Autorität

Southern Reach Band II, Autorität, Rezension
Jeff Vander Meer

“Autorität” ist der zweite Band der “Southern Reach”  Trilogie. Auch wenn auf den ersten Blick der Handlungsbogen nahtlos aus einer anderen Perspektive sich anschließt, wird die paranoide Geschichte wie es sich wie „Lost“, aber in diesem Fall auch dir legendären Fernsehsendung „The Prisoner“ gehört weit in die Vergangenheit geführt, um hinsichtlich des Cliffhangers in der Gegenwart zusammenzufließen.

Es ist elementar, den ersten Band der Serie gelesen zu haben. Die wichtigsten Ereignisse werden zwar zusammengefasst, aber erstens ist „Auslöschung“ – der Titel ist ein wenig ungewöhnlich  wie unglücklich– ausschließlich aus der Ich- Perspektive der Biologin als Expeditionsteilnehmerin in das Area X geschrieben worden und der vorliegende zweite Band aus der sachlichen Distanz der dritten Person.  Zweitens schaut der Leser quasi durch die Glasscheibe. In „Auslöschung“ geht es um die  menschlichen Versuchstiere, die immer wieder vom Southern Reach Institut in diese so fremdartig bizarre Zone geschickt werden. Ihre Aufgabe ist neben der Erkundung der seltsamen, aber auch ambivalent gehaltenen Landschaft das Führen von Tagebüchern. Nur die erste Expedition hat Videoaufnahmen gemacht, die im Laufe des vorliegenden zweiten Bandes vom neuen Control angeschaut werden.

Diese Szenen beschreibt Jeff VanderMeer mit der ambivalenten wie klischeehaften Warnung, dass mehr als eine Stunde kontinuierlichen Schauens dem Betrachter den Verstand raubt. Dann werden einzelne Szenen intensiver beschrieben. Sie erinnern aber ein wenig an „Lost“ inklusiv vor allem des wiederkehrenden Rauchmonster sowie die verschiedenen semidokumentarischen Streifen in „Blair WItch Project“ Tradition. Weniger wäre wahrscheinlich mehr gewesen.

„Auslöschung“ hat sich mit dem Schicksal der angeblich zwölften Expedition beschäftigt. Zu Beginn des zweiten Buches erfährt der Leser, dass drei der vier ausschließlich weiblichen Mitglieder aus dem Nichts heraus zurückkehrend in der Stadt aufgefunden worden sind. Sie können sich wie viele ihrer Vorgänger nicht daran erinnern, Area X verlassen zu haben. Während alles im ersten Buch aus der Perspektive der Biologin beschrieben worden ist, spielt sie lange Zeit als Rückkehrer und zu verhörendes Objekt eine untergeordnete Rolle.  Sie tritt nur aus der Sicht von Control, dem vordergründig Verantwortlichen im "Sotuhern Reach" Institut in Erscheinung.

Jeff Vander Meer versucht die inzwischen gigantischen Apparatur  zu untersuchen, die das Southern Reasch Institut aufgebaut hat, um Area X zu untersuchen.   Dabei geht er ausgesprochen ambivalent vor. Es werden einige Hintergrundinformationen über das mögliche Ereignis vor ungefähr 30 Jahren dem Leser förmlich hingeworfen. Dabei bleibt offen, ob es eine Laune der Natur ist oder vielleicht eine außerirdische Invasion. Vielleicht handelt es sich auch um eine natürlich erschaffene künstliche Intelligenz , welche die Ära dominiert. Je mehr Fragen Control scheinbar beantwortet, um so mehr Abgründe und weitere offene Flanken tun sich auf.  Aber die Organisationsstruktur ist ausgesprochen hierarchisch bis diktatorisch. Im Grunde impliziert Jeff Vander Meer mehr als das er erklären möchte. So bleiben neben Control nur noch die ehemalige Direktorin im Gedächtnis, der Rest des Personals verschwimmt zu einer gesichtslosen Masse. Und die Direktorin hat der Leser vor allem ein Mitglied der zwölften Expedition kennengelernt, in welche sie sich anonym und unauffällig geschlichen hat.           

Dabei leidet anscheinend auch jeder in der mittleren oder oberen Führungsebene des Southern Reach Instituts unter der gleichen oder vielleicht einer noch schlimmeren Paranoia als die Freiwilligen, die sich seit vielen Jahren für die Expedition in das unwirtliche Area X melden.

Wie bei „Lost“  in einem starken Kontrast zu  der gar keine Frage beantwortenden Paranoiaserie „The Prisoner“ erfährt der Leser jetzt vor allem in Zwischenkapiteln sehr viel mehr über John Rodriguez alias Control, sondern auch über dessen Vorgängerin – die Psychologin der zwölften Expedition aus dem ersten Roman – sowie den vielleicht ein wenig zu stark konstruierten familiären Zusammenhängen mit dem Leuchtturmwärter, der in diesem und im nächsten Roman aktiv auftritt, während er in „Auslöschung“ nur eine schemenhafte Chiffre auf einem vergilbten Foto gewesen ist.

