Gwendys Wunschkasten

Gwendy Wunschkasten, King, Titelbild
Stephen King und Richard Chizmar

„Gwendys Wunschkasten“ ist im kleinformativen Hardcover eine der Novellen, die Stephen King zusammen mit dem „Cemetary Dance“ Herausgeber Richard Chizmar für dessen Magazin verfasst hat.

 Im Kern ist der zugrunde liegende, in Castle Rock spielende Plot eine Variation des umfangreichen Romans „Needful Things“. In dem Buch hat ein seltsamer, asiatischer Fremder in einer typischen amerikanischen Kleinstadt einen Laden mit seltsamen Antiquitäten aufgemacht, in dem die Nachbarn einkauften. Am Ende der geradlinigen Geschichte hat dieser Doktor Lao Inkarnation es geschafft, wie der Teufel in der Gemeinde Zwietracht zu säen und alle gegeneinander auszuspielen.

 In „Gwendys Wunschkasten“ spielt eine korpulente Heranwachsende eine wichtige Rolle. Auf den ersten drei Seiten führen die beiden Autoren nicht nur Gwendy als wichtige Protagonistin ein, sie etablieren ein fast alltägliches Szenario. Auf einem Hügel gibt ihr ein Fremder – Mister Richard Farris – einen Holzkasten mit anders farbigen Hebeln, die nur mit viel Kraft und dem Daumen bedient werden können. Wenn sie eine der Tasten drückt, erhält sie jeden Tag ein besonderes Stück Schokolade, das ihren Heißhunger auf Süßigkeiten bändigt. Hinter einer anderen Taste steht die Möglichkeit, einen funkelnagelneuen Silberdollar zu erhalten, während die anderen Tasten nach ihren Farben wie rot für gefährlich und schwarz als unbekannte Variable etwas Geheimnisvolles ausstrahlen.

 Der Wunschkasten ist eine Belastung und Entlastung zu gleich. Wie kaum ein anderer Horrorautor dieser Generation kann Stephen King die Ängste und Wünsche der pubertierenden Generation in Worte fassen. Gwendy ist eine dreidimensionale Figur. Die will unbedingt abnehmen. Sie will studieren, schließlich will sie auch einen Freund haben.

 Die Mischung aus Versuchung und Verführung dominiert die erste Hälfte des Buches. Die einzigartige Wirkung der Schokoladenfiguren – jedes Mal kommt eine andere nicht wichtige Figur aus dem Kasten – sowie der Reichtum der Silbertaler wägt Stephen King stellvertretend für seine für ihr Alter ungewöhnlich innerlich reife Protagonistin ab. Nicht selten hat jede Aktion eine Reaktion. So bricht sie mit ihrer besten Freundin, welche sie als egoistisch bezeichnet. Als sie ein anderes Mal die rote Taste, kommt es zu einem Massenselbstmord dieser 1974 beginnenden Geschichte. Auch einige andere historische Ereignisse baut der Leser in den über einen längeren Zeitraum spielenden Plot ein.

 Vielleicht ist der obligatorische Psychopath inklusiv der brutalen Mordszene zu klischeehaft, aber diese Erkenntnisse gehören zu ihrem Reifeprozess hinzu. Sie machen aus ihr so banal es klingt eine abgerundete Persönlichkeit. Im Laufe der Jahre beginnt der Wunschkasten seine Faszination zu verlieren, auch wenn das süßsaure Ende zumindest einen kleinen Teil der Aufgabe des Kastens erklärt.

 Stephen King ist immer sehr gut, wenn seine Texte auch ohne Horrorelemente funktionieren. So wirkt diese angesprochene Sequenz auf der einen Seite notwendig, auf der anderen Seite aber auch aufgesetzt. Gwendy könnte in diesem Moment ohne den Kasten wirklich glücklich sein. Sie ist studientechnisch auf dem richtigen Weg, wobei sie sich das Studium nicht selbst finanziert, sondern „gewünscht“ hat. Sie hat einen netten Freund, der wie hier beschrieben, ein Gentlemen ist. Diese Welt muss zerstört werden, um auf den Trümmern etwas Neues, vielleicht sogar etwas fundamental Stabileres aufzubauen.    

 Ohne Kitsch oder Pathos endet die Novelle auf einer nicht nur erstaunlich optimistischen, sondern für Stephen Kings Arbeiten sogar zufrieden stellenden Note. Sein Ende ist gleichzeitig ein anderer Anfang. Diese Dualität macht rückblickend den Reiz dieser niemals belehrenden, aber doch irgendwie auch positiv aufklärenden Geschichte aus.

 King und Chizmar schenken Gwendy im Grunde einen klassischen MacGuffin, an dem sie sich in schwierigen Zeiten aufrichten kann, der ihr Trost und Freude schenkt, welcher aber auf der anderen Seite auch rückblickend nicht wirklich notwendig ist, denn die Weichen hat die junge Frau schon lange vorher gestellt, als sie beginnt, mit Sport gegen ihre Dickleibigkeit zu kämpfen und sich selbst Ziele zu setzen. Es ist diese Bejahung des eigenen Willens, der Entschlossenheit, seinen eigenen Weg zu gehen und die gesetzten Ziele zu erreichen, welche aus dieser Novelle „Gwendys Wunschkasten“ eine zeitlose berührende, aber niemals kitschige Novelle machen.

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