Der letzte Polizist

Ben Winters

Ein wenig erinnert das gleichzeitige Auftreten von „Auf der Suche nach einem Freund fürs Ende der Welt“ und „Der letzte Polizist“ an die damalige inhaltlich so gleiche und doch konträre Kombination aus „Deep Impact“ und „Armageddon“. Sowohl in der emotionalen Komödie als auch Ben Winters  Kriminalroman spielt der die Zivilisation zerstörende Meteoriteneinschlag – ein Countdown zum Ende der Menschheit – eine wichtige, aber nicht elementare Rolle. Viel interessanter ist, dass insbesondere Ben Winters „Der letzte Polizist“ kriminaltechnisch auch ohne die drohende Vernichtung der Menschheit hinsichtlich der Haupthandlung funktionieren könnte. Mit Abstrichen lässt sich selbst das Familiendrama – Ehefrau manipuliert ihren naiven Mann – ohne größere Probleme umformulieren, so dass auch dieser Spannungsbögen ohne das Armageddon funktionieren könnte. Und Ben Winters Held – der stoische Ich Erzähler Henry Palace – ist ein interessante Neuinterpretation des Film Noir Helden. Weniger harte Schale, aber immer noch ein weicher, zugänglicher, verantwortungsbewusster Kern.

Die Ausgangsprämisse ist klar. Ein riesiger Asteroid ist aus einer extrem Sonnen nahen Bahn getreten und wird auf die Erde treffen. Wie es sich für die Wissenschaftler gehört, wird aus der Floskel ein Einschlag ist „extrem unwahrscheinlich“ nur noch die Frage, wo dieser gigantische Körper einschlägt und wahrscheinlich alles Leben auf der Erde vernichtet. Die Handlung des Romans spielt in der Zeit von Mitte März bis Mitte April. Der Einschlag soll im Oktober erfolgen. Das der Asteroid mit der Erde kollidieren wird, ist seit ungefähr drei Monaten bekannt. Da noch eine relativ „lange“ Zeitspanne bis zur Kollision mit dem Himmelskörper verstreichen wird, braucht Ben Winters die Auflösungserscheinungen der Zivilisation noch nicht gänzlich aus Plünderungen, Gewalttaten und Anarchie zu beschreiben. Viel mehr ist es ein schleichender Prozess. Menschen verlassen ihre Arbeit, um ihre Wunschträume zu erfüllen. Andere bringen sich um. Die Behörden stellen mehr und mehr ihre Arbeit ein und die Handynetze funktionieren nicht mehr flüssig. Das Internet wird zu einem seltenen Gut. Ben Winters als Augenzeuge dieses nachvollziehbaren gesellschaftlichen Verfalls wird mehr und mehr zu einem gegenüber dem Leser beredsamen Beobachter dieses Wandlungsprozesses, dessen Ende im Gegensatz zu „Auf der Suche nach einem Freund fürs Ende der Welt“ nicht beschrieben wird. Vieles wirkt von Ben Winters erstaunlich distanziert und emotionslos beschrieben. Einige wichtige Grundstoffe werden knapp, die Preise für Drogen – dabei konzentriert sich der Autor weniger auf Alkohol und Nikotin – schießen explosionsartig in die Höhe und ermöglichen es dem Schwarzmarkt, neue Vertriebswege zu erschließen. Es sind kleine Hinweise auf das aufkommende Ende der Welt. Nur wenige Beamte oder Angestellte verrichten noch ihren Dienst nach Vorschrift. Andere Institutionen wie Lebensversicherungen konzentrieren sich nur noch auf das Abwickeln von Selbstmorden – vielleicht eine der wenigen Schwächen des Romans, denn keine Versicherung wird ihre eigenen Klauseln ignorieren – und nicht mehr das Neugeschäft. Benzin ist knapp geworden und die Autos werden auf Pflanzenöl umgerüstet, das auch bald rationiert wird. Es ist ein ambitioniertes, aber auch ambivalentes Bild, das Ben Winters im Grunde von einem schleichenden, subversiven Untergang der in erster Linie westlichen Zivilisation zeichnet. Angesichts des bevorstehenden schlagartigen Endes vielleicht sogar ein Kompromiss, ein Widerspruch, der es Ben Winters ermöglicht, in einem relativ gesitteten Umfeld zu ermitteln. Vielleicht wirkt deswegen der Hintergrund des Romans auch ergreifender. Denn schließlich gibt es am Ende auch einen optimistischen, aber nicht sentimentalen oder kitschigen Ausblick auf eine Zukunft nach dem „Maia“ genannten Asteroiden. Für den Autoren spiegelt sich das zukünftige Ende auch in seinen zahlreichen, aber mit wenigen Strichen gut charakterisierten Figuren wider. Selten ist in einem Buch zwischen aktiven und positiven Protagonisten und den depressiven, schwachen Charakteren mehr unterschieden worden als in „Der letzte Polizist“ und diese erst rückblickend interessante Zweiteilung aller Figuren gibt dem ganzen Plot eine emotional überzeugende, lange nachwirkende Atmosphäre.

