Die Berge der Rache

Die Berge der Rache, Titelbild, Rezension
Alexander Röder

Mit “Die Berge der Rache”   kommt zumindest ein Teilabschnitt der in Karl Mays magischem Orient spielenden Romane zu einem vorläufigen Ende.  Der Titel des Romans hört sich martialisch an und entspricht nicht unbedingt Karl Mays Vorstellungen von einer Befriedung sowohl des Wilden Westens als auch des Orients, aber Alexander Röder hat auch in dieser Hinsicht eine kleine inhaltliche Überraschung parat, die für einiges an Leerlauf vor allem im Mittelteil dieses leicht belehrenden Romans entschädigt.

Zu den Schwächen gehört der noch stärker ausgeprägte Hang, den Leser dank des Allgemeinwissens des Ich- Erzählers nicht nur zu unterhalten, sondern auch zu bilden. Während Karl Mays Alter Ego sich vor allem in deutscher Geschichte, Naturwissenschaften, Medizin  und Kultur auskannte und dieses Wissen direkt wie indirekt seinen Lesern mitgeteilt hat, schlägt Alexander Röder spätestens in  diesem Roman auch ein wenig mangels Handlung den Bogen extrem breit.  Neben den Exkursen  in die schon vertrauten Bereiche erlahmt die Handlung mit der erneuten Erwähnung des Jules Vernes Fans und Forschers Wolfgang Thadewald. Trat der bekannte Science Fiction Sammler im ersten Buch noch persönlich auf, wirkt der Hinweis auf ihn ohne Frage sein Lebenswerk respektierend im vorliegenden Band ein wenig zu aufgesetzt. Hinzu kommt der Exkurs in die Geschichte der Ballonschifffahrt, wobei der Autor diese Idee nutzt, um die Verwandte einer aus den Originalromanen bekannten Figur einzuführen.

Auf der anderen positiven Seite versucht der Autor nicht nur mit diesen Exkursen, sondern einigen kleineren Seitenhieben auf den Wahrheitsgehalt der Berichte des Ich- Erzählers Karl May auf der einen Seite ihn als Charakter zu würdigen, auf der anderen Seite auch ein wenig Distanz zum Sendungsbewusstsein des Sachsen aufzubauen. Es ist ein schmaler Grat, auf dem sich Alexander Roeder ohne Frage bewegen muss. Der große Unterschied liegt schon im Aufbau des Romans. Er verzichtet auf die vielen pointierten, aber auch Seiten schindenden Dialoge und versucht stattdessen mit inneren Monologen, deutlich ausführlicheren Erläuterungen und den angesprochenen Exkursen Atmosphäre zu schaffen und den Plot komplexer als manchmal bei Karl May erscheinen zu lassen.  Das ist  aber nicht wirklich der Fall.

Auf die Dauer ermüdet diese Vorgehensweise auch den Leser. Vor allem, wenn im mittleren Abschnitt zu wenig Wert auf Dynamik gelegt wird. Wie in den letzten beiden Büchern gehört der Anfang zu den besten Abschnitten des Romans. Immer noch jagen Kara Ben Nemsi und seine Gefährten den finsteren Magier Al- Kadir, der sich aber in die Geisterwelt abgesetzt hat. Bislang dachte Kara Ben Nemsi, dass er einen der Brüder des Schut ausgeschaltet hat. Es gibt nur wenige Tore in diese andere Welt. Dazu brauchen sie aber die Hilfe der weisen Frau Marah Durimeh. Sie müssen ins wilde Kurdistan. Bei der Überquerung des Schwarzen Meeres begegnet  ihnen ein Piratenschiff, das gegen alle Naturgewalten eine Enterung ihres Passagierschiffs versucht. Alexander Röder hat sichtlich Spaß, die Piratenromantik mit den übernatürlichen Phänomenen zu verbinden. Die Komik der „Fluch der Karibik“ Geschichten fehlt gänzlich und manches erinnert positiv an Tim Powers Buch „On stranger Tides“, dessen Plot ja in einen der Disney Streifen eingeflossen ist. Im Grunde hilf- und fast wehrlos beendet Alexander Röder diese wichtige Sequenz durch einen literarischen Trick und das Eingreifen einer Nebenfigur aus den vorangegangenen Büchern. Diese Wendung ist spannungsminimierend, während er vor allem im dritten Band seiner Serie diese Presequenz auf einem dunklen Höhepunkt hat enden lassen. Positiv ist, dass aufmerksame Leser am Ende des Buches durch die scheinbar charakterliche Wandlung eines Protagonisten und dadurch einen Rückgriff auf den Auftakt des zweiten Buches nicht mehr so überrascht werden.     

Nach dem spannenden Auftakt konzentriert sich Alexander Röder sehr lange auf die Reise zu Marah Durimehs Dorf, einem Besuch bei Nedschir Bey und schließlich die Suche nach der weisen Frau, die natürlich nicht mehr zu Hause ist.  Irgendwann erinnert sich Kara Ben Nemsi auch daran, dass er ein Reiseschriftsteller ist, welcher die einzigartige Landschaft für seine Leser niederschreiben muss. Die einzelnen Handlungsteile sind in sich stimmig und  grundsätzlich nicht mal langweilig, aber ihnen fehlt eine innere Dynamik und der potentielle Überbau von Ereignissen, die nicht aus dieser Welt zu stammen scheinen und damit mit der Geisterwelt oder einem weiteren bislang unbekannten Feind in enger Verbindung stehen könnten, ist dramaturgisch nicht förderlich, da selbst Kara Ben Nemsi inzwischen an Magie in seiner Welt glaubt.

