Die Trümpfe des jüngsten Gerichts

Die Trümpfe des jüngsten Gerichts, Titelbild, Rezension
Roger Zelazny

Am Ende des  fünften “Corwin von Amber” Romans “Die Burgen des Chaos” beantwortete der Amerikaner Roger Zelazny nicht  alle Fragen  seiner Leser, sondern beendet den Plot im Grunde in einer Art friedlichen Nirvana. Der Roman erschien in den USA in den siebziger Jahre, 1985 begann der Autor einen weiteren fünfbändigen Abschnitt dieses Mal um Corwins Sohn Merlin bzw. wie er an einigen Stellen auch genannt wird Merle Amber.

Wichtig ist, dass der Leser dieser zweiten Miniserie vor allem die Vorgeschichte und die einzelnen Personenkonstellationen zumindest fragmentarisch sich vor Augen hält. Merlin ist der Sohn von Corwin und Dara, die Abgesandte ausgerechnet der Burgen des Chaos, welche eine Bedrohung der Amer Ordnung darstellen. Dara hat sich als Corwins Großnichte in dessen Vertrauen geschlichen, um das von Zelazny ambivalent behandelte Wandern zwischen den Mustern zu erlernen und in zweiter Instanz Amber als Ganzes zu vernichten. 

Dara hat in der ersten Miniserie einen interessanten Kontrapunkt gesetzt. Auch wenn im vorliegenden Band „Die Trümpfe des jüngsten Gerichts“  zugegeben wird, das die Ambers vor allem an Intrigen interessiert sind und  die alten Zeiten mit einer nicht selten familiären Auseinandersetzung um des Kämpfens willen eben nicht vorbei sind, erscheint es fatal, dass Roger Zelazny um einen glaubwürdigen Antagonisten den Ambers entgegen zu stellen nicht auf Dara zurück gegriffen hat. Zwar wird mehrfach betont, dass hinter den Anschlägen auf Merle eine unbekannte Persönlichkeit der einfachen Bezeichnung „S“ steht, aber der Autor entwickelt kein klassisches Feindbild. Ein Manko, das er in dem ersten Roman der ganzen  Serie „Die  neun Prinzen von Amber“ sehr viel effektiver überdecken konnte, da er in diesem Buch eine ganze Welt oder besser noch eine unbestimmte Zahl von Universen entwickeln  konnte und/ oder musste, in deren Mittelpunkt Amber steht.

Im vorliegenden inzwischen sechsten Roman der Serie ist der Hintergrund bekannt.  Auch wenn der Roman wahrscheinlich wieder auf der Erde als eine der Schattenwelt mit einer allerdings immer wieder betonten besonderen Bedeutung ohne einen nachhaltigen Beweis beginnt. Merle/ Merlin lebt auf der Erde ein relativ ruhiges Leben. Er hat einen Job in der Computerindustrie, verdient Geld, kann zwischen den Welten wandern und träumt  manchmal von seiner eigentlichen Heimat. Immer am 30. April – Walpurgisnacht – wird ein Anschlag auf sein Leben verübt. Dieses Jahr ist es ein wenig anders, denn seine ehemalige Freundin wird von einer Bestie ermordet. In deren Wohnung findet Merle  er seltsame Karten. Der Leser ist mit den Tarotkarten im Allgemeinen vertraut. Eine spätere Szene zeigt auch auf, dass Merle  seine Herkunft  kennt und im Gegensatz zu seinem Vater, der ja mit einem Gedächtnisverlust auf der Erde aufwacht, zwischen den Dimensionen hin und her wechseln  kann. In der Folge versucht Roger Zelazny Spannung aufzubauen, in dem Merle von einem  Künstler/ Magier konfrontiert wird; sein bester Freund sich als zwiespältig hinsichtlich seiner Herkunft erweist und letztendlich eine verheiratete Frau ihm Hinweise auf die mögliche Gefahr nach einer Liebesnacht schenkt.

Die Balance zwischen der Nutzung des vertrauten, aber effektiv  entwicklungstechnisch zurückgehaltenen Hintergrunds und der im Vordergrund abspielenden Geschichte stimmt nicht ganz und deswegen stellt der Plot nicht gänzlich zufrieden. Merle ist kein so charismatischer Charakter  wie sein Vater Corwin oder der allgegenwärtige, aber niemals echt in der Handlung auftretende Großvater Oberon. Interessant ist, dass sich Oberon mehr oder minder freiwillig aus dem Staub gemacht und den Thron zurückgelassen hat,  damit sich seine neun Söhne darum schlagen.  Fast gleichgültig hat er darauf reagiert, dass bei den Kämpfen sogar Brüder ihre Geschwister töten.  Im zweiten Buch der Serie hat Corwin Gewehre und spezielle Munition nach Amber eingeführt, um Eric zu stürzen und zu töten. Diese Idee greift der Autor im mittleren Abschnitt des Buches wieder auf.

