Dschiheads

Wolfgang Jeschke

Wolfgang Jeschkes neuer Roman "Dschiheads" versucht eine im Grunde "Second Contact" Geschichte mit in erster Liniwe religiös kommerzieller Kritik zu verbinden. Ohne Frage ist der kompakt geschriebene, kurzweilig zu lesende Abenteuer Science Fiction Roman eine empfehlenswerte Lektüre, aber insbesondere nach "Das Cusanus Spiel" fragt sich der Leser, warum Wolfgang Jeschke im Vergleich zu seinem deutlich pointiert kritischen Kurzgeschichtenwerk so oberflächlich geblieben ist.

Zu den schwächsten Passagen gehört die "Dschihead" Kultur, die sich aus allen Religionen heraus gebildet und auf der unwirtlichen Welt "Hot Spot" bzw. Paradise angesiedelt hat, aber zu wenig eigenständig, exotisch oder auch nur innovativ erscheint. In einem Exkurs lässt der Autor die Leser und die beiden führenden Wissenschaftler hinsichtlich der Geschichte der "Dschiheads" auf den neusten Nenner bringen. Die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit konnte man schon in einer Reihe anderer Kapitel nach verfolgen. Gegründet als "neue" Religionsbewegung haben die Fanatiker aggressiv und wie bei einer Sekte versucht, neue Mitglieder zu werben. Nach knapp einhundert Jahren begann sich diese Gruppe zu radikalisieren und wanderte nach New Belfast aus, wo sie aufgrund ihrer Lebensweise ein zweites Mal abgeschoben worden sind. Den bösartigen Spitznamen "Dschiheads" haben sie sich auf die Fahnen geschrieben. So weit so gut. Inzwischen leben sie unter der Führung eines klassischen Diktators. Er ist in den Handel mit den wertvollen Augen der intelligenten "Tiere" involviert. Anscheinend hat auch der gegenwärtige Kommandant der Basisstation ein großes Interesse daran, dass diese "Kristalle" weiterhin exportiert werden können. Jeschke beschreibt ihn als eine Mischung aus "katholischem" Bischoff und islamischen Fanatiker, der sein Volk in devoter Armut halten will. Er lässt sich von Jungen heimlich unter seiner Kute oral befriedigen oder liebt Analsex mit willigen oder gezwungenen jungen Männern. Gleichzeitig vergewaltigt er auch willenlose Frauen und schwängert sie. Alles Aspekte und dunkle Exzesse, die aus den westlichen Kirchen bekannt sind. Zum islamischen Teil gehören die drakonischen Strafen. Wer mit seinen Schuhen bestimmte Tempelbereiche betritt, wird mit mehr als fünfzig Schlägen auf die Fußsohlen bestraft. Wer die Autorität direkt oder indirekt angreift, wird öffentlich zur Freude der Dorfbewohner nach entsprechender Folterung aufgehängt. Behinderte wie der taubstumme Freund des jungen Protagonisten Suk werden aus dem Dorf getrieben. Und letztendlich liebt der Tyrann Pfefferminzbonbons. Jeschke greift hier überzogen in eine Reihe von Klischeekisten, um ein möglichst eindimensionales und abartiges Bild einer esoterischen Religionsgemeinschaft zu schmieden, die ihre Erfüllung - insbesondere Suks Mutter duldet die Herrschaft des Oberhauptes widerspruchslos - in der Huldigung eines fetten, feisten Mannes und weniger eines Gottes findet. Der Einfluss dieser Sekte reicht bis in die Ränge der Raummarine auf dem Planeten, was beim Rückflug der Wissenschaftler überdeutlich wird. Zusammen mit den beiden brutalen Leibwächtern des Oberhauptes gehören die beiden kurzen Auftritte des Shuttlepiloten zu den konstruierten Mechanismen des Romans, um leider vorhersehbare und die starken Passagen des Plots unterminierende Spannung zu erzeugen. Das Wolfgang Jeschke auch noch einen unnötigen wie später latent relativierten Exkurs in den Bereich der Hirnerkrankung als Auslöser religiöser Wahnvorstellungen und Intoleranz inklusiv der heilenden Operation einschiebt, macht diesen Aspekt des Romans nicht glaubwürdiger. Zu ambivalent, zu wenig um eine nachhaltige Position bemüht baut Jeschke ein Klischee nach dem anderen auf. Natürlich müssen diese Fanatiker derartig eindimensional, abstoßend und schließlich auch entrückt beschrieben werden, damit die Konfrontation mit den aufgeklärten Wissenschaftlern besser funktioniert. Aber es ist schade, das Wolfgang Jeschke aus dem erdrückend beschriebenen Fanatismus dieser kleinen Sekte nicht mehr macht und ihre Position ambivalenter, überdenkenswerter, verführerischer, zwiespältiger, subtiler und vielleicht auch für den Leser nicht nur nachvollziehbarer, sondern vor allem gefährlicher beschreibt.

