Duplikat

Duplikat, Reynolds, Titelbild
Alastair Reynolds

Im Original heisst der zweite Roman seiner neuen Trilogie nicht simple “Duplikat”, sondern fast poetisch „On the Steel Breeze“. Der Auftaktroman der Serie „Okular“  konzentrierte sich  auf eine Art Schnitzeljagd der Familie Akinya im Grunde durch das bekannte Sonnensystem.  Die Informationen, welche abschließend geborgen worden sind, sorgten für einen technologischen Quantensprung und vor allem schenkten sie der Menschheit die Möglichkeit, das  sinnbildlich gesprochen Meer der eigenen Heimat zu verlassen und zu den Sternen zu reisen.

Alastair Reynolds mag es in seinen Romanen groß.  Wie Stephen Baxter ist er vor allem ein experimenteller Visionär, der nicht selten zu Lasten seiner Charaktere große universelle Szenarien entwirft.  Durch den Fokus auf wenige Charaktere und eine im Grunde Beschränkung auf das Sonnensystem wirkte „Okular“  vielleicht oberflächlich und unstrukturiert. In der Theorie könnte auch von einem sehr langen Prolog für den vorliegenden zweiten Roman „Duplikat“ und dem Finale in „Enigma“ gesprochen werden.

Nach der Lektüre von „Duplikat“ muss der Leser feststellen, dass  „Okular“ deutlich besser strukturiert worden und die Suche nach dem Erbe der Akinya Familie ein wichtiger roter Faden  gewesen, an dem sich „Duplikat“ unabhängig von einem grandiosen Grundszenario nicht wirklich festhalten kann. 

Dabei ist der Hintergrund der Geschichte herausfordernd.  Zweihundert Jahre sind seit den Ereignissen von „Okular“ und dem Start des ersten intergalaktischen Raumschiffs von der Erde vergangen. Der ganze Plot nimmt einen Zeitraum von fast einhundert Jahren ein, wobei die Langlebigkeit im Grunde wichtige Ereignisse aus „Okular“ sogar mit der Zukunft in „Enigma“ verbinden kann.  Auf der technologischen Seite  lässt Reynolds die sehr sorgfältig extrapolierte Entwicklung in „Okular“  förmlich hinter sich und präsentiert unter anderem mit gigantischen ausgehöhlten Asteroiden, die bis zu zehn Millionen Passagiere zu einer neuen Erde bringen sowie einem mehrere tausende Kilometer langen außerirdischen Objekt neue Ideen, die spektakulär beschrieben erscheinen, aber irgendwie  sich auch abgenutzt haben.  

Interessant ist, dass Reynolds bei der  Plotentwicklung aber in den entscheidenden Phasen wieder von seinen gigantischen Gebilden abweichen muss, um mit Hilfe der Meeresmenschen – nicht umsonst heißt die Trilogie ja auch „Poseidons Kinder“ – in dieses  Mal aber nicht gänzlich überzeugender Art und Weise einen weiteren wichtigen Schlüssel als Türöffner manifestieren zu lassen.  Sie übergeben einer der wichtigsten Protagonistinnen – da der Titel „Duplikat“ ist, erscheint sie in mehreren Inkarnationen -  eine Nachricht, welche Yellow zwingt, ihre neue Heimat Lissabon zu verlassen und wie im ersten Buch ihre Vorfahren einer Spur erst zur Venus, dann zum Marsmond Phobos, zum  Asteroidengürtel und schließlich wieder zurück nach Lissabon zu folgen. Vielleicht wäre „Duplikat“ ein spannenderes Buch, wenn diese Suche im Vordergrund der Handlung gestanden hätte. Zu diesem Zeitpunkt hat Reynolds allerdings den Plot  schon aufgeteilt, so dass nicht nur eine Inkarnation Chiku Akinyas unterwegs ist,  sondern im Grunde drei.

Chika hat sich wahrscheinlich eher aus Langeweile zweimal  klonen lassen. Diese Informationen werden nebenbei präsentiert.  Interessant ist, dass diese drei unterschiedlichen Persönlichkeiten mit ihren individuellen Erlebnissen später zu einem Bewusstsein „verschmolzen“ werden, so dass niemand mehr wirklich weiß, wer das Original und welche die Klone sind.  Reynolds ignoriert allerdings auch die moralischen Hintergründe dieser Prämisse. Viel mehr geht es dem Autoren darum, den Plot aufsplittern zu können. Die drei Chikus losen.  Eine bleibt auf der Erde zurück;  Chiku Red soll Eunice Akinya aus dem ersten Buch in die Tiefen des Alls folgen und kommt scheinbar bei dem Versuch, alleine in einem kleinen Raumschiff durchs Alls zu eilen, ums Leben.  Chiku Grün reist zusammen mit den Siedlern in einem der ausgehöhlten Asteroiden zu der neu entdeckten Welt, welche zumindest der Planung der Menschen folgend von künstlichen Intelligenzen, die schneller  als die Asteroiden an Bord ihrer Siedlerschiffe reisen können, für die endgültige Besiedelung  vorbereitet werden sollen.

