Es klingelte an der Tür

Es klingelte an der Tür, Rex Stout, Titelbild
Rex Stout

Als zweiten Band ihrer neu übersetzten und ungekürzten „Nero Wolfe“ Edition legt der Klett Cotta Verlag einen der auf der einen Seite politisch gewichtigsten, aber im Rahmen der mehr als dreißig Jahre erst in den sechziger Jahren verfassten und publizierten Krimi vor. Der Titel „Es klingelte an der Tür“ ist eine zynische wie ironische Zusammenfassung des Epilogs, in dem einer der gefürchtesten Männer der amerikanischen Regierung an Nero Wolfes Tür klingelt und sie verschlossen bleibt. Mit diesem süffisanten Ende wollte Rex Stout noch einmal stellvertretend durch seinen gewichtigen Detektiv seine Abneigung gegen die in den fünfziger und sechziger Jahren herrschende politische Strömung zeigen. Genau wie er in den dreißiger Jahren in Büchern wie „Zu viele Köche“ gegen Rassismus vor allem auch von öffentlichen Stellen gegen die farbige Bevölkerung zu Felde gezogen hat.

 „Es klingelte an der Tür“ ist in mehrfacher Hinsicht – wie das ausführliche Nachwort verdeutlicht – eine kriminaltechnische Komödie, ein Stück aus der Feder eines humoristischen Narren, der die Freiheit des Kriminalgenres ausnutzt, um eine gänzlich andere Geschichte zu erzählen. In vielen Punkten ist „Es klingelte an der Tür“ ein durchschnittlicher bis schwacher Kriminalfall. Insbesondere die Ermittlungen hinsichtlich des Mordes an einem FBI kritischen Journalisten wirken auf der einen Seite wie ein Aufhänger für Nero Wolfe, dieses Mal mit der Genehmigung der New Yorker Polizei ermitteln, auf der anderen Seite aber auch stark konstruiert, denn Täter und Tatmotiv haben nicht viel mit dem zweiten Fall zu tun, für den sich Nero Wolfe fürstlich bezahlen lässt und den er im Grunde weder lösen – es gibt kein Verbrechen – noch einen Täter – es gibt ja kein „Verbrechen“ in klassischer Hinsicht – bestrafen kann. Rex Stout hat abschließend durch das Verhältnis der drei wichtigsten Protagonisten mit auf der einen Seite einer reichen Witwe als Auftraggeberin und einem Journalistin sowie der im gleichen Haus lebenden Sekretärin der reichen Witwe auf der anderen Seite eine Verbindung zwischen den beiden Handlungsebenen gefunden, die aber kritisch und distanziert betrachtet nicht nachvollziehbar ist.

 Die Ermittlungen in der Mordsache sind eher seicht. Archie Godwin verhört einige mögliche Verdächtige und zieht aufgrund der Recherche an einem FBI kritischen Artikel sowie dem Auftreten drei Agenten des FBI am Tatort die Schluss, dass das FBI den Mord zumindest sanktioniert hat. Es gibt aber auch einige Hinweise in eine andere Richtung, wie eine zweite Durchsuchung der Opferwohnung ans Tageslicht bringt. Spätestens mit der Erkenntnis, dass einer der Zeugen gelogen hat, entwickelt sich der Fall ausgesprochen geradlinig und konsequent zu Ende. Es geht im Grunde nur noch um Kompetenzstreitigkeiten zwischen der New Yorker Polizei und dem FBI auch hinsichtlich des vom Tatort verschwundenen Beweismaterials. Das ist ohne Frage interessant und erinnert ein wenig an die Winkelzüge, welche Erle Stanley Gardner in den ersten seiner „Cool & Lam“ Serie präsentierte, aber wirkt abschließend auch ein wenig zu abgehoben und im Grunde amateurhaft.

 Aber diesen seichten Mordfall brauchen Autor und Leser, um Nero Wolfes vertraute Vorgehensweise zu verfolgen. Viel interessanter ist die für die damalige Zeit aktuellere wie von konservativen Teilen die USA auch kritische Darstellung der FBIs in seiner Rolle nicht mehr als Beschützer der USA und ihrer Bewohner, sondern als zweite oder dritte Macht im Staate. Damit wird dem Paranoiakino und den entsprechenden Thriller der siebziger Jahre, die im Zuge des Watergate Skandals, den Vietnamkrieges und der weiterhin schleppenden Aufklärung des Kennedy Mordes vorgegriffen. 

