Erschüttert

Erschüttert, Titelbild, Rezension
Kevin Hearne

Auch wenn der Titel auf tiefgreifende Veränderungen hindeutet, ist der siebente Roman um den eisernen Druiden nur bedingt ein Meilenstein. Kevin Hearne spaltet die Handlung weiter auf, greift aber auch mit einer neuen Figur auf eine Art „Catweazle“ Prämisse mit dem aus der Zeit gefallenen Urdruiden zurück. Atticus ist mehr als zweitausend Jahre der einzige verbliebene Druide auf der Erde gewesen. Inzwischen hat er die Ausbildung von Granuaile abgeschlossen. Nach Adam Riese wären es dann zwei Druiden mit sehr unterschiedlichen Fähigkeiten, welche im Grunde weiterhin ihre Identitäten vor zahlreichen wütenden Göttern und deren Sendboten verstecken müssen. Kevin Hearne macht aus diesem Duo allerdings ein Trio, in dem Atticus einen Erzdruiden quasi auftaut, der als eine Art Vaterfigur durchgehen könnte. Inkonsequent ist, dass im Gegensatz zu den alten Namen dieser dritte Druide bürgerlich plötzlich Owen Kennedy heißen soll.

Als Protagonist ist Owen Kennedy am Ende des sechsten Buches eingeführt worden, sein potentielles Potential soll der Erzdruide im Kampf gegen den immer noch zürnenden Loki vor allem nach entsprechender Einarbeitung in die moderne Gegenwart sowohl im vorliegenden Roman als auch wahrscheinlich dem inzwischen geschriebenen achten Teil der Saga.

Atticus muss nicht zum ersten Mal sich als Lehrer versuchen. Während er Granuaile manchmal eher widerwillig bis störrisch in die alt ehrwürdige Druidenkunst eingeführt hat, ist es dieses Mal anders herum.  Owen Kennedy muss ja nicht nur englisch lernen, was in einigen interessanten Passagen und Dialogen zu fast klassischen Verwechselungen führt. Dazu kommt das Erlernen neuer Techniken wie Handys.  Es fällt allerdings schwer, diesem zu oft verwandten Versatzstücke wirklich neue Ideen abzugewinnen und gleichzeitig den Leser zufriedenstellend zu unterhalten. Bei „Catweazle“ gab es vielleicht keine angesprochenen Handys und Mikrowellen, aber Toilettenpapier, Fernseher und schließlich sogar das Klo im Haus.  Immer am Rande des Slapsticks schenkt Kevin Hearne stellvertretend für den Leser seinem eisernen Druiden ein wenig Luft zum Durchatmen.  Natürlich sind die Szenen alle lustig und unterhaltsam, aber sie nehmen einen zu großen Raum ein.  Und nicht wirklich innovativ oder einzigartig.  Um die Balance wieder herzustellen,  teilt der Autor gegen Ende den Plot auf drei Handlungsebenen auf. Diese Spaltung tut dem Roman an sich sehr gut.

Owen Kennedy ist kein Atticus, der nicht selten mit einer fast stoischen äußeren Ruhe, aber innerer dem Leser direkt vermittelter Hektik auf alle Gefahren reagiert hat. Dass er nicht selten Ursache und Wirkung dieser Gefahren gewesen ist, steht auf einem gänzlich anderen Blatt.  Owen Kennedy ist deutlich heißblütiger. Eine Charaktereigenschaft,  die man nicht unbedingt bei einem Lehrer, einem weisen Druiden erwartet.  Vor allem in „Erschüttert“ entwickelt Kevin Hearne die Persönlichkeit ausgesprochen interessant und dreidimensional weiter.  Owen ist ein deutlich direkterer Charakter, der unter anderem mit dem Wolfspack auf Augenhöhe agiert und dadurch eher Verbündete gewinnen könnte als Atticus, der auf unterschiedliche Art und Weise im Grunde alle Seiten verprellt hat. Dabei wirkten einigen dieser Provokationen allerdings auch handlungstechnisch konstruiert, um Atticus zu isolieren und wie der Titel des letzten Bandes implizierte auch zu jagen. 

