Enigma

Enigma, Rezension, Titelbild
Alastair Reynolds

Mit “Enigma” schließt Alastair Reynolds seine “Poseidon´s Children“   Trilogie ab. In mehreren Interviews hat der Autor davon gesprochen, dass er ursprünglich wie Olaf Stapledon und Stephen Baxter einen deutlich weiter gespannten Rahmen von mehreren tausend Jahren  für  seine Trilogie vorgesehen hat. Im Mittelpunkt sollte zwar die Eroberung des Weltalls stehen, aber zusammengehalten durch das „Schicksal“ einer  Familie auch die persönliche Ebene nicht vernachlässigt werden.  Der erste Roman mit der Schnitzeljagd nach einem Geheimnis, das schließlich den Weg zu den Sternen eröffnete,  war in dieser Hinsicht noch eine sehr geradlinige Story; im zweiten Band arbeitete der Autor durch die drei Inkarnationen einer Nachkommen der nicht mal ersten Akinya Generation schon breiter aufgestellt, wobei auch hier das Verhältnis zwischen Mensch und Maschine; zwischen den Erwartungen der Siedler  und dem unwirtlichen All einen wichtigen Kontrast bildeten.  In dem nicht nur umfangreich, sondern auch inhaltlich breitesten Band der Trilogie „Enigma“ versucht der Autoren viele Fragen zu beantworten und gleichzeitig die  einzelnen Familienverbindungen wieder zusammenzufassen. 

Im Mittelpunkt stehen Mposi und Ndge Akinya, die Kinder von Chiku Green, einer der Inkarnationen aus dem zweiten Band der Serie.  Aus dem ersten Buch nimmt Reynolds den Faden auf, in dem Nedge Tochter Goma mit ihrer Frau Ru Manyanwza die Forschungen fortsetzen, welche Geoffrey Akinya mit den zum Planeten Crucible transportierten, genetisch veränderten Elefanten im ersten Buch angefangen haben.  Auch wenn immer wieder die Themen aus den ersten Romanen aufgegriffen und extrapoliert werden, ist es sinnvoller, die ganze Trilogie als  ein Epos anzusehen, das deutlich effektiver und tiefer gehender miteinander verzahnt ist als es die Inhaltsangaben implizieren. Es ist sinnvoll, die Romane in der chronologischen Reihenfolge zu lesen und sich vor allem nicht auf jede Zusammenfassung in den Folgebänden zu verlassen.    

Aus den Tiefen des Alls . in diesem Fall das unerforschte System Gliese 163 – erreicht eine Nachricht die Erde und damit die Familie Akinya.  Expliziert wird nach Ndege gefragt.  Sie steht unter Hausarrest, weil  sie bei ihren Berechnungen das Generationenraumschiff „Zanzibar“  mit mehr als vierhunderttausend  eingefrorenen Menschen an Bord  zerstört hat.  Dieses Raumschiff transportierte die Elefanten zu den Sternen. Während des Finales hatte ein  anderes Mitglied der Akinya Familie ebenfalls eine folgenschwere Entscheidung zu treffen, als die künstlichen Intelligenz ihre Wegbereiter Rolle für die  zukünftigen Siedler von Crucible verlassen haben.   Damals ging es darum die Elefanten -  sie ziehen sich wie  ein roter Faden durch die ganze Handlung der Serie – auf ihrem Weg in eine neue Heimat zu schützen.  Aufgrund ihres Alters kann Ndege unabhängig von ihrem Hausarrest diesem Ruf nicht folgen und schickt ihren Bruder,  ihre Tochter und  ihren Schwiegersohn in die Tiefen des  Alls, um den Ursprung dieser  seltsamen Botschaft zu entziffern. 

In diesem Punkt scheint „Enigma“ das genaue Gegenteil von „Okular“, dem ersten Buch der Trilogie zu sein.  In „Okular“ mussten die Akinyas Hinweisen  aus dem Erbe ihrer Mutter folgen, um schließlich  am Ende einer langen Reise den Schlüssel zu den Sternen zu finden. In „Enigma“ werden sie von einem unbekannten Signal,  möglicherweise einer Nachricht des verschwundenen Chiku Klons zu einem festen Punkt, aber trotzdem unbekannten Ziel gelockt.

