Nova 26

nova 26, titelbild, rezension
Michael Haitel & Michael Iwoleit

Im Verlag „p machinery“ startet das Nova Magazin nach einer turbulenten Irrfahrt hoffentlich wieder mit pünktlichen Erscheinen durch. Wie „Phantastisch!“ gehört es insbesondere in der reinen Science Fiction Szene die Medienmagazine ignorierend zu den Fixpunkten für Kurzgeschichten in erster Linie deutscher Autoren. Michael Haitel hat den sekundärliterarischen Teil ausgebaut. Der für diesen Teil verantwortliche Redakteur Thomas Sieber leitet die Ausgabe mit einem entsprechenden Editorial ein. Allerdings wirkt das umlaufende Titelbild von Andreas Schwietzke insbesondere im direkten Vergleich mit den letzten optischen Augenfängern ein wenig zu steif, zu unrealistisch. 

Im sekundärliterarischen Teil  müht sich Dirk Alt ab, die besondere Bedeutung von Stanislaw Lems Katastrophenprinzip zu erläutern. Basis ist eine mehr als zwanzig Jahre  alte Arbeit. Einige Argumente Dirk Alts überzeugen weiterhin, an anderen Stellen ist die vorherrschende Ambivalenz Stanislaw Lems zu erkennen, dessen Thesen so breit aufgestellt sind, dass sie variabel angepasst werden. Thomas Siebers Interview mit Professor Harald Lesch ist einer der Höhepunkte dieser Ausgabe. Das Interview ist positiv so umfangreich, dass in der nächsten Nova Ausgabe auf drei weitere Themen eingegangen wird. Lesch ist ein perfekter Interviewpartner, welcher die teilweise humorigen Fragen inklusiv der Querverweise auf Douglas Adams förmlich dankend aufnimmt, um daraus nicht belehrend, aber sehr gut extrapolierend über den aktuellen Stand der Raumfahrt - erschütternd -; astronomische Entdeckungen und schließlich auch über das Wechselspiel zwischen Fakt und Fiktion zu philosophieren.  Wunderbar leicht zu lesen, wobei selbst die kleinen Pannen für die literarische Ewigkeit festgehalten werden. 

Leider gibt es auch eine Reihe von Nachrufen in dieser Ausgabe. Horst Illmer schreibt über Kate Wilhelms Werk, wobei der Autor auf die späten Krimis aus ihrer Feder eingeht, das Kurzgeschichtenwerk Kate Wilhelms Spätphase aber auslässt. Einige dieser Science Fiction Geschichten erreichen die literarische Qualität ihrer besten Romane aus den siebziger und achtziger Jahre.  

Es ist vielleicht auch beklemmend, wenn die Verstorbene sich selbst zu Wort meldet. Christopher Priest und Vandana Singh schreiben aus teilweise einer sehr persönlichen Warte über Ursula K. Leguin.  Am Ende dieser beiden Nachrufe steht aber "Ich stelle mich vor", ein Essay, in dem die Autorin auf eine einzigartige, provozierende, zum Nachdenken anregende und dann wieder sehr persönliche Art und Weise über sich schreibt. Diese drei Artikel bilden eine Einheit, die sowohl Fans der Autorin als auch interessante Neueinsteiger auf unterschiedliche Art und Weise animieren wird, die Autorin und ihr für das Genre so ungemein wichtiges Werk kennenzulernen.     

Moritz Greenman eröffnet die "Nova" Ausgabe mit seiner Geschichte "Faconneurs".  In seiner Zukunft sind Zeitreisen nicht nur möglich, jede Reise und die entsprechende Veränderung bildet eine neue Parallelwelt aus.  Keine neue, sondern eine immer stärker in den Vordergrund tretende Idee des Zeitreisegenres. Die Auswirkungen dieser Reisen werden  in einer besonderen Kunstausstellung gezeigt, die Reisenden nennen sich Faconneurs und sehen sich als Künstler an. Das ist auch die spekulative wie spektakuläre Idee hinter dieser lesenswerten Geschichte, die  irgendwann leider wegen der Kürze des Textes fast zu oberflächlich auch die Idee streift, dass die reisenden Künstler nicht mehr aufgrund der Forschung, sondern ihren künstlerisch exzentrischen Ambitionen durch die Zeitreisen und Parallelwelten erschaffen. 

Der „Quantentanz“  von Michael Friebel passt auch in diese Kategorie. Ein Wissenschaftler wird zu einem quantenphysikalischen Experiment seiner Kollegen im Institut gerufen und erkennt schließlich, dass im Grunde alle Theorie grau ist.  Der Autor bemüht sich überzeugend, die zugrundeliegenden wissenschaftlichen Theorien in einem Plauderton zu erläutern, bevor er auf die in dieser Form nicht erkennbare Pointe inklusiv des offenen Endes zusteuert. Kurzweilig zu  lesen, wenn auch rückblickend ein wenig vertraut. Allerdings mit anderen wissenschaftlichen Grundlagen.