So findet die Revolution gegen die Unterdrückung jeglichen Denkens auch nur im Kleinen statt. Der junge teilweise Ich- Erzähler Suk rebelliert nach dem Verlust seines Freundes und angesichts seines Hasses auf das Oberhaupt des Dorfes gegen die Ordnung, rettet einen der Wissenschaftler und flieht schließlich. Am Ende gelangt er in die Obhut einer Schiffsbesatzung mit dem Aufbau einer „Familie“, erlebt einige Abenteuer und hat die Chance, nicht nur seine Welt besser kennenzulernen, sondern vor allem seinen Freund wieder zu finden. Dieser Handlungsarm endet schließlich in einem doppelten Happy End, das eher an einen amerikanischen Abenteuerstreifen denn eine ernstzunehmende Exkursion erinnert: die Handlanger werden von den Hunden - darunter eine ältere K.I. - bei ihrem Versuch, weitere Augen zu verkaufen, "aufgehalten" und den abgeschossenen Gleiter des verschwundenen Stationskommandanten findet man gleichzeitig in einem Sumpf. Jetzt kann die terranische Obrigkeit trotz oder vielleicht auch gerade wegen der verschiedenen Gesetzesüberschreitungen seiner Wissenschaftler nicht mehr wegsehen. Diesen plottechnischen Abschluss beschreibt Jeschke ausgesprochen ruhig, verzichtet auf den üblichen Spannungsaufbau und schenkt sowohl Suk als auch den Leser ein zuckersüßes Happy End, das abrupt und aufgesetzt erscheint. Dass die Jungen, nicht unbedingt aufgeklärten Menschen über ein anderes Gerechtigkeitsgefühl verfügen und aus den einengenden Käfigen auszubrechen suchen, ist eine Tendenz der Gegenwart – siehe Nordafrika -, die Jeschke pragmatisch in seine Zukunft überträgt, ohne ihr Allgemeingültigkeit zu verleihen.

Viel interessanter ist die Perspektive der Wissenschaftler.  Zusammen mit ihrem kybernetisch intellektuell erweiterten Hund - eine Kombination aus Nachrichtenübermittler und treuer Freund natürlich mit einem Herzen aus Gold -sollen sie der Frage nachgehen, ob es auf "Hot Spot" doch intelligentes Leben geben könnte. Wolfgang Jeschke hat diese Frage schon zu Beginn des Romans beantwortet. Ein klassischer Spannungsaufbau findet nicht statt, zumal sich die einheimischen Führungskräfte derartig auffällig verhalten, dass selbst ein Blinder auf ein Komplott stößt. Auch scheut Jeschke teilweise vor den Mechanismen des Verschwörungsthrillers zurück. So gibt es nur zwei Konfrontationen. Zum einen, wenn der männliche Wissenschaftler mit seinen lebendigen Tatoos in das Dorf der "Dschiheads" marschiert, um das Oberhaupt zur Rede zu stellen. In letzter Sekunde kann er dem Galgen mit einem Sprung ins Wasser entkommen.  Die zweite Begegnung bei einem einzigartigen Kunstwerk der einheimischen Wesen – von Laserschüssen der Fanatiker verunstaltet, vom Oberhaupt als unsittlich verspottet – ist kurz und heftig. Aber in ihr entladen sich die Spannungen zwischen Intelligenz und Fanatismus auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner.  Andere Autoren wie Jack Vance oder vielleicht Lloyd Biggle Jr. Mit „Monument for ein Genie“ haben die Balance aus vordergründiger Spannung und hintergründig beißender satirischer Kritik besser in den Griff bekommen. So ist der finale Abflug inklusiv der offensichtlichen Vorzeigen sowie dem Hinweis auf die Feigheit der religiösen Fanatiker eher unbefriedigend als ein Höhepunkt eines stellenweise zu bemüht ambivalenten Romans, der viele sehr aktuelle Themen inklusiv des Terrorismus gegen die unschuldige Bevölkerung anreißt, aber an keiner Stelle mit einer überzeugenden Position zu Ende diskutiert.

Zu den Stärken des Buches gehört die Beschreibung „Hot Spots“ und der vielschichtigen für Menschen gefährlichen Flora und Fauna, die einen geschlossenen ökologischen Kreislauf mit gegenseitig abhängiger Intelligenz bildet. Es ist weniger die „Gesamtintelligenz“, sondern ein Puzzlespiel, das Wolfgang Jeschke routiniert wie wissenschaftlich interessant vor den Augen der Wissenschaftler und Leser zusammensetzt. Dabei scheut er sich nicht, in einzelnen Details historische erschreckende Fakten und das Fremde miteinander zu verbinden. Auf der einen Seite die wertvollen Augen und auf der anderen Seite eine bestialische Art der Blendung.

Im Vergleich zu teilweise Keith Laumer – er liebte es, Amtsträger zu demaskieren und zu blamieren, Lloyd Biggle Jr. oder vor allem der frühe Philip Jose Farmer oder Jack Vance in der exotischen Breite seines Science Fiction Werkes greift Jeschke zu wenig die absurden Regeln seiner kleingeistigen Gesellschaft an. Er entblößt sie ohne Frage, seiner Demaskierung fehlt die soziale wie soziologische Schärfe Jack Vance. Er macht die Antagonisten nicht lächerlich, sondern erschrickt vor der Naivität vieler intelligenter Menschen, die sich in devoter Dummheit absurden quasireligiösen Thesen und einer Askese beugen, die von oben nicht eingehalten wird. In dieser Hinsicht wirkt „Dschiheads“ inklusiv der zu oberflächlich pragmatischen Charakterisierung seiner wichtigsten Figuren zu eindimensional, zu wenig nachhaltig. Auf der anderen positiven Seite hat Wolfgang Jeschke einen unterhaltsam exotischen Abenteuerroman verfasst, der hinsichtlich seiner außerirdischen Flora und Fauna zu den interessantesten und weiterhin erkundenswerten Schöpfungen der gegenwärtigen Science Fiction gehört.           

  • Taschenbuch: 368 Seiten
  • Verlag: Heyne Verlag (12. August 2013)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3453314913
  • ISBN-13: 978-3453314917