Es ist schwer, ein Gott zu sein

Es ist schwer, ein Gott zu sein, Rezension, Titelbild
Arkadi und Boris Strugatzki

Im Nachwort zur korrigierten und wieder ergänzten Fassung von „Es ist schwer, ein Gott zu sein“ spricht Boris Strugatzki davon, dass die beiden Brüder den Text ursprünglich als Abenteuerroman in der Tradition Dumas mit einem überpositionierten Helden, Degengefechten nur auf einem fremden Planeten, Kardinalen und Verschwörungen konzipiert haben. Alleine die Rolle der irdischen Beobachter auf einer fremden Welt zieht sich wie ein roter Faden durch die verschiedenen Konzepte. Der Heyne Verlag legt den Roman jetzt wieder als Taschenbuch auf, nachdem er vorher im Rahmen der Strugatzki Gesamtausgabe vor wenigen Jahren sorgfältig durchgesehen schon einmal publiziert worden. Das Titelbild scheint sich ein wenig an der ersten Adaption des Buches durch den deutschen Filmemacher Fleischmann zu orientieren. 

In der vorliegenden, nicht mehr alleine für den Jugendbuchmarkt veröffentlichten Version ist zumindest das abenteuerliche Gerüste noch zu er kennen. Denn der am Ende tragische Held schlägt sich zwar gerne mit Faust und zwei Degen, tötet aber keinen seiner Gegner. Mit seiner auf der Erde erlernten Kampftechnik ist er dabei seinen allgegenwärtigen Feinden überlegen. Neu, in den ersten Versionen nur angedeutet, ist der politische Kontext, wobei die Strugatzkis mit den Ideen des Kommunismus in doppelter Hinsicht sogar spielen. Während an einer Stelle des Romans davon „gesprochen“ wird, den Kommunismus als Nachfolge dieses offensichtlich brutalen und teilweise an die Inquisition erinnernden Mittelalters auf der fremden Welt zu etablieren, schlagen sie mit den Denunziationen, dem Verbrennen von unbequemen Gedankengut wie bei den Nationalsozialisten und zumindest durch ideologisches Verbannen bei den Kommunisten sowie den strengen Hierarchien mit einem Hang zum Luxus in der Oberschicht und der Armut der von der Landwirtschaft kärglich lebenden Bevölkerung ein satirisches Schnippchen.


Schon 1964 in Russland veröffentlicht, aber erst neun Jahre später ins Englische übersetzt und in den USA publiziert worden, greifen die Strugatzkis einer der wichtigsten Ideen aus der „Star Trek“ Serie voraus. Wie geht man als höher entwickelte Zivilisation mit einem Erstkontakt wirklich um. Wie in der „Star Trek“ Rolle geht es darum, diesen auf den ersten Blick primitiven Zivilisationen Entwicklungsmöglichkeiten zu geben und vor allem nicht in deren „natürliche“ Evolution einzugreifen. Während bei „Star Trek“ es sich vor allem um Begegnungen des Raumschiffs Enterprise in den Tiefen des Alls handelte, haben die Menschen – die Idee wird in „Star Trek- The Next Generation“ ausführlicher genutzt – auf einem fremden Planeten mit sehr Menschen ähnlichen Wesen eine feste Station mit einer weiteren Raumstation im Orbit etabliert. Sie beobachten seit anscheinend vielen Jahren die Entwicklung dieser sich auf einem Mittelalter entsprechenden Niveau entsprechenden Zivilisation und greifen nicht aktiv ihre Beobachterrolle verlassend niemals ein. Wie sich gegen Ende des Buches herausstellt, ist zumindest Anton alias Don Rumata seit mindestens fünf Jahren unter dem Deckmantel eines verstorbenen Adligen unterwegs. So sehr sich die Menschen auch vor der Neugierde der Ureinwohner geschützt haben, so sehr können sie ihre überlegene Technik – siehe die gezielten Blitze – nicht gänzlich verbergen. Allerdings bewegen sich die Gerüchte über die seltsamen Einwohner in einem abgeschiedenen Wald eher auf dem Niveau von Gerüchten und Mythen.

