Der Raum

Der Raum, Titelbild, Rezension
Peter Clines

Immer wieder schieben deutsche Verlage später von einem Autoren veröffentlichte Romane zuerst auf dem Markt, um dessen Erfolgschancen zu testen. Frühere Arbeiten werden dann möglichst plakativ und auch nicht immer publizistisch korrekt nachgereicht. "Der Raum" ist wenige Jahre vor "Der Spalt" erschienen. Hinzu kommt, dass die Titelbildgestalter die beiden Romane inhaltlich sehr viel dichter aneinander platzieren als es der Handlungsbogen suggeriert.  Ein weiteres Problem liegt in der Konzeption des Buches. In "Der Raum" taucht eine Figur auf, die auch in "Die Spalte" mitspielt.  Im zweiten Buch wird sein weiteres Schicksal erläutert, so dass der Tausch der Veröffentlichungsreihenfolge vor allem bei Lesern Fragen aufwirft, welche die nicht immer subtilen Anspielungen zu mystischen anderen Geschehnissen nicht beantworten wollen oder können. Es bildet sich eine Art "Lost" Atmosphäre, wobei Peter Clines in beiden Büchern Schwierigkeiten hat, die Plots zu vernünftigen zufriedenstellenden Abschlüssen zu führen.

 Wer noch keines der beiden Bücher gelesen hat, sollte unbedingt mit "Der Raum" beginnen und sich von den Schwächen des Erstlings im letzten Drittel nicht täuschen lassen. In beiden Romanen erweist sich Peter Clines auf jeden Fall als sympathischer Erzähler, der aus dem Nichts heraus bodenständige Protagonisten entwickelt und sie subtil in ungewöhnliche, von den Naturwissenschaften nicht immer erklärende Situationen bringt.

 Das Ausgangsszenario ist klassisch. Nate ist einer dieser vielen kleinen durchschnittlichen jungen Menschen, die es in und um Los Angeles nicht unbedingt geschafft haben. Im Gegensatz zu den meisten anderen Protagonisten des Buches hat er nicht unbedingt in Hollywood arbeiten wollen. Er hat einen unterbezahlten Job in der Dateneingabe, einen miesen hinterhältigen Chef und steht buchstäblich auf der Straße, als sich seine Wohngemeinschaft aufzulösen beginnt. Er hält von einem Mann, der ihm nicht unbedingt sympathisch ist, den Tip, sich bei der Maklerin des Kavach Gebäude, eines unter Denkmalschutz stehenden alten Steinbaus vorzustellen. Die Miete ist niedrig, der Blick aus dem Fenster phantastisch und Parkplätze gibt es keine. 

 Im Laufe der nächsten Wochen lernt Nate quasi stellvertretend für den Leser einige seltsame Dinge. Die Kakerlaken sind grün und haben teilweise ein zusätzliches Bein. Auch wenn es Strom im Gebäude gibt, kann er keine Stromkabel von außen erkennen. Einige Wohnungen sind seit Jahren nicht vermietet, in anderen herrscht eine rege Fluktuation. Es ist aber kein klassisches Horrorhaus. Seine Nachbarn sind vielschichtig, interessant und aufgeschlossen. Jeder hat eine seltsame Anekdote beizutragen. Ganz bewusst wird keines der Klischees des Genres bedient und wenn Nate zusammen mit den beiden Frauen - eine ist Künstlerin und exzentrisch, die andere kümmert sich um die Versorgung der Mieter mit dem Internet und ist eher introvertiert - den verschiedenen unerklärlichen Punkten nachgeht, dann baut der Autor eine solide Spannungskurve ohne überzogene und vielleicht auch in die Irre führende Schockeffekte aus.

 Wie in seinem später geschriebenen, aber früher in Deutschland eben veröffentlichten Roman "Der Spalt" lebt das vorliegende Buch vor allem von seinen Charakteren. Mit leichter Hand und gut übersetzten, natürlich erscheinenden Dialoge entwickelt Peter Clines beginnend mit dem bodenständig, ein wenig langweilig erscheinenden Nate eine Reihe von dreidimensionalen Charakteren.  Die erste Frau, der Nate begegnet, spielt dabei nicht einmal eine wichtige Rolle. Sie arbeitet ebenfalls in einem langweiligen Job, ist ein wenig vergesslich und ständig auf der Flucht vor sich selbst. Alle Zeichen deuten auf eine potentielle Nachbarschaftsromanze hin, aber Clines nutzt sie in erster Linie, um eine zweite Perspektive, aber nicht unbedingt Handlungsebene aufzubauen.

