Sherlock Holmes und die Kombinationsmaschine

Sherlock Holmes und die Kombinationsmaschine, Titelbild, Rezension
Klaus Peter Walter

Klaus Peter Walter spricht im Nachwort zu "Sherlock Holmes und die Kombinationsmaschine" von den Schockmomenten eines Herausgebers, wenn ein versprochener Beitrag durch den Tod des Autoren nicht mehr fertiggestellt oder abgeliefert werden kann. So musste Klaus Peter Walter nicht nur mit einer Geschichte, sondern zwei Texten einspringen, was auf den ersten Blick verständlich ein optisches Ungleichgewicht erschaffen hat. So finden sich insgesamt vier Geschichten in dieser neuen Anthologie, wobei die beiden Texte anderer Autoren relativ kurz im direkten Vergleich zu Klaus Peter Walters Arbeiten sind. 

 Die erste der beiden Geschichten von Herausgeber Klaus Peter Walter "Sherlock Holmes und der Artillerist im Ruhestand" ist ohne Frage die im Untertitel angekündigte Studie in Düsternis. Es gibt einige sehr beunruhigende brutale Szenen, die fast an die gegenwärtigen Splatterfilme erinnern. In erster Linie konzentriert sich der Autor auf die entsprechenden Folgen anstatt die Morde im Einzelnen zu beschreiben.

 Grundsätzlich haben die Antagonisten aber am Ende ein kleines Problem. Sie können gar nicht überzeugend genug erläutern, warum sie Sherlock Holmes als eine Art Testballon ihres  Plans konsultiert haben. Ohne Holmes Eingreifen wäre der Mord und das Foltern eines Dienstmagd wahrscheinlich niemals aufgeklärt worden.  Natürlich machen Mörder auch Fehler, aber meistens erfolgen diese während des Tatverlaufs und ermöglichen es dem Detektiv, die Spur aufzunehmen. Klaus Peter Walter wollte einen Schritt  weitergehen und eine Herausforderung für Sherlock Holmes kreieren, deren Grundlage aber irgendwie der falsche Antagonist ist. Es fehlt ein Schurke von Moriartys Dimensionen.  Auch die Idee, dass die drei wichtigen Zeugen quasi aus dem Nichts nach Recherche im Off hervorgezaubert werden, wirkt ein wenig bemüht.

 Bis dahin ist der Mord am Dienstmädchen eines durchschnittlich vermögenden Landadligen, der seinen arroganten und lebenslustigen Sohn anscheinend im Krieg verloren hat, ein guter Aufhänger.  Wie bei einer Zwiebelschale versucht der Autor eine Schicht nach der Anderen von dem Fall zu lösen und aufzuzeigen, dass bis auf im Grunde Sherlock Holmes und Doktor Watson  niemand so ist,  wie er zu sein scheint. Die Deduktion ist zufriedenstellend bis überzeugend, aber am Ende wirkt der ganze Fall trotz der Skurrilität nicht zuletzt aufgrund des sperrigen, nur ein kleines Merkmal des Falls ansprechenden Titels irgendwie nicht harmonisch genug, um gänzlich zu überzeugen. Ohne Frage ist die erste Hälfte der Kurzgeschichte mit dem beginnenden Rätsel  zufriedenstellender und spannender als die nachgeschobenen Erklärungen, in denen es in erster Linie darum geht, die schon einmal von Sherlock Holmes geäußerte Vermutung durch die Tatverdächtigen beweisen zu lassen.    

 Wahrscheinlich ist die Novelle das bessere Format für Klaus Peter Walters Sherlock Holmes Geschichten, wie die Titelarbeit über weite Strecken unterstreicht. Die Kombinationsmaschine ist Sherlock Holmes Traum von einer deutlich perfekteren Datenbank als es seine Scrapsbooks darstellen. An einigen Stellen bezeichnet er allerdings auch Doktor Watson als seine Inspiration, der in dieser Story wirklich aktiv, teilweise aufgrund des medizinischen Hintergrunds auf Augenhöhe mit dem Detektiv zusammenarbeitet.

Ein Lokführer beobachtet eine Entführung, er kann den Hilferuf der hübschen Frau von ihren Lippen ablesen. Sherlock Holmes und Doktor Watson beginnen mit ihren Ermittlungen. Anscheinend handelt es sich um die Tochter des Richters, der momentan gegen eine mehrfache Kindermörderin vor Gericht verhandelt. Anscheinend soll aus dem Richter Gnadenlos ein Freispruch herausgepresst werden.

 Auch wenn die Entführung und die Gerichtsverhandlung miteinander verbunden sind,  ist der Fall deutlich vielschichtiger als es selbst auf den zweiten Blick den Anschein hat. Klaus Peter Walter hat – die Inspirationen zählt er in seinem Nachwort auf – gleichzeitig einen Widerspruch hinsichtlich Doktor Watsons Kriegsverletzungen zu glätten gesucht. Auf der einen Seite prangert der Autor die sozialen Missverhältnisse vor allem der Waisenkinder an und zeigt während der Gerichtsverhandlung, mit welcher Arroganz und Ablehnung sie selbst von den Leitern der Waisenhäuser behandelt worden sind. Auf der anderen Seite hat der Autor mit dem eitlen, selbstverliebten Richter fast eine übertrieben gestaltete Figur erschaffen, deren von Scheuklappen geprägter Gerechtigkeitssinn den Leser nur den Kopf schütteln lässt.

