Forever Magazin 47

Neil Clarke

Die  letzte „Forever“ Ausgabe des Jahres 2018 besteht neben dem obligatorischen Vorwort aus zwei  kürzeren Texten von Elizabeth Bear und Maggie Clark, aber vor allem der weihnachtlichen Novelle „Julian: A Christmas Story“, die Robert Charles Wilson inzwischen zu einem sehr interessanten Roman „Julian Comstock“ ausgearbeitet hat.

Aus der Anthologie „Rewired“ stammt Bears „Two Dreams on a train“.  Patience lebt in einer streng hierarchischen Gesellschaft.  Sie weiß, dass sie ihre Stufe nicht mehr verlassen kann, hofft aber, dass ihr Sohn Javier Alexander seine Fähigkeiten als  Künstler positiv nutzen kann.  Jaiver ist aber eher daran interessiert, die zahlreichen Raumschiffe mit Graffitis zu bemalen. Natürlich wird er zusammen mit seinem Freund Mad erwischt. 

Wie viele Texte Bears  lebt die Geschichte  vor allem von dem sehr detailliert entwickelten Hintergrund.  Es sind viele kleine Facetten, die ein komplexes, aber nicht kompliziertes Bild einer absichtlich übertrieben extrapolierten in sich geschlossenen Gesellschaft zeigen. Hinzu kommt das zeitlose Thema einer engen Beziehung zwischen Mutter und Sohn,  die einem harten Test durch den der Pubertät geschuldeten Freiheitsdrang unterworfen werden.   Die SF Elemente wirken deswegen auch eher aufgesetzt, da der Plot überall und jederzeit auch in der Gegenwart spielen kann. Elizabeth Bear hat nur die im Titel angesprochenen Züge durch Raumschiffe ersetzt, Graffitis passen ja überall hin. 

„Belly Up“ stammt aus der Sommerausgabe 2017 des Magazins „Analog“. Wieder ein zu zeitlich zu naher Nachdruck. Es handelt sich um eine Military Science Fiction Geschichte,  die wie Robert Charles  Wilsons Novelle vor allem von dem charismatischen Hauptcharakter lebt. Die grundlegende Prämisse ist zusätzlich interessant.  Ein Gericht hat Imbra die Fähigkeit genommen, Wut als  Emotion zu empfinden oder sich überhaupt zu wehren.  Imbra will aber weiterhin die Invasoren bekämpfen, die seine Heimatwelt bedrohen.  Wie erwähnt lebt die Geschichte vor allem von Imbra, den Maggie Clark weniger als Opfer denn als Täter beschreibt. Trotzdem kann der Leser seiner Motivation folgen und empfindet das Urteil parteiisch und ein wenig von der Autorin manipuliert nicht unbedingt als fair.

Am Ende überdeckt der dominante Protagonist wahrscheinlich die eigenen Ziele und nicht alle Fragen werden notwendigerweise und konsequenterweise beantwortet. Trotzdem überzeugt die Geschichte vor allem durch das hohe Tempo  und wie angedeutet die dreidimensionale Zeichnung eines eckigen wie kantigen Protagonisten.

Den Hauptteil der „Forever“ Dezemberausgabe nimmt der Nachdruck von „julian: A Christmas Story“ ein. Die Novelle ist eigenständig in einer limitierten Ausgabe im Verlag ps publishing 2006 publiziert worden. Die Ausgabe ist vor allem nur noch antiquarisch zu entsprechenden Preisen zu erhalten, so dass ein Nachdruck vor allem auch im Vergleich zur späteren Romanerweiterung sehr viel  Sinn macht.     

 Man könnte von einer Art Vorgeschichte des Romans sprechen, aber der Erzähler beider Storys Adam Hazzard fragt schelmisch, ob er die Wahrheit oder eine Geschichte erzählen soll. Im Grunde ist es sinnvoll, die beiden Arbeiten relativ schnell hintereinander in der Reihenfolge ihrer Entstehung – erst die Novelle, dann den Roman – zu lesen.