Die drei „Persönlichkeiten“ einer Protagonistin ermöglichen es Reynolds, zwischen den einzelnen Handlungsebenen hin und her zu springen. Wie in „Okular“ hat der Autor eine abschließende Überraschung zur Hand, welche Einfluss auf die Besiedelung des Planeten hat,  die Originale Chiku aber in einer der besten Sequenzen der ganzen  Serie zu einer unmenschlichen Entscheidung zwingt. Aber auch hier erstarrt der Leser genau wie die Protagonistin nicht vor den unvermeidlichen Folgen der ihr aufgezwungenen Entscheidung, so dass die grundlegende Wirkung leider ein wenig verpufft.

Wie in „Okular“ baut der Autor auf das abschließend nur bedingt gelüftete Geheimnis.  Aber wie im ersten Buch verweigert er auch eine zufriedenstellende Erläuterung und lässt zu viele nicht unbedingt originelle, aber zumindest spannend und exotisch präsentierte Ideen in der Luft hängen.  Durch diese nicht zufriedenstellende Vorgehensweise wirkt vor allem der mittlere Abschnitt von „Duplikat“ seltsam unrund und nicht spannend genug. 

Ohne Frage gibt es ausreichend Actionszenen und die Herausforderungen nicht nur auf der Zielwelt, sondern während des Fluges in den gigantischen Asteroiden sind groß, aber sie wirken auch distanziert zusammengestellt. Anstatt den jeweils aus der Ich Perspektive geschriebenen Prolog und leider auch Epilog mit dem Handlungsbogen  auf die eine oder andere Art zu verbinden, wirken diese Sequenzen wie Fremdkörper.  

So faszinierend vor allem die Begegnung mit dem Botschafter der Meermenschen ist und Ängste in Chiku wegen der freiwilligen  operativen wie genetischen Verwandlung ihres  Sohns in einen der Fischmenschen heraufbeschwört, genauso wenig zufriedenstellend wird diese Problematik abschließend gelöst und die Fragen bleiben wie vieles im vorliegenden Buch unbeantwortet. Dabei sind es die stimmungsvollen Szenen in Lissabon, die scheue Begegnung mit dem Repräsentanten dieses  vor allem auf der Erde so „fremdartig“ und doch vertraut erscheinenden neuen Menschenstammes, die aufgrund ihrer Atmosphäre, ihrer minutiösen Entwicklung und der scheuen Versöhnung mit dem eigenen Sohn faszinieren. Viele  Leser werden sich mehr von solchen Sequenzen wünschen und weniger gut geschriebene, aber inzwischen auch sehr mechanisch wirkende Actionszenen, wobei Reynolds auf eine Zelebrierung von Gewalt meistens verzichtet und den Tod als etwas unerwartet Eintretendes  in einer unwirtlichen Umgebung beschreibt. 

Es ist vielleicht nicht notwendig, “Okular“ vor  „Duplikat“ gelesen zu haben, da die meisten Informationen ein weiteres Mal  positiv unauffällig präsentiert werden. Nach Beendigung der  ganzen Trilogie wird  und muss sich zeigen,  ob „Duplikat“ wirklich als Zwischenbuch notwendig gewesen ist.  Reynolds hat  wieder ein sehr breites Szenario entwickelt, dieses Mal ist es ihm aber zu wenig gelungen, es wirklich mit  Leben zu erfüllen, so dass die abschließende Begegnung zwischen der wichtigsten, allgegenwärtigen Protagonistin und dem weiteren „Geheimnis“ dort draußen ein inhaltlicher Quantensprung ist, auf dem hoffentlich „Enigma“ sehr viel zufriedenstellender aufbaut.   

  • Taschenbuch: 768 Seiten
  • Verlag: Heyne Verlag (13. März 2017)
  • Sprache: Deutsch
  • Übersetzung: Irene Holicki
  • ISBN-10: 3453317556
  • ISBN-13: 978-3453317550
  • Originaltitel: On the Steel Breeze