Alastair Reynolds ist  seit vielen Jahren als Ideenautor bekannt. Nicht selten hat er wie Stephen Baxter oder Ian Banks großformatige und großartige Szenarien entwickelt. Im Gegensatz zu den beiden anderen so populären  britischen Science Fiction Autoren litten seine Romane immer unter den zu eindimensional, zu pragmatischen und vor allem seine Botschaften kommunizierenden Charakteren. Mit der Trilogie um die Kinder Poseidons hat Reynolds  aufgeschlossen. Eine derartige komplexe familiäre Struktur findet sich nur noch in Ian McDonalds „Luna“ Romanen, dort aber in Form von insgesamt fünf Familien.  Beginnend mit dem ersten Roman hat Reynolds konsequent die Stärken und Schwächen der Akinya Familie in den Mittelpunkt seiner Geschichte gestellt.  Selbst die Momente, in denen sie unmenschliche Entscheidungen alleine und isoliert treffen mussten, sind überzeugend wie  konsequent vorbreitet worden. Auch wenn das Szenario sehr breit angelegt worden ist, werden die Akinyas immer wieder mit verschiedenen Problemen  konfrontiert.  Ihre Kultur im Herzen Afrikas ist auch in der fernen Zukunft erhalten geblieben und die  Liebe zu den Elefanten wirkt nicht kitschig, sondern emotional ansprechend. Um sein großes Epos herum hat Reynolds seine Protagonisten auch immer wieder mit scheinbar alltäglichen Problemen konfrontiert.  Viele der Dialoge runden die sehr gute Charakterisierung der einzelnen Protagonisten positiv ab.  Hinzu kommt, dass die Verpflichtungen und der Zusammenhalt einer Familie über viele Generationen in diesem Buch zu einem zufriedenstellenden Ende geführt werden.  Eine Überraschung angesichts der extremen Herausforderungen. 

Dabei spricht Reynolds nicht unbedingt mit neuen Ideen  oder Thesen, aber aus der Perspektive dieser  Familie über mehrere Generationen alt  bekannte Themen an.  Wie reagieren die Menschen als Frischlinge im All nicht nur auf außerirdische  alte Zivilisationen,  sondern wie kommen die Menschen damit  klar, dass ihre willigen Helfer -  die künstlichen Intelligenzen -  sich quasi emanzipiert haben, um eine eigene Daseinsberechtigung und vielleicht nur noch eine mittelbare Kooperation  mit ihren Schöpfern zu suchen? Was definiert in einem solchen Zusammenhang Menschlichkeit auch beim Treffen von weitreichenden Entscheidungen.  Ohne Frage alles Themen, mit denen sich Reynolds  auf einer technokratischen Art und Weise schon auseinandergesetzt hat. 

Interessant ist, dass auf der technischen Seite der Autor  auf zu viele  Klischees zurückgreift.  So können die Protagonisten nicht der höheren Anziehungskraft einer Welt  mit vollem Schub entkommen, weil sie ihre intelligenten Elefanten nicht dieser Belastung aussetzen wollen.  Immerhin könnten sie mit ihnen kommunizieren und ihnen die entsprechende Entscheidung überlassen, ob es Mensch und Tier gemeinsam versuchen wollen.  Hinzu kommt, dass  der Autor zusätzlich auf eine fragwürdige „Deus Ex Machina“ Lösung zurückgreift,  welche er in der Mitte  des vorliegenden Plots aus einer nicht erklärbaren und vor  allem auch nicht vorbereiteten  Not heraus ergreift.  Dadurch unterminiert der Autor einige Ansätze aus den ersten beiden Büchern und entlarvt leider nicht zum ersten Mal in dieser Serie eine Herausforderung, ein wie der deutsche Titel impliziert „Enigma“  als  bei weitem nicht so tiefgründing wie erwartet.

Anstatt sich auf das Beantworten der meisten Fragen zu konzentrieren, versucht Reynolds diesem vorliegenden Roman übertrieben noch mehr Gehalt zu geben und weiter die philosophisch eher eindimensionale Basis auszubauen.  Dadurch wirkt auch das erneute Auftreten der Wächter eher pragmatisch und inkonsequent als  bedrohlich geheimnisvoll und herausfordernd. Es ist nicht der einzige Kompromiss, der zu Gunsten der agierenden Charaktere auf den jeweiligen individuellen Ebenen, aber leider zu Lasten der Glaubwürdigkeit des ganzen Konstrukts eingegangen wird.  Vor allem die Elefanten dienen zu Beginn als Herausforderung einer Arterhaltung und werden später zu Vertrauten der Menschen, ohne dass dieser  Handlungsbogen wirklich nachhaltig genug ausgebaut wird. 

„Enigma“ ist auf der emotional persönlichen Ebene ein  zufriedenstellender, sogar ein guter Abschluss dieser ambitionierten Trilogie,  während der Plot aus der technisch distanzierten Perspektive vor allem gegen  Ende weniger aus den Prämissen heraus entwickelt, sondern stark konstruiert erscheint und an keiner Stelle sowohl das Momentum als auch die mysteriöse Spannung des mit Abstand besten ersten Romans dieser Trilogie erreicht.

Einen  echten Kompromiss zwischen der ursprünglichen Planung  mit einer Zeitspanne von mehr als zehntausend Jahren und der jetzt vorliegenden Trilogie hat der Autor leider nicht finden  können, so dass  „Okular“  als Auftaktbuch wahrscheinlich die empfehlenswerteste Lektüre ist, während „Duplikat“ gute Ansätze zeigt und „Enigma“ überambitioniert auseinanderfällt. 

 

  • Taschenbuch: 960 Seiten
  • Verlag: Heyne Verlag (14. August 2017)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3453317793
  • ISBN-13: 978-3453317796
  • Originaltitel: Poseidon's Wake