Syn Code 7

Michael Weisser

Michael Haitel legt in seinem Verlag die drei Romane des Multmediakünstlers Michael Weisser aus den achtziger Jahren in leicht überarbeiteten und mit Sekundärmaterial ergänzten Fassungen neu auf. Es empfiehlt sich, die drei Bücher in der chronologischen Reihenfolge zu lesen. Es besteht zwar kein inhaltlicher Zusammenhang, aber nebeneinander gestellt unterstreichen sie, dass der anfänglich sehr überambitionierte Schriftsteller Weisser sich weiter entwickelt hat. Stil und Ambiente dominieren nicht mehr so stark den Plot.

Weiterhin ist es vor allem für Erstleser dieser Romane wichtig, mit dem Anhang anzufangen. "Syn Code 7" erschien 1982 im Suhrkamp Verlag. Zwei Jahre später führte der inzwischen verstorbene Hans Joachim Alpers ein ausführliches Interview mit Michael Weisser. Dreißig Jahre darauf interviewte Herausgeber Michael Haitel Michael Weisser noch einmal als Begleitung der anstehenden Werksschau. Herbert W. Franke verfasste zusätzlich ein Essay, das sich weniger mit dem Gesamtwerk, sondern vor allem diesem Roman allerdings aus der Perspektive der Gegenwart und nicht mehr der achtziger Jahre beschäftigt, in denen er erschienen ist.

Vor allem das Interview Alpers beleuchtet Michael Weissers Hintergrund, weniger sich als Schriftsteller, sondern als Multimediakünstler sehend. Michael Weisser ist ein Mitarbeiter des Synthesizerphänomens Klaus Schulze gewesen. Zusätzlich sieht er sich aber auch als eigenständiger Künstler, der zum Beispiel die QR Codes auf dem Cover und dem Innenteil des Buches gestaltete. Es ist wichtig anzumerken, dass sich Michael Weisser weniger der Science Fiction, sondern eher der allgemeinen Literatur zugehörig fühlte. Nach eigenen Angaben im Interview hat er weniger als einhundert Science Fiction Romane gelesen wobei die Vorbilder in Person von Herbert W Franke, aber auch hinsichtlich der Ausgestaltung seiner antiutopischen Welt bei Michael Crichton und seinem "Andromeda- tödlicher Staub aus dem Weltall" zu finden ist.

Technisch gesprochen hat der Autor weniger die klassischen Entwicklungen der Biotechnologie vorweg genommen, sondern orientiert sich mit seinen genmanipulierten, programmierten oder programmierbaren Einzellern - Plastiden - an der noch ausschließlich in der Theorie einsetzbaren Nanotechnologie und ihrem neuen Wirkungsspektrum. Die Plastiden sind das Rückgrat dieser eher ambivalent beschriebenen Zukunftsgesellschaft. Es sind vor allem die Hintergrundbeschreibungen, an denen Michael Weissers auf der einen Seite zielstrebige Phantasie, auf der anderen Seite aber auch das fehlende Gespür für die emotionalen Details zu erkennen sind. Auch Franke gehört in diesem Punkt zu den Technokraten. Aber der Altmeister der Science Fiction hat immer Wendungen gefunden, in denen er seine Leser durch emotionale Augenblicke mitgezogen und zu Beobachtern auf Augenhöhe gemacht hat. Michael Weisser bleibt in dieser Hinsicht viel zu pragmatisch, schichtet eine Idee auf die nächste und gibt ihnen nicht den Freiraum, wirklich als Gesellschaft in Erscheinungen zu treten. Dadurch wirkt vieles zu mechanisch, zu distanziert und zu ambitioniert beschrieben.

