumm beschreibt, während die wenigen Araber als hilfsbereit und modern denkend erscheinen.

 In historischer Hinsicht greift der 1915 veröffentlichte Roman im Grunde dem von Lawrence von Arabien – einem britischen Offizier – ein Jahr später begleiteten Aufstand der Araber gegen das osmanische Reich mit anderen Vorzeichen und einem erfolgreichen Abschluss vorweg. Da „Greenmantle“ ein sehr populäres Buches gewesen ist, könnte der Leser denken, dass die britischen Offiziere den Plot einfach umgedreht und für die eigenen Truppen ausgenutzt haben. Allerdings ist der britische Offizier T.E. Lawrence schon 1914 im Orient aktiv gewesen, bevor er schließlich zu seinem berühmten Spitznamen gekommen ist.

 Plottechnisch ist „Greenmantle“ auch politisch ein ausgesprochen zeitloses Buches, das den immer noch in Flammen stehenden nahen Osten erstaunlich gut charakterisiert und die politischen Ränkespiele der Europäer und impliziert Amerikaner als reine egoistische Griffe nach der jeweiligen Macht ansieht. Inhaltlich greift der Autor allerdings zu oft auf ungewöhnlich stark konstruierte Wendungen und ein eher schwaches, pragmatisches Ende mit den Russen als Helfer ohne Wissen zurück. In dieser Hinsicht ist „Die 39 Stufen“ ohne Frage der bessere, der stärker konzipierte Roman. Auch unterbricht John Buchan immer wieder den Handlungsstrom, um „verlorene“ Figuren an ungewöhnlichen Stellen zurückzubringen und ihre Erlebnisse zu Hannahs Expedition hinzuzufügen. Dabei erinnert eine mutige Flucht sogar an die literarische Vorlage des zweifach verfilmten Stoffes „Die vier Federn“ .

 Auch wenn sich Stärken und Schwächen im zweiten Richard Hannah Band zu stark abwechseln und der ganze Plot ein wenig zu unrund, zu stark dem Zufall geschuldet erscheint, ist „Greenmantle“ aufgrund der damaligen wie heute aktuellen Ausgangssituationen ein Buch, das eine Wiederentdeckung noch stärker verdient als „Die 39 Stufen“.  

  • Taschenbuch: 400 Seiten
  • Verlag: Hard Case Crime (19. November 2013)
  • Sprache: Englisch
  • ISBN-10: 1783291222
  • ISBN-13: 978-1783291229
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