Der schwarze General

Tom Reiss

Im Original heißt Tom Reiss Biographie "Der schwarze General" noch "The black count: Glory, Revolution and the real Count of Monte Christo". Damit greift Tom Reiss einen relevanten Teil der Themen auf, die er in seiner Zeitreise durch die Irrungen & Wirrungen der französischen Revolution; durch den progressiven Zeitgeist, der unter Napoleon in Apathie erstarrte und schließlich durch das literarische Alexandre Dumas mehr oder minder intensiv in seinem lesenswerten Buch untersucht. Fokus ist Ausgangspunkt ist in allen Fällen Alexandre Dumas Werk, das sich für Tom Reiss in erster Linie mit dem von ihm vergötterten Vater auseinandersetzt.

Obwohl der Schriftsteller vier Jahre alt gewesen ist, als der einst gefeierte General nach langer Haft und möglicherweise auch einer absichtlichen Vergiftung im italienischen Gefängnis an Magenkrebs gestorben ist. Das Leben Alex Dumas lässt sich am ehesten in einer Mischung aus Fakten und Fiktionen betrachten. Natürlich hat Alexandre Dumas sich den Vater und seine Verhaftung zum Vorbild genommen. Aber Tom Reiss stellt in seinem Vorwort klar, dass Dumas nur Randaspekte genommen und in seinen Roman extrapoliert hat. Der lange Gefängnisaufenthalt des späteren Grafen von Monte Christo sei hier stellvertretend genommen.

Im Roman ist es ein naiver junger Seemann, der seinem alten Kapitän einen Gefallen tun möchte. Er bringt eine brisante politische Botschaft von der Insel Elba mit. Indirekt hilft er Napoleon. ER wird verraten, bestraft und im Gefängnis vergessen. Aus dem Gefängnis kommt er mit einer spektakulären Flucht, nachdem ihm sein einziger Freund die Stelle des legendären Schatzes verraten hat, mit dem er schließlich Rache an seinen Feinden nehmen kann. Rache ist ein wichtiges Motiv in Dumas Romanen. Nicht nur im Grafen von Monte Christo, sondern auch im Frühwerk.

Rache ist aber ein Gericht, das unterschiedlich goutiert wird. Auf der einen Seite erinnert sich der Betroffene noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte später an jede Kleinigkeit, während die Täter weiterleben und am Ende eher überrascht sind, das nicht nur ihre Vergangenheit wieder lebendig wird, sondern das sich überhaupt jemand sich an diese ihnen unwichtig erscheinenden Fakten erinnert. Die Lebens- und Leidensgeschichte Alex Dumas (1762 bis 1806) geht aber einen gänzlich anderen weg. Anstatt Napoleon zu unterstützen, wird er von diesem zusammen mit der Ägyptenarmee in Übersee zurück gelassen. Als Volksheld des Italienfeldzugs wird er bei seiner Überfahrt in ein italienisches Gefängnis gesteckt. In einem Land, mit dem Frankreich keinen Frieden geschlossen hat.

Im Gegensatz zum Grafen von Monte Christo kehrt Alex Dumas als gebrochener Mann in seine Heimat zurück und stirbt von seinem Land verlassen einsam und viel zu jung. Die Schicksale könnten nicht unterschiedlicher sein. Alleine die Ausgangsposition in Bezug auf den kleinen Kaiser unterscheidet Dumas Roman von der bitteren Realität. Aber Alex Dumas spielt noch in einem anderen Werk Dumas eine wichtige Rolle: viele sehen in ihm den vierten Musketier, der vom Land kommen die drei etablierten Musketiere an einem Tag nacheinander zum Duell aufforderte.

Eine solche Geschichte soll es gegeben haben, bewiesen werden konnte sie von Tom Reiss nicht. Vielleicht hat Alexandre Dumas seinen von der Zeit vergessenen Vater in diesen beiden Werken und mit zahllosen Anspielungen wirklich unsterblich gemacht und ihm die Ehre/ den Ruhm geschenkt, den er sich mit seinen erfolgreichen Feldzügen in Belgien, in Oberitalien und schließlich auch in den Alpen verdient hat. Auf der anderen Seite tut man dem General aber auch Unrecht. In seiner lebendigen Biographie zeigt Tom Reiss mehrfach auf, dass Alex Dumas in einer Zeit gelebt hat, die modern und archaisch brutal zu gleich gewesen ist.

