Babylons Asche

Babylons Asche, James Corey, Titelbild, Rezension
James Corey

"Babylons Asche" als sechster Teil der auch im Fernsehen erfolgreichen "Expanse" Serie schließt unmittelbar an "Nemesis Spiele" an. Es ist notwendig, mindestens den Vorgängerband gelesen zu haben. Das Autorenteam James Corey manövriert sich aber spätestens mit dem vorliegenden Roman auch in eine handlungstechnische Sackgasse, welche der euphorisch auf dem Titelbild zitierte George R.R. Martin in der einflussreichen Fantasy Variation der "Expanse" Serie geschickt umschifft hat. Er tötet einfach wichtige Charaktere, baut den Handlungsfluss notfalls um, verzichtet aber auf gegenwärtige politische Extrapolationen oder noch schlimmer Provokationen. Auch wenn seine "Games of Thrones" Serie auch im Fernsehen ein gigantischer Erfolg ist, weiß Martin, dass er die Wurzeln des Genres biegen, aber nicht verletzen darf. In "Babylons Asche" versuchen James Corey einen Mittelweg zwischen einer weiterhin spannenden, dramaturgisch aber wie die Fernsehserie auch oberflächlichen Science Fiction Saga und einer belehrenden Botschaft zu finden. 

In einem direkten Vergleich mit dem provokanten "Nemesis Spiele" - immerhin wird die Erde vernichtet und Milliarden Menschen getötet - kann "Babylons Asche" nur bedingt überzeugen. Zu den Stärken gehört weiterhin der ausgesprochen geradlinige, unterhaltsame und nicht selten von pointierten Dialogen getragene Erzählstil. Einzelne Seitenhandlungen wie die Idee des Explorers auf Ganymed ragen aus der ganzen Handlung deutlich heraus. Auch die Actionszenen, von denen es im Roman weniger gibt, sind weiterhin dramaturgisch gut geschrieben und können oberflächlich auch zufriedenstellen. 

Wie vieles an der "Expanse" Serie muss der literarische Science Fiction Leser im direkten Vergleich zum Kinofan aber seine intellektuellen Ansprüche zurückschrauben. "The Expanse" ist eine reinrassige visuell orientierte Serie, deren Ziel es ist, möglichst gewinnbringend im Fernsehen adaptiert zu werden. Es ist keine tiefergehende Space Opera oder gar ein echtes Science Fiction Epos. James Corey ist es klar, dass sie das Equivalent des amerikanischen Blockbuster/ Popcorn Kinos aufs Papier bringen und möglichst jedes Jahr einen Teil produzieren. NIcht mehr, aber auf keinen Fall auch weniger. 

Problematisch wird es aber, wenn die Autoren im Grunde die gleichen Fehler machen, die unzählige Drehbuchautoren vor ihnen gemacht haben. Dazu kommt eine melodramatische Note und vor allem eine politische Botschaft, die hinsichtlich ihrer Oberflächlichkeit so fatal ist, dass sie in einem anderen Jahrhundert und vor allem vor anderen gegenwärtigen politischen Fehlentwicklungen und Bedrohungen als eine Satire, eine Farce hätte angesehen werden können. 

Positiv ist zusätzlich, dass das Thema der Asteroidengürtelbewohner und ihres Konflikts mit der Erde abgeschlossen erscheint. Vielleicht widmen sich die Autoren in den nächsten Jahren/ Romanen wieder außerirdischen Bedrohungen. Negativ ist, auf welche Art und Weise sie es abgeschlossen haben. Natürlich wollen sie schockieren, aber dazu sind sie als Autoren vor allem auf der emotionalen Ebene viel zu schwach. 

 Die Erde ist vernichtet, 15 Milliarden Menschen sind tot. Ein Paukenschlag. Natürlich ist die "Expanse" Serie groß, gigantisch groß und seit dem ersten Band mit dem Auftauchen der Fremden sind immer wieder Duftmarken gesetzt worden, welche die Helden herausfordern, provozieren und über sich hinaus wachsen lassen. Aber die Reaktion auf dieses brutale Ereignis ist schon im ersten Buch sehr schwach gewesen. In der Fortsetzung fast gar nicht vorhanden. Für die Autoren könnte sprechen, dass ihre Protagonisten wahrscheinlich endlose Wiederholungen von "Star Wars" gesehen haben und dadurch die Vernichtung von ganzen Planeten nicht mehr so schockierend erscheint. Aber das ist natürlich eher eine verzweifelte ironische Bemerkung, um das entstandene emotionale Vakuum der beiden Romane zu erklären. James Corey scheint nicht zu begreifen, welches Faustpfand sie wieder wegschenken, in dem die Autoren sich bemühen, diesen Donnerschlag wieder zu relativieren.

