Weiberwelten

Weiberwelten, Titelbild, Rezension
Rainer Schorm & Jörg Weigand

Auch wenn im Untertitel von "Die Zukunft ist weiblich" geschrieben wird, scheint  es sich wie die Diskussion um das Gender Geschlecht und die Einordnung der sich absichtlich nicht definierend wollenden "Randgruppen" nur um eine Facette zu handeln, die nicht nur vom Zahn der Zeit, sondern vor  allem von den beteiligten Gruppen selbst unterminiert wird. Oder wie  lässt es sich erklären, dass  viele der Geschichten sarkastisch satirisch und provozierend eine perfekte friedliche Zukunftswelt ohne den  Einfluss des Mannes entworfen haben, ihre Bewohnerinnen aber nicht selten nur aus dem Hörensagen bekannte vergangene Epochen sich zurück wünschen?  Oder dass der zurückgedrängte Mann subversiv die Arroganz der  dominanten Frau ausnutzt, um im Hintergrund den Platz in der sozialen Rangordnung zurückerobert? 

 Karla Weigand beschreibt in "Eisern durchhalten" eine dunkle Welt, in welcher Mann teilweise mit radikalen Methoden - der Leser wird sie unter dem Aspekt der Tierquälerei aus der Gegenwart leider kennen - im Grunde eliminiert worden ist. Nur kann Frau nicht ohne die haarigen Biester leben, wie einige der Protagonistinnen im Geheimen zeigen. Während die Beschreibungen dieser effektiven Ausrottung des Mannes inklusiv der sozialen Veränderungen - Orgasmen mittels Medikamenten - sehr überzeugend entwickelt worden sind, erscheint der Rückfall auf mütterliche Gefühle bei einer Generation, die Männer nicht leibhaftig als gleichberechtigt erlebt haben, ein wenig konstruiert. Als wenn sich der genetische Mutterinstinkt immer und wie es abschließend auch heißt überall durchsetzt.  Claudine J. Lamaisons "Familienplanung" zeigt ebenfalls eine allerdings noch geographisch ein wenig eingeschränktere Welt mit Frauen an der Macht. Journalisten besuchen das Land, ihnen wird der politische und soziale Fortschritt bis in die gentechnischen Labore gezeigt, in denen nicht nur die Besucher, sondern dank der implizierten Pointe auch den Leser eine Überraschung erwartet.

Beide Geschichten leben von der minutiösen bis teilweise barbarischen, aber der auf Fakten der Gegenwart basierenden Extrapolation sozialer Trends, wobei als Satire absichtlich das Element der Übertreibung zusätzlich bemüht worden ist. Nicht umsonst wird teilweise mit dem Mittel der Übertreibung gearbeitet, um die anfänglichen Standpunkte zu manifestieren. Zwischen dieser interessanten Abfolge von Schocks und Provokationen steckt dann ein erstaunlich humanistischer Kern, der beiden Texte auf sehr unterschiedliche Art und Weise auch lesenswert machen. Vor allem Karla Weigands Story erinnert teilweise nicht inhaltlich, aber von der nihilistischen Stimmung an James Tiptree jrs "The Screwfly Solution".   

 Die beiden Herausgeber Schorm und Weigand haben es in ihrem Vorwort angesprochen, die Satire bildet neben den geschlechtsspezifischen Auseinandersetzungen einen Schwerpunkt dieser Anthologie. Thomas le Blanc eröffnet dank "Flughafeneröffnung erneut verschoben" mit Hilfe des wiehernden Amtsschimmel nicht nur expliziert diesen Aspekt, sondern die ganze Sammlung. In Form des Entzuges der Betriebserlaubnis für den berühmt berüchtigten Flughafen Berlins geht der Autor auf die im Grunde irrsinnigen Vorschriften ein, wobei jetzt insgesamt neun verschiedene Toilettenräume angeboten werden muss. Würde die Realität sich nicht immer wieder zwischen den Zeilen natürlich in der überzogenen Form der Satire zeigen, könnte der Leser vorbehaltslos über diese Absurdität lachen.  

 "No Sex!" von Udo Weinbörner ist eine dieser Geschichten, in denen die überraschende Pointe alles auf den Kopf stellen soll. Diese ist nicht unbedingt rückblickend überraschend angelegt. Der Weg dahin mit den Raumplaneten, die einem Leitstrahl folgen; den Konflikten innerhalb der vor allem weiblichen Besatzungen unter anderem auch mit einem anderen von der ökologisch ausgebrannten Erde ausgesandten Generationenraumschiff werden solide erzählt, aber durch den ein wenig überambitionierten Stil erscheinen sie distanziert. Der Autor fehlt das Gespür  für das Genre und spätestens mit den Actionszenen hat ein aufmerksamer Betrachter eher das Gefühl, an einer Art Videogame teilzunehmen als ein realistisches Szenario zu verfolgen.  Diese Künstlichkeit lässt sich durch die Pointe erklären, aber Teile der Story wirken auch angesichts des zu wenig extrapolierten Hintergrundes bemüht.