Die Qualität der einzelnen Abschnitte ist unterschiedlich. Die angesprochene Begegnung mit der Nichte  eines bekannten Charakters und ihre Rettung nach einem Absturz, sowie der Fund von seltsamen Vögeln gehören zu den Höhepunkten, während die „normalen“ Schießereien und schließlich die endlose Reiterei die jeweiligen Spannungsbögen in sich zusammenfallen lässt. Vor allem die Idee, mit den besonderen Farben dieser einzigartig  exotischen Vögel auf den dritten Bruder des Schut hinzuweisen ist eine ausbaufähige Überraschung.

Auch wenn es vermessen erscheint, von einem zu abrupten Finale nach fast zweitausend Textseiten zu sprechen, ist es doch der Fall. Alle vier Romane haben fast annähernd den gleichen Seitenumfang und eine Variation des Umfangs zu Gunsten einer besser strukturierten Handlung hätte die letzten beiden Bücher qualitativ besser erscheinen lassen. An einigen Stellen hätte Alexander Röder vor allem die Mittelteile entweder kürzen oder so konträr es sich anhört, einzelne Passsagen individueller und damit ausführlich gestalten können.

Vor allem wirkt Alexander Röders Stil in den wichtigen emotional ansprechenden und/ oder übernatürlichen Passagen teilweise zu gleichförmig. Er variiert in entscheidenden Passagen das Tempo viel zu wenig und konzentriert sich trotz der inzwischen erlangten erzähltechnischen Routine plötzlich fast aus dem Nichts heraus wieder auf unnötige Erklärungen und nicht relevante Exkurse.

Die phantastischen Elemente dominieren lange Zeit den Plot eher im Hintergrund. Es finden sich immer wieder Anspielungen und einige Ideen sind bizarr, aber auch sehr originell. Hier seien vor allem die außergewöhnlichen Heilbecken genannt, welche der Betreiber sogar nach Religionszugehörigkeit räumlich getrennt  tief unter der Erde aufgebaut hat. Neben den Piraten ist es die abschließende Erfüllung eines  Versprechens gegen den Willen eines der Beteiligten, das den Rahmen der Geschichte zufriedenstellend abschließt.

Alexander Röder hat positiv in allen vier Büchern darauf verzichtet, die Fantasy Elemente als eine Art Heilmittel gegen alles einzusetzen. Kara Ben Nemsi wird mit Magie konfrontiert,  er nutzt sie aber nur selten wie das Zelt aktiv.  Seine Wandlung vom Skeptiker nicht unbedingt zum Gläubigen, aber Akzeptierenden ist ohne Frage eine der ganzen großen Stärken dieser Tetralogie. Dabei muss Alexander Röder ja der Vorlage Respekt zollen und nicht zu stark abweichen, aber einer neuen Lesergenerationen einen leicht anderen Kara Ben Nemsi präsentieren. Hinzu kommt, dass im Laufe des Abenteuers Kara Ben Nemsi/ Karl May tatsächlich sich eingesteht, dass Magie mit Bodensatz funktionieren kann.

Dazu kommen die zumindest vordergründig deutlich stärkeren Frauenfiguren, beginnend  mit Hexe über die mehrfach erwähnte Verwandte  bis hin zur weisen Marah Dumineh mit ihrer allerdings nach der langen Reise und Suche oberflächlichen Ambivalenz.  Sie lassen die Geschichte vor dem Hintergrund Karl Mays auch moderner, wenn auch nicht immer packender erscheinen.

Alle vier umfangreiche Romane übergreifend betrachtet hat sich Alexander Röder allerdings auch mit erkennbaren Schwächen und Kompromissen sehr gut in Karl Mays Universum eingearbeitet und präsentiert einen Fantasy technisch behutsam veränderten Orient, wobei der ermüdende Schreibstil unbedingt in Richtung einer lebhafteren Erzählung geändert werden sollte. Das Finale den ganzen Zyklus betrachtend ist nicht so dramatisch und dramaturgisch auf die Spitze getrieben wie im Sechsteiler Karl Mays, aber Röder greift nur so wenig wie möglich auf übernatürliche Phänomene der anderen Welt zurück und lässt Kara Ben Nemsi als größte Überraschung wie den Leser zum Zeugen des Geschehen werden, aber nicht zum eigentlichen Akteur. Dieser Kniefall vor der Welt der Magier und Hexen ist die größte Überraschung dieser bislang im Allgemeinen  lesenswerten Serie.  

 

Seiten:480

Originalausgabe

Titelbild:Elif Siebenpfeiffer
Erscheinungsjahr:2017
Verlag:Karl-May-Verlag GmbH
FormatPaperback
ISBN:978-3-7802-2504-7
Kategorie: