Eros

Thomas le Blanc

Thomas Le Blanc erläutert in seinem Vorwort nicht nur die Namensfindung dieser Anthologie, sondern geht ein wenig auf den möglicherweise erotischen, aber niemals pornographischen Inhalt der Sammlung ein. Aber nicht alle Texte sind unter diesem Gusto hier vereinigt worden.

 Rainer Erler eröffnet die Sammlung mit „Bis dass mein Tod uns scheidet“. Ein reicher Unternehmer lernt seine deutlich jüngere Traumfrau ausgerecht in Person der Tochter seines Geschäftspartners kennen. Die Hochzeit mit der erotischen, exotischen und gleichzeitig intelligenten Schönheit erinnert mehr an einen Geschäftsabschluss. Der Leser ahnt das Ende schon deutlich länger im voraus als es der auf diesem Auge auch ein wenig blinde Erzähler wahr haben möchte. Rainer Erler erzählt die Geschichte mit einer gewissen Altersweisheit, welche auch die technischen Kompromisse zumindest akzeptabel macht und der Titel passt perfekt auf die Pointe. Im Gegensatz allerdings zu vielen anderen Autoren sucht er keine dunkle paranoide Atmosphäre, sondern malt seine besondere Liebesgeschichte in sehr breiten

Farben. Günther Zettl wird mit „Die Tagnacht“ dem Thema eine überzogene, aber lesenswerte Farce hinzufügen. Überdreht beginnend mit exzentrischen Charakteren und endend mit einem Happy End, das dem Tenor der Rainer Erler Geschichte entspricht zeigen die beiden Autoren auf, dass besondere Frauen eben wirklich etwas ganz Ungewöhnliches sind. 

 Die Aufzeichnungen des perfekten Orgasmus, des Zusammensein mit dem einen Partner lange vor dem vermeintlichen Siegeszuges der virtuellen Realität steht im Mittelpunkt einiger weiterer Texte. Matthias Weigolds „Jakeleffs Gier“ weist kritisch gesprochen keine technisch utopischen Züge auf. Das finale Erscheinen des Protagonisten könnte auch ein Ausdruck einer

immer stärker werdenden Geisteskrankheit sein. „Der Mantel Vergissmeinnicht“ von Reinhard Wegerth umspannt abschließend ein derartig sozial neu entwickeltes Klima, das der Autor seine guten Ideen und seine Intention selbst unterminiert. In dieser Hinsicht entspringt die Geschichte tatsächlich den achtziger Jahren, in denen man fast technisch gutgläubig naiv davon ausgegangen ist, dass eine neue Erfindung gleich die gesamte Menschheit in einen euphorischen Taumel stürzt. Das hat nicht einmal das Smartphone in einer derartig kurzen Zeit geschafft. Trotzdem gehört die Story zu den besten Geschichten dieser Anthologie. Im All umrunden zwei Frauen fast schon gegen die Männerdomäne für ein Jahr die Erde, um zu forschen. Auf der Erde erweist sich der Mann der Einen gegen alle Versuchungen als immun, da beiden der von ihnen entwickelte Mantel Vergissmeinnicht hilft. Nach und nach wird die Idee aufgeblättert. Sie ist interessant und faszinierend zugleich entwickelt. Ein weiterer Vorläufer der perfekten virtuellen Realität. Die Protagonisten sind gut gezeichnet, die einzelnen Ideen fast zu komprimiert präsentiert, als das der Leser sie alle aufnehmen kann. Hier wäre eine Novelle wahrscheinlich das perfekte Medium gewesen, während Matthias Weigolds „Jakeleffs Gier“ genau in dem Moment aufhört, in dem sich der Plot zu entwickeln beginnt.   „Venus-Traum“ von Horst- Günther Rubahn ist einen Schritt weiter. Hier wird der Flug zur Venus schon zu einem harmonischen Erlebnis, während der Mars eher für die dunkle Realität steht. Die Pointe dieser Story ist eher pragmatisch und konsequent. Aus heutiger Sicht ist der Text nicht sonderlich gut gealtert, in den achtziger Jahren wirkte er wahrscheinlich frischer und origineller.  