 Auch Andreas Schäfers „Eine Novelle“ – der Titel bezieht sich auf einen Gesetzesentwurf – und Klaudia Vormanns „Erziehungsmaßnahmen“ sind politischen Satiren. In dem vielleicht zu kompakten Gesetz geht es um die Ausnutzung von Lücken, das Spiel mit den Vorurteilen hinsichtlich jeglicher Form sexueller Nötigung und Bedrohung allerdings nur von Männern gegen Frauen, während „Erziehungsmßanahmen“ die perfekte Gesundheit für die Bürger politisch verordnet anstrebt, ohne die individuellen Rechte zu berücksichtigen. Während einige in „Eine Novelle“ das einseitige Interpretation der Gesetzesnovelle zu ihren eigenen Gunsten ausnutzen, stehen den verantwortlichen Politikern im zweiten Text harte Zeiten bevor, umgesetzt von den inzwischen arbeitslosen und beruflich Zwangsversetzten Arbeitsopfern des Gesundheitswahns.  Rainer Schorm geht in „Das feministische Manifest“ noch einen Schritt weiter, in dem er ein für die Frau verfasstes Grundgesetz aus der fernen Zukunft rekonstruieren lässt. Es ist allerdings der Rahmen, der bei dieser Idee ein wenig bemüht erscheint. Zumindest weiß „Mann“ nach der Lektüre, die Rechtlosigkeit bis an den Rand der Sklaverei aussieht.  Rene A. Raisch fügt sich mit „Männer nehmen die Treppe!“ in diese Reihe ein. In allen Fällen wird die Legislative schließlich so gestaltet, dass sich Frau darin wohl fühlt, wobei Rene A. Raisch einer der wenigen Autoren ist, der zu Beginn die Geschichte aus der Perspektive des unterdrückten Mannes beschreibt, bevor die Frauen aus dem Unwohlsein ihrer Männer in bestimmten Situationen schließlich ein entsprechendes Gesetz machen. Da hilft auch der schwache Widerstand abschließend nichts mehr.

Auch Martina Schleichs „So funktioniert Gynäkokratie“ könnte sich in diesen Reigen von warnenden Antiutopien einreihen. Auch in ihrer Gesellschaft gibt es bestimmte soziale Verbrechen, die schwer bestraft werden. Aus heutiger Sicht handelt es sich nicht einmal um derartige kriminelle Taten.  Wie Bei Karla Weigand weigert sich aber Martina Schleich ihre neue weiblich dominierte Welt kompletter zu gestalten. Der Islam mit seinem antiquierten Frauenbild und den Ganzkörperschleiern bleibt als mahnende Beispiel und vielleicht auch zur ironisch übertriebenen Freude der im Nahen Osten lebenden Machos erhalten. Bei „So funktioniert Gynäkokratie“ ist diese Idee ein wichtiger Bestandteil der Pointe, in Karla Weigand „Eisern durchhalten!“ wirkt die Akzeptanz des Islams in ihrer sich von Europa ausbreitenden femininen Welt eher wie ein fauler Kompromiss.  „Kirchenasyl“ mit dem in die Zukunft reisenden unvorbereiteten Mann geht in eine ähnliche Richtung. Allerdings treibt Jan Osterloh mit der Ausgangsbasis und der Pointe seine soziale Satire auf eine besondere Spitze, in dem er weniger die Veränderungen in den sozialen Strukturen karikiert, sondern herausstellt, dass die Männer durch narzisstische Musterexemplare selbst Schuld an ihrem Schicksal sind. 

Cilly Liedermanns „Bekenntnisse einer Unbelehrbaren“ und Jörg Weigangs „Proklamation. Ein Fragment“ bilden trotz konträrer Ansichten auch eine Einheit. Während Cilly Liedermanns Protagonisten als eine Stimme der echten Frauen sich nach einem Mann sehnt, suchen in Jörg Weigand Satire die Männer ausgehend von einem Flecken Land in der Lüneburger Heide ein Asyl bzw. sogar ein Exil, um als Mann vielleicht einsam, aber zumindest frei leben zu können. Die beiden Texte schließen den Reigen der zahllosen Satiren auf die gegenwärtigen Geschlechtskonflikte zufrieden stellend ab. Erstaunlich ist, dass fast alle Autoren entweder auf der persönlichen Ebene ihrer Protagonisten oder auch nicht zu kontrollierende politische Umstände eine Art Renaissance der „alten“, dem Leser eher vertrauten Zeit anstreben. 