Im vorliegenden Buch arbeitet er die Widersprüche im Leben von Dumas Vater vor allem im Vergleich zum literarischen Denkmal genauso auf wie die Zeit vor, während und vor allem nach der französischen Revolution. Selten ist ein Volk innerhalb so kurzer Zeit so vielen verschiedenen, sich widersprechenden "Idealen" ausgesetzt gewesen und selten haben auf der einen Seite moderne Strömungen - Abschaffung der Sklaverei, Gleichberechtigung unabhängig von der Hautfarbe, die Schaffung einer monarchistischen Demokratie und kurze Zeit später die Herrschaft der Straße, die in einer klassischen Militärdiktatur endete - einen fleißigen Menschen nach oben geschwemmt- , um ihn auf der anderen Seite trotz oder vielleicht auch gerade wegen der Neuorientierung ins absolute Vergessen zu treiben.

Aber Tom Reiss Buch ist mehr als eine Abhandlung über Alexandre Dumas Werk und das bewegte Leben seines Vaters. Es ist ein weiterer Baustein in Reiss biographischen Werk, für das er 2013 den Pulitzerpreis erhalten hat. Spielte "The Orientalist" in der Zeit der Dritten Reiches - ein jüdischer Autor hat die Identität eines Moslems angenommen, um während der Naziherrschaft zu überleben - und "Führer Ex" in der Neonazi Szene, so geht Tom Reiss nicht zurück zu den Wurzeln der rassistischen Exzesse, aber in eine Zeit, in welcher sich die neue Welt wie auch das alte erstarrte Europa neu zu definieren suchten.

Eine Zeit, in welcher die Demokratie zum ersten Mal die Monarchie untergraben konnte. Eine Welt, in welcher sich zumindest in Frankreich die lange Zeit zwischen den Extremen hin und her pendelte Bürgerschaft entscheiden musste. Alex Dumas ist 1762 auf der heutigen Insel Haiti geboren worden. Durch seinen Zuckeranbau einer der wichtigsten Außenstützpunkte des französischen Reiches. Alex Dumas ist ein Bastard gewesen.

Ein französischer Vater und eine frei gelassene Sklavin. An Hand dieser exemplarischen Beziehung - so verkaufte sein Vater den Sohn für sechs Monate wie dessen Geschwister und kaufte ihn nach seiner Rückkehr nach Frankreich wieder frei - zeichnet Tom Reiss ein dunkles, aber nicht nihilistisches Portrait der Sklavengesellschaft auf Haiti und der Tatsache, das die Kolonien entweder Reichtum oder Verderben für die französischen "Herren" bedeutete.

Neben den verschiedenen Aufständen entwickelt der Autor auf dieser Grundlage ein kompliziertes Geflecht aus Familienzusammengehörigkeiten und über Schulden gegenseitiger Abhängigkeiten, unter denen die Dumas im Grunde seit vielen Jahrzehnten litten und über den Tod des berühmtesten Stammhalters noch leiden werden. Es sind weniger die demokratischen Bestrebungen - so wurden die Sklaven auf französischen Boden frei, wenn sich ihre Herren weder um eine kirchliche Bekehrung noch eine ordentliche Ausbildung kümmerten- sondern wie nicht selten in der menschlichen Geschichte die Kriege, welche den Aufstieg nicht nur eines Farbigen ermöglichten. In der Schule ein solider Schüler mit überdurchschnittlichen Fecht (siehe "Die drei Musketiere) als auch Reitfähigkeiten verdingte sich Alex Dumas schließlich in der französischen Armee, die für ihn gesellschaftlichen Aufstieg, aber auch später sozialen Fall bedeuten sollte.

Als anfänglicher Draufgänger gelangen ihm die ersten Erfolge. Während sich Frankreich in den unterschiedlichen Wehen der französischen Revolution - dieser Begriff ist im Grunde falsch, denn es handelt sich um eine Abfolge von kleineren oder größeren Umwälzungen, die teilweise gegeneinander abliefen - wälzte, versuchte das Reich seine Grenzen aktiv zu verteidigen und über eine äußere Bedrohung einen inneren Einhalt zu gewinnen. Je mehr Verantwortung Dumas übernehmen musste, je höher er in der Militärhierarchie stieg und je mehr Soldaten ihm unterstanden, um so intelligenter und verschlagener wurde er.

