Das Dorf des Grauens

Hugh Walker

In "Dorf des Grauens" werden nicht wie vom Herausgeber mehrfach erwähnt zwei Einzelromane Hugh Walkers zu einem Buch zusammengefasst. "Im Wald der Verdammten" und "Kreaturen der Finsternis" sind sowohl 1978 im Rahmen der Vampir Reihe als auch bei der Neuauflage im Rahmen von "Dämonenland" hintereinander erschienen und haben die Kriterien eines Doppelromans also erfüllt. In der Neuauflage hat Hugh Walker die originalen Texte nicht zu einem einzigen Roman verbunden. Der Leser kann den ungemütlichen Cliffhanger zwischen den beiden Teilen förmlich spüren. Neben der ausführlichen Werkzeug und einem einfühlsamen Vorwort hat Peter Emmerich allerdings dieser Neuauflage die Kurzgeschichte "GeFanggen"  aus dem Jahre 1996 beigefügt, die Hugh Walker für eine Neuveröffentlichung im "Nova" Magazin noch einmal überarbeitet hat.

Der Ich- Erzähler Frank Urban - nur Protagonist der beiden Romane - verfährt sich auf dem Weg zu einem Kunden, der eine antiquarische Buchsammlung verkaufen möchte. Anscheinend hat er irgendwann die Autobahn verlassen und findet sich in einem kleinen Dorf wieder, als die Batterie seines Autos streikt. Ein aus heutiger Sicht fast klassisch klischeehafter Auftakt, für den im Zeitalter der Handys allerdings Funklöcher konstruiert werden müssen. Frank Urban sieht sich um und entdeckt in einem Haus eine attraktive junge Frau. Er versucht, sie auf sich aufmerksam zu machen. Doch sie erscheint erstarrt. Eine Gastwirtschaft ist bis auf den Zapfhahn fürs Bier gänzlich leer und Telefone bzw. deren Leitungen funktionieren nicht.

Auf den ersten Seiten entwirft Hugh Walker nicht nur eine beklemmende Atmosphäre, er lässt den Leser zusammen mit dem ihm kaum vertrauten Protagonisten die Orientierung verlieren. Normalerweise droht die Ich- Erzählerebene zu einer Einschränkung der Perspektive zu führen, da der Protagonist zumindest so lange hoffentlich geistig gesund überleben muss, um seine Geschichte einem Dritten - nicht dem Leser - zu erzählen. Das minimiert die Spannung. Rückblickend könnte man diese für die Horror Heftromane fast ausschließlich verwandte Perspektive auch als die größe Schwäche des Romans bezeichnen. Auf der anderen Seite hat Hugh Walker daraus auch bis zum leider etwas überstürzten und nicht ganz zufriedenstellenden zu wenig subversiven oder gar dunklen Ende auf den letzten Seiten von "Kreaturen der Finsternis" die Möglichkeit, die traumhafte Subjektivität der Handlung in den Vordergrund zu stellen und den Roman ausschließlich und das durchgehend aus der Perspektive Frank Urbans zu erzählen. Diese Stärke in ihrer Konsequenz wiegt die Schwäche der eingeschränkten Erzählstruktur und eine mögliche Spannungsminimierung deutlich auf.

Die Isolation, das Eingeschlossen sein hat Stephen King Jahre später mit seinem gegen Ende enttäuschenden "Under the Dome" ohne Frage auf die Spitze getrieben. Hugh Walker greift auf natürlichere Mittel zurück. Ein dichter Nebel, ein verschwundenes Auto und schließlich eine Art Möbiusschleife, welche auf der unterschiedliche Art und Weise allerdings auch unter Ausnutzung von Autounfällen und entsprechenden Rücktransporten den Protagonisten am Ort des Geschehens festhält. Dabei dreht Hugh Walker nicht nur die Daumenschrauben an, sondern versucht den Leser wie auch Frank Urban zu desorientieren. Da wird schon erklärt, das das Auto nicht verschwunden ist, sondern einfach vor eine Auffahrt natürlich mit steckendem Schlüssel geparkt worden ist und deswegen umplatziert werden musste. Frank Urban scheint von normalen Dörflern - nicht unbedingt abschätzig gemeint - umgeben worden zu sein. Kaum hat sich diese Handlungsebene ein wenig beruhigt, schlägt Hugh Walker einen Bogen und impliziert für den Leser auf den ersten Blick klar zu deutende Vampirsignale.  Vollmondnacht, Black Outs und schließlich auch einen spürbaren Blutverlust. Aber auch dieser Handlungsarm wird kurze Zeit später unterminiert, in dem die Erklärungen sehr viel einfacher, aber genauso fremdartiger sind. Dabei mischt der Autor Aberglauben und Magie zusammen, in dem er - nicht zum ersten Mal in seinen Romanen -  auf mystische Schriften zurückgreift, die ein verquerer Wissenschaftler und Forscher gefunden und jetzt auf seinem privaten Experimentierfeld in die Realität umzusetzen sucht.