Wie in „Twin Peaks“ Agent Cooper ist Control ein Außenseiter, der bei der Mannschaft des Instituts auf Ablehnung stößt. Viele hoffen, dass ihre alte Chefin als Mitglied der zwölften Expedition zurückkommt. Alle anderen Mitglieder haben es geschafft. Im Gegensatz zu den Protagonisten kennt der Leser das implizierte Schicksal der Psychologin aus den Tagebuchaufzeichnungen der Biologin, die im Laufe des zweiten Bandes auch „geborgen“ werden. Erstaunlich ist es, dass Control aufgrund oder besser wegen seiner Wurzeln nicht mehr über Area X weiß und stellvertretend für den Leser über die bisher bekannte eher rudimentäre Geschichte informiert werden muss. Ob diese Informationen wirklich stimmen, steht auf einem anderen Blatt und wird hoffentlich im letzten dritten Roman der Serie aufgeklärt.

Control steht zwischen allen Fronten. Die Gespräche/ Verhöre der Biologin offenbaren eher weitere Geheimnisse, wobei auf der zwischenmenschlichen / emotionalen Ebene Jeff Vander Meer hinsichtlich der Charakterisierung seiner absichtlich stilisierten funktionalen Figuren sich auf einem schmalen Grat bewegt. Vor allem „Lost“ überzeugte durch die Zeichnung teilweise extremer/ exzentrischer, aber immer menschlicher Figuren in surrealistisch zu nennenden Situationen, während dieser Kontrast in der „Southern Reach“ Trilogie weniger stark herausgearbeitet worden ist. 

In dieser Hinsicht ist der detailbesessene Whitby eher wie eine Karikatur, wenn nicht sogar Parodie auf die phantasielosen Beamten anzusehen,  die gegen alle seltsamen Ereignisse stoisch ihren Dienst versehen. Die  „Stimme“, die Control aus dem Nichts heraus immer nach Updates fragt,  wirkt leider wie ein Klischee. Auch die tragischen  als Rückblick zu verstehenden Agenteneinsätze Controls minimieren das Charisma dieser bislang schwer einzuschätzenden Figur. In diesem Punkt überzeugte „Auslöschung“ mit seinen namenlosen Expeditionsteilnehmern mehr.    

Wie im ersten Buch versucht der Autor vor allem Spannung durch das ausschließliche Andeuten und kontinuierliche Hinterfragen zu erzeugen. Da der Leser niemanden trauen kann und sich gerade eruierte Informationen widersprechen können, lässt sich die Plotentwicklung erst in dem Moment abschließend beurteilen, wenn im letzten Band die Geheimnisse von Area X überzeugend aufgedeckt werden.  Manche Ideen wie die Obsession mit der Gefahr einer Ansteckung erinnern an Strugatzkis „Picknick am Wegesrand“ , andere Ansätze werden von Philip K. Dick übernommen. Auch bei Dick wusste der Leser bzw. die Protagonisten nicht, wer der Überwachte und wer der Überwacher ist. Und ob ihre Welt wirklich real ist.

Am Ende des Plots und dem Beginn eines gänzlich neuen Spannungsbogens hat Control über die Zone; die möglichen Tunnel und vor allem die ihm absurd erscheinende Idee einer einzelnen Frau, aktiv Area X betretend und verlassend fast alle Fakten/ Informationen gesammelt, die ihm mehr oder minder absichtlich zur Verfügung gestellt worden sind. Der Leser hat ebenfalls wie Control einige Hinweise auf dessen Mutter – sie war beim Leuchtturm, bevor oder während die Zone entstanden ist – erhalten. Trotzdem bleiben alle Hintergründe im Dunkeln.

Das Verbünden mit der Biologin, im Grunde der Positionswechsel vom Beobachter/ Chronisten zum aktiv Handelnden wirkt ein wenig zu überambitioniert, zu konstruiert, um den Plot mit dem dritten Buch wieder zeitweise dahin zu führen, wo Jeff Vander Meer am meisten überzeugen kann: Area X. 

Als Roman ist „Autorität“ wie der Titel fast selbstironisch sagt gänzlich anders verfasst worden als ein Leser des Auftaktromans es vermutet. Eine dritte distanzierte Personenebene, dazu wechselnde Perspektiven und ein sehr ambitionierter technokratischer Überbau. Diese Wendung kann einige Anhänger des ersten Buches verprellen, aber Jeff Vander Meer macht mit dieser Auflösung der intimen wie subjektiven, durch die nicht immer als Tagebuchaufzeichnungen gut getarnten Erzählebene viel richtig. Die Geschichte ist zu komplex, um sie aus einer Sichtweise zu erzählen. Zu viele Fragen bleiben offen, aber bis zur abschließenden Auflösung ist auch der zweite Roman der „Southern Reach“ Trilogie eine seltsame, paranoide Unterhaltung auf einem gehobenen Niveau.