Vergessene Welt Band 3

Christophe Bec

Der Abschluss von Christophe Becs interessanter Adaption des Bekanntesten der vier Professor Challenger Romanen/ Geschichten aus der Feder Arthur Conan Doyles wird vor allem die Leser verblüffen, deren Wissen um den Roman sich auf eine Reihe von Verfilmungen bezogen hat. Im Gegensatz zum Klischee und einigen kleineren Andeutungen geht die vergessene Welt in dem abgeschieden in Südamerika gelegenen Krater nicht durch die Explosion des Vulkans unter. Viel ambivalenter können die europäischen Forscher nur rudimentäre Beweise hinsichtlich der Existenz dieser Welt vorliegen und sind quasi gezwungen, noch einmal aufzubrechen, um einen Gesichtsverlust zu vermeiden. Natürlich hinterlässt dieses aus Sicht der Mitglieder des elitären Forschungszirkels in London und vielleicht auch der gegenwärtigen Leser eher offene Ende sehr viele Fragen. Aber entgegen des inzwischen zum Klischee erstarten Untergangs des Fleckchens einer verlorenen Zivilisation, auf das selbst ein talentierter Erzähler wie Michael Crichton in „Expedition Kongo“ zurückgegriffen hat, bleiben alle Türen für Fortsetzungen offen, die Arthur Conan Doyle dann allerdings nicht mehr verfasst hat.

 So begegnen die Forscher ja nicht nur überdimensionalen,  in der relativen Gegenwart meistens auch ausgestorbenen Tieren, sondern dem Mising Link zwischen Menschen und Affen, der auf einem primitiven Niveau auf der gigantischen Hochebene lebt. Es handelt sich um einen Stamm, der regelmäßig Menschenopfer bringt und diese anschließend sehr zum Schock der Forscher auch auffrisst.

 An einer anderen Stelle haben sich Nachfahren der Indios angesiedelt, welche Kontakt mit den spanischen Erobern hatten. Diese haben zusammen ein Idyll aufgebaut. Verschiedene Ideen von den Spaniern skizziert und erbaut, von den Indios verfeinert erleichtern ihnen meistens das Leben hinter einer gigantischen Palisadenmauer als Schutz gegen die Bestien und die Affenmenschen.

 Mönche haben versucht, sie immer wieder dem christlichen Glauben zuzuführen, was aber bislang nicht gelungen ist. Anscheinend ist aber einer der Mönche ebenfalls auf dem Hochland geblieben.

 Die Forscher haben nur die Möglichkeiten, auf diese zahlreichen, im dritten Band gedrängt erscheinenden Eindrücke zu reagieren. Während sich Zeichner und Erzähler vor allem im ersten Buch auf Stimmungen konzentriert haben und die atemberaubende Landschaft für sich haben „sprechen“ lassen, ist das Tempo deutlich höher und die gefährlichen Situationen reihen sich in einer derartig schnellen Abfolge aneinander, dass kritisch gesprochen dieser Dreiteiler auch in vier Abschnitten hätte erzählt werden können, vielleicht sogar müssen. In der literarischen Vorlage sind die einzelnen Höhepunkte ein wenig besser über die laufende Handlung verteilt worden, auch wenn sich am abschließenden Grundkonzept nicht viel ändert.

 Der interessanteste Aspekte selbst aus heutiger Sicht von Roman und dementsprechend auch Comic, aber nicht den Verfilmungen ist die Grundidee, das nicht die Natur ein Wunder erschaffen hat und es wieder zurückholt, sondern die kriegerische Evolution allerdings mit dem Eingreifen der Europäer schließlich zu einem partiellen Untergang dieser vergessenen und in der Form niemals irgendwo auf der Erde da gewesenen Welt führt. Es ist eine Kettenreaktion, passend ausgelöst durch einen Blitzeinschlag in trockenes Holz und damit die Entdeckung des Feuers durch die Affenmenschen. Natürlich stellt sich dem Leser unwillkürlich die Frage, warum die Affenmenschen nicht auf das vorhandene Feuer bei den Indios reflektiert haben? Bei den Raubzügen müsste es ihnen in den Hüten zumindest aus der Entfernung aufgefallen sein.

