Die Hand Oberons

Die Hand Oberons, Titelbild, Rezension
Roger Zelazny

Der vierte Roman des ersten “Amber“ Zyklus ist in mehrfacher Hinsicht ein Wendepunkt der Serie.  Das wird noch deutlicher, wenn man „Die Hand Oberons“ in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem abschließenden fünften Roman „Die Burgen des Chaos“ sieht.  Am Ende des vorliegenden Buches  muss Corwin von Amber eingestehen, dass viele Dinge, die unnatürlich und scheinbar auch geplant erscheinen, es tatsächlich auch sind. Roger Zelazny hat es mit dieser Erkenntnis sich auch leicht gemacht, denn ein natürlich erscheinender Handlungsfluss wird durch die Idee unterminiert, dass alles Bestandteil eines großen Plans ist. Ironisch bis zynisch geht der Amerikaner aber  im folgenden Roman noch einen Schritt weiter, in dem er auf den möglichen Plan noch eine Verschwörung aus einer ganz anderen Ecke drauf setzt und der Überbau zu kippen droht.

Neben den Erkenntnissen auf den letzten Seiten ist auch der Auftakt interessant. In „Im Zeichen des Einhorns“ bestand die Aufgabe des Autor vor  allem aus der Tatsache, mittels ausschließlich gänzlich subjektiver Rückblenden den Hintergrund der Geschichte vor dem Beginn von „Die neun Prinzen von Amber“ zu etablieren.   In „Die Hand Oberons“ gibt es eine neutralere Zusammenfassung der Handlungsstränge aller drei bisher veröffentlichter Bücher. Diese Raffung ermöglicht es auf der einen Seite neuen Lesern, in den Zyklus einzusteigen, auch wenn diese Vorgehensweise nicht unbedingt empfehlenswert ist.  Auf der anderen Seite zeigt der Autor den bisherigen  Handlungsverlauf nach, um einige wichtige Aspekte auf den Schlussseiten zu demontieren und vor  allem die Ziele sowie die Identitäten von etablierten Charakteren zu hinterfragen. 

Aber auch hier ist nicht Schluss mit dem Versteckspiel, das manchmal die normalen Züge einer  labyrinthischen Geschichte überschreitet. Gleich im ersten Buch konnte sich ein Leser fragen,  welche Bedeutung der  Konflikt um Amber in einem Universum hat, das unzählige Variationen in Form von Spiegelwelten, erreichbar durch die Schatten ausbilden könnte.  Jeder der neun Prinzen könnte sein eigenes Amber regieren und niemals einem Bruder in die Quere kommen. Auch wenn Amber eher symbolisch als Original, als Quelle  herausgehoben worden ist, konnte Roger Zelazny an keiner Stelle wirklich überzeugende Argumente für diese Art der Fixierung herausarbeiten. 

Es wirkt fast wie ein Klischee, das natürlich die  Mächte des Bösen bzw. des Chaos aus ihren Regionen auf unterschiedliche Art und Weise nach Amber greifen, um das Königreich zu  zerstören und Oberons Macht zu brechen. Das Verschwinden des Vaters  inklusiv des entsprechenden Machtvakuums ist der zweite Aspekt, den Zelazny beginnend mit dem vorliegenden vierten Teil in Frage stellt.  Anscheinend ist der Vater nicht zufällig verschwunden und hat einige Insignien seiner Macht den Söhnen hinterlassen.  Anscheinend gab es auch schon länger die Idee einer kleinen Gruppe der Geschwister, die Macht zu übernehmen und dabei durchaus auch Schattenherrscher zu etablieren,  wobei der lange Zeit auf der Erde weilende und dort zweimal beinahe getötete Corwin von Amber immer außen vor gewesen ist. 

Die Mächte des Chaos -  im zweiten Buch  ist Corwin von Amber mit seinem unorthodoxen Angriff auf Amber nur erfolgreich,  weil  gleichzeitig sich die schwarze Straße als das Symbol der dunklen Mächte weiter ausdehnt – bleiben eher  hinsichtlich ihrer Fähigkeiten und Vorgehensweise ambivalent. Sie werden durch eine attraktive Frau vertreten,  die Corwin so sehr benutzt, dass Zelazny seinen Helden von einer Art Zuchtprogramm sprechen lässt. Aber im Gegensatz zu den kontinuierlichen Angriffen der dunklen Mächte zum Beispiel  in Moorcocks  Zyklen wirkt diese Vorgehensweise eher zögerlich. 

Auch Oberons Verschwinden und der dahinter stehende mögliche Plan werden von Zelazny ambitioniert, aber auch sehr ambivalent abgehandelt.   Vieles  relativiert der Autor sogar wieder im abschließenden Roman, als wenn sich der Amerikaner entschieden hat, noch einmal das komplexe Muster hinter den Welten mit einer Frühform der „Matrix“ Idee  -  es ist möglich,  das  grundlegende Muster zu ändern und dadurch sogar Welten zu überschreiben -  als Katalysator zu  ändern und die ganze Serie wieder in eine Science Fantasy Richtung zu lenken. 