Vorher stellt sich aber  die Frage, warum Corwin seinem Vater und damit Merles Großvater folgt und sich gegenüber seinem einzigen Sohn so desinteressiert verhält.  Diesen Punkt arbeitet der Autor noch nicht heraus. Damit fehlt dem sechsten Roman der Serie aber das Herz. Corwin von Amber ist ein emotionaler Pragmatiker gewesen, der verzweifelt nach dem Thron gegriffen hat. Nicht weil er sich als  besser oder intelligenter als seine Brüder gefühlt hat, sondern weil er der Ansicht gewesen ist, dass Oberon es so bestimmt hat. Merle nimmt viel zu viele Sachen passiv hin und reagiert zu wenig hektisch oder emotional oder intuitiv. Als Figur erscheint  er  leider  zu farblos, so dass der Funke unabhängig von den gut beschriebenen Ereignissen nicht wirklich überspringt. Um Merle herum hat Roger Zelazny als routinierter Autor eine Reihe von mechanischen Protagonisten platziert, welche durch ihre Handlungen Merle von einem Punkt zum nächsten treiben. Aber auch hier wirkt vieles eher steril funktional als nachhaltig genug herausgearbeitet.

Ein weiteres Problem liegt in der Tatsache, wie Roger  Zelazny die ganze Serie aufgebaut hat. Amber und seine zahlreichen Taschenuniversen sind gigantisch groß.  Viele haben die „Amber“ Serie mit Philip Jose Farmers „World of Tiers“ Zyklus verglichen. Das ist nur bedingt richtig,  da die Ambers ja zumindest rudimentäre Strukturen ihrer Welten kennen, während es bei Farmer um eine Exploration des ganzen Konstrukts gegangen ist.  Über die besondere Bedeutung der Erde erfährt der Leser auch im sechsten Roman der ganzen Serie nichts.  Der Hinweis, dass zum Beispiel Bill Roth als Anwalt der Ambers auf der Erde stationiert für alle Verträge und Verhandlungen als eine Art Dauerauftrag engagiert worden ist, wirkt angesichts der zahllosen Welten und des Machteinflusses Ambers ambitioniert bis unglaubwürdig. Zynisch gesprochen könnten die Ambers auch wenig Wert auf Verträge legen. Aber Bill Roth wäre einer der positiven Charaktere, mit denen einen überzeugendere Überleitung besser gelungen wäre. Auch Random hat einen kleinen Auftritt, wobei in Kombination mit Merles geistiger Erfindung „Ghostweel“ Random als die beiden Zyklen verbindendes Element zu wenig effektiv eingesetzt wird. Selbst ironisch erläutert der vor allem  Merle, weniger dem „Amber“ Fan die Schwächen der  Ambers, während Merle selbst seine eigene Schöpfung stoisch entweder ignoriert oder absichtlich klein macht.

Hinzu kommt, dass das Wandeln zwischen den Welten inzwischen zu viele Personen können und das Ziehen von Trümpfen keine besondere, keine gehütete Kunst mehr ist, sondern als Blutsverwandten von Dworkin haben diese Fähigkeit „geerbt“ und  setzen sie auch ein.  Die Schatten wirken nicht mehr als Abkürzungen, die wenn es darauf ankommt, doch nicht genommen werden, sondern wie eine Art „MacGuffin“, der handlungsverkürzend immer dann eingesetzt wird, wenn Roger Zelazny seine Figuren von einem Ort zum anderen bringen möchte, wobei sie unterwegs ohne Müdigkeit oder Energieverlust plötzlich wieder Kraft tanken oder sogar Wünsche manifestieren lassen. Auch diese zu mächtige Fähigkeit schränkt der Autor  gegen Ende des vorliegenden Buches wieder ein, aber sie erst „entstehen“ zu lassen, erscheint kontraproduktiv und unglücklich.   

Ohne Frage wollte Roger Zelazny auf der bekannten Grundlage nicht die Handlung noch einmal erzählen, sondern hat mit dem Höhepunkt des Rätseldialogs mit der Sphinx während einer der Reisen durch die Schatten eine Variation zum „Corwin von Amber“ Zyklus gewählt.   Längere Passagen spielen auf der Erde und das Zusammentreffen von Technik und Magie wirkt überzeugend.  In diesem Punkt  lässt sich der vorliegende Roman auch ohne Frage kurzweilig lesen. Die Probleme beginnen anschließend  mit der weiterhin zu ambivalenten Konstruktion aller Welten und vor allem einem eindimensionalen Protagonisten ohne Zugriff auf einen wichtigen Antagonisten. Roger Zelaznys Figuren sind immer Suchende gewesen, die über den Tellerrand geschaut haben und sich so den unterschiedlichen Herausforderungen stellen konnten. Merle  reagiert zwar auf verschiedene Bedrohungen und Provokationen, aber so  zögerlich,  so sich selbst im Weg stehend, dass kein echter Handlungsfluss aufkommen mag.          

  • Taschenbuch: 252 Seiten
  • Verlag: Heyne; Auflage: 1. (1995)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 345308005X
  • ISBN-13: 978-3453080058
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