Wie schon angesprochen kann „Der letzte Polizist“ nur funktionieren, wenn auch die erste Handlungsebene überzeugt. Zu oft sind verschiedene Genres kombiniert worden, ohne das die Grundregeln des wichtigeren Elements – in diesem Fall die Kriminalhandlung – akzeptiert oder angewandt worden sind. Bis auf eine Handvoll kleiner Kompromisse, die Ben Winters als panische Handlungen des Täters angesichts von Detective Palace konsequenten, fast stoischen Ermittlungen ablegt, ist der Fall sehr gut angelegt. Er verfügt über einige falsche, auf den ersten Blick vielleicht auch angesichts der großen Katastrophe hoffnungsvolle Spuren, die sich im Verlaufe der Ermittlungen entweder gegenseitig aufheben, und vor allem ein so typisches Motiv, das es nach dem Tag des Einschlags absurd erscheint. „Breaking Bad“ hat in dieser Hinsicht sehr viel mehr Überzeugungsarbeit geleistet. Aber Ben Winters macht auch nicht den Fehler, die geradlinige Ermittlungen mit zu vielen Actionszenen zu überfrachten. Bis auf einen eher im Off stattfindenden Mordanschlag werden in erster Linie nur die Ergebnisse der letzt endlich kombinierten Gesamttat beschrieben, aber niemals findet auch durch die Ich- Perspektive eine Tat direkt vor den Augen des Lesers statt.

Bis weit in das zweite Viertel des Romans hinein ist nicht einmal sicher, ob überhaupt ein Mord stattgefunden hat.  

Palace wird zu einem McDonalds gerufen, wo sich anscheinend der Versicherungsangestellte Peter Zell sich auf der Toilette selbst zu Tode stranguliert hat. Alle Indizien bis auf ein verschwundenes Handy – in einer Zeit, in welcher die Netze sowieso nicht mehr funktionieren ein sehr vager Hinweis, der interessanterweise auch nicht zum Ziel führt – deuten auf Selbstmord hin. Palaces Instinkt sagt ihm, das mehr dahinter stecken könnte. In dieser Hinsicht macht Winters allerdings nicht nachdrücklich klar, ob es zu Palaces Stärken gehört, einen entsprechenden Instinkt entwickelt zu haben oder ob es mit der Tatsache zusammenhängt, dass er sich in einer zusammenbrechenden und zeitlich begrenzten Zivilisation ein letztes Mal als echter Polizist beweisen möchte. Zahlreiche Hinweise insbesondere seiner Kollegen deuten in diese Richtung. Kurze Zeit später wird er zusätzlich von seiner Schwester gebeten, nach seinem verschwundenen Schwager zu suchen. Diese beiden Untersuchungen stehen in keinem Zusammenhang und fairer weise wirkt diese zweite Handlungsebene teilweise zu stark überfrachtet und aufgesetzt. Ohne diese im Grunde sinnlose und im Epilog auch nicht zufrieden stellend abgeschlossene Suche über den verschwundenen Schwager hinaus wäre der Roman deutlich kürzer, aber sehr viel pointierter und vielleicht sogar emotional ansprechender. Wie es sich für viele Krimis „gehört“, wird Palace erst wieder auf die Spur gebracht, als er im Grunde seine Untersuchungen abgeschlossen hat und sich mit der Idee eines Selbstmordes aus Verzweifelung angefreundet hat. Zum einen wird – ein kriminaltechnisches Klischee – ein Anschlag auf seinen Wagen verübt, der bei jedem anderen als diesem aufmerksamen Polizisten auch unter Fahrlässigkeit abgeheftet werden könnte. Zum anderen hat er mit seinen hartnäckigen Bemühungen letzt endlich Erfolg. Er erhält von der Pathologie einen wichtigen Hinweis. Die anschließenden Entschuldigungen, dass die extremen Zeiten für die anfängliche Oberflächlichkeit verantwortlich sind, wirken allerdings wie einige andere Nebenbemerkungen aufgesetzt, denn realistisch gesehen wäre ohne den bevorstehenden Kometeneinschlag Palace schon nach wenigen Stunden von dem offensichtlichen „Selbstmord“ abgezogen worden. Mit dem Opfer, das der Leser ausschließlich durch teilweise absichtlich subjektive Zeugenaussagen und Palaces Untersuchungen kennen lernt, hat Ben Winters allerdings eine traurige, tragische Figur erschaffen. Ein einsamer Mensch, der sich in Zahlen flüchtet. Dessen Familie schließlich zusammenbricht und der unfähig ist, seine Erkenntnisse der Umwelt mitzuteilen. Selbst die Idee, das er mit Rauschmitteln sich zu betäuben sucht, wirkt absurd. Je tiefer Palace in Zells Leben eindringt und dabei selbst teilweise manipuliert wird, desto interessanter wird „Der letzte Polizist“. Und das liegt nicht unbedingt daran, dass Winters sich manchem Klischee stark nähert, um in letzter Sekunde mit einer überraschenden Wendung die Balance wieder herzustellen. Rückblickend erscheinen einige Facetten des Falls konstruiert und hätte sich der Täter stil verhalten, dann wäre er wahrscheinlich nicht überführt worden. So gibt es keine Verbindung zwischen dem Täter und den Versicherungsakten, welche Zell letzt endlich in den letzten Tagen seines Lebens bearbeitet hat. Auch das Motiv des ersten „Verbrechens“, das schließlich den Mord motiviert, wirkt absurd. Angesichts des drohenden Asteroideneinschlags hätte Ben Winters hier etwas Außergewöhnlicheres präsentieren können und müssen. Trotz der angesprochenen Schwächen, zu denen sich einige absichtlich intrigierte, aber nicht bis zum bitteren Ende durchgezogene Hinweise gehören, liest sich „Der letzte Polizist“ mit seiner Mischung aus hoffnungsvoller Depression – so wird auf den Einschlagpunkt des Asteroiden fleißig gewettet – und einem interessanten, insbesondere für einen Science Fiction Roman gut angelegten Kriminalfall ausgesprochen unterhaltsam.                  

Originaltitel: The Last Policeman
Originalverlag: Quirk Books
Aus dem Englischen von Peter Robert

Deutsche Erstausgabe

Taschenbuch, Broschur, 352 Seiten, 11,8 x 18,7 cm
ISBN: 978-3-453-53451-3