Die Begegnung mit der kellernden tätowierten sehr extrovierten Künstlerin wird von pointierten doppeldeutigen Dialogen begleitet. Nate trifft sie sonnenbadend und oben ohne auf dem Dach des Mehrfamilienhauses. Das Internetgenie ist von indianischer Abstammung, sehr geschäftstüchtig und zurückhaltend, aber nicht weniger neugierig und intelligent. Der ältere Hausmeister des Anwesens - seit mehr als dreißig Jahren- flösst den Mietern mit seiner Mischung aus Drohungen - wo bekommt man in Los Angeles günstigere und bessere Wohnungen?- und Bauernschläue Respekt ein. Auch andere Nebenfiguren scheinen direkt aus dem Leben in diesen anfänglich absichtlich wie ein Horror Roman gestaltete Geschichte gefallen zu sein. Schnell wird der Leser mit ihnen vertraut.  Da sie über weite Strecken des Buches auch nicht wie bei einer Gruselgeschichte klassisch "leiden" müssen, fühlt man sich wie unter Freunden in einem im Grunde nur exzentrischen Haus sehr wohl.

 Auf den letzten Seiten dreht dann das Szenario. Nach dem Eintreten der „Katastrophe“ – Genreleser werden davon nicht überrascht – beginnt der kurzzeitige Überlebenskampf, in dessen Verlauf auch vertraute, aber sich kontinuierlich weiterentwickelnde, nicht unbedingt von Beginn an sympathische Charaktere sterben müssen.

 Erst nach einem Drittel - die gleiche Struktur hat der Autor auch bei "Der Spalt" angewandt - zieht das Tempo des Plots deutlich an und die freundschaftlich entspannte Atmosphäre wird hinter sich gelassen. Bis dahin verdichten sich die Hinweise, dass dieses seltsame Haus ein besonderes Geheimnis hat, das zumindest mittelbar auch von der amerikanischen Regierung gedeckt wird. Der Autor nutzt alle Freiräume in der „Lost“ und „Warehouse 13“ Tradition mit Wikipedia Einträgen, kryptischen Warnungen und Zahlenkombinationen hinter den Tapeten seit mehreren Jahrzehnten verborgen und einem Skelett quasi hinter der Wand. Auch ein Bezug zu H.P. Lovecraft wird ohne weitere Erklärungen hergestellt. Dazu ein fast klassischer Schockmoment, für den es ebenfalls keine Erläuterung gibt.

 Um die abschließenden Ereignisse in Fahrt zu bringen, braucht der Autor die wie ein Klischee erscheinende Gruppe der religiösen Fanatiker, die mit den Hebeln der Maschine spielen und das Haus zu versetzen beginnen. Die folgenden Erläuterungen inklusiv des Ziels der Reise sind wie bei „Der Spalt“ vor allem für Genreliebhaber eher ernüchternd und verdienen in dieser Form die lange sehr viel interessantere und spannend gestaltete Prämisse nicht.  Natürlich ist es irgendwie spannend und dramaturgisch geschickt geschrieben, aber reicht das, um mehr als vierhundert Seiten Exposition zu tragen? Inklusiv des abschließenden Besuchers und der eher kryptischen Bemerkungen im Epilog sowie Peter Clines nicht zufriedenstellenden Nachworts bleibt ein Gefühl der Leere im Leser zurück.

 Zu den Stärken gehört der Weg dahin. Mit diesen dreidimensionalen Protagonisten sowie den interessanten Haus mit vielen Wohnungen, der Dachterrasse, den Tunnel unter der Erde und dem „Maschinenraum“ – auch eine Art Idee, die eher an „Lost“ erinnert - , der an den Steampunk erinnernden Schaltzentrale und schließlich auch dem einen besonderen Raum werden viele kleine Höhepunkte gesetzt und länger als es objektiv Peter Clines vielleicht vermutet hat, kann er bei einem Meanstreampublikum ein zentrales Geheimnisses des Hauses verbergen. Nur weigert er sich abschließend, mehr als nur die rudimentären Hinweise zu geben und der Leser mag nicht glauben, dass eine Handvoll Männer dieses Haus wirklich als Schutz vor dem da draußen erschaffen hat. Dazu wirkt die Technik selbst über einhundert Jahre später zu komplex und kompliziert.

 Es ist schade, dass durch die Verweigerung dieser Antworten und vor allem die eher an eine Fantasy Geschichte erinnernde Reise dem sehr guten und überzeugenden Anfang seine Brisanz und teilweise auch Brillanz genommen worden ist.

 Wie „Der Spalt“ ist „Der Raum“ solide Unterhaltung für ein breites Publikum, das von Peter Clines gut verfasst, aber teilweise ein wenig unstimmig übersetzt worden ist. Aus beiden Büchern hätte der Autor aber sehr viel mehr machen können und vielleicht in der Richtungen Publikationsreihenfolge vor allem in „Der Spalt“ machen müssen.  

 

  • Taschenbuch: 592 Seiten
  • Verlag: Heyne Verlag (10. April 2017)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3453316428
  • ISBN-13: 978-3453316423
  • Originaltitel: 14