Seine ehemalige Schülerin macht sich auf die Suche nach ihrem Vater. Auch nicht unbedingt ein originelles Handlungselement und teilweise wirkt diese Aufsplitterung angesichts des immer noch sehr bedrohlichen Umfeldes aufgesetzt. Kevin Hearne liefert zu wenige Hinweise, dass die Suche genau in diesem Augenblick stattfinden muss. Aber die Feuerdruidin kann ihre Fähigkeiten ohne Atticus fast erdrückenden Schutz und vor allem im eigenen Auftrag einsetzen und gleichzeitig weiterentwickeln.  In diesem Punkt führt der Autor Entwicklungen aus den letzten Bänden sehr konsequent und zufriedenstellend fort. 

Bislang gehörte der sprechende irische Wolfshund Oberon zu den Höhepunkten der ganzen Serie. In Bezug auf bizarre Ideen reichen nur die Eishockey liebenden Yetis aus „Erschüttert“ an diese dreidimensionale und so tiefst menschliche Figur heran. Kevin Hearne schenkt ihm eine Gefährtin. Jetzt gibt es zwei sprechende Hunde.  Man kann fest von einer Doppelung der Ereignisse sprechen, denn Oberon muss seine Orla genauso an die kulturelle  Gegenwart heranführen wie es Atticus mit seinem Owen macht.  Natürlich auf einer deutlich  weniger technischen Ebene, aber der parallele Verlauf  dieser Beziehungen überlappt sich teilweise zu sehr und negiert die zugrundeliegende nicht einmal schlechte Idee.

In einem gänzlich anderen Punkt geht Kevin Hearne aber endlich offensiv mit von ihm aufgeworfenen Ideen um.  Atticus scheint je nach Machtgefüge in der Götterwelt entweder gelenkt oder manipuliert worden zu sein. Meistens handelte es sich  um die zweite Variante.

Auf der einen Seite impliziert der Autor, dass Atticus Taktik aus Opfergaben/ Beschwichtigungen und Tricks im Grunde sinnlos gewesen sind. Die Götter haben sehr viel mehr gewusst oder ihm indirekt geholfen als es ihm selbst bewusst gewesen ist. Dabei bleiben die Motive einiger der Götter angesichts vor allem auch von Atticus nicht immer wirklich fairen Taten vor allem in den ersten Büchern im Dunkeln. Der  Leser hat das unbestimmte  Gefühl, als versuche der Autor seine Gefolgschaft auf die finale Auseinandersetzung vorzubereiten und will keine weiteren  Fronten aufmachen.   Hinsichtlich des Verräters wird seine Identität aufgedeckt.  Kevin Hearne muss aber nicht nur den Verräter entlarven,  seine Motive werden vor dem Leser ausgebreitet.  In diesem Punkt tritt eine fast fortlaufende Schwäche des Autoren wieder ans Licht.  Auch wenn die finale Begegnung gut konzipiert worden ist, wirken sowohl die Motive als auch die Vorgehensweise rückblickend eher konstruiert. Sie entsprechen nicht dem komplexen Aufbau dieses Szenarios über inzwischen sieben Romane.

„Erschüttert“  leidet unter der großen Schwäche, dass  Kevin Hearne zwar die Handlung aufteilt und jeder seiner inzwischen vier heldenhaften Protagonisten -  Atticus, Oberon, Granuaile und natürlich neu Owen Kennedy -  seine fünf Minuten  des Ruhm erhalten sollte. Normalerweise ist diese Vorgehensweise  opportun und könnte zur Spannungssteigerung überzeugend beitragen. Aber als Gesamtwerk betrachtet wirken die einzelnen Sequenzen nach einem zufriedenstellenden, wenn auch nicht unbedingt besonders  originellen Auftakt zu sehr auf sich alleine gestellt und ergeben keinen homogenen Roman. Aber wie in „Gejagt“ wirkt Kevin Hearne erfrischender und stringenter. Bislang stellten der vierte und fünfte Roman einen Tiefpunkt der Serie da. Die Zielrichtung finale Konfrontation und quasi damit einhergehend die Rekrutierung von zuverlässigen Verbündeten ermöglicht es dem Autoren, deutlich kompakter zu erzählen und die einzelnen Szenen besser auszugestalten. Es mangelt aber rückblickend an dem Bemühen, aus den individuellen Sequenzen etwas Großes, etwas Ganzes zu formen, so dass „Erschüttert“ ein weiterer qualitativer Fortschritt ist, aber im Schatten der ersten drei einen Höhepunkt der Serie bildenden Bücher steht.  

  • Taschenbuch: 412 Seiten
  • Verlag: Klett-Cotta; Auflage: 1 (8. Juli 2017)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3608961704
  • ISBN-13: 978-3608961706
  • Originaltitel: Shattered
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