 Dazu gehen sie auf zwei Ebenen vor. Einmal die Charakterliche und dann die Handlungstechnische. Handlungstechnisch stellt sich die Frage, warum zum Beispiel die Belter auf der einen Seite in einer niedrigen Gravitation aufgewachsen sind, sich aber auf der anderen Seite während der verschiedenen Raumschlachten höheren Gs aussetzen können, als sie eigentliche vertragen sollten. Natürlich muss der Leser unterscheiden zwischen diesem momentanen Druck innerhalb der Schlacht, dem anscheinend gesunde Belter wenige Sekunden/ Minuten oder notfalls auch während der Beschleunigungsphase widerstehen können und einem Leben auf Planeten mit einer grundsätzlich höheren Schwerpunkt. Als blieb auch nur die Vernichtung und nicht die Eroberung der Erde übrig. Hinzu kommt, dass am Ende des Romans die Belters das Recht erhalten, über das zukünftige Schicksal der Menschheit zu entscheiden, ohne das es wirklichen Widerspruch gibt. 

 Politisch ist diese Idee problematisch. Da James Corey anscheinend die Angreifer und Terroristen als eine Art muslemische Extrapolation ansehen, ist das Ergebnis vergleichbar mit einem New Yorker Bürgermeister namens Osama Bin Laden, der im Big Apple das Kriegsrecht ausrufen darf. Und das wird ohne Frage von den potentiell unterdrückten Menschen akzeptiert. An diesen Punkt schließt sich noch ein anderer interessanter Fakt an. Im Konflikt zwischen den Belter und den Menschen ist niemals wirklich ausgedrückt worden, wie sich die einzelnen Zahlenverhältnisse verhalten. Es erscheint unwahrscheinlich, dass im Gürtel mehr Menschen als auf der natürlich weiterhin überbevölkerten Erde leben. Auch technisch dürften die Menschen den im Gürtel lebenden Schürfern in der Masse, vielleicht aber nicht der Brillanz überlegen sein.  Daher stellt sich die Frage, ob die Reste der Menschheit überhaupt diese Idee akzeptieren würden und sich nicht an den Beltern rächen sollten. Auch wenn der Schock tief sitzt, spätestens seit "Star Wars: Rouge One" haben die Zuschauer und Leser gelernt, dass Rebellion immer auf Hoffnung basiert. Wie James Corey mit diesem brisanten Thema umgeht, ist fragwürdig. Anscheinend haben die Autoren diesen schwerwiegenden Anschlag vergessen und versuchen mit kindischen Mitteln den Konflikt wieder aus der Serie herauszuschreiben anstatt ihn als eine Art Dolchstoßlegende zu neuen Abenteuern vielleicht wieder mit den angesprochenen außerirdischen Gegnern mitzunehmen. Es ist schade, dass das vor allem in "Nemesis Spiele" aufgebaute Potential im vorliegenden Roman derartig leichtfertig verschenkt wird. 

 Aber nicht nur der grobe Handlungsbogen ist enttäuschend und abseits der wenigen Actionszenen zu langweilig, zu oberflächlich und vor allem zu belehrend präsentiert. Bei den Protagonisten schleichen sich auch bislang ungeahnte Probleme ein. Die ersten Romane der Serie zeichnete ja eine klare Handlungsführung teilweise auf mehreren Ebenen aus. Immer wieder haben die Autoren die Perspektive nicht nur gewechselt, um auf mehreren Spannungsbögen den Plot voranzutreiben, sondern auch die gleichen Ereignisse aus zwei Blickwinkeln erzählt, um dem Leser besser die Möglichkeit zu geben, sich eine eigene Meinung zu bilden. 

 In "Babylons Asche" besteht diese Möglichkeit nicht. Beginnend mit den Helden um die Crew der Rosinante sind die Figuren höchstens pragmatisch eindimensional, aber bei weitem nicht mehr so charismatisch aufgebaut. Hinzu kommt, dass die Autoren mit dem Antagonisten versucht haben, einen in sich gebrochenen Schurken zu entwickeln. Dieser Versuch schlägt fehl. Beginnend mit dem Ende, in dem impliziert wird, dass der Erdzerstörer Marko vielleicht nur das Instrument einer sich bislang kaum gezeichneten weiteren Macht ist, wirkt Marko wie ein Weichei. Klar, er ist inzwischen der größte und wahrscheinlich auch letzte Massenmörder in der irdischen Geschichte und diese Last könnte einen Menschen, selbst wenn er aus dem Asteroidengürtel stammt, zerbrechen. Mit dem Sieg über die Erde scheint er sein Pulver verschossen zu haben, denn neben seiner weinerlichen, sehr schnell auch nervigen Art und Weise verliert er jeden weiteren Konflikt in diesem Roman, ohne das es größere Folgen für das Gesamtgeschehen hat. Anstatt die Figur ambivalent zu entwickeln und dessen größten Triumph gegen die Niederlagen abzuwägen, verschließt er sich in seiner Kabine und macht auf Sinnkrise. Negativer Höhepunkt in dieser Hinsicht ist das Finale, in dem er nicht zum Schuss kommt. Mit der Idee, das er nur eine weitere Marionette in diesem gigantischen kosmopolitischen Spiel ist, bleibt ausreichend Spielraum erhalten, um die Serie wieder dunkler einzufärben. Das hört sich angesichts der Vernichtung der Erde wie ein zynischer Widerspruch an, aber die Reaktion der Helden lässt irgendwie erwarten dass die Erde doch nicht wirklich vernichtet worden ist. Auch Perry Rhodan hatte in der langen Geschichte seiner Serie immer wieder Ideen, um die zahllosen Gegner für einen Moment als Sieger erscheinen zu lassen. 

