Die Burgen des Chaos

Die Burgen des Chaos, Titelbild, Rezension
Roger Zelazny

Mit “Die Burgen des Chaos” schließt Zelazny in mehrfach Hinsicht aus heutiger Sicht den ersten Zyklus um die Prinzen von Amber, die Schatten und schließlich auch sein phantastisches Königreich ab. Da Corwin von Amber im Epilog vom weiteren Schicksal der erstaunlich vielen Überlebenden berichtet,  hat der Leser den Eindruck, als wäre eine zweite fünfteilige Serie um Corwins Sohn zu diesem Zeitpunkt noch nicht geplant gewesen.

Es ist aber nicht die einzige Erstaunlichkeit, welche den Roman auszeichnet.  Im Gegensatz zu vielen anderen Fantasy Epen ist der letzte Roman nicht länger, sondern kürzer.  Hinzu kommt, dass Roger Zelazny obwohl der Plot sehr viel Gehalt aufweist mehr und mehr Seiten schinden muss, um einen ganzen Band zu füllen.  An einer Stelle reitet Corwin von Amber über fast drei Seiten durch die „Hölle“, diese psychedelischen Zwischenwelten verschiedener Universen, in denen sich Zelazny sprachlich Samuel Delany imitierend experimentell austoben kann. Nur in seiner Kooperation mit Alfred Bester „Psychoshop“ wird der Amerikaner noch einmal derartig groteske, abgehobene sprachliche Bilder entwickeln.  Roger Zelaznys Idee, den Übergang  zwischen den verschiedenen Welten außerhalb der kontrollierten Reise mittels der Trumpfkarten aus dem Tarot ähnlichen Spiel dramatisch wie  drastisch zu beschreiben, ist auf den ersten Blick interessant, wird aber viel zu oft wiederholt. Natürlich reist Corwin von Amber in den fünf Romanen sehr viel, aber dann sollte sich ein Autor entweder in einzelnen Sequenzen zurückhalten und vergleichbar scharfe Übergänge wie in normalen Szenen wählen oder sich einfach kürzer fassen.

Anstatt ein Finale wie bei einem Oper zu präsentieren, das voller Dramatik, Selbstopferung und schließlich auch Verlusten den Zyklus vorläufig schließt, wirkt die „Heilung“ vieler Probleme wie ein Antihöhepunkt, an dem Corwin von Amber auch als ein Novum innerhalb der zahllosen Fantasy Zyklen überhaupt nicht richtig beteiligt ist. Immer wieder hat sich Corwin von Amber beseelt von dem Gedanken, der einzige rechtmäßige Nachfolger seines Vaters zu sein auf sehr unterschiedliche Art und Weise in den Vordergrund gedrängt, um dann erkennen zu müssen, dass die buchstäbliche Heilung der Muster nicht in seinen Händen liegt.  Immer wieder zeigt Roger Zelazny auf, dass er von dem Drama in Shakespeares Dimensionen im ersten Buch so dramaturgisch eindrucksvoll  manifestiert Abstand nimmt und auf die zwischenmenschlichen Töne und vor allem die Zwistigkeiten innerhalb dieser farbenprächtigen wie durchtriebenen Familie hinsteuert.  Über allem steht wie mehrfach erwähnt die Rettung von Amber vor den Höfen des Chaos und auch das Durchkreuzen eines umfangreichen Plans, den die andere Seite lange Zeit vor Corwins Unfall auf der Erde angefangen zu planen hat. Aber was in den ersten beiden Bücher selbst unter der „falschen“ Herrschaft wie eine  Katastrophe erschienen ist, wird plötzlich relativiert und von einigen Seiten sogar akzeptiert.

Viele dieser Themen spricht der Autor in der ruhigen, vordergründig auch philosophischen Seite ersten Hälfte des Buches immer wieder ahnt. Da Zelazny in den ersten vier Romanen mit teilweise sadistischen Vergnügen absichtlich wie in einem überdurchschnittlichen Krimi immer wieder falsche Spuren ausgelegt hat, wirken die ersten knapp einhundert Seiten von „Die Burgen des Chaos“ wie eine Rückbesinnung und eine erneute Erklärung der bisherigen Erläuterungen. Roger Zelazny verrückt einiges noch einmal und nur in diesem Roman hat der Leser das unbestimmte, aber nachvollziehbare Gefühl, als wenn jetzt die einzelnen Aussagen auch so stimmen wie sie getätigt worden sind. 

Die Gespräche/ Diskussionen sind  nicht so lebhaft,  so interessant und vor allem so paranoid vielschichtig wie in dem in dieser Hinsicht herausragenden dritten und vierten Roman der Serie. Zelazny bemüht sich, den roten Faden nicht zu verlieren und auf der anderen Seite auch den vorhandenen Plot für das Finale voranzutreiben, aber es bleibt in der ersten Hälfte bei vielen Bildern.

Den Mittelteil nimmt die Reise zu den Burgen des Chaos  ein, wo Corwin gegen seine bislang  ausschließlich im Hintergrund operierenden Widersacher antreten will.  Wie eingangs erwähnt zieht sich diese Reise nicht nur zu lange hin, Zelazny greift zu einigen Wiederholungen.  Dabei wirken einige Abschnitte wie auf einem langen LSD Trip.   Die erste Anfahrt nach Amber in einem amerikanischen  Wagen bis der Tank leer ist aus dem ersten Buch erschien für einen Fantasy Roman selbst der progressiven siebziger Jahre provokativ wie originell. Später hat Zelazny diese Ideen ja auch in „Straße nach überallhin“ aufgenommen und mit einem surrealistischeren Hintergrund humorvoller, aber nicht weniger spannend umgesetzt.

