Die synthetische Seele

Philip Jose Farmer

Farmers Roman "Die synthetische Seele" - der Originaltitel "Inside- Outside" ist deutlich verklausulierter und trifft einen Teil der Thematik sehr viel besser - ist selbst in der gekürzten Heyne- Fassung ein ausgesprochen lesenswerter Roman, der 1964 verschiedene Themen sowohl in Farmers Werke als auch seiner späteren Kollegen Ian Watson und Larry Niven/ Jerry Pournelle vorweg nehmen sollte. Im Kontext von Farmers Gesamtwerk allerdings nimmt "Inside-Outside" Ideen seiner "Riverworld" Serie vorweg. Während die "Riverworld" Serie insbesondere in den ersten drei Romanen durch einen phantastischen Hintergrund und historische Figuren überzeugen konnte, hält Farmer die Auflösung seines Plots bis zu den letzten zehn Seiten zurück, in denen der Autor sehr viele Ideen zu präsentieren sucht, die ähnlich wie in Stephens Kings Epos "Under the Dome" kritisch gesprochen keinen Sinn machen. Wie nicht selten im Werk des Amerikaners ist die eigentliche Reise - dabei spielt es keine Rolle, ob seine Protagonisten räumlich reisen oder sich ins Innere zurückziehen - sehr viel packender als das Ziel.

Mit Jack Cull verfügt der Autor im Grunde über einen unscheinbaren, so gewöhnlichen Mann, der buchstäblich in der "Steinzeit" aufwacht. Er lebt in einer bizarren Stadt, die eine Mischung aus "Metropolis" und den Märchen aus "1001 Nacht" mit in erster Linie farbigen Sklaven darstellen könnte. Cull ist ein unwichtiges kleines Rad in einem gigantischen Getriebe. Seine Welt verändert sich stetig. Der deutsche Klappentext weißt fälschlicherweise auf die Wunderkugeln oder Briefbeschwerer hin, in die ganze Städte und Landschaften eingebaut worden sind. In erster Linie besteht Culls kleine Welt aus einer höllischen Wüste, welche die wenigen Städte einschließt. Es kommt zu Veränderungen der "Erdoberfläche", der Protagonist setzt sie aber mit dem Ankommen weiterer "Seelen" gleich. Hier liegt vielleicht die erste Schwäche des Buches, denn Cull erinnert sich an das Leben auf der Erde und sieht das Leben auf dieser "Welt" als eine Art Zwischenhölle an. Es gibt keine Erklärungen, warum alle Menschen hier stranden sollten. Diese Idee hat Farmer in seinen "Riverworld" Abenteuern sehr viel besser ausgearbeitet. Im Gegensatz zu den "Riverworld" Protagonisten unternimmt Cull auch keinen Versuch, an die Quelle des Flusses oder in "Die synthetische Seele" das Ende der Wüste zu kommen. Er wird zusammen mit seiner ehemaligen Geliebten Phyllis, die Farmer als frigide opportunistische Lebedame beschreibt, auf eine Mission geschickt. Dabei ist Cull eher der widerwillige Helfer, der erst beim Auftreten der ersten Schwierigkeiten zum dominierenden Charakter wird. Auf ihrer Reise nicht nur durch die Wüste, sondern verschiedene bizarre Höhlen macht sich Farmer einen zynischen Spaß daraus, seine Leser zu provozieren. Ian Watson hat in seinem Roman "Die Gärten des Meisters" ( gut zwanzig Jahre nach Farmer veröffentlicht) eine fremde Welt beschrieben, die auf den Bildern Hieronymus Bosch basiert. Vor allem auf "Garten der Lüste". Farmer hat das ganze Triptychon in seinem Roman verarbeitet. Die Wüste als Ausgangspunkt der Reise auf dem Rücken von menschlichen „Kamelen“ stellt eine von Farmer absichtlich überspitzt und sarkastisch beschriebene „Herausforderung“ an den überforderten Helden Cull dar, der letztendlich erschöpft einschläft und nicht mehr merkt, wie er als menschliches Paket von einem Laufburschen zum Nächsten übergeben wird. Durch einen Kanaldeckel steigen die "Helden" in die Unterwelt und müssen von einem "Dämonen" - eine Idee, auf die Farmer ebenfalls in den letzten zehn Seiten noch einmal eingeht - begleitet werden. Fast siebzig Prozent des Romans verbringen seine Figuren in dieser Hölle. Larry Niven und Jerry Pournelle haben sich von dieser Vision zu "Dantes Inferno" inspirieren lassen. Den christlichen Glauben beginnt der Amerikaner mit einem "Jesus" Ghoul zu verspotten. Menschen werden immer wieder von Monstren verfolgt und gefressen. Diese Qual will ihnen der äußerlich gefasst Cull nicht nehmen. An einer anderen Stelle finden sie eine Art Unsterblichkeitsbrunnen, der durch eine ständige Reinkarnation immer wieder gefüllt wird. An die Scientology Sekte erinnern die Maschinenseele, welche geistig verarmt ihrem Schöpfer folgen. Da der Roman in den frühen sechziger Jahren mit einem noch lebenden Ron Hubbard entstanden ist, könnte sich hinter diesem Hinweis auch ein bitterböser Seitenhieb gegen den ehemaligen Kollegen verstecken, dessen Maschinenjünger ihm inzwischen blind folgen. Der Roman überzeugt in diesen Passagen. Farmer lässt seiner Phantasie freien Lauf und erzeugt unheimliche Bilder.

Auf der anderen Seite - rückblickend klarer zu erkennen - vertraut er nicht nur seiner von Bosch inspirierten Phantasie, sondern fügt seiner Welt physikalische "Unmöglichkeiten" hinzu. Diese beschreibt er ausgesprochen plastisch. So verändert sich im Grunde von Culls Auge die Oberfläche seiner Welt, als wenn ein gigantisches weißen Schiff durch den endlosen Sand gepflügt und die Stadt gefressen hätte. Der Versuch, den Spiritismus seiner "Hölle" mit einem möglichst "fremdartigen" Himmelskörper zu verbinden, wirkt allerdings im letzten Drittel des Buches zu überambitioniert. Vor allem kann der Autor bei der Auflösung seiner Vision - in diesem Punkt reicht das Spektrum von Werken, die Farmer inspiriert hat, von "Dark City" bis zu "The Matrix" - nicht mehr zulegen. In dieser Hinsicht wirkt die finale Konfrontation zwischen "Mensch" und "Gott" fast enttäuschend. Cull und seine zukünftige Lebensgefährtin Phyllis, die ihre Frigidität zu Gunsten oder Lasten ihrer Angst ablegt, werden mit einer Reihe von Erklärungen konfrontiert, die nicht wirklich einen Sinn machen. Warum von etwas "träumen", das man selbst nie erlebt hat? Warum eine Saat ausstreuen, deren Blüten man nicht ernten kann oder will? Unabhängig von diesen in erster Linie für konservative Science Fiction in einem provokanten Gewand sprechende Auflösung leidet "Die synthetische Seele" noch unter der flachen wie schwachen Charakterisierung seiner Figuren. Phyllis ist ein attraktives Scheusal, das sich buchstäblich nach oben schläft. Warum der anfänglich leidende Cull im Verlaufe der Reise immer wieder beschützend eingreift und sich am Ende noch einmal eine Beziehung zu ihr vorstellen kann, wird nicht weiter erläutert. Sie ist eindimensional und reizbar, eine Zicke oder besser noch eine Querulantin auf einer unbestimmten Mission. Auch Jack Cull ist kein klassischer Held. Zynisch gesprochen ist er nicht einmal ein abgerundeter Charakter. Anfänglich wehleidig und weich gewinnt er zwar mit jeder neuen höllischen Herausforderung an Format, aber er bleibt dem Leser fremd. Cull ist wie Phyllis auf eine männliche Art und Weise ebenfalls ein Egomanne und ein Egoist, der zumindest innerlich an seinen Aufgaben nicht wachsen will oder kann. Daher paßt das fast zynische Ende, in dem der Held zwar überlebt und mit der zickigen Phyllis in den "Sonnenuntergang" gehen kann, aber seine bisherige Existenz ist ad absurdum geführt und seine Suche zu einer Farce gemacht worden. Mit seinem intellektuellen "Erwachen" am Ende der Reise beginnt eine neue Qual, die er im Kleinen schon zu Beginn des Buches vollstreckt hat. Es schließt sich auf den letzten Seiten von "Die synthetische Seele" eine Reihe von "Kreisen", aber Farmer gewährt seinen extrem unsympathischen Figuren keine Erlösung und verweigert ihnen im christlichen Sinne den Segen. Vielleicht sind diese Punkte in der etwas längeren amerikanischen Taschenbuchveröffentlichung  noch explizierter als in der deutschen Ausgabe herausgearbeitet worden. Hier bleibt es bei Andeutungen. Unabhängig von den angesprochenen Bildern sind es die Suche nach den die späteren Arbeiten, die Farmer innerhalb und vor allem außerhalb des eigenen Schöpfungskreises beeinflusst hat und vor allem die visuellen Exzesse,  welche "Die synthetische Seele" auch gute fünfzig Jahre nach der Erstveröffentlichung lesenswert machen.           

 

  • Taschenbuch; 126 Seiten

  • Verlag: Heyne (1973)

  • Sprache: Deutsch

  • ISBN-10: 3453302036

  • ISBN-13: 978-3453302037