Für Tom Reiss ist der Aufstieg des Alex Dumas aber noch ein anderes Phänomen. In einer Atmosphäre der Paranoia, der tausenden von Hinrichtungen, die willkürlich anfänglich ausgesprochen, später nur noch vollstreckt worden sind kämpfe Dumas gegen den teilweise überlegenen Feind wie in den Alpen, aber auch gegen die eigenen zivilen Vorgesetzten. Als potentieller Nationalheld war Alex Dumas nicht nur dem späteren Napoleon, mit dem er parallel im französischen Militär aufstieg, ein Dorn im Auge; er gab der französischen Nation ein Gesicht.

Ein Gesicht, das in jeder anderen Epoche wahrscheinlich einem Volkshelden zu Ehren gereicht hätte. Die Faszination des vorliegenden Buches liegt in der Tatsache begründet, das Alex Dumas ein in politischen Dingen fast kindlich naiver Mensch auf der einen Seite ein brillanter, aber auch improvisierender Stratege sein konnte, der auf der anderen Seite die Entwicklungen innerhalb seines Landes nicht wirklich wahrhaben wollte. "Der schwarze General" wird im Verlaufe der Handlung mehr und mehr zu einer intimen Biographie. Über zehn Jahre hat der Autor die einzelnen Fakten zusammengesucht und mit Dumas Romanen verglichen.

Was anfänglich die Geschichte einer kurzen Epoche zwischen französischen Frühling auch in den Kolonien sowie der brutalen Herrschaft der Straße gewesen ist, wird zu einem Portrait eines geschlagenen Mannes, der wahrscheinlich unter mysteriösen Umständen nicht verschwinden durfte, aber langsam vergiftet werden sollte. Auf die Hintermänner geht der Autor nicht ein. Napoleon kam es gelegen, das der unpolitische Alex Dumas aus dem Verkehr gezogen worden ist. Ob es den Herrschern von Neapel recht gewesen ist, dass einer der angesehen französischen Generäle ausgerechnet in ihrem Gefängnis stirbt, bleibt unausgesprochen. Was am Anfang nicht zuletzt aufgrund der historischen Fakten ein breit angelegtes Bild einer wichtigen Epoche der europäischen Geschichte gewesen ist, endet schließlich wie es begann... mit einer Vision des sterbenden Generals, der seinen Sohn noch einmal besucht hat. So ist "Der schwarze General" mehr als die interessante Suche eines früh verwaisten Jungen nach den Idealen, die seinen Vater im wahrsten Sinne des Wortes getrieben haben.

Alexandre Dumas hat viel Geld ausgegeben, um nach den Wurzeln seiner Familie zu suchen. Alex Dumas hat beim Eintritt in das Militär seinen Namen zurück auf den Mädchennamen der Mutter geändert und damit die kurze Dynastie der drei Dumas gegründet. Für Tom Reiss ist es wie im langen Prolog beschrieben eine faszinierende, abenteuerliche Reise weit in die in diesem Fall französische Vergangenheit, um einen Mythos nicht zu demontieren, sondern ihn in den Augen der Franzosen wieder zu erschaffen.

Ihm ist es gelungen, vielschichtig, kritisch hinterfragend und verschiedene Aspekte zu beleuchtend das Portrait eines Mannes in einer Zeit zu zeichnen, die ihn als Mischling die größten Chancen geboten und gleichzeitig auch die größten Risiken abverlangt hat. In der kurzweilig geschriebenen Zeitchronologie und weniger Biographie eines Mannes, der vielleicht einen Hauch weniger entschlossen und deutlich rücksichtsvoller, aber nicht weniger talentiert oder intelligent als Napoleon gewesen ist, wird der Leser positiv eingeladen, die französische Revolution und ihre sich gegenseitig bedingenden Folgen bis in Jahr 1806 auf Augenhöhe sehr lebendig zu verfolgen.

Gleichzeitig erweckt es im Leser das Verlangen, Alexandre Dumas Roman mit deutlich mehr geöffneten und informierten Augen noch einmal zu goutieren und die langen, aber nicht ausschließlichen - das wäre zu eindimensional - Spuren zu verfolgen, welche Alex Dumas nicht nur im Leben seines Sohns, sondern vielleicht auch in einem ganz kleinen Abschnitt der Geschichte hinterlassen hat. Am Ende bleibt nicht der Ruhm oder Reichtum. Aber Ende bleiben die Revolution und Dartagnan sowie der Graf von Monte Christo, die ohne das Leben und Leiden Alex Dumas nie entstanden wären.

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