Das Aufblättern dieser Informationen - sie werden in erster Linie dem schockierten Frank Urban verbal überreicht - erweitert sich insbesondere zum zweiten Teil des Romans hin das Spektrum. Die Idee, menschliche Bäume zu erschaffen, erscheint auf der einen Seite so phantastisch und interessant, auf der anderen Seite entsprechend pervers und wirkt wie eine Variation der alten "E.C. Comics", das der Leser fasziniert, interessiert aber auch abgestoßen zu gleich ist. Um dem Roman die Dynamik zu erhalten, muss Frank Urban versuchen, diesen Prozess zu stoppen, den Verursacher finden und schließlich nicht nur sich selbst retten. Betrachtet man den letzten Fakt zuerst, dann greift Hugh Walker zwar auf klassische "Beschleunigungskomponenten" - Urban spürt, dass er sich bald verändern wird - zurück, beschreibt den Prozess aber auch süchtig machend. Im Protagonisten entstehen ganz neue, nicht vom ersten Augenblick an schockierende Gefühle. Die Transformation hat etwas derartig verführerisches, von der Hektik des Alltags befreiendes, das viele Flanken inklusiv eines exzentrischen Ende offen bleiben.

Erst durch die - wie schon angedeutet - etwas hektische Suche, die natürlich wieder in das Dorf und seine Geschichte zurückführt - und die Konfrontation vor der Entstehung einer globalen Katastrophe kehrt der Plot in die angestammten Schemata des Horror Romans zurück. Dass die Experimente außer Kontrolle geraten und inzwischen drei Dörfer quasi renaturalisiert worden sind und Fremde aus allerdings zu wenig nachhaltig erläuterten Gründen wie Motten ans Licht sprich in diese Dörfer gezogen werden, erweitert ohne Frage die ganze dramatische Bandbreite der beiden Romane, lenkt aber auch ein wenig zu sehr vom Einzelschicksal, das auf den ersten Seite so gut beschrieben worden ist, ab.

Zusammengefasst bilden "Im Wald der Verdammten" und "Kreaturen der Finsternis" einen interessanten, auch heute noch lesenswerten Doppelroman, der aus den klischeehaften Szenarien vieler "Vampir" Romane dieser Zeit durch den Verzicht auf zu stupide Bedrohungen oder gar zu eindimensional entwickelte Monster herausragt. Hugh Walker ist sich den Gesetzen des Genres bewusst und versucht sie insbesondere im ersten der beiden Heftromane effektiver zu unterlaufen. Im zweiten, qualitativ schwächeren Teil mit dem zu aufgesetzt erscheinenden kleinen Happy End stimmt die Balance zwischen Spannung und Exzentrik nicht mehr so nachhaltig. Ohne Frage muss der Autor Antworten auf die zahlreichen Fragen der Leser und damit auch Frank Urbans geben und gleichzeitig den Plot vorantreiben. Daher wirken die Exkurse kompakt und funktionell zu gleich. Aber diese Antworten sind teilweise weniger faszinierend als die Entwicklung des Problems. Der Hintergrund des Szenarios ist von Hugh Walker zufriedenstellend bis gut entwickelt worden. In der anliegenden Kurzgeschichte hat sich Walker mehr auf einen Science Fiction Kontext inklusiv Doomsdaypassagen zurückgezogen, während er sich im Doppelroman ausschließlich auf einen mystisch magischen Hintergrund konzentriert hat. Mit den überdurchschnittlich atmosphärischen Passagen und des kontinuierlich sich steigernden Desorientierung im ersten Teilroman gehört „Dorf des Grauens“ zu den interessanteren „Vampir“ Heftromanen, der seine Neuauflage nicht zuletzt auch aufgrund der überdurchschnittlichen stilistischen Aspekte redlich verdient hat.

Wie schon angesprochen rundet die Sammlung die Kurzgeschichte „Weg-Fanggen“ ab. Es ist erstaunlich, wie sehr sich Hugh Walkers Schreibstil in diesen fast zwanzig Jahren verändert hat. Der Versuch, komprimiert und ein wenig experimentell zu schreiben tut der ganzen Geschichte nicht gut. Zu hektisch, zu viel auf einmal wollend und mit einem offenen Ende ausgestattet bietet der Text in erster Linie Hintergrundinformationen an. Befriedigt als Beimischung zu den längeren Arbeiten, die in Hinblick auf die Waldmenschen zu oberflächlich sind.

Neben den drei literarischen Arbeiten und der kompletten Werkübersicht – sie müsste nicht jeder Veröffentlichung beiliegen – führt Peter Emmerichs einfühlsames Vorwort den Leser als Vorbereitung mit einer persönlichen Episode in die siebziger Jahre zurück.

Zusammengefasst zeigt „Dorf des Grauens“ Hugh Walkers Fähigkeit, aus geradlinigen Horrorsujets etwas anderes zu machen.  Mit den nur indirekt beteiligten“ Pflanzenmenschen“ verfügt er nicht über die klischeehaft bedrohlichen Antagonisten manch eindimensionaler Horrorgeschichte, sondern versucht Piers Anthonys „Schatten des Baumes“ vorwegnehmend Mythen und „Realität“ geschickt in einem alptraumartigen Szenario miteinander zu verbinden. Das ergänzende Material dieser Neuauflage im Rahmen der „Hugh Walker“ Reihe rundet eine gute Präsentation zufriedenstellend ab.

 

 

 

 

  • Taschenbuch: 268 Seiten
  • Verlag: CreateSpace Independent Publishing Platform (2. Oktober 2013)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 149228226X
  • ISBN-13: 978-1492282266
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