Clarkesworld 147

Neil Clarke (Hrsg.)

Mit einem Ausblick beendet Neil Clarke das Herausgeberjahr 2018. Im Grunde ist die Dezemberausgabe eine Art Testballon mit nur noch einem verhältnismäßig kurzen Nachdruck und fünf Originalgeschichten von verschiedenen Kontinenten,. Die angloamerikanische Science Fiction wird mehr und mehr in den Hintergrund gedrängt, wobei sich die Frage stellt, ob die präsentierte Qualität wirklich auf die Dauer das Magazin tragen kann. Andere Ausgaben von „Isaac Asimov´s Science Fiction Magazine“ oder „The Magazine of Fantasy and Science Fiction“ haben unabhängig von einigen anderen Onlinemagazinen sehr gut aufgeholt.

Chris Urie spricht ausführlich mit Rich Larson, der ein wenig in die Psyche eines Kurzgeschichtenautoren eindringt und gegenüberstellt, was die Vorzüge einer kurzen Arbeit gegenüber einem Roman vor allem für junge Autoren ist. Sekundärwissenschaftlich geht man auf die Suche nach dem Jungbrunnen, in dem die verschiedenen Forschungen gegenübergestellt werden, während Jason Heller von seinem Buch im Burgess Museum berichtet, in dem er sein mehrfach auch in „Clarkesworld“ zitiertes Buch über die von der Science Fiction inspirierte Rockmusik der siebziger Jahre vorstellen durfte. Dank der erfrischen Ehrlichkeit der mit großen Abstand beste Beitrag der ganzen Ausgabe.

 Kelly Robson stellt im einzigen angesprochenen Nachdruck „Two- Year Man“ eine sehr dunkle Zukunft vor, in welcher der Protagonist im Grunde an der Vernichtung von allen möglichen Gegenständen und leider auch Lebewesen arbeitet, während seine Frau vor einigen Jahren ihre Gebärmutter und damit die Fähigkeit, Kinder zu bekommen, verkauft hat, Dunkel, zynisch und vor allem konsequent zu Ende gedacht handelt es sich bei dem Nachdruck um die stärkste Geschichte der ganzen „Clarkesworld“ Ausgabe.

 „Marshmellows“ spielt mit der Idee einer virtuellen Realität, die kontinuierlich von den Credits der Arbeit gefüttert wird. Als die kleine Schwester des Protagonisten kein Geld mehr zur Verfügung hat, muss sich mit Ratten, Ungeziefer und schließlich auch verfallenden Gebäude leben anstatt in der kontinuierlichen Simulation von Elfen und Einhörnern zu leben. D.A. Xialon Spires beschreibt diesen krassen Übergang sehr überzeugend und kann im Laufe der phlegmatischen Handlung Lösungsansätze anbieten. Die Schwäche der ganzen Geschichte ist die Unglaubwürdigkeit. Die Welt ist zu sehr auf diese Idee zugeschnitten und entbehrt einer realistischen Grundlage, da die gigantische Massenmanipulation in der „Matrix“ oder „Dark City“ Tradition nicht stattfindet, sondern eher nicht gewollt ist.

 Auch Shelen J. Pacottis „The Names and the Motion“ hat eine interessante Ausgangsbasis. Cassies Gehirnimplantate helfen ihr, mit den Folgen der Drogensucht ihrer Mutter während der Schwangerschaft fertig zu werden, sie helfen ihr aber nicht, die Klassenkameraden zu ertragen. Die Implantate sollen Cassie helfen, empathischer zu werden. Dadurch wird sie auch verwundbarer gegenüber ihrer Umfeld und kann sich nicht in den Schutzmantel zurückziehen. Am Ende steht ihr nur mit Noah ein Freund zur Seite. Die potentielle Lösung der Geschichte ist wieder unglaubwürdig, zumal Cassie den Hackern nichts wirklich anbieten kann und die Autorin sie auch nicht neugierig genug beschreibt, als das sie auf ein eher imaginäres Angebot eingehen würden.    

 Zu den längsten Geschichten gehört „Master Zhao: The Tale of an Ordanary Time Traveller“ von Zhang Ran. Im Grunde wie „Die Frau des Zeitreisenden“ geht es um die Idee, das der Protagonist durch Zufall die Fähigkeit der Zeitreise entdeckt und für sich ausgenutzt hat. Theoretisch stellen sich dem Leser zwei Fragen. Zum Einen, warum ein Zeitreisender nicht erfolgreicher gewesen ist und zweitens, warum die Idee der Ausbildung von Paralleluniversen mit jeder Reise von Beginn an als absurd dargestellt wird, obwohl die Idee der Zeitreise sofort akzeptiert wird. Der Erzähler selbst bleibt anonym und es stellt sich die Frage, ob er vielleicht zusätzlich unzuverlässig ist und einige der sich aufeinander aufbauenden Erzählungen seines Wohngefährten nicht zusätzlich aufbauscht. Wie bei „Die Frau des Zeitreisenden“ nur mit umgekehrten Geschlechterrollen will Master Zhao auf seine Frau während unterschiedlicher Episoden ihres Leben aufpassen. Sie ist nicht nur krank, vor allem das sich verändernde und doch irgendwie in seinen sozialen Strukturen feststehende China im Hintergrund zeigt, dass diese positive Hilfestellung gar nicht so einfach ist wie gedacht.