 Es gibt in dieser Welt eine Art Zentrallabor - BIOTEC -, in dem für quasi alle sozialen Schichten und anscheinend auch alle politischen Richtungen Grundlagenforschung an und mit den Plastiden durchgeführt wird. Es ist natürlich ein unterirdischer Bereich, nach allen Richtungen gesichert und mit besonderen Mitarbeitern. Michael Crichton hat in "Andromeda" einen vergleichbaren, aber auch kleineren Forschungsbetrieb en Detail beschrieben. Michael Weisser bleibt eher oberflächlich. Versucht durch die gigantischen Dimensionen zu überzeugen, was zu erschlagen. Vor allem bleibt MIchael Weisser im Gegensatz zu Michael Crichton nicht konsequent. Auf der einen Seite betont er mehrmals, dass die Anlage autark und ohne Menschen laufen kann. Praktische Beispiele widerlegen diese Theorie. Auf der anderen Seite wäre es sinnvoll, nach Eintreten einer Reihe von seltsamen Phänomen entweder die Arbeiter und das Führungspersonal zu evakuieren oder es zu isolieren. Michael Weisser entscheidet sich leider für eine Art Königsweg, er lässt die seltsamen Phänomene isoliert vom Tagesablauf geschehen und schreibt gegen klassische Spannungsparameter an. Das kann in einigen wenigen Fällen funktionieren, aber dazu ist er ein noch nicht routinierter Autor. Vor allem agiert er kontraproduktiv.

 Sein Schreibstil und der Aufbau des Romans vor allem in den ersten Abschnitten sind experimentell und schwierig. Der Leser soll gar nicht in die üblichen Verhaltensmuster verfallen und auf die Idee kommen, einen klassischen Sciene Fiction Schmöker in Händen zu halten. Dabei erscheinen einzelne Abschnitte eher wie Füllmaterial, die abschließend nicht zufriedenstellend genug in die laufende Handlung eingebunden sind.

 

Dabei ist die Grundhandlung simpel. Einige Mitglieder eines anscheinend unter den Arbeitenden lange etablierten Sicherheitsdienstes - da es anscheinend keine Staaten mehr gibt, kann man auch nicht vom Geheimdienst sprechen - wird wie die Antiviren im Körper eines Menschen aktiviert und sucht die seltsamen Phänomene zu klären. Immer wieder lenkt Michael Weisser diese Untersuchungen in Sackgassen, um das eigentliche Problem zu verschleiern. Wenn er am Ende des Buches schließlich eine Erklärung anbietet, ist diese nicht unbedingt logisch. Ohne zu viel zu verraten wundert sich der Leser, warum diese allwissende Maschine selbst nicht reagiert hat. Es ist auch im Genre keine neue Idee. Meistens enden diese Geschichten mit einer Ode an die menschliche Inspiration, welche die Schwierigkeiten der Herausforderung nicht unbedingt verstanden, aber die möglichen Ergebnisse erahnt hat. Michael Weisser möchte nicht so weit gehen und verzichtet auf diese übertriebene Art des Happy Ends. Aber im Gegensatz zu Crichtons Roman, in dem eine Maschine/ ein Computer seinen Sicherheitsprogrammen folgt und dadurch eine größere Katastrophe auslösen könnte, fehlt dem vorliegenden Buch diese globale bzw. den Komplex zerstörende Bedrohung. Vieles wirkt zu sachlich abgehandelt und verliert dadurch vor allem aus einem Abstand von mehr als dreißig Jahren an Faszination.

