Clarkesworld 143

Neil Clarke (Hrsg.)

Herausgeber Neil Clarke versucht sich gleich zu Beginn an der Quadratur des Kreises. Er analysiert, ob und wie sich seine Storyauswahl nach seinem beinahe tödlichen Herzinfarkt verändert hat. Im Grunde gar nicht, da Horror Storys vorher nicht unbedingt relevant gewesen sind. Auch wenn es die Leser freut, dass Neil Clarke den schweren Herzinfarkt auf dem Readercon 2012 so gut überstanden hat, wird das Thema zu oft und nicht immer passend von Neil Clarke aufgegriffen.

 „The Life of Mary Godwon Shelley“ baut auf einem der letzten Essays auf, in dem es um die zahlreichen Frankenstein Verfilmungen gegangen ist. Jetzt steht die Schöpferin dieser zeitlosen, aber auch nicht in Ehren gealterten Geschichte im Mittelpunkt eines kurzen, faktenreichen Artikels. Wer bislang sich noch nicht mit der „Frankenstein“ Autorin beschäftigt hat, wird komprimiert fast alles Wissenswerte lesen können. Wer sich ausführlicher dank der zahlreichen Biographien mit ihrem tragischen Leben beschäftigte, wird erstens keine neuen Informationen erhalten und zweitens hört das Essay im Grunde mit der Geburt ihres Monsters auf.

 Im Essay „Another Word“ geht es vor allem um die Strukturierung des eigenen Schreibens, um pünktlich und qualitativ Zufrieden stellend die Geschichten, Essays oder gar Romane abzuliefern.

 Chris Urie spricht mit Emily Devenport über ihre Mischung aus Serienkiller und Generationenraumschiff. Passend dazu findet sich eine weitere Story aus dem „Great Ship“ Universum von Robert Reed in dieser „Clarkesworld“ Nummer.

 „The Veilonaut´s Dream“ von Henry Szabranski eröffnet diese Clarkesworld Ausgabe. Eine Diskontinuität befindet sich im Orbit um den Neptun. Niemand weiß, wohin und in welches Universum diese Anomalie führt. Der Autor beschreibt dieses Phänomen ausgesprochen plastisch und die Ängste der im Grunde selbstmörderischen Reisenden werden ausgezeichnet beschrieben. Ein wenig überzogen erscheint die Idee, dass die Diskontinuität nur bei Menschen, vielleicht auch Tieren funktioniert, aber nicht bei Maschinen. Natürlich erschwert es das Aufzeichnen der Reisen, die Freiwilligen müssten im Grunde gute Zeichner und Maler sein, um die Eindrücke auf Papier zu bringen. Eine Idee, die nicht angesprochen wird. Warum zusätzlich diese Diskontinuität die Gedanken der Menschen liest und den Faktor Zufall ausschaltend sie in die richtige Reiserichtung schickt, bleibt ebenfalls unentwickelt. So wirkt der Plot eher distanziert und wie eine Fingerübung für eine Novelle, welche die interessante und bizarre Grundidee in verschiedene Richtungen ausbauen sollte, um abschließend überzeugen zu können.

 “The Anchorite Wakes“ von R.S.A. Garcia ist eine der vielen Geschichten, die nur in der Theorie funktionieren. Sister Nadine wird aus ihrer Klausur in einem Kloster heraus immer wieder mit Menschen konfrontiert, denen sie Ratschläge geben will und soll. Dabei wird sie anscheinend gelenkt. Warum Louisa Nadine aus ihrer Klausur befreien und in eine Welt ausschicken will, die sie selbst gar nicht gut genug kennt wird abschließend zu wenig herausgearbeitet. Ein großes Problem ist die Pointe, die in dieser Form keinen abschließenden Sinn macht und vor allem dem Anfang der Story auch im Wege steht. 

 „The Loniest Ward“ von Hao Jingfang ist auf der einen Seite eine faszinierend interessante Geschichte, die auf der anderen Seite selbst gegen die Übersetzung von Ken Liu durch den sperrigen Stil, die Tendenz des Informationsabladens und schließlich die inneren Monologen den Leser von der Handlung unnötig distanziert. Die Protagonistin Qina arbeitet in einem Krankenhaus, in dem komatöse Patienten behandelt werden. Die anscheinend weichen Geister der Patienten werden nicht abgelenkt, sondern es wird ihnen suggeriert, dass sie immer recht haben und die Umwelt falsch liegt.