Interessant ist, dass  Zhang Ran es geschafft hat, einen Lügenbold und teilweise Schurken nicht nur zu einem „Helden“ zu machen, sondern eine Sympathieebene zum Leser aufzubauen. Neben dem Betrug – dabei stirbt er und geht auf Zeitreise – dealt er mit Drogen, stiehlt Geld und überfällt schließlich sogar eine Bank. Nicht unbedingt eine Bilderbuchkarriere, aber da das holde Ziel – Hilfe für seine kranke Frau zu organisieren – nachvollziehbar ist, verzeiht der Leser einiges.

Am Ende belehrt der Autor stellvertretend durch den Erzähler auch den Leser. Im Gegensatz zu vielen implizierten politischen Verbeugungen vor dem allgegenwärtigen Regime konzentriert sich Zhang Ran auf das Zwischenmenschliche und zeigt einem Menschen in den Dreißigern, der im Grunde sein Leben in der Langeweile des Alltags aufgegeben hat,  welche Möglichkeiten, Chancen und vor allem positiv auch Herausforderungen es gibt.

Abgerundet wird die gute zu lesende Geschichte durch ein ausgesprochen ambitioniertes Ende, das keine Fragen abschließend beantwortet und plötzlich die Möglichkeit eines sich bildenden Paralleluniversum ohne Widersprüche aufnimmt, aber nicht weiter extrapoliert.

 „When we find Our Voices“ von Eleanna Castroianni ist eine dieser Geschichten, in denen eine ambitionierte Idee – eine Kolonie hat durch eine Krankheit vor Jahrhunderten alle Frauen verloren und pflanzt sich mit den örtlichen, anscheinend sogar dreigeschlechtlichen Vögeln fort – eher bieder und vor allem aus sich selbst heraus eher schwach entwickelt vorgestellt wird. Akzeptiert der Leser diese zugrunde liegende unwahrscheinliche und vor allem auch unglaubwürdige Prämisse, dann verfolgt er eine Story von Unterdrückung und Anpassung, die aber durch die seltsame Nutzung von Vogelstimmen als Quelle von Energie – sie verpufft im Grunde im Nichts – noch weiter unterminiert wird. Bis in die kleinen Details wirkt die Geschichte in der Theorie geplant, aber nicht aus sich selbst heraus entwickelt, so dass neben dem sperrigen selbst von Neil Clarke als Lektor niemals lebendig gestalteten Stil vor allem der phlegmatische Erzählstrom das Lesen zu einer Qual macht.

 Alan Baos „Bringing Down the Sky“ könnte die beste Geschichte der Sammlung sein. Zwei Amerikaner wollen auf der tibetischen Hochebene frische Luft extrahieren, um sie in den von Smog geplagten anderen Teilen der chinesischen Republik gewinnbringend zu verkaufen.  Die Grundidee ist wie bei „When we find Our Voices“ unglaubwürdig und selbst der Versuch, sie mit entsprechenden technischen Begriffen realistischer zu machen, funktioniert nur bedingt. Die Luftverschmutzung hat alle Grenzwerte überschritten und da hilft auch kein Export von beschränkter Luft mehr, zumal es auch keine Erklärung gibt, warum in dieser Höhe die Luft noch derartig rein sein soll oder könnte. Selbst mit oder besser dem dickköpfigen wie naiven Trump haben ausreichend Politiker in den USA wie auch in China erkannt, dass man gegen die Luftverschmutzung notfalls mit drastischen Mitteln vorgehen muss und dieser Aspekt wird in der Story an keiner Stelle wirklich überzeugend erwähnt. Interessant ist, dass ausgerechnet die Chinesen den Bemühungen der Amerikaner folgen, im Grunde ein Sinnloses, in der Theorie der Geschichte aber sinnvolles Geschäft vor der eigenen Haustür aufzuziehen. Damit wird der lokale Geschäft im Grunde zerstört, auch wenn Alan Bao ausgesprochen klischeehaft gegen die multinationalen Konzerne argumentiert und einseitig die kleinen Geschäfts als kapitalistische Heils- und vor allem Arbeitsbringer in den noch reinen Himmel hebt.

Das Ende ist konsequent, aber die Ausgangsprämisse ist zu unglaubwürdig, als das der Leser dem Plot noch wirklich überzeugend folgen kann.

Zusammengefasst ist die letzte „Clarkesworld“ Ausgabe des Jahres 2018 eines der Schwächsten. Die Ambition des Herausgebers Neil Clarke, sein langjähriges Magazin zu internationalisieren und vor allem anderen nicht amerikanischen Stimmen eine Plattform zu geben, ist lobenswert, aber es muss auch qualitativ stimmen, damit mehr zahlende Abonnenten geworben werden können und „Clarkesworld“ möglichst lange erhalten bleibt. In dieser Form ist das schwer vorstellbar.    

Clarkesworld Magazine, Issue 147

E Books, 112 Seiten

www.clarkesworldmagazine.com