Sinner Man

Sinner Man, Titelbild, Rezension
Lawrence Block

In seinem extra für die Neuausgabe verfassten Nachwort erläutert Lawrence Block die Suche nach dem unter Pseudonym geschriebenen ersten Thriller aus seiner Feder. Wer sich intensiv mit dem Werk des Amerikaners auskennt, wird aber auch aus einem anderen Grund nachvollziehen können, warum die Suche nach diesem 1968 veröffentlichten, aber mindestens vier Jahre früher entstandenen erotisch angehauchten Thriller so schwierig gewesen ist.  Sein Protagonist Don Barshter ist nicht der einzige Block Charakter, der plötzlich seine Heimatstadt verlassen muss, um eine neue Identität anzunehmen.

Aber die Publikationsgeschichte des Originals ist auch interessant. Lawrence Block hat zu dieser Zeit vor allem erotische Romane, aber Thrillerkurzgeschichten verfasst.  Er wollte dem Schmudelgenre entkommen.  Den Roman verkaufte er schließlich über einen Agenten. Damals gab es nicht immer Belegexemplare. Als später Hard Case Crime mehrere seiner frühen Arbeiten neu veröffentlichte, erinnert er sich noch an den groben Plot des Romans, aber nicht mehr an das Pseudonym – zum Teil verfassten auch andere Autoren unter diesen fiktiven Namen Romane – noch an den Verlag, an den es verkauft worden ist. Da Block immer seine Manuskripte nach der Veröffentlichung vernichtete, gab es auch keine Vorlage mehr.

Erst der Zufall – ein Sammler präsentierte auf Facebook seiner umfangreiche Sammlung von Pulpliteratur, die unter Blocks möglichen Pseudonymen veröffentlicht worden ist – führte auf die Spur des Romans und eine neue Veröffentlichung unter dem originalen Titel ermöglichte. „Sinner Man“ – der Titel ist absichtlich auch eine Anspielung auf einen bekannten Schlager – ist kein schlechter Roman, es ist ein harter, dunkler Thriller mit einem unsympathischen Helden, dessen kontinuierlicher Fall nicht wie bei den Kinogangstern schließlich auf den elektrischen Stuhl führt, sondern zu einer Art „Zeitschleife“, in der sich seine anfänglich die Flucht auslösende Tat wiederholt. 

Für einen jungen Autoren ist Lawrence Block neben den erotischen Anspielungen wie harter Sex am Rande der Vergewaltigung oder ein flotter Dreier bei Tageslicht in einem schäbigen kleinen Zimmer ein ausgesprochen stringenter, psychologisch interessanter Roman gelungen.

Don Bashter ist ein Versicherungsvertreter. Im Koreakrieg ist er bei den Spezialeinheiten gewesen. Er weiß, wie man tötet. Inzwischen lebt er in einer unglücklichen Ehe in einer kleinen Stadt in Connecticut. Eines Tages kommt er betrunken nach Hause. Er streitet sich mit seiner Frau. Seine Hand rutscht aus, sie fällt unglücklich und stirbt beim Aufschlagen des Kopfes auf dem Boden. Es sind die 60er Jahre. Er könnte nur wegen Totschlag verurteilt werden. Sein Leben in der kleinen Gemeinde wäre zu Ende.

Also plant er minutiös über das Wochenende sein Verschwinden. Es ist nicht die letzte Szene, in welcher Lawrence Block hervorragend aufzeigt, wie geschickt Bashter alle seine Spuren verwischt und vor allem seine Zukunft plant. Die einzige Chance für ihn ist es, mit dem Mob in Verbindung zu treten und Gangster zu werden. Irgendwo zwischen New York und Los Angeles. Er sucht sich die kleinere Großstadt Buffalo aus.

Kaum angekommen beginnt er absichtlich mit seinen letzten viertausend Dollars die Aufmerksamkeit des örtlichen Syndikats er erringen.  Dazu muss er einen kanadischen Touristen zusammenschlagen, sich selbst von der örtlichen Polizei drangsalieren lassen und schließlich als ersten Job quasi auf eine Steuerabschreibung in Form einer Kneipe aufzupassen.

Pointiert, effektiv und für den Leser jederzeit nachvollziehbar mit ergänzenden Erläuterungen im Nachwort zeigt Block auf, wie ein Mensch allerdings lange vor der Internetzeit und einer perfekteren Überwachung „verschwinden“ kann.  Dabei geht es auch nicht um Schönheitsoperation, gefärbte Haare oder eine Flucht in Ausland. Neue Kleider, neue Haltung und eine verführerische offensive Rücksichtslosigkeit reichen aus, um aus einem langweiligen Mittelklassemann mit einer militärischen Vergangenheit einen Gangster zu machen.