Der Titel bezieht sich in beiden Variationen – die ersten Auflagen hießen wie die erste Kinoadaption „Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein“, während der neue Titel „Es ist schwer, ein Gott zu sein“ vielleicht eher die düstere, melancholische Stimmung des Buches unterstreicht – auf die vorhandenen Fähigkeiten, aber die politisch gewollte Unfähigkeit, wie eine Gotteserscheinung der primitiven Zivilisation gegenüber einzugreifen und vor allem fatale politische Entwicklungen zu korrigieren. Die Vorgesetzten auf der Erde lehnen es ab, die Menschen dieser fremden Welt quasi aus dem dunklen Mittelalter in die Neuzeit zu katapultieren und sind der Ansicht, dass sich jede Zivilisation mit ihrer eigenen Geschwindigkeit bewegen muss. Jede Weggabelung, jede Abweichung von einer stringenten Evolution bürgt neben den bekannten, aus der Geschichte der Erde unter Schmerzen erlernten Erfahrungen auch die Chance, etwas anders zu machen. Dabei laufen im Grunde zwei starke Bewegungen ab. Auf der persönlichen Ebene wird der anfänglich arrogante und selbst verliebte, aber starrköpfige Anton zu einem fühlenden Menschen, der mit seiner Geliebten und einem aufgeschlossenen jungen Burschen auf der kleinsten Ebene versucht, Menschen zu retten. Mehr und mehr lehnt er die Dogmen seiner Vorgesetzten auf der Erde ab, die wie Voyeure von dieser Mischung aus Blut, Schweiß und Tränen angezogen werden. Auch wenn die Strugatzkis keine Details der irdisch menschlichen Zivilisation offenbaren, hat der Leser das unbestimmte Gefühl, als haben diese Menschen die emotionale Eben hinter sich gelassen und leben, aber nicht lieben in einem idealisierten kommunistischen Idyll. Mehr und mehr verlässt Don Rumata seine Beobachterrolle und greift auch durch die Rettung von Forschern, bedroht von der Kirche, aktiv ein. Interessant ist, dass insbesondere die Beobachter auf der Raumstation dieser Entwicklung nicht folgen und am Ende zwar aktiv eingreifen müssen, aber Rumatas Handlungen vielleicht unbewusst als eine Erweiterung des „Experiments“ ansehen.

Die Strugatzkis nähern sich mit Rumata im Grunde am ehesten der Vorlage Alexandre Dumas. Auch wenn Rumata schon seit vielen Jahren auf diesem Planeten lebt, erfährt er wie D´Artagnan eine Wandlung. Der Musketier zieht nach Paris, erlebt Abenteuer und wird vom Heißsporn zu einem verantwortlichen Mann. Rumata dagegen entwickelt sich immer mehr zu einem Opportunisten, der seine kampfwütige Phase hinter sich lassend gegen seine Umgebung ankämpft. In Alexandre Dumas Roman wie auch „Es ist schwer, ein Gott zu sein“, sind die eigentlichen „Feinde“ die hohen Vertreter der Kirche, die sich mit Angst/ Furcht und Schrecken einen eigenen Herrschaftsbereich aufgebaut haben. Auch wenn die Strugatzkis mit den Folterkellern, den Hinrichtungen und den Mitgliedern der schwarzen Garde auf die Wurzeln der Inquisition zurück gegriffen haben, während Dumas mit dem verschlagenen Kardinal einen erstaunlich modern denkenden Menschen als Antagonisten der Musketiere etablierte. Hinsichtlich der Zivilisation stehen die Strugatzkis politisch eher ambivalent der Herrschaft von oben inklusiv der Unterdrückung des Intellekts und der freien Forschung kritisch gegenüber. Auch wenn diese brutale, blutige und vor allem von religiöser Blindheit gezeichnete Gesellschaft eher zurückfallen als vorwärts schreiten kann/ wird, kann der freie Wille der Menschen, das Streben nach Wissen und schließlich auch die gegen die Dogmen des Glaubens gerichtete Forschung trotz aller Bemühungen der Tyrannen nicht gänzlich gebremst werden. Wobei nicht ganz klar ist, woher die Strugatzkis diesen Optimismus haben, den ausgerechnet der wichtigste Gegenspieler Rumatas ist hinsichtlich der Herkunft der „Menschen“ relativ weit. Er weiß, dass das von Rumata in Umlauf gebrachte Gold nicht auf dieser Welt hergestellt worden sein kann. Dazu ist es zu rein. Er weiß, dass der echte Rumata vor fünf Jahren ums Leben gekommen ist und es wahrscheinlich sogar noch Zeugen gibt, die sich an sein Äußeres erinnern können. Der weiß von den gezielten Blitzen und ihrem Versteck. Zwar kann er noch nicht den Bogenschlag zu Fremden auf dem eigenen Planeten schlagen, sondern denkt eher an Abgesandte des Teufels, aber viele Ideen ragen aus der Masse der eher blinden und gefolgsamen Bevölkerung heraus.