In mehrfacher Hinsicht ist aber „Die Hand Oberons“ ein erstaunliches Buch. Am Ende des dritten Bandes hat die Spur des Einhorns schon zu einer Überraschung geführt, der potentielle Paukenschlag am Ende des vorliegenden Romans könnte nicht größer sein.  Im Gegenzug spielt  Roger Zelazny mit seinen Protagonisten.  In „Die Spur des Einhorns“ haben die einzelnen Prinzen und Prinzessinnen im Grunde Cluedo gespielt und verschiedene Allianzen gebildet bzw.  frühere „Partnerschaften“ aufgelöst. Dazwischen standen der Anschlag auf Corwin und ein Mord. Im vorliegenden Buch  zeigt Zelazny, dass diese Diskussionen und Partnerschaften bedeutungslos sind, da hinter der Bühne zwei ungewöhnliche wie mächtige Spieler aufgetreten sind, die belustigend diese Vorgänge aus einer gewissen Distanz verfolgt haben, ohne dass sie das  eigene Spiel unterbrechen mussten.  Diese Marionettenspieler nicht unbedingt hinter den Kulissen, sondern oberhalb der hilflos agierenden Amber Adligen sind bislang nur mittelbar oder in ganz ganz wenigen Szenen unmittelbar aufgetreten.

Es ist ein interessantes  Konzept, das für den im Grunde sympathischen, ein wenig schwerfälligen und pragmatischen Corwin von Amber  gemacht worden ist. Während er nach seinem Gedächtnisverlust in den ersten beiden Büchern eine im Grunde sinnlose Initiative ergriffen und gegen seinen potentiellen Freind/ Bruder Eric vorgegangen ist, muss er erkennen, dass er auch nur ein potentielles Spielzeug ist, das aber aufgrund der von ihm momentan kontrollierten Insignien der Macht in der Lage ist,  das Muster zu betreten und damit vieles zu überschreiben.

Während das dritte Buch von den lebhaften, sehr gut geschriebenen Dialogen förmlich übergequollen ist, überzeugt „Die Hand Oberons“ vor allem durch  zahlreiche kraftvolle Bilder. Gleich zu Beginn das Messe mit der Botschaft im  Herz des Musters; dann Corwins Reise durch immer surrealistischer werdende Landschaften und schließlich das atmosphärisch sehr dichte Ende.  Mehr und mehr löst sich Roger Zelazny von der klassischen Auseinandersetzung zwischen gut und böse.  Stellvertretend in Person Corwins beginnt er wie Philip  K. Dick die zugrundeliegende Welt zu hinterfragen.  Nicht umsonst kommt sein Held zur fast fatalistischen Erkenntnis, dass nur die Charaktere/ die Persönlichkeiten real  sein könnten, während die multidimensionalen Welten jederzeit durch die verschiedenen Kräfte manipuliert werden können.  Im Gegensatz zu Dick aber  sind selbst  die  Protagonisten eher wie Schachfiguren auf einem gigantischen Spielfeld einsetzbar und im Grunde austauschbar.  Das wird in einem direkten Vergleich mit den Plänen, den Lügen und den Allianzen der Amber Geschwister mit dem jetzt aufgedeckten Hintergrundgeschehen überdeutlich. 

Zu den großen Schwächen gehört, dass  der Amerikaner hinsichtlich der Höllenritte sich zu sehr wiederholt und in diesem Punkt seine gigantische Schöpfung unterminiert.  In vielen  anderen surrealistischen „Reiseromanen“ aus seiner Feder mit deutlich mehr Science Fiction Elementen hat es Zelazny besser gemacht.

Als Vorbereitung des Finals taugt „Die Hand Oberons“ nicht wirklich. Absichtlich unterminiert Zelazny im Grunde noch einmal alles, was er  in den ersten drei Büchern aufgebaut und realisiert hat.  Das wird nicht nur auf Corwin verstörend, der erkennen muss, wie stark er von allen Seiten benutzt worden ist.  Auch der Leser wird in eine Ecke gedrängt, in welcher er schließlich niemanden mehr irgendetwas glauben  möchte.  Als surrealistische Geschichte aber, als  letzter bösartig brillanter Schachzug vor einem alles auf den Kopf stellenden Finale ist „Die Hand Oberons“  positiv subversiv das genaue Gegenteil von „Im Zeichen des Einhorns“ und zeigt die komplexe, inzwischen teilweise auch komplizierte Vielschichtigkeit der ganzen Serie.

  • Taschenbuch: 280 Seiten
  • Verlag: Klett-Cotta; Auflage: 1 (13. Januar 2018)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3608981306
  • ISBN-13: 978-3608981308
  • Originaltitel: Chronicles of Amber 4
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