 Die Begegnung mit den Außerirdischen ist nicht selten tödlich. Vor allem Diehard van Heeses „Begegnung der sexten Art“  beginnt mit einer weiteren Partnersuche, bevor es die Dimensionen eines Alptraums erreicht und nihilistisch endet. Auch die Landung auf einer fremden Welt in Walther Ulrich Erwes „Berberin“ nutzt Versatzstücke der Science Fiction, um schließlich die Erotik in einer übergesteigerten Art zu präsentieren. Im Gegensatz zu vielen anderen Texten dieser Anthologie versuchen die Autorin mit fast an Persiflagen erinnernden Elementen der Übertreibung ihre Standpunkt deutlich zu machen. Das geht zu Lasten der Lesbarkeit, zumal alleine die abschließende Pointen einmal sogar in einem einzigen Satz das Geschehen ins Surrealistische steigern. Dadurch wirken die Texte auch nicht richtig ausbalanciert und die Botschaften eher pragmatisch schwerfällig in den Vordergrund gestellt anstatt sich erst einmal um einen glatten Handlungsverlauf zu kümmern.  Auch Thomas le Blanc fügt sich in diesen Reigen mit „Alles verloren und noch mehr“ ein. Auch wenn die Grundprämisse nicht neu oder innovativ ist, gelingt es dem Herausgeber und Autor, der Idee nicht nur neue Impulse zu verleihen, sondern vor allem auch die entsprechenden Figuren überzeugend und dreidimensional zu skizzieren. „Dämonentanz“ wirkt da mit dem Flug zweier Männer in die Tiefen des Alls und der entsprechenden Begegnung wieder simpler gestrickt. Die Ich- Erzählerperspektive nimmt dem Plot ein wenig die Spannung und die abschließende Negation hinsichtlich weiterer Erklärungen macht die Handlungseröffnung auch ein wenig zu einfach.

 Manfred Borchards „Hüter meines Bruders“ ragt aus dieser Sammlung in mehrfacher Hinsicht heraus. In knapp zehn Jahren zwischen 1974 auf der „Perry Rhodan“ Kontaktseite bis zu seinem selbst erklärten Karriereende als Kurzgeschichtenautor 1984 hat er mehr als einhundert Kurzgeschichten verfasst. Das kurzzeitige Comeback in den neunziger Jahren hat die entsprechende Dynamik, Intensität und Experimentierfreude vermissen lassen, welche auch Texte wie „Hüter meines Bruders“ auszeichnet. Vieles erinnert an die zweite Phase James Ballards, in welcher die beiden Autoren den Zivilisationsmüll nach dem Ende der bekannten Gesellschaft verfremden, verformen und gegen sich selbst stellen. Es wird nicht ganz klar, ob der Protagonist in dieser kontrollierten postatomaren Gesellschaft Alpträume durchlebt oder phantasiert, ob diese Mischung aus Golden Age Science Fiction und Disney Surrealität wirklich sich so real zeigen kann. Im Grunde spielt es auch keine Rolle. Vom ersten Akt – in doppelter Hinsicht – an weißt die Geschichte ein hohes Tempo mit absurd erscheinenden Ideen auf und reißt der Leser förmlich mit.     

 Dietmar Postl "Die natürliche Geburt" ist auch ein fast typischer Kind der achtziger Jahre Science Fiction. Geburten sind verboten, die Umwelt ist zerstört, die Menschen können sich draußen nur mit Gasmasken bewegen und die Protagonisten sind schwanger, verheimlichen dies vor den Behörden. Das drastische wie pathetische Ende ist klassisch.  An jeder Stelle mahnend belehrend geschrieben wirkt das Konzeot zu überambitioniert, zu wenig literarisch umgesetzt.  

 "Das Testament der  Mücke" von Sven Ove Kassau ist ebenfalls hinsichtlich des Handlungsverlaufs und der Pointe klar strukturiert wie durchschaubar.  Zwei Raumfahrer finden im All eine Botschaft von den  menschlichen Siedlern einer Koloniewelt.  Das Paradies hat Stacheln in Form von Mücken, die nach und nach die Siedlern stechen, in ihren Körpern ihre Nachkommen ablegen und schließlich wie bei einer Epidemie die Koloniusten ausrotten.  Alleine der Rückflug der Überlebenden zur Erde  könnte wenige der Siedler retten, im Gegenzug aber auch die Heimat gefährden. Solide geschrieben mit aus heutiger Sicht wenig echtem Spannungsaufbau und der erkennbaren Pointe ist "Das Testament der Mücke" wie auch "Die natürliche  Geburt" eine der Geschichten, die schon in den achtziger Jahren nicht sonderlich originell, aber zumindest lesenswert gewesen sind.  

 Das man bekannten Themen aber innovative Wendungen abringen kann, zeigt Roland Rosenbauer mit "Berechnungsfehler".  Zwei fremde Völker stehen sich kriegerisch gegenüber,  entwickeln für den im All zwischen ihren  Planeten ausgetragenen Konflikt immer bessere Waffen, bis schließlich die gänzlich Vernichtung des Feindes bevorsteht. Ganz bewusst nutzt der Autor die Klischees, um schließlich den fatalen Berechnungsfehler nicht nur den überlebenden Protagonisten, sondern auch dem Leser deutlich zu machen. Wie es sich für warnend mahnende  Storys gehört, ist es zu diesem Zeitpunkt zu spät. Aber die Grundidee zu verfremden und interessant logisch zu extrapolieren  habt den Text aus der Masse vergleichbarer Storys deutlich heraus.       