Im Gegensatz allerdings zu vielen westlichen Geschichten selbst „Star Trek“ hat immer wieder Möglichkeiten gefunden, die Direktive zu unterlaufen oder zumindest zu dehnen – gehen die Strugatzkis einen politischen Kompromiss ein. Während Rumata überrascht ist, dass sich die von ihm beobachtete Nation in einen faschistischen Staat verwandelt, der alles Intellektuelle und Wissenschaftliche auf brutalste Art und Weise vernichtet, schlägt der Forscher nicht unbedingt den Brückenschlag zur Erde. Er ist zu Recht der Meinung, dass sich ein derartiges Regime im Mittelalter nicht auf der Erde entwickelt hat. Nicht im Mittelalter, aber in den Jahrhunderten danach. Die Entwicklung der Gesellschaft auf dem beobachteten Planeten ist nicht konträr, sondern wirkt eher wie eine extreme Kompression verschiedener, dunkler politischer und sozialer Phasen auf der Erde. Am Ende kann er den Gegner nicht bekämpfen, sondern muss einen Kompromiss eingehen. Über das ruchlose Erreichen der Ziele und die Etablierung eines weiteren Schreckensregimes hoffen die Beobachter mit dem einzig aktiv handelnden Rumata an der Spitze, das dunkle Zeitalter zu verkürzen und damit den einfachen Menschen ihre Schrecken irgendwann in einer unbestimmten Zukunft nehmen zu können. Es ist ein fatalistisches Ende in einem engen Zusammenhang mit einer persönlichen Tragödie, welche die Unverwundbarkeit des Gottes stark relativiert, was diesen Roman auszeichnet. Die Strugatzkis versuchen dabei wie in einigen anderen Romanen dieser schriftstellerischen Phasen durch drastische Bilder zu mahnen und zu warnen. Viele entgleisende Züge der sowjetischen Gesellschaft – im Anhang wird die „Jagd“ auf die modernen Künstler Ende der fünfziger / Anfang der sechziger Jahre noch einmal erwähnt – im Besonderen und allen Tyranneien im Allgemeinen werden Rumata stellvertretend für die Leser zusammen geschmolzen und auf den Punkt gebracht.

Höhepunkt ist das Gespräch zwischen Rumata und seinem Knappen, in dem Rumata sich als Vertreter der Menschen in der Rolle des Gottes sehen auf jeden Wunsch des Jungen eine zynische und das Gegenteil bewirkende Antwort hat. Als dieser sich von einem derartigen Gott nur Ruhe wünscht und von ihm alleine gelassen zu werden, antwortet Rumata, dass ein Gott das Leiden der Menschen nicht unbedingt ertragen kann. Diese Antwort ist fatalistisch wie pragmatisch zu gleich. Die Strugatzkis reduzieren die Menschen, die ausgebildeten Wissenschaftler im Umkehrschluss zu Voyeuren, die sich am Leid der Primitiven nicht erfreuen, aber ihre Aufgabe unterschätzt haben. Angesichts der Situation im Nahen Osten, den entweder gelungenen oder misslungenen friedlichen Revolutionen dieser Länder; den Machtvakuum, welche vor allem die Supernation USA stellvertretend für die Gottstatus der Menschen in verschiedenen Ländern hinterlassen haben und der Schwierigkeit, eingreifend die richtige Balance zu finden, ist „Es ist schwer, ein Gott zu sein“, das über seine implizierte und gut versteckte Kritik an der damaligen Sowjetunion heute moderner erscheint als in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts.


Vielleicht ist das offene Ende – Anton/ Rumata kehrt zur Erde zurück und könnte mit einer Begegnung seine persönlichen emotionalen Wunden heilen lassen – der Punkt, an dem Strugatzkis Roman am Angreifbarsten ist. Wie Rumata müssen sie auf den langen Atem der menschlichen Tugenden und den Selbstheilungskräften vertrauen. Dabei scheinen die Phasen des zivilisatorischen Lichts jede nach Nation kürzer oder länger zu sein. Es gibt kein Allheilmittel und keinen perfekten Weg, die brutale Primitivität abzulegen. Das muss auch ein „Gott“ wie Rumata erkennen, was ihn wiederum so unwahrscheinlich menschlich macht.

  • Taschenbuch: 300 Seiten
  • Verlag: Heyne Verlag (13. November 2017)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 345331901X
  • ISBN-13: 978-3453319011