Soho Sins

Richard Vine

Richard Vines Debütroman "Soho Sins" im Rahmen der Hard Case Crime Reihe beginnt schon mit dem Blick auf das Cove ungewöhnlich. Während der Herausgeber sonst immer Wert drauf gelegt hat, bei seinen spektakulären der Pulpzeit entsprechenden Ära auf extra angefertigte und trotzdem "alt" erscheinende Titelbilder zurückzugreifen, präsentiert "Soho Sins" mit einem bislang verschollenen Bild der Malers Robert Maquire einen handlungstechnisch nicht stimmigen, aber ohne Frage hinsichtlich einiger Implikationen abseits des eigentlichen Krimiplots auch stimmenden Augenfänger.

Der Autor Richard Vine ist der Herausgeber und Redakteur des wichtigen Trends bestimmenden Kunstmagazins "Art in America". So bestimmt die Kriminalhandlung auch manche Exkursion in den Bereich der griffigen oder expressiven, manchmal auch nur das jeweilige Ego steigernden Kunst. Positiv ist, dass Richard Vine sich ohne Frage in der Kunstszene auskennt, sie aber nicht vergöttert und auch kritisch mit manchen aus seiner Sicht ausschließlich kommerziellen wie künstlichen Strömungen umgeht. Richard Vine hat das Buch im Alter von mehr als sechzig Jahren publiziert. Diese Altersweisheit spiegelt sich auch in der Identifikationsfigur des Leser wieder.

Jackson Wyeth ist reich. Im Laufe der Handlung erläutert der Atelierbesitzer im New Yorker Soho, wie er fast tragisch zu Geld gekommen ist. Eine schwere Figur ist während seiner Lehrzeit in einer Galerie auf ihn gestürzt und hat seinen Arm zertrümmert. Aus der Versicherungssumme hat er nicht nur seine eigene Galerie eröffnet, sondern immer wieder Häuser gekauft und verkauft, bis ihm einige Mietblöcke im inzwischen mondänen wie hippen Soho Sins gehören. Die Handlung spielt anscheinend aber nicht in der Gegenwart, denn Handys sind kaum erwähnt und vor allem VHS Cassetten und nicht DVDs oder ein globales, zensurfreies Internet spielen auch keine Rolle. Auch wenn Jackson Wyeth Mittler zum Leser ist und auch in die Ermittlungen hinsichtlich der Verbrechens dank seiner Freundschaft zum Opfer, zum potentiellen Täter und einem dessen Unschuld beweisenden Privatdetektivs eingebunden ist, enthält "Soho Sins" auch zum Teile seine Lebensgeschichte. Seine Frau ist vor vielen Jahren offenbar an Krebs verstorben. Inzwischen lebt der Single alleine und nicht unglücklich in einer Wohnung in einem seiner Häuser.

Der Roman beginnt mit dem Mord an Amanda Oliver, der zweiten Frau des vor allem durch einen Technologiekonzern reich gewordenen Philip Oliver. Amanada und Oliver sind lange Zeit das In Paar der Künstlerszene gewesen. Zusätzlich haben sie Jackson Wyeth nach dem Tod seiner Frau freundschaftlich geholfen. Philip gesteht der Polizei, dass er seine Frau getötet hat. Nur war es zu dem Zeitpunkt nachweislich nicht an der Ost-, sondern der Westküste der USA. Anscheinend ist Philip an einem seltenen Syndrom erkrankt und verliert den Bezug zur Realität, was die Polizei aber nicht stört, ihn ihm den einzigen wahren Verdächtigen zu sehen.

Der Privatdetektiv Hogan wird von Philips Anwalt beauftragt, dessen Unschuld zu beweisen und den Täter zu finden. Da sich Hogan in der Künstlerszene nicht so frei bewegen kann, bittet er einen Freund Jackson Wyeth um Hilfe.

Der Kriminalfall ist dabei sehr gut angelegt und erinnert absichtlich an einige Film Noirs aus den vierziger Jahren.  Vor allem, weil Jackson Wyeth am Ende eine Möglichkeit erfährt, die noch zynischer ist als es die vor Femme Fatale strotzenden Streifen der damaligen Zeit angedeutet haben. Es bleibt die Frage, ob diese Grundidee in der vorliegenden Form wirklich abschließend realistisch ist und ob vor allem der betreffende Charakter zu dem Zeitpunkt so „reif“ gewesen sein kann. Interessant ist aber, dass wie bei einer Zwiebel ein möglicher Täter nach dem Anderen präsentiert wird.  Abschließend sind mindestens zwei dieser drei Verdächtigen schuldig. Nicht unbedingt hinsichtlich des Mordes an Amanda, aber anderer Verbrecher .

Nach dem ersten Drittel des Romans scheinen die Ermittlungen in Nichts zu laufen. Vielleicht um seinem leidenden Protagonisten zu helfen, öffnet der Autor mit einem Pornoring und Videos von minderjährigen Mädchen, die unter Drogen gesetzt für reiche Asiaten vergewaltigt werden, eine zweite Front, die mittelbar mit dem Mord zu tun haben kann. Natürlich wirkt diese Ablenkung auch wie ein Klischee. Die Welt der Mächtigen und Reichen besteht „nur“ aus Perversen.  Das sich Wyeth  auf einem sehr riskanten und gegen Moral/ Sitte verstoßenden Irrweg bewegen muss, um zumindest diese Flanke zu schließen, irritiert anfänglich. Nur wenige Autoren haben sich mit dem „Lolita“ Syndrom weniger aus den beiden Filmen, sondern der literarischen Vorlage so intensiv, provokant und doch auch ein wenig prüde auseinandergesetzt.