Adam Hazzard berichtet über seinen siebzehn Jahre alten Freund Julian, der in der kleinen Gemeinde Williams Ford aufwächst. Williams Ford ist ein Teil der vergrößerten Vereinigten Staaten, obwohl sie geographisch eher aus heutiger Sicht zu Kanada gehören sollte. Die Technologie ist auf das Niveau des 19. Jahrhunderts zurückgefallen.  Eine religiöse Zweckgemeinschaft, um nicht von einer Sekte zu sprechen dominiert und tyrannisiert die Bevölkerung, die in Armut lebt. Julian ist ein aufgeweckter Junge, der mit seinen aus Sicht der Kirche radikalen, aus der Perspektive der Leser auf gegenwärtigen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen sich Feinde schafft.

Nicht umsonst wird Julian zum Ungläubigen.

Ganz bewusst sich der als  Autor ausgesprochen ideenreicher wie stilistisch Vielseitige Robert Charles Wilson an den besonderen Klassikern dieses Subgenres orientiert.  Walter Millers „Lobgesang auf Leibowitz“ und Pangborns „Davy“ dienen als Orientierungsmarken, auch wenn die Geschichte deutlich farbenprächtiger, weniger  belehrend manipulierend ist. Mit Adam verfügt der Text über einen unzuverlässigen Erzähler,  der  wahrscheinlich subjektiv wie unbewusst die Leser ein wenig manipuliert und absichtlich den intelligenten, aber nur reagierenden Julian als eine Art Märtyrer wider Willen darstellt.

Der Stil ähnelt den Legenden, den Geschichten aus einer fernen Vergangenheit in diesem Fall in einer bizarren Zukunft spielend.  Er trägt die Handlung und gibt trotzdem den Figuren den notwendigen Raum sich zu entfalten.  Robert Charles  Wilson ist ein Autor, der vor allem große  und exotische Ideen ausgesprochen lebendig und zugänglich dem Leser vorstellen kann. Hier  liegt seine große Stärke. Und „Julian“ folgt dieser Tradition und ist trotzdem anders. Im Grund ist es eine kleine Geschichte, ein intimes Portrait eines Mannes, der nicht gegen sein Wissen und seine Überzeugung handeln wollte. Damit reiht er sich in die Reihe der bekannten Märtyrer im  Grunde seit Anbeginn der menschlichen Geschichtsschreibung ein. 

Während der Roman den Aufstieg Julians zu einem Mann, zu einem charismatischen Anführer ausführlich beschreibt, konzentriert sich die Novelle vor allem auf die „Flucht“ vor der Rekrutierung und damit einhergehend nicht nur dem Dienst an der Waffe, sondern im Kampfeinsatz. Gleichzeitig muss Julian einen Weg finden, mit sich im Reinen zu sein und nicht von der Kirche als  Ketzer und Ungläubiger hingerichtet zu werden. Bei Robert Charles Wilson darf sich der Leser auch nicht zu sicher sein. Nicht selten sterben vor allem sehr sympathische dreidimensionale Figuren in seinen Romanen, während andere Nebenfiguren gegen alle Herausforderungen überleben.

Die besondere Fähigkeit Robert Charles Wilson liegt in der Tatsache, dass er seine Leser gleichzeitig sehr gut unterhalten und nachdenklich stimmen kann.  In diesen Punkten überzeugt die stimmungsvolle, nur bedingt weihnachtliche Geschichte so sehr, dass man aus der grausamen irgendwie vertrauten Welt gar nicht wieder auftauchen kann.

Wer Robert Charles Wilson vor allem als Romanautor kennengelernt hat, der findet keinen besseren Einstiegspunkt als mit dieser Novelle. Positiv ist weiterhin, dass zum ersten Mal in der Geschichte des Magazins Herausgeber Neil Clarke tatsächlich einen zeitlichen Bezug zwischen einem Beitrag und dem Publikationsmonat hergestellt hat.

Zusammengefasst vor  allem dank Robert Charles  Wilsons grandioser Novelle, die als Grundlage für einen empfehlenswerten Roman gedient hat, eine der besten „Forever“ Ausgaben des  Jahres 2018, das insgesamt dem Nachdruckmagazin trotz des tragischen Verlusts Gardner Dozois qualitativ gut getan hat.

         

 

 

Forever Magazine Issue 47 ebook by Neil Clarke,Robert Charles Wilson,Maggie Clark,Elizabeth Bear

e Book,  110 Seiten 

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