Aber Lawrence Block geht noch einen Schritt weiter. Im Syndikat gibt es Streit. Es kommt zu Machtkämpfen und Barshter soll in einer benachbarten Stadt einen Mann töten. Der letzte Schritt in den Abgrund, aus dem sich eine faszinierende Spirale von Gewalt und sexueller Dominanz entwickelt. Der Leser kann dem Geschehen gar nicht so schnell folgen, wie Barshter nicht nur zwischen den beiden Köpfen des örtlichen Syndikats die Seiten wechselt, sondern rücksichtslos den Mann erschießt, der ihn nur vom Flughafen und zum Mordopfer bringen soll. Später folgt innerhalb weniger Stunden eine Art Säuberungsaktion, die anscheinend Jahrzehnte später auch die Coen Brüder bei „Millers Crossing“ inspiriert haben könnte. Barshter fällt nach oben und sucht bei seiner gelegentlichen Geliebten – ein farbiges Zimmermädchen hält er sich zusätzlich als Gelegenheitsprostituierte –  Anne Bishop nach Bestätigung. Diese junge Frau hat bislang eher unabhängig gelebt und möchte es auch bleiben. Da sie nicht mit Las Vegas kommen will, nimmt er ihr die Arbeit und schließlich die Wohnung. Er treibt sie förmlich in seine Arme, ohne dabei das Echo zu berücksichtigen, das er bei seinen vielen Kinobesuchen im Grunde auf der Leinwand immer wieder sehen könnte.

Die Veränderung im Charakter spätestens mit dem ersten Mord ist von Lawrence Block brillant gezeichnet worden. Es ist eine dunkle nihilistische Studie eines Mannes, der seine Triebe lange Zeit unterdrückt hat, sie plötzlich aber ausleben kann. Auch wenn Barshter dem Leser immer unsympathischer wird und man seinen Fall förmlich herbeiwünscht, kann man nicht aufhören zu lesen. Viele der wichtigen Szenen spielen sich fast nur in Nebensätzen ab. Es lohnt sich, einzelne von Dialogen getriebene Kapitel ein zweites Mal zu goutieren. So endet eine Beichte nebenbei mit einem weiteren Mord. Aus dem anfänglich Getriebenen ist ein Täter geworden, der brutal wie effektiv vorgeht. Nur einmal scheint sich sein Gewissen noch einmal zu melden, aber in diesem Augenblick ist es zu spät, auch wenn der Autor mit seinem fatalistischen halboffenen Ende suggeriert, dass für intelligente Leute sich das Verbrechen zumindest in den sechziger Jahren noch ausgezahlt hat.    

Selbst die zahllosen erotischen Sexszenen sind nicht um ihrer Selbstwillen in die Geschichte eingebaut worden. Die dunkle dominante Seite spielt eine wichtige Rolle. Je weiter er in der Mob Hierarchie nach oben steigt, je schwieriger wird es, mit den Mitmenschen zu kommunizieren. So entwickelt sich die Reise nach Las Vegas in mehrfacher Hinsicht zu einer Katastrophe. Brashter versucht als Mittler zum Leser durch die interessante wie intime Ich- Perspektive zu sprechen, seinen Standpunkt darzulegen, aber er entfernt sich auch gleichzeitig mehr und mehr von seinem „Publikum“, bis er schließlich wie zu Beginn das Heft des Handelns verliert und wieder nur noch reagieren kann. 

„Sinner Man“ ist kein kompliziertes Buch. Der Plot lässt sich in der Theorie in wenigen Worten zusammenfassen. Es ist aber ein psychologisch interessantes, vor allem für die Zeit auch thematisch provozierendes Buch,  das die Faszination des organisierten Verbrechens genauso intim beschreibt wie die Verführung durch die vordergründige Macht der Gewalt. Es ist ein aus heutiger Sicht typischer sehr früher Block, in dem der Autor seine Bewunderung den „kleinen“ Schurken gegenüber nicht verhehlen kann, aber nachdrücklich aufzeigt, wie schmal der Grat zwischen den kleinen alltäglichen Verbrechen und der Gewalt der Gangstermobs wirklich ist. Und wie leicht man dieser Sogwirkung erliegen kann.   

 

Hard Case Crime

Taschenbuch, 222 Seiten inklusiv Buchauszug

Romanfassung inklusiv Nachwort 202 Seiten 

ISBN: 978-1-78565-001-7
Cover art by Michael Koelsch

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