 Schon in "Nemesis Spiele" hatten die Helden ausschließlich Zeit, auf die Ereignisse zu reagieren. Anscheinend sind sie noch in Schockstarre und haben nicht realisiert, dass es die Erde nicht mehr gibt. Ansonsten lässt sich nicht erklären, dass Holden die Brücken zwischen den Menschen und den Beltern mit kleinen selbstgedrehten Propaganda Verständnis Filmen zu überbrücken sucht. Dabei machen die Autoren einen weiteren Gedankenfehler. Nicht jeder Mensch hat die gleiche politische Einstellung und nicht jeder Belter ist mit der Vernichtung der Erde und der Ermordung von Milliarden Menschen einverstanden. Im Asteroidengürtel gibt es keinen Aufschrei, dass die Heimat ihrer Vorfahren und damit auch ihrer Kultur vernichtet worden ist. Politik wirkt wie ein kleines Drama, gespielt auf einer Provinzbühne mit einer fast arrogant allumfassend präsentierten absolutistischen Meinung, die Widerspruch als Fremdwort betrachtet. Vor allem scheinen die Autoren die Tiefe ihrer Idee gar nicht zu begreifen. Die Guten versuchen den Massenmord zu relativieren und suchen fast schon selbst die Schuld bei sich. Reue gibt es auf beiden Seiten nicht. Wunden werden mit einfachen Sätzen geschlossen und das politische Angebot wirkt wie eine Farce. In diesen Punkten hätte mit ein wenig mehr intellektueller Tiefe aus den Romanen der "Expanse" Serie ein wirklich großes Science Fiction Epos mit überzeugenden Bezügen zur Gegenwart werden können. Herausgekommen ist mit "Babylons Asche" ein Buch, das ganz bewusst alle Protagonisten egal auf welcher Seite gleichzuschalten sucht und dabei auf einem durchaus dynamischen wie oberflächlichen Niveau aber scheitern muss. 

 Weiterhin positiv ist, dass durch die wechselnden Perspektiven und die schon angesprochene Aufnahme von Figuren aus den ersten Büchern in "Nemesis Spiele" das Universum wieder breiter und vielschichtiger erscheint. Die zahllosen subjektiven Sichtweisen werden gut voneinander abgetrennt und der Leser hat keine Probleme, die einzelnen Sprünge nachzuvollziehen, bzw. bei einer Rückkehr zu diesem Charakter dessen Gedanken wieder aufzunehmen. In dieser konzeptionellen Hinsicht haben schon die ersten Bücher der Serie restlos überzeugt. Es ist aber schade, dass in diesem bislang schwächsten und politisch frustrierend relativieren Roman derartig viel Potential verschenkt wird, da die Ansätze in "Nemesis Spiele" im Grunde ad absurdum geführt werden. Zurückbleibt der pazifistische Torso einer provozierenden Ausgangssituation, der vor allem über das Geschehen nachdenkende Menschen frustriert, dass es fraglich ist, ob sich die ganze Serie von diesem die ganze Dramatik um die Vernichtung der Erde ignorierenden negativen Wendepunkt der Handlung überhaupt noch erholen kann. 

 "Babylons Asche" ist nicht nur wegen der Gedankenlosigkeit, mit welcher James Corey auch mit zahllosen inhaltlichen Plotlöchern ihre Serie eher kommerziell als mit dem Herzen weiterschreiben , sondern auch wegen der fragwürdigen Lösung des Belter/ Menschen Konfliktes ohne Einfühlungsvermögen und vor allem einem überzeugenden Konzept der bislang schwächste Roman der "Expanse" Serie. Da hilft auch nicht, dass die Struktur überzeugender ist als bei den letzten Romanen und der Hang zu hektischen Übertreibung von möglichst parallel laufenden Ereignissen zu Gunsten einiger ruhiger, aber emotional nicht überzeugender Passagen relativiert worden ist.