In „Die Burgen des Chaos“ wirkt die Reise aber eher wie eine Mischung aus in diesem Fall nordischen Mythen wie dem Baum Yggdrasil und dem Vogel Hugi, der Lokis Ansichten Corwin vorträgt  und einer märchenhaften Achterbahnfahrt wie bei den trinkfesten Zwergen, welche den Prinzen von Amber erst bestehlen wollen, dann betrunken machen,  um ihm schließlich mit einer gereichten Hand alles Gute für die weitere Reise zu wünschen.  Anschließend der wahrscheinlich nur semivirtuelle Ausfluss nach Paris auf die Erde.

Das Eintreffen bei den Burgen des Chaos ist eher ambivalent.  Wie angesprochen konzentriert sich das große Finale auf die Auseinandersetzung zweier Brüder in fast klassischer Manier, wobei auch hier Zelazny gegen Ende eine mittelbare Alternative anbietet. Das Einhorn hat einen wichtigen Auftritt aus dem Nichts  heraus, wobei kritisch gesprochen in diesem Punkt Zelazny das Schicksal seiner Welt bzw. Welten nicht in die Hände der von ihm erschaffenen Kreaturen  legt, sondern etwas  unglücklich eine nicht unbedingt überzeugende mittelbare „Deus Ex Machina“ Rettung anstrebt. 

Daher endet „Die Burgen des Chaos“ auch weniger auf einer ambitionierten Note,  sondern fast erschreckend ambivalent.  Wie bei einem Baukasten kann sich der Leser einige Lösungswege fast selbst zusammenstecken und die Heilung des Musters erscheint viel zu einfach angesichts der ausgesprochenen Komplexität der ganzen Amber Welten, welche der Amerikaner viele Ideen nur streifend in den ersten vier Romanen entworfen hat.  Es muss immer berücksichtigt werden, dass sich Zelazny wie in einem guten Krimi über weite Strecken mit der Wahrheit  in jeglicher Form bis zur Selbstverleugnung  zurück gehalten hat. Immer wieder wurden Aussagen der Amber Familienmitglieder im folgenden Roman entweder relativiert oder als Lüge entlarvt. Und auf diesen letzten Seiten fallen die Versatzstücke durch Corwin von Ambers ohne Frage couragierten, aber auch nicht immer interessanten Ritt mitten in Feindesland so einfach zusammen? Das erscheint unglaubwürdig und das Bemühen, zu viele rote  Fäden in einer Hand zu halten, ein wenig an ihnen zu ziehen und dann einen Knoten zu binden, überzeugt abschließend leider nicht.

Auch die Charakterisierung der einzelnen Figuren wirkt deutlich pragmatischer als in den ersten Romanen, in denen Zelazny sichtliches Vergnügen hatte, einen Bruder oder eine Schwester nach der Anderen zu entwickeln und ins Rennen um den verliehenen Thron von Amber zu schicken. Auch wenn Corwin von Amber im fünften Roman der Serie für die siebziger Jahre zeitgemäß das erste Mal raucht und es nicht wirklich klar ist, ob es sich um Tabak oder vielleicht doch Drogen handelt.  Um den wieder ausschließlich reagierenden Corwin herum platziert  Zelazny neben den angesprochenen Figuren aus der Zwischenwelt zwischen Amber und der Burgen des Chaos Welt vor allem wieder die immer wieder in Erscheinung getretenen Geschwister,  von denen aber keiner wirklich überzeugen kann.  Zelazny hat einen derartigen Überbau erschaffen,  der an einigen Stellen seine Figuren zu erdrücken droht. 

Auf der anderen sehr viel  positiveren Seite löst der Autor auch das Rätsel um den Angreifer, der zumindest Corwin mit einem Messer schwer verletzt hat.  Auch hier präsentiert der Amerikaner auf der einen Seite eine absolute Überraschung, die fast in einem Widerspruch zu den an entsprechender Stelle geäußerten Vermutungen steht, der aber das Gesamtgebilde betrachtend zu Beobachtungen passt, welche Corwin selbst in „Die neun Prinzen von Amber“ vor allem dem Leser der Bücher durch Zelaznys  Erzählebene mitgeteilt hat.  In dieser Hinsicht bleibt sich der Autor treu.

Zusammengefasst bilden die ersten fünf Romane um die Prinzen von Amber im Grunde eine einzige Geschichte, welche der Autor auf die fünf einzelnen Bücher verteilt hat.  Viele Ideen wie die Tarotkarten; das Wandeln zwischen den Schatten und möglicherweise auch das Erschaffen von neuen Karten und daraus resultierend auch neuen Wegen zu anderen Welten werden hinsichtlich der Grundhandlung nur gestreift und der Kampf um den Thron weicht einer viel globaleren und rückblickend auch sehr viel umfangreicheren wie interessanteren Bedrohung, ohne dass der Autor diese guten Ideen aus den Augen verliert.  Vielleicht ist der Begriff eines Klassikers ein wenig zu hoch gegriffen und in einem direkten Vergleich zu einigen seiner stringenteren, wie auch inhaltlich provozierenden Science Fiction Romane wirken  die Amber Chroniken an einigen Stellen auch ein wenig bemüht und inhaltlich konstruiert, aber vor allem unterhalten sie auch mehr als vierzig Jahre nach ihrer Erstveröffentlichung heute noch sehr gut und bieten wie  Moorcocks Storys um seinen ewigen Helden eine gute Alternative zu vielen gängigen und oberflächlichen Fantasy Epen.    

 

    

  • Taschenbuch: 280 Seiten
  • Verlag: Klett-Cotta; Auflage: 1 (10. Februar 2018)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3608981314
  • ISBN-13: 978-3608981315
  • Originaltitel: Chronicles of Amber 5
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