 Hinzu kommt, dass Michael Weisser zu viele Ideen aus anderen potentiellen Arbeiten überträgt, sie aber nicht weiter extrapoliert.. Sein BIOTEC Komplex scheint entweder eine isolierte Welt zu sein, in welcher sogar die Toten recycelt werden und die Wissenschaftler teilweise aus Eifersucht aufeinander losgehen, weil der Sicherheitsmann mit einer fremden Ehefrau geschlafen hat. Dabei wird vorher Parfüm ausgetauscht. Alleine die Nase sollte ausreichen. Wenn die Frau den Sicherheitsbeamten wenigstens gefesselt und die Augen verbunden hätte. Dann wäre diese ausführliche Erläuterung verständlich. Ein Zusammenspiel zwischen den einzelnen Wissenschaftlern findet nicht statt, obwohl es angesichts der allerdings unglaubwürdigen Herausforderung notwendig gewesen wäre. Es erscheint unglaubwürdig, dass der Sicherheitsmann alleine das Problem lösen könnte, während die Spezialisten hilflos und schockiert im Grunde nur herumstehen. Diesen Punkt hat Crichton nicht nur in "Andromeda", sondern vor allem auch in einigen seiner weniger technokratischen Thrillern eleganter und überzeugender gelöst. Es gibt einige Stellen, in denen Michael Weisser versucht, vor allem ein allgemeines Publikum mit aus normaler Sicht unwissenschaftlichen Erläuterungen einzufangen. Dabei steht dem Autor des ganze Spektrum des Genres zur Verfügung und wenn er wissenschaftliches Neuland betreten möchte, dann sollte er gefälligst auch entsprechende Erläuterungen beifügen. Sonst wirken einige Passagen des Buches eher schlecht als recht recherchiert.

In einem weiteren Punkt ist allerdings sein Erstling von der Zeit eingeholt worden. Michael Weisser hat als Medienkünstler vor allem auf Visualität Wert gelegt. Ein interessanter Aspekt, den die gegenwärtige Science Fiction allerdings immer unter dem Vorzeichen der Verfilmung auch in den Vordergrund stellt. Bei Michael Weissers Buch und vielen anderen Romanen geht es so weit, dass Optik vor Logik steht. Dabei ist Michael Weisser einen sicheren Weg gegangen. Eine im Grunde perfekte wissenschaftliche Anlage wird "kontaminiert" und ein Sicherheitsmann muss das Problem eruieren/ beseitigen. Einen besseren zeitlosen Faden kann man sich nicht wünschen. Aus diesem Stoff werden vor allem Romane gestrickt. Und hier liegt das große Problem des vorliegenden Buches. Michael Weisser ist ein Szenarist, der Momente erschaffen und überzeugend beschreiben kann. Er ist aber noch kein Buchautor, der die einzelnen Szenen zu einem Ganzen zusammenfügen kann.

Aus heutiger Sicht ist „Syncode 7“ einer dieser experimentellen Romane der deutschen SF, der weniger auf Unterhaltung Wert legt, sondern versucht, mehr als die Suche seiner Teile zu sein. Dadurch wirkt vieles vor allem aus heutiger Sicht schwerfällig und teilweise inhaltlich auch bemüht. Es gibt einige Passagen, in denen Michael Weisser vor allem über die künstlerische Schiene aus sich herauskommt und unbeschwert spekuliert. Aber sie sind selten. Plottechnisch ist der Roman leider auch nicht unbedingt in Ehren gealtert, viele Ideen verlaufen im Sande und nicht selten fehlt die letzte Konsequenz, um Ecken und Kanten zu etablieren, anstatt sich in Oberflächlichkeiten und zwischenmenschlichen Klischees zu verlieren.

Aus zeithistorischer Sicht ist Michael Weissers Debüt aber ein interessanter Blick zurück. Vor allem die deutsche Science Fiction hat sich weiter entwickelt, ist andere Wege als in den achtziger Jahren angedacht gegangen und unterhält nachdenklich stimmend auf einem sehr guten Niveau. Vielleicht hat Michael Weisser irgendwo eine kleine Richtung mit seinem experimentellen , intellektuellen, künstlerischen und ein wenig in sich selbst verliebten Werk mit bestimmt, aber heute gehört der Roman eher zu den Randerscheinungen des Genres als leider zu den Klassikern.

Michael Weisser
SYN»CODE7
Science-Fiction-Roman

AndroSF 83
p.machinery, Murnau, August 2018, 328 Seiten, Paperback
ISBN 978 3 95765 132 7 – EUR 15,90 (DE)