 Eine der längsten Storys der "Eros" Anthologie stammt aus der Feder von Wolfgang Hohlbein.  "Interchron" ist in den achtziger Jahren origineller gewesen als in der Gegenwart.  Trotzdem mischt der Autor auch heute noch lesenswert und sehr stringent geschrieben Zeitreise und virtuelle Realität miteinander.  Das Intercron ist eine gigantische künstliche Intelligenz, in welcher anscheinend alles  Wissen der Menschheit zusammengefasst worden ist. Um Informationen zu erhalten, müssen nur die richtigen Fragen gestellt werden. Das ist nicht immer einfach. Gleichzeitig gibt es die ambivalent beschriebene, aber nicht wirklich nachhaltig entwickelte Möglichkeit einer Zeitreise. Der Protagonist ist mit seinen 37 Jahren schon im  mittelbaren Auftrag von  Interchron durch alle Epochen gereist. Jetzt soll es in das Zeitalter der Dinosaurier gehen. Anscheinend wollen die den Protagonisten begleitenden Forscher herausfinden, woran die Dinosaurier gestorben sind. Die Vergangenheitsebene ist eine relativ geradlinige Abenteuergeschichte mit wenigen echten utopischen Elementen. Diese Idee hat man schon zu oftim Genre gelesen. Die Gegenwartsebene besteht aus den selbstkritischen Reflektionen des Erzählers und schließlich der finalen Konfrontation zwischen Interchron und ihm.  Sie beinhaltet eine Reihe von Ideen, die in einer längeren Erzählform so viel Potential hätten, dass sie weniger kompakt gedrängt und belehrend, sondern originell und effektiv daher gekommen wären. Wolfgang Hohlbein bemüht sich allerdings wie auch Roland Rosenbauer, aus bekannten Versatzmustern etwas Neues zu erschaffen und damit die Erwartungen der  Leser zu unterminieren.    

 Jörg Weigands Geschichte "Der Schausteller" ist wie Thomas le Blanc im Vorwort erläutert unter ungewöhnlichen Umständen entstanden.  Im Rahmen einer Tagung von SF Autoren hat sich Jörg Weigand mit Schreibmaschine bewaffnet an einem Sonnabend auf den Wetzlaer Wochenmarkt gesetzt und den Plot quasi vor Ort nicht nur entwickelt, sondern auch niedergeschrieben. Die kurzweilige Story von dem besonderen Schausteller und seinem einzigartigen Objekt liest sich kurzweilig und  flott, auch wenn der Plot eher an der Oberfläche bleibt und die  zugrundeliegende Idee nicht besonders  innovativ ist.  Aber Schausteller und Autor haben sich wirklich Mühe gegeben,  ihr jeweiliges Werk bzw.  Objekt der Begierde  überzeugend zu präsentieren. 

 Wie seine Miniaturen für die „Phantastische Bibliothek“ in Wetzlar greift Herausgeber Thomas le Blanc auch in den hier vorliegenden Anthologien gerne auf sehr kurze Geschichten zurück. Während Ulrich Harbeckes „Das große Geheimnis“ nur wenig mehr den Titel verspricht und eher wie ein Märchen erscheint, präsentiert Dirk Josczok mit „Einsame Welt der Auserwählten“ eine surrealistische Absurdität mit Einbrechern, besonderen Kunst und schließlich dem implizierten Übergang in eine andere Welt.

 Neben einem allgemein humorvollen Trinkgelage - Helmut Krohnes "Na Prost!" -  Außerirdischer in einer besonderen Art endet die "Eros" Anthologie mit dem pointierten Essay "Kein Nährbreis und keine Kalorienpillen", in dem Janos Bardi auf die neben dem Sex am meisten in der Science Fiction vermisste Sinnesfreude-  den Gaumenschmaus. Er spekuliert ein  wenig über die Nahrung der  Zukunft und die Zubereitungsmöglichkeiten.  Einige seiner Ideen hat die Gegenwart inzwischen erreicht, andere wurde in der Zwischenzeit verworfen. Auch wenn der Artikel nicht mit dem angesprochenen "Eros" zu tun hat, geht gutes Essen manchem über Sex oder Alkohol. Zumindest rundet das Essay zusammen mit Helmut Korhns Rundumtrunk  die "Eros" Anthologie auf einer belustigenden Note ab.

 Zusammenfassend wirkt das Thema "Eros" allerdings auf einige der Autoren eher hemmend und die Geschichten wirken teilweise in diesem einen Punkt auch sehr bemüht. Nur wenige Texte brechen entweder aus dem starren Korsett des Genres aus und versuchen neue Wege zu gehen, während andere Arbeiten sehr experimentell, abschließend aber nicht Ziel  fördernd sind.  Eine durchschnittliche Anthologie deutscher SF Autoren, welche die Erwartungen der Leser insbesondere nach Thomas  le Blancs Vorwort selbst auf der erotischen Ebene nicht befriedigen kann.

 

  • Broschiert  183 Seiten
  • Verlag: München : Goldmann, (1982)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3442234174
  • ISBN-13: 978-3442234172
  • ASIN: B0026L2J50
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