 Die Liebe zwischen Mensch und Nichtmensch nimmt einen breiten Raum ein. Rainer Erlers „Die Orchidee der Nacht“ beschreibt die Liebe zwischen einer atemberaubenden Schönheit und „Tochter“ eines Geschäftsfreundes sowie dem Lebens erfahrenen Unternehmer. Über weite Strecken beinhaltet die Story keine Science Fiction Elemente, bis der Filmemacher auf den letzten Seiten den Plot auf den Kopf stellt. Vielleicht wirken die einzelnen Reaktionen zu gestellt, zu wenig impulsiv, als das die Geschichte als Ganzes überzeugen kann. „Lakshivaes Lover“ von Hans Jürgen Kugler nimmt einen Aspekt der sozialkritischen Texte sowohl Karla Weigands als auch bedingt Claudia J. Lamaisons auf. Die Frauen haben sich perfekte Sexmaschinen in Form von bestimmten Androiden erschaffen. Wie in den Arbeiten der beiden erwähnten Autoren reicht die Kontrolle nicht aus, das Rad muss wieder in die alt bekannte Richtung zurück gedreht werden, was zu sozialen Komplikationen und vor allem einer Unterminierung der brüchigen gesellschaftlichen Struktur in diesem Fall führen wird. Kugler nimmt die Klischees der Sexindustrie inklusiv ihrer reißerischen Slogans zum Anlass, um ein wenig sarkastisch zynisch einen perfekten „Liebhaber“ für die Protagonistin zu entwickeln und kurze Zeit später wieder zu demontieren.    

 Karl Ulrich Burgdorf ist der einzige Autor, der sich intensiver mit dem Thema Schwangerschaft in seiner Geschichte „Gender Mainstreaming. Erinnerungen an meine erste ( und einzige) Schwangerschaft“ auseinandersetzt. Auch andere Autoren dieser Anthologie haben sich mit den Möglichkeiten der Fortpflanzung vom mehrfach erwähnten Samenraub bis zum perfektionierten Brutkasten auseinandergesetzt, aber Karl Ulrich Burgdorfs Ansatz in dieser leicht grotesken, aber ungemein unterhaltsamen Geschichte liegt auf der zwischenmenschlich persönlichen Ebene. Er kümmert sich weniger um das große Ganze, sondern versucht aus dem Moment heraus seine Story zu entwickeln.  

 Jürgen Pfuhls „Der Kandiat“ könnte im Grunde in der Gegenwart spielend als soziale Satire angesehen werden. Eine rücksichtslose Frau erpresst einen einflussreichen Mann an der Universität, um nicht nur Karriere zu machen, sondern die männliche Opposition auszuschalten.  Bei der Pointe stellen sich dem Leser unwillkürlich verschiedene Fragen. Wird doch eher nach Sympathie/ Antipathie gewählt und der charmante Macho spricht einfach auch Urinstinkte an und warum hat der Protagonist nicht sofort zu dieser Möglichkeit gegriffen, wobei auch die Versetzung durch seine „Vergangenheit“ gefährdet sein könnte, in dem seine größte Furcht der Rufschädigung auch wo anders umgesetzt wird. Unabhängig von diesen Fragen handelt es sich um eine interessante kurzweilig zu lesende Geschichte mit leicht überzeichneten, aber nachvollziehbar agierenden Protagonisten.

 Auch wenn sich viele der hier gesammelten Geschichten mit einer von Frauen dominierenden Gesellschaft auseinandersetzen und zwischen den Emotionen die Zeit sogar zurückdrehen wollen, ist Marie Vikings „Gottesmutters Plan“ eine der wenigen Storys, die bis auf die Bibel zurückgreifen und aufzeigen, wie schwer ein Neuanfang angesichts der biblischen Schöpfungsgeschichte überhaupt erst sein kann. Humorvoll bis zynisch präsentiert die Autorin ein auf den Punkt gebrachtes Szenario, das die verschiedenen Schwierigkeiten einer Degeneration der weiblichen Gesellschaft zu bekannteren sozialen Lebensformen zurück auf eine wirklich perfekte Spitze treibt, ohne dabei neue Wege gehen zu müssen. In der Bibel stehen ausreichend Klippen.   Oder Monika Niehaus erschlägt mit dem ersten dreigeteilten Beitrag „Drei Grotesken“ zu dieser Anthologie im Kompaktformat einige Themen, welche ihre Mitstreiter ausführlicher schon angesprochen haben.

 Aber egal in welche Richtung die einzelnen Autoren auch gehen, Monika Niehaus beweist ihnen in „Experiment. Statt eines Nachworts“, dass sie alle falsch liegen und schon die Affen wissen, welche Aufgaben und Erwartungen die jeweiligen Geschlechter erwarten. Es ist ein ironischer Abschluss einer interessanten Anthologie, die ausgehend von einem provokanten und ohne Frage auch provozierenden Thema verschiedene Wege geht und trotzdem nicht selten gleichzeitig Kompromisslösungen vorschlägt. Das ist wahrscheinlich die eigentliche Überraschung dieser erfrischend frechen Geschichtensammlung. Mann kann eben nicht ohne Frau und andersherum.  

  • Taschenbuch: 182 pages
  • Publisher: p.machinery Michael Haitel (5 May 2018)
  • Language: Deutsch
  • ISBN-10: 395765131X
  • ISBN-13: 978-3957651310