 Ein anderer Aspekt ist der nicht konsequente Umgang mit Wasser. An der Stellen kann einer der Forscher überleben, in dem er sich in die Fluten stürzt und nicht verfolgt wird, an der anderen Stellen treiben die Affenmenschen die Giganten dieser Epoche vor sich her und damit auch ins Wasser, wobei Ufernahe Bedrohung für die Umsetzung des Plans eigentlich nicht ausreichend sein kann.

 Auch wirkt in der Kompaktheit der hier vorliegenden Erzählung die Kettenreaktion ein wenig zu gewollt, aber sie ist spannend umgesetzt und dramaturgisch effektiv. Vor allem die großen Zeichnungen Fabrizi Fainas ragen in diesem Abschnitt wie im ersten einleitenden Band aus der Masse heraus. Mit seiner Mischung aus Details – so sind die wichtigsten Charaktere sofort voneinander zu unterscheiden, was nicht bei allen Comics der Fall ist – und breiten naturalistischen Hintergrundszenarien hat er von Beginn an diese vergessene Welt mit einem überzeugenden, niemals künstlich wirkenden Leben erfüllt.

 Das reine Wunder dieser Welt wird zum Hintergrund eines in mehrfacher Hinsicht existentiellen Überlebenskampfes, wobei die „technischen“ Hinterlassenschaften der Spanien als Ironie der Geschichte den Engländern das Leben retten. Vielleicht greifen hier die abschließenden Mechanismen zu schnell und zu effektiv ineinander, aber die Form des Tagebuches hat ja deutlich gemacht, dass mindestens ein Teil der Expedition überleben muss.

 In diesem dritten Band zeigt sich aber auch ein interessanter humanistischer Aspekt der ganzen Geschichte. Die beiden führenden Köpfe der Expedition sind als Feinde aufgebrochen, um sich gegenseitig ihre falschen Forschungen und Erkenntnisse zu beweisen. Spätestens in diesem abschließenden dritten Album müssen sie konsequent nicht nur zusammenarbeiten, sondern sie erkennen, dass sie beide richtig und falsch zugleich gelegen haben. Es handelt sich auf der Hochebene um keine abschließend natürlich verlaufende Evolution, sondern Einflüsse von außen wie durch die Spanier haben den bekannten Verlauf unterbrochen und geändert. Am Ende müssen sie erkennen, dass auch sie mit dem Unglauben in der Welt kämpfen müssen und ihnen die gleiche Arroganz entgegen gebracht wird, unter welcher der in diesem Handlungsabschnitt lange sehr passive Professor Challenger gelitten hatte.

 Auch der Erzähler wird von einem naiven und verliebten Jüngling zu einem Mann, der erkennen muss, dass die Wünsche einer Frau ihren nicht immer lupenreinen Charakter widerspiegeln. Eine bittere Erkenntnis, die aber in seinem Fall zu einem klassischen Happy End führt. Im Gegensatz zu den Forschern hat er sich der Literatur verschrieben. Es gibt aber nicht wie in den Sherlock Holmes Geschichten eine Wechselwirkung zwischen den „realen“ Protagonisten und den im „Strand“ Magazin veröffentlichten Fällen, sondern ganz bewusst hebt sich der fiktive Abenteuerroman „The White Map“ von den Erlebnissen publikationstechnisch, aber nicht inhaltlich ab.

 Die drei Bände zusammen betrachtend haben Christophe Bec zusammen mit seinem Team Fabrizio Faina und MauroSalvatori bewiesen, dass in diesem mehr als einhundert Jahre alten und mehrfach in unterschiedlicher Qualität verfilmten Buch sehr viel mehr steckt, als es der Zeitrgeist glauben mag.

 Ohne auf die Exzesse gegenwärtiger Abenteuerfilme oder entsprechender Literatur zu setzen ist es die Adaption eines klassischen Abenteuerstoffes, welcher den Geist von Sir Henry Haggards mit einer fiktiven Handlung – alle vier Professor Challenger Werke enthalten mindestens fiktive, wenn nicht sogar utopische Ideen -  überzeugend verbunden hat. Und diesen Geist haben Zeichner und Autor für eine neue Generation aus der Flasche geholt, visuell interessant und hinsichtlich der Details vielschichtig umgesetzt und modern klassisch angerichtet.

 

   

  • Gebundene Ausgabe: 56 Seiten
  • Verlag: Splitter-Verlag; Auflage: 1 (1. September 2017)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3958390269
  • ISBN-13: 978-3958390263
  • Originaltitel: Le Monde perdu
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