Wie Marc Späni auf seiner Homepage schreibt, ist seine Kurzgeschichte "Die fünfte Stufe der Entspannung" vor einigen Jahren im Rahmen einer Ausschreibung des Verlages verfasst und jetzt endlich veröffentlicht worden. Es handelt sich um einen unterhaltsamen Text mit einem bitterbösen, vielleicht ein wenig zu stark konstruierten Endes. Ein vermeintlicher Flaschenöffner wird während eines Empfangs herumliegend mit genommen, vielleicht sogar gestohlen. Diese Entwendung löst eine diplomatische Krise zwischen der Erde und der neuen Erde aus, die sich kontinuierlich hoch schaukelt. Aufgrund der Konzeption des Textes ist das Ende wenig überraschend und folgerichtig. Die Dialoge sind köstlich, die Verzweifelung des betroffenen Crewmitglieds wirklich greifbar, aber Marc Späni versucht zu viel Handlung auf zu wenig Raum zu verterilen, so dass der ganze Text ein wenig zu distanziert erscheint.    

"Confinement" von Thorsten Küper beinhaltet ausgesprochen viel Potential.  Als rückblickender warnender Bericht des letzten Überlebenden geschrieben handelt die Geschichte von einer Handvoll durchschnittlicher Wissenschaftler, die in der Erdumlaufbahn in einem besonderen Satelliten  forschen soll. Das Ziel ihrer Forschungen ist eine Überraschung. Genauso wird im Verlaufe der Story der Fokus gedreht und aus den Forschern werden Versuchskaninchen, ohne das der Text in die "Alien" Klischeekiste  fällt. Angesichts der emotionalen Dramaturgie hätten die Charaktere noch ein wenig feiner gezeichnet werden können, aber neben einer stringenten Handlung enthält die Kurzgeschichte sehr viele  kleine Denkanstöße, welche die Lektüre trotz einigen konstruiert erscheinenden Plotverläufen lesenswert machen.

 

Bernd Kempens „Die Geschlechter der Leonen“ ist eine der wenigen in den Tiefen des Alls spielenden Geschichten. Es geht um einen besonderen Erstkontakt, bei dem die Basis die Sexualität ist. Ausführlich beschreibt der Autor aus der Sicht der besuchenden Menschen diese fremde, dann an einigen Stellen aber auch umgekehrt vertraute Kultur. Der Text liest sich kurzweilig, auch wenn der Leser vielleicht noch mehr über die Fremden hätte erfahren können, vielleicht sogar müssen.

 

Michael K. Iwoleits „Die Seelen“  ist auf der emotional persönlichen Ebene die herausragende Geschichte dieser Sammlung. Ein Forscher leidet an Krebs und wird bald  sterben. Für den Ruhm hat er alles geopfert. Natürlich wäre der persönliche berufliche Erfolg Schall und Rauch im Angesicht seines Leidens, aber Michael K. Iwoleit macht sich es auch ein wenig zu einfach. Privat scheint der Forscher ein Egoist gewesen zu sein. Seine Frau hat es mit ihm nur aufgrund des guten Lebensstils ausgehalten und ist bereit, alle Spuren seiner Existenz schon zu Lebzeiten monetär zu beseitigen. Seinen homosexuellen Sohn hat er  aus dem  Haus getrieben. Wie bei Disneys Weihnachtsgeschichte handelt es sich um einen forschenden Scrooge, der angesichts des nahenden Todes immer wieder mit den eigenen Schwächen, seinen persönlichen Unzulänglichkeiten und genau der Ablehnung konfrontiert wird, welche er selbst immer seinen Mitmenschen  und seiner Familie gegenüber ausgestrahlt hat.

Es stellt sich unwillkürlich die Frage, ob das Leiden, die Angst vor dem absehbaren Tod und schließlich die Reaktionen der Umwelt bei einem sympathischeren Charakter nachhaltiger gewirkt hätten. Iwoleit baut durch die Zeichnung der Figur von Beginn an eine spürbare Distanz zwischen Protagonist und Leser auf, so dass dieser sich nicht nur unwillkürlich, sondern ganz bewusst auf die Seite der lange Zeit geschmähten Menschen schlägt, ohne die Möglichkeit zu haben, in den familiären Konflikten beide Seiten ausreichend zu betrachten.     

„Die Seelen“ ist eine überzeugende, eine ohne Frage auch spannende Geschichte, aber der Leser fühlt sich auch ein wenig emotional  manipuliert, so dass zumindest für einige Betrachter der Text sein vorhandenes Potential nicht vollständig ausschöpft.

  • Taschenbuch: 210 Seiten
  • Verlag: p.machinery Michael Haitel; Auflage: 1 (31. Mai 2018)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3957651360
  • ISBN-13: 978-3957651365
  • Größe und/oder Gewicht: 13,5 x 1,3 x 22 cm