Die Überführung des ersten Täters bedingt nur wenig Ruhe. Der Fall scheint geklärt, bevor Richard Vine dann zum Leidwesen des Erzählers eine weitere Tür öffnet, die mittels vorhandener, aber nicht einsehbarer Beweise zu einer Falltür führt.  Das könnte konstruiert erscheinen, wirkt aber überzeugend, zumal am Ende der Ermittler im Grunde fatalistisch aufgibt und sich der Wahrheit beugt.   

Es sind die zwischenmenschlichen Bögen, welche das Buch so interessant machen. Wyeth mit seiner Behinderung nach dem Unfall ist ein distanzierter, vielleicht ein wenig selbstverliebter Charakter, aber der normalste Protagonist des ganzen Buches. Das erscheint absurd, aber Richard Vine zeichnet das Portrait einer eitlen, selbstverliebten Gemeinschaft, in welcher der Mann, über den alle sprechen, zu einem tragischen Opfer wird. Philip bekannt sich als Täter, er kann es aber nicht gewesen sein.  Sein geistiger Verfall, der verzweifelte Versuch, irgendwo noch einen Anker zu finden, berührt. Wenn er auf Partys allen Menschen sagt, dass er seine Frau getötet hat, dann wirkt es verstörend. Eine besondere Form von Alzheimer. Sein Sterben , das Dahinsiechen des so aktiven Mannes im mittleren Alter zeigt dem Leser überdeutlich auf, dass niemand weiß, wie viel Zeit einem auf der Erde bleibt.  Für Wyeth ist es doppelt bitter, da auch seine Frau Natasha vor einiger Zeit langsam an ihrem Krebsleiden verstorben ist.

Philips Umfeld besteht nicht nur aus Hyänen. Während seine junge Freundin eher verzweifelt mit dieser Krankheit umzugehen sucht, ist es die erste Frau, die sich als potentieller Engel der Barmherzigkeit erweist. Aber wie fast alle Figuren des Romans sind ihre Absichten und Motive gänzlich andere.

Der Privatdetektiv ist in solchen Romanen die klassische, vielleicht auch klischeehafte Figur. Auch wenn Hogan schließlich mit seiner Ermittlungsarbeit und dem Zufall, dass die Polizei wichtige Beweise aus einer falschen Perspektive betrachtet hat, den Täter finden kann, ist er nicht der Held des Romans. Er fängt ein Verhältnis mit einer der Verdächtigen an, genauso wie Wyeths emotionale Balance an den Rand des Einsturzes gebracht wird. Hogan ist Opportunist, welcher die gefährliche Arbeit anderen Menschen überlässt. Selbst Amateuren.

Auf der anderen Seite erweist er sich auch als eine Art Bogart Verschnitt aus „The Maltese Falcon“. In „Soho Sins“ ist eine die einfachste Szene, die der Leser aus den erwähnten Film Noirs wieder erkennt. Aber  Hogan folgt anscheinend lange Zeit für den Leser einer falschen Spur. Erst im Epilog relativiert er seine vor der Polizei vertretene Meinung.

    Es passt zu dem lesenswerten, mit sehr guten Dialogen ausgestatteten Roman, dass es sowohl in den Galerien als auch während der Ermittler des eigentlichen Täters vor allem ums Gesicht wahren geht.  Das ist die passende Botschaft.

Aber auch atmosphärisch überzeugt „Soho Sins“.   Richard Vine zeichnet ein überzeugendes Portrait dieser Viertel, die den Slums  entkommen plötzlich von der wie Zigeuner erscheinenden Kunstszene entdeckt worden sind.  Es ist bezeichnend, dass sich ein Mafiosi über die Veränderungen im Viertel beschwert. Aber Wyeth ist kein reiner Anhänger dieser Veränderungen, auch wenn er monetär mit  seinen Loft Wohnungen am meisten davon profitiert. Er schwimmt in der Szene mit, auch wenn die meiste Arbeit seine Assistentin und Managerin seiner Galerie macht. Manchmal steht er selbst wie der Leser verwundert vor den Exzessen, die einem bornierten Publikum als authentische Kunst verkauft werden sollen. Vor allem in die Breite, aber nicht kritisch in die Tiefe gehend wird  so das Bild einer egoistischen, selbst verliebten und im Grunde unsympathisch distanzierten Gesellschaft innerhalb der Sozialgemeinschaft gezeichnet. Es ist exotisch, faszinierend, verstörend und irgendwie auch anziehend. Hier liegt die größte Stärke dieses kriminaltechnisch vielleicht in der Mitte ein wenig zu langsam initiierten Krimis, der das inzwischen auch wieder vergangene Portrait einer Künstlerkonklave mitten in New York zeichnet.           

Hard Case Crime

Paperback, 382 Seiten
ISBN: 978-1-78329-928-7
Cover art by Robert Maguire

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