Dazwischen steht das Schicksal von zwei jungen Frauen, die sich nicht kennen, aber für etwas leiden müssen, was sie nicht getan haben.

Über weite Strecken baut der Autor das Tempo seiner Novelle sehr gut auf, nachdem er wie Watson selbst zugibt ein wenig zu experimentell zwischen den Zeitebenen hin und her gesprungen ist. Natürlich will der Autor mit dieser Vorgehensweise Spannung erzeugen, überspannt aber den Bogen zu stark und wirkt fragmentarisch.

Nach den ersten zwanzig Seiten beruhigt sich der Erzähler Walter und lässt den Chronisten Watson den Fall aus seiner Sicht erzählen. Vielleicht wirkt der Überbau mit dem Schurken aus den USA zurück gekehrt ein wenig zu ambitioniert und selbst der Querverweis auf zwei legendären Banditen und ihre Filminkarnationen zu viel des Guten, aber zumindest hält Walter das Tempo hoch und lässt seinen Detektiv inklusiv einigen Stunden im Gefängnis wirklich deduzierend arbeiten, bevor ein zu hektischer Abschluss aus dem Off erzählt den Plot zu einem zufriedenstellenden Ende führt.

Dank der Struktur und eines ein wenig realistischeren Falls ist „Sherlock Holmes und die Kombinationsmaschine“ unabhängig von irritierenden Titel die bessere der beiden Walter Geschichten in dieser Anthologie, auch wenn der Leser bei beiden Texten das Gefühl hat, als wollte der Autor es wie ein später Arthur Conan Doyle zu clever konzipieren und damit unterminiert er unwillkürlich den natürlichen Handlungsfluss.   

 Franziska Franke geht weiter auf Sherlock Holmes Wanderjahre ein. Dieses Mal wird er zusammen mit dem Ich- Erzähler ihrer Romanreihe in Ägypten an einer Schule als Vertretungslehrer in Chemie engagiert. im Keller liegt in einem Sakrophag eine Mumie, welche die Tochter des Direktors verängstigt.

Die Autorin spielt mit den Klischees des Subgenres inklusiv einer aggressiven Katze namens MacBeth, ohne das in diesem Stück der Irrungen und Wirrungen wirklich Spannung aufkommt. Vor allem gelingt es der Autorin nicht, eine stimmige Atmosphäre aufzubauen. Die Idee mit der Mumie im Keller wirkt eher wie ein MacGuffin, die Auflösung eher bemüht und das Schicksal der Mumie belanglos. Wie bei einigen ihrer Romane scheint Franziska Franke auch diese Kurzgeschichte von hinten aufgebaut zu haben, wobei die ursprüngliche Idee nicht einmal schlecht ist. Aber irgendwie ist die Entwicklung zu simpel, fast zu bieder. Vor  allem das  Mumiengenre verdient ein wenig mehr Exzentrik.

Auch die Geschichte um den verschwundenen Bühnenbildner von Johanna M. Rieke schlägt  in eine vergleichbare Richtung.  Sherlock Holmes und Doktor Watson sollen einen ehemaligen Künstler, der inzwischen als Bühnenbildern sein Geld verdient, suchen. Er ist einen Tag vor einer wichtigen Aufführung spurlos verschwunden.  In seinem Zimmer finden sie heraus, dass aus einer Zeitung eine Anzeige herausgerissen worden ist, zusätzlich hatte ein unbekannter Gönner das Zimmer für zwei Jahre im  Voraus bezahlt.  Das große Problem der Geschichte liegt  in der Tatsache, dass es zu wenige wirkliche Verdächtige gibt und ein aufmerksamer Leser durch die Überbetonung  einzelner Facetten den Hintergrund sehr früh erkennen kann. Zusätzlich stellt sich die Frage, ob ein derartiger Bluff selbst im 19.  Bzw. frühen 20.  Jahrhundert noch funktionieren könnte und warum der  Künstler  plötzlich so aufgeregt ist, obwohl es sich nur um den bisherigen Höhepunkt einer länger laufenden Entwicklung handelt.  

 Zusammengefasst ist „Sherlock Holmes und die  Kombinationsmaschine“ eine eher solide Sammlung von stoisch auf den Muster Arthur Conan Doyles aufgebauten Storys. Sherlock Holmes  muss fast sklavisch sein Deduktionstalent gleich zu Beginn den verblüfften Gästen präsentieren. Zumindest Richard Lupoff genau wie die Drehbuchautoren bei „Elementary“ haben auf diese Muster die richtigen Antworten gegeben. Die Szenen sind in erster  Linie um ihrer selbst Willen geschrieben  worden und sollen weniger verdeutlichen, wie clever Sherlock Holmes ist, sondern wie minutiös  die Autoren ihre Stoffe aufgebaut haben.  Auf der anderen Seite bilden die vier Kurzgeschichten solide Unterhaltung mit nicht  unbedingt kniffeligen, sondern akzeptablen Herausforderungen, welche Holmes und Watson mindestens elegant, nur in einzelnen Momenten brillant lösen.   

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