 Der Hintergrund ist ein 1964 veröffentlichtes Buch über „The FBI Nobody Knows“ aus der Feder des Untersuchungsjournalisten Fred J. Cook. Dabei handelt es sich um eine Sammlung von kritischen Artikeln, die vorher in „The Nation publiziert worden sind. Bis zu seinem letzten „Nero Wolfe“ Roman „A Family Affair“ zehn Jahre später publiziert wird „Es klingelte an der Tür“ der einzige Roman sein, in dem Rex Stout seine durchaus konservativ demokratischen Ansichten seinem Alter Ego Nero Wolfe indirekt in den Mund legen sollte. Vor allem indirekt, weil es die Agenten des FBIs sind, die mit ihrer amateurhaften Vorgehensweise im Grunde die entsprechenden Reaktionen des Detektivs provozieren.

 Sowohl Nero Wolfe wie auch Rachel Brunner, eine reiche New Yorker Witwe, haben „The FBI nobody Know“ gelesen. Rachel Brunner ist davon derartig inspiriert worden, dass sie zehntausend Exemplare des Buches gekauft und mit entsprechenden Note an eine Reihe von einflussreichen Menschen sowohl der Wirtschaft als auch der Politik versandt hat. Das FBI beginnt sie zu überwachen. Rachel Brunner will Nero Wolfe anheuern, für abschließend 100.000 Dollar als Vorauszahlung sie aus den Überwachungsklauen des FBIs zu befreien. Auf der einen Seite fasziniert Nero Wolfe ein derartig hohes Honorar zu Beginn eines Kalenderjahres angesichts seines exzessiven Lebensstils, auf der anderen Seite will er sich mit dem FBI nicht direkt anlegen.

 Das Fenster öffnet sich mit einem potentiellen Mord an einem Journalisten, der an einer weiteren kritischen Arbeit über das FBI gearbeitet hat. Nero Wolfe kann jetzt vor allem angesichts der Drohung eines Lizenzentzuges durch die örtlichen Behörden auf Initiative des FBIs ohne Probleme ermitteln.

 Immer wieder kommt es zu Begegnungen mit dem FBI. Höhepunkt ist der Einbruch einiger Agenten bei Nero Wolfe, auf welchen sich der Detektiv in Ruhe vorbereitet hat. Die Agenten werden „entmannt“, in dem Nero Wolfe ihnen die Ausweise abnehmen lässt. Er behält sie als eine Art Pfand bei sich, wobei die Stilisierung der Ausweise aus heutiger Sicht fast archaisch primitiv erscheint. Die Aktion des FBIs ist unnötig, weil Nero Wolfe schon vorher beschlossen hat, es wäre sinnvoller, die Unschuld des FBIs an dem Mord zu beweisen als deren Schuld. Angesichts der schon in den sechziger Jahre aufkommenden kritischen Stimmen eine Interesse Prämisse, die den kritischen Untertönen der ersten Kapitel missfällt. Auch wenn Rachel Brunner wie auch Nero Wolfe ein wenig entsetzt über die Aktionen des FBIs erscheinen, weil Fred J. Cook in seinen Artikeln beschreibt, fehlt im Umkehrschluss eine weitergehende kritische Auseinandersetzung mit diesem Thema. Im Gegensatz zu vielen anderen Arbeiten auch des amerikanischen Paranoiakinos wie „Zeuge einer Verschwörung“, „Der Philadelphia Clan“ oder auch „Blow Up“ von de Palma geht Rex Stout eine Art Kompromiss ein und zeigt das FBI als teilweise ein wenig überambitioniert und fehlgeleitet. Höhepunkt dieser abschließenden Friedenpolitik ist das erstaunlich sachliche Gespräch mit dem örtlichen Leiter des FBIs in New York, in dem sich alle Seiten austauschen, den Mordfall „lösen“ und schließlich sogar einen sachlichen Weg der Zusammenarbeit finden.

 Aus heutiger Sicht ist vor allem die erste Hälfte von „Es klingelte an der Tür“ interessant, in welcher Rex Stout nach neuen Wegen für seinen gewichtigen Detektiv suchte und vor allem aus dem bestehenden Schema der Fallabläufe ausgebrochen ist. Ohne Frage gehören die konspirativen Zusammenkünfte im Ersatzbüro – der Billardraum im Keller – zu den besten Sequenzen des ganzen Buches. Und Nero Wolfes Zwiespalt zwischen seiner „Gier“ aufgrund des exzessiven Lebensstils und zumindest Respekt vor einem schwierigen herausfordernden Gegnern lesen sich erstaunlich flüssig und zeitlos. Trotzdem bleibt abschließend auch ein wenig Enttäuschung zurück, wenn die groß vorbereitete Konfrontation mit dem übermächtigen Gegner ausbleibt. Zumindest hat Nero Wolfe am Ende die Oberhand, wenn er durch Ignoranz einen ansonsten gefürchteten Mann – sein Name wird allerdings nicht ausgesprochen – von seiner Tür weißt.

 

 

  • Gebundene Ausgabe: 248 Seiten
  • Verlag: Klett-Cotta; Auflage: 1 (11. März 2017)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 360898111X
  • ISBN-13: 978-3608981117
  • Originaltitel: The Doorbell Rang
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