 „The Privilege of Happy Ending“ von  Kij Johnson ist einer der dunklen Fantasygeschichten, in denen Kinder wie die sechs Jahre alte Ada in ihrer Umgebung durch Invasoren – sie essen Menschen wie Tiere – bedroht wird. Neben der stimmigen, wenn sich auch immer wieder wiederholenden Atmosphäre des mittelalterlichen Englands wirkt das Zusammenspiel zwischen Ada und ihrer unsichtbaren wie gegenwärtigen Helferin Blanche ein wenig ermüdend. Nach ihrer Odyssee eher durch Symbole und Metaphern als dem realen brutalen England gelingt es Ada schließlich mit Blanche Hilfe, die Invasion abzuwehren, was angesichts der anfänglichen Konstellation nicht überzeugend genug erscheint.

 Die längste Story „Kingfisher“ stammt von Robert Reed und spielt in seinem inzwischen anscheinend unzählige Geschichten umfassenden „Great Ship“ Universum. Es ist wichtig, zumindest mit einigen Hintergründen dieses Zyklus vertraut zu sein, um die Zwischentöne zu verstehen. Der Protagonist Kingfisher sucht in einem endlosen Eiswelt anscheinend seit Jahrtausenden nach einer Frau, die er nicht vergessen kann. Am Ende versucht Robert Reed nicht nur die Grundidee zu unterminieren und möglicherweise als Einbildung darzustellen, die gewaltigen Zeitabläufe distanzieren den Leser eher vom Text als das sie ihn ins Geschehen hineinziehen. Auf der anderen Seite spielt Robert Reed stellvertretend durch seinen Protagonisten mit dem Leser und zeigt auf, dass die Grundidee ein wenig anders ist und vor allem die Erinnerungen unter Umständen nicht der entsprechenden Realität entsprechen. Robert Reed ist ein erfahrener Autor, der die verschiedenen Aspekte zufrieden stellend unter einen Hut bekommt und dabei sogar gut unterhalten kann.  

 Es werden zwei Nachdrucke präsentiert. James Patrick Kellys „Yukui!“ scheint den Leser erst in die Welt der Superhelden und Sidekicks zu entführen. Erst nach und nach wird deutlich, dass es in Wirklichkeit um künstliche Intelligenzen geht, die eine Symbiose mit ihren jeweiligen Herren/ Meistern anstreben. Dabei sollte die Anpassung an den Wirt so vollständig wie möglich sein, um wirklich überzeugen zu können. Humorvoll, ein wenig subversiv und voller Emotionen eine wunderbare kleine Geschichte um den Sidekick, der am Ende mit eigenen Namen vielleicht nicht unbedingt ein Held wird, aber über sich hinauswachsen kann.

 Rich Larson steuert mit „Othermother“ einen extra für „Clarkesworld“ geschriebenen Auszug aus seinem ersten Roman „Annex“ bei. Durch den Tod von Gardner Dozois ist wahrscheinlich in der Nachdruckredaktion eine schmerzliche Lücke entstanden, die auf diese Art und Weise gefüllt werden soll. Es empfiehlt sich allerdings das gut geschriebene Fragment gegen den ganzen Roman „einzutauschen“, der Leser erhält allenfalls einige Impressionen, welche aufgrund ihrer exotischen Fremdartigkeit kein ganzes Bild ergeben. 

 Zusammengefasst präsentiert sich „Clarkesworld“ 143 als eine eher durchschnittliche Ausgabe mit zufrieden stellenden längeren Texten, im Nachdruck ein wenig schwach und nachdenklich stimmenden, aber abschließend nicht ausreichend genug entwickelten Kurzgeschichten.  Aber mit einem chinesischen Autoren sowie einem Schriftsteller aus der Karibik unterstreicht Neil Clarke seine Entschlossenheit, das Magazin weiter zu einer eher aus amerikanischer Sicht internationalen Drehscheibe der phantastischen Kurzgeschichte zu machen.

 Das Titelbild ist allerdings wieder ein Augenfänger und zeigt die Vielfältigkeit der einzelnen Themen auf.

E Books, 112